Der Filmemacher Ingmar Bergman war auch ein Erneuerer des Theaters, der die Arbeit mit den Schauspielern auf ein anderes Niveau brachte. Nach Differenzen mit der schwedischen Steuerbehörde verbrachte er so eine Zeit in München. Hier war er bei Kritik und Theaterpublikum keineswegs unumstritten, weder als Regisseur noch als politischer Mensch.
Dabei war Bergman ein Autor von Rang, der seine eigenen Erinnerungen als Buch wie als Film poetisch gestaltete.
Er hat sich selbst und seine Emotionen im richtigen Leben stets verborgen, um beides allerdings umso mehr in seine Filme einfließen zu lassen. Zeit seines Lebens konnte er die Zurückweisung und Kälte seiner Eltern nicht verwinden. Für seine eigenen Kinder wurde er dabei selbst zum großen Abwesenden. Am Ende des Lebens zog er sich vereinsamt auf eine Insel zurück.
Mit Filmen auf der Suche nach sich selbst
Ingmar Bergman, geboren am 17. Juli 1918 in Upsala als Sohn des Pastors Erik Bergman und seiner Ehefrau Karin, wächst in einer strengen, bürgerlichen und natürlich vom protestantischen Glauben geprägten Familie heran: Moralisch predigend der Vater, herrisch und impulsiv die Mutter.
Mutters Ohrfeigentechnik war nicht zu überbieten. Der Schlag wurde blitzschnell und mit der linken Hand ausgeführt, an der zwei schwere Eheringe der Strafe schmerzhaften Nachdruck verliehen.
aus Ingmar Bergmans Autobiografie "Laterna Magica"
Aber da beginnt schon rasch das andere, das Rätselhafte im Leben des Ingmar Bergman, das ihn auch nach dem Tod der Mutter verfolgt. Mochte es sein, dass die Verhältnisse im Pastorenhaus gar nicht so ordentlich waren, wie es nach außen den Anschein hatte? War Ingmar vielleicht gar nicht der Sohn von Karin Bergman, sondern der einer Haushälterin, mit der der Vater ein außereheliches Verhältnis pflegte?
Ingmar Bergman, aufgenommen bei Dreharbeiten für den Film "Habour City" im Jahr 1948.© dpa/Bildbyran_Sjöberg_Bilder
Die Familie, die Identität, die Lüge, die Maskerade, die Liebe und noch mehr der Mangel daran, der unauflösbare Widerspruch zwischen Lust und Moral, Heuchelei und Entlarvung – das alles wird in Ingmar Bergmans Filmen eine große Rolle spielen. Und vieles, wenn nicht beinahe alles, ist maskierte Autobiografie, ist zugleich Fabel und Bekenntnis, ist zugleich moderne Seelenerforschung und cineastisches Revivre.
Ein Mensch schafft ein Meisterwerk auf der Suche nach sich selbst. Oder aber: Ein Mensch schafft ein Meisterwerk auf der Flucht vor sich selbst.
Einflüsse bis in die Stummfilmzeit
Zu Beginn seiner Karriere sieht sich Ingmar Bergman in der Tradition der skandinavischen Literatur – Henrik Ibsen und August Strindberg sind seine Meister, Seelenforscher, Psychologen der Theaterbühne. Das Kino hat für ihn gleich mehrere Anknüpfungspunkte. Da ist der nordische Stil, mit seinen schweren, expressiven Bildern wie bei dem dänischen Filmemacher Carl Theodor Dreyer oder Bergmans Landsmann Victor Sjöström. Da ist der poetische Realismus des französischen und der Neorealismus des italienischen Kinos.
Aber Ingmar Bergman hat immer auch die Direktheit, die Expressivität, die Stilisierung des Stummfilms geliebt. Gewiss, in seinen Filmen wird viel gesprochen. Dennoch sind die Bilder darin so wuchtig und ausdrucksstark wie in Stummfilmen. Und immer wieder gibt es Szenen, die nicht von Dialogen, sondern allein von Musik getragen werden.
Gespenster, Teufel und Dämonen, gut, böse oder nur verdrießlich. Sie haben mir ins Gesicht geblasen, mich geschubst, mich mit Nadeln gestochen, an meinem Pullover gezerrt. Sie haben gesprochen, gefaucht oder geflüstert. Es waren deutliche Stimmen, nicht sonderlich verständlich, aber ignorieren konnte ich sie nicht.
aus Ingmar Bergmans Autobiografie "Laterna Magica"
In seinen frühen Filmen zeigt Ingmar Bergman die Ausgestoßenen und Außenseiter, die Unverstandenen und Rebellen in einer sehr konkreten Umwelt, zum Beispiel in einer Hafenstadt. In dem gleichnamigen Film von 1948 geht es um damals aktuelle und tabuisierte Themen, wie etwa Selbstmord, rigide Heimerziehung und illegale Abtreibung.
Aber auch hier schon gibt es die später so klassischen Bergman-Elemente: die hartherzige und emotional gestörte Mutter, die Kommunikationsunfähigkeit, die fundamentale Einsamkeit der Personen, das Leben als Albtraum.
Die naturalistische Phase
17 Filme umfasst das Werk, das man Bergmans "naturalistische Phase" genannt hat. In dieser ist sogar Platz für das Komödiantische wie in "Sehnsucht der Frauen" (1952), wo sich Frauen, die zum jährlichen Fest auf die verspäteten Männer warten, in auch für sie selbst überraschender Offenheit über ihre Enttäuschungen und Wünsche austauschen.
Vor allem zeigt sich auch der Einfluss des Neorealismus, etwa in "Hafenstadt" (1948), der Geschichte eines Mädchens, das ihre Jugend im Erziehungsheim verbracht hat, als Fabrikarbeiterin die Hoffnung auf ein erfülltes Leben verliert und in der Liebe zu einem Matrosen einen Ausweg zu erkennen meint, der sie vor dem Selbstmord rettet.
Buchtipp
Ingmar Bergman: "Laterna Magica. Mein Leben"
Alexander Verlag 2018,
384 Seiten, 19,90 Euro
Ingmar Bergman war in dieser Phase als Filmemacher zwar bereits international beachtet, aber noch weit davon entfernt, ein Regiestar zu sein. Die Kritik sah das Talent, fand aber immer etwas auszusetzen, etwa an der Unausgewogenheit seiner Arbeiten.
Die Wende kam mit der Auszeichnung für "Das Lächeln einer Sommernacht" 1956 in Cannes, eine Komödie. Und mit "Wilde Erdbeeren" errang Ingmar Bergman 1957 nach ziemlich einhelliger Meinung der zeitgenössischen Kritik den Rang eines Meisterregisseurs des europäischen Films.
Ingmar Bergman auf einem Foto von 1957.© dpa/Magnus_Hartman_dn
Der verehrte Regisseur Viktor Sjöström spielt darin einen alten, müde gewordenen Professor, der wegen einer akademischen Ehrung zusammen mit der Ehefrau seines Sohnes, die sich gerade von ihm getrennt hat, eine Reise unternimmt. Die Reise führt ihn an Stätten seiner Kindheit und Jugend zurück, zu der Stelle wo es die wilden Erdbeeren gibt zum Beispiel, die übrigens in mehreren Bergman-Filmen Metaphern der ersten Liebe darstellen. Sie führt ihn zur alten, hartherzigen Mutter und konfrontiert ihn mit mehr oder weniger unbeschwerten Jugendlichen als quirlige Gegenbilder zu seiner Ermattung.
Wie konnte sich ein so junger Filmemacher in die Situation eines alten Mannes in Todesnähe hinein versetzen? Vielleicht eine falsche Frage. Denn natürlich war auch dieser Professor Isak Borg ein verkapptes Selbstporträt.
Ich sage es immer im Scherz, dass ich erst nachträglich bemerkt hätte, dass Isak Borg die selben Initialien hat wie ich. Das ist aber gelogen, denn das war Absicht. So einfach ist das. Das hat rein gar nichts mit Victor Sjöström oder seinem Leben zu tun, sondern es ging wie bei "Abend der Gaukler" um ein Selbstporträt. Das ist die Triebkraft.
Ingmar Bergman
Weltberühmt, weit über den Kreis der Cineasten hinaus, wird Ingmar Bergman 1963 mit dem Film "Das Schweigen". "Das Schweigen" ist der Abschluss einer sogenannten Trilogie des Existentialismus in Bergmans Werk. Die ersten beiden Teile sind "Wie in einem Spiegel" und "Licht im Winter".
"Wie in einem Spiegel" erzählt von einem Ferienaufenthalt auf einer Insel: Beinahe schon typische Bergman-Charaktere lieben und quälen sich da, ein erfolgloser, aber immer noch ehrgeiziger Schriftsteller, seine psychisch labile Tochter, ihr Ehemann, der zwar ein bekannter Arzt ist, sie aber weder verstehen noch gar ihr helfen kann, und der Sohn, der darunter leidet, dass sein Vater nie eine gefühlsmäßige Bindung an ihn zeigt.
Weil man nicht direkt miteinander sprechen kann, kleiden die Kinder ihr Leid in ein kleines Theaterstück, das sie für den Vater aufführen und das schließlich zur Katastrophe führt. "Licht im Winter" schildert die Krise des Pastors Ericsson, der nicht nur seinem Gott, sondern auch den Menschen um ihn herum entfremdet ist. Die Bauern, die Rat und Trost bei ihm suchen, bekommen nur mäandernde Monologe zu hören.
"Das Schweigen" war zu seiner Zeit ein ungeheurer Skandal. Man konnte sich zweifellos fragen, wie viel Lust an der Provokation in Filmen wie "Das Schweigen" steckte oder in "Die Jungfrauenquelle" mit einer für das Jahr 1959 schockierenden Szene einer Vergewaltigung.
Aber es ist immer auch die Konsequenz von Bergmans Filmen, nicht gnädig wegzusehen, den Blick der Kamera und des Publikums so starr auf dem Geschehen zu lassen, bis man das Gefühl hat, das Bild, die Maske, der Körper könne sich vor den eigenen Augen auflösen. Mit diesem insistierenden Blick freilich gerät das Kino auch immer wieder an den Rand der Selbstauflösung und der Selbstzerstörung. Demaskierung ist ein Motiv, das immer wiederkehrt, etwa bei den Balletttänzern in "Einen Sommer lang".
Die Szenen haben sich selbst dahin gesetzt in meine Filme. Ich habe nicht gedacht, das ist etwas zum Schockieren. Als ich diesen Film "Das Schweigen" gemacht habe, habe ich zu dem Produzenten gesagt: Dies ist eine Publikumskatastrophe, niemand will diesen Film sehen. Und dann habe ich dem Produzenten versprochen, eine Komödie zu machen. Er hat gesagt: Lieber Ingmar, ich glaube, nach diesem Film ist mit deiner Karriere Schluss. Ich wusste ja nicht, damals, dass in diesem "Schweigen" so ein Dynamit wäre. Ich habe es nicht geahnt. Aber heute kann man diesen Film ja Konfirmanden zeigen, nicht wahr.
Ingmar Bergman
Station in München und die Mühen des Exils
Anfang 1976 holten Beamte der Steuerfahndung Ingmar Bergman mitten aus der Probenarbeit. Sein Pass wurde ihm abgenommen. Ein Zusammenbruch führte Bergman in eine psychiatrische Klinik. Auf den gewaltsamen Einbruch in sein Leben folgte eine Zeit der erschöpfenden Leere. Und: Der 58-jährige Ingmar Bergman verließ im April 1976 seine Heimat im Protest und landete nach einigen Zwischenstationen in München.
Ingmar Bergman kommt in eine Stadt, die sich zu dieser Zeit selbst in einer Aufbruchstimmung wähnt und in der große Stars durchaus willkommen sind. Das Wort von der "heimlichen Hauptstadt" hat die Runde gemacht und ist dann doch wieder verworfen worden. München fühlt sich aufgeschlossen, weltoffen, avantgardistisch - einerseits. Zum ökonomischen Glamour der Stadt gehört auch eine aufblühende Filmproduktion mit amerikanischen und europäischen Partnern.
Andererseits herrscht eine konservative Grundstimmung in Politik und Kunst, es gibt einen unüberbrückbaren Graben zwischen alter und neuer Kultur.
Bergman dreht in München zunächst "Das Schlangenei" und vereinbart mit Kurt Meisel, dem Intendanten des Münchner Residenztheaters, Strindbergs "Traumspiel" zu inszenieren.
Auch wenn es Bergman nie in den Sinn gekommen wäre, Strindberg forsch zu modernisieren oder gar zu dekonstruieren – das "Traumspiel" hätte ein Theater-Höhepunkt werden können. Aber was für Schauspieler und Regisseur ein hoch emotionaler und durchaus nicht unglücklicher Beginn der Zusammenarbeit ist, wird vom deutschen Feuilleton im allgemeinen und von der Münchner Kritik im besonderen eher missmutig aufgenommen. Kein guter Beginn in München.
Es gibt Stücke, die mich durchs Leben begleiten und plötzlich kriege ich durch neue Erfahrungen neue Aspekte. Ursprünglich hat Meisel gefragt: Was willst du inszenieren? Ich habe gesagt: Ich bin weg aus Schweden, also etwas ganz schwedisches, "Traumspiel". Das ist Erfahrung genug, es mit deutschen Schauspielern in fremder Sprache zu inszenieren.
Ingmar Bergman
Am Residenztheater wird in diesem Jahr 1977 der leicht schizophrene Enthusiasmus des Ingmar Bergman durchaus geteilt, vor allem von den jungen Schauspielern wie Christine Buchegger oder Robert Atzorn.
"Bergman hat sich fürs Resi entschieden, weil da Schauspieler seien, die offen seien, mit den man gut arbeiten könne, hat er später erzählt", erinnert sich die Schauspielerin Christine Buchegger später. "Er war anfangs sehr schüchtern, hat ganz gut Deutsch gesprochen und das hat sich verbessert mit der Zeit. Aber es ging von ihm eine große Wärme aus und eine große Liebe für die Schauspieler, obwohl er immer so schwierige, tiefenpsychologische Themen und Abgründe gezeigt hat."
Ingmar Bergman, Liv Ullmann und David Carradine bei den Dreharbeiten zu "Das Schlangenei"© dpa/ Rialo Film Produktion
Da sind die Bergman-Schauspieler und ihre geschlossene Welt. Ingmar Bergman polarisiert in seiner Arbeit, schart eine Gruppe von Schauspielern um sich, mit denen er vorzüglich zusammen arbeitet und die er nach Kräften fördert. Notgedrungen müssen sich andere ausgeschlossen oder zurückgewiesen fühlen. Dann ist da die Auswahl seiner Stücke.
Wenn Bergman sich um die nordischen Klassiker Strindberg oder Ibsen kümmert, wirft man ihm eine Skandinavisierung des Spielplans vor, nimmt er sich aber französische oder englische Klassiker vor, heißt es, er habe sich von seinem Spezialgebiet in fremdes Gelände verirrt. In seiner Münchner Zeit inszeniert Bergman Shakespeare, Anouilh, Camus und O’Neill. Wirklich diskutiert werden aber nur über die Stücke skandinavischer Autoren oder die Tschechows, immerhin, und über das Scheitern Bergmans etwa an Molière.
Buchtipp:
"Ingmar Bergman. Essays, Daten, Dokumente"
herausgegeben von der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen,
Bertz + Fischer 2011, 247 Seiten, 22,90 Euro
Eine Werkschau über Ingmar Bergman mit umfassenden filmografischen Angaben sowie seltenen Szenen- und Werkfotos
Ein schwieriger Mensch, ein politischer Reaktionär und ein Regisseur, der auf der Bühne keine Abweichungen vom Text, keine Experimente und keine Widersprüche duldet: Negativer kann ein öffentliches Image zu dieser Zeit wohl nicht ausfallen. Dass beinahe alles, die Mär vom politischen Reaktionär aber ganz besonders, auf Missverständnisse und Manipulationen zurück geht, ist viel schwerer zu vermitteln. Ingmar Bergman bekennt dann melancholisch, er habe nun ein paar Tricks der deutschen Politik kennengelernt.
Tatsächlich hat er sich danach nie wieder so naiv missbrauchen lassen und ist allen politischen Äußerungen weiträumig aus dem Weg gegangen.
Und bei allen Erklärungsversuchen, bei allen Blicken hinter die Legenden und Missverständnisse macht einen diese Kälte in der Beziehung zwischen einem Künstler und einer Stadt heute noch schaudern. Gegen Ende seines Aufenthaltes in Deutschland war Ingmar Bergman fast so verzweifelt wie am Beginn seines Exils.
Das Gespenst des Todes
Es fällt schwer, sich Ingmar Bergman als glücklichen Menschen vorzustellen. Das liegt auch an seinen Filmen. Sie handeln von den Schwierigkeiten des menschlichen Zusammenlebens, von der Sehnsucht nach Liebe und von der selbst verschuldeten Unfähigkeit dazu. Sie handeln von Einsamkeit, von Albträumen, von Obsessionen. Sie handeln von Gespenstern.
Das Schlimmste von ihnen ist der Tod selber, der seinen großen Auftritt in "Das siebente Siegel" hat, aber gegenwärtig ist er in beinahe jedem Bergman-Film, als Drohung aber auch als Verlockung.
Diesmal formuliert es Bergman bis zur Grenze des Erträglichen: Der Mensch ist ein Gefangener seiner selbst. Und nur für Augenblicke ist es ihm möglich, die Nähe eines anderen Menschen zu ertragen. Es gibt solche Momente in dem Film. Und der Zuschauer begreift sie als Oasen: Wenn die Mutter das Kind, das sich zurückgesetzt glaubt, unerwartet an sich zieht oder wenn in der Szene zwischen Karin und Maria sich die Starre der Gesichter plötzlich löst und es zu einem Einverständnis kommt wie früher, als sie junge Mädchen waren, in der Kindheit – der Ton ist weggenommen, man sieht nur die Bewegung der Lippen zur Musik. In jedem Bergman-Film findet sich ein Element, das man als Hoffnungsstrahl bezeichnen könnte: eine Liebesbeziehung, eine glückliche Ehe, ein Kind.
Die Schriftstellerin Renate Rasp über Ingmar Bergmans Film "Schreie und Flüstern"
Das Gespenst der Sexualität
Die Sexualität gehört in Ingmar Bergmans Filmen offenbar nicht zu den Elementen, die Glück oder Hoffnung vermitteln. Sie ist eher Problem als Lösung, zumeist Ausdruck oder Ursache von Vereinsamung. Sie ist oft mit Gewalt verbunden, ebenso oft mit Berechnung. Ingmar Bergman hat nicht nur mit dem Skandalfilm "Das Schweigen" einiges dazu beigetragen, dass im europäischen Kino Sexualität anders verhandelt werden konnte als zuvor.
Aber nicht um den ewigen Eros, nicht um die fröhliche und oft auch komische Sinnlichkeit wie bei Federico Fellini ging es dabei, sondern um eine existenzielle Provokation der Lust. Nicht, dass es nicht auch bei Bergman einen Hauch des Grotesken gegeben hätte. So erzählte er etwa in einem
Wie Sie wissen, gibt es zu Beginn jeder Filmkopie ein winziges Stück Film zum Scharfstellen nur für den Vorführer, und für den Film "Persona" hatte ich einen erigierten Penis dafür genommen. Das waren nur zwei, drei Einzelbilder. Und da der Film mit 24 Bildern pro Sekunde durch den Projektor zieht, können Sie sich vorstellen, wie lang dieser Penis auf der Leinwand zu sehen war… eine Sechstelsekunde! Das war ein subliminales Bild. Aber man hat es entdeckt! Der Film hat großes Interesse erregt außerhalb Schwedens und wurde überall gezeigt, aber überall war der verdammte Penis weggeschnitten! Also habe ich das Negativ geprüft und – Sie mögen es glauben oder nicht – auch da war der Penis nicht mehr! Zum Glück habe ich dann eine noch intakte Kopie gefunden, wo das Stück vollständig war und ein neues Negativ ziehen lassen – als Grundlage für neue Kopien. Aber diese Entdeckung hat mich wirklich aufgerüttelt.
Ingmar Bergman in einem Interview der französischen Filmzeitschrift "positif"
Das Gespenst der Religion
Man hat Ingmar Bergmans Filme vor allem der mittleren Periode gern als Gottsucher verstanden und auf seine Herkunft aus einem Pfarrhaus verwiesen. Aber gerade der Glaube kommt bei Bergman fast ausschließlich in gespenstischer Form, in einer entleerten und heuchlerischen Form vor.
"Viele Filme haben ganz explizit dieses Verhältnis zu Gott thematisiert", erklärt Rainer Rother, der künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek. "'Licht im Winter' ist vielleicht der am wenigsten bekannte, aber letztlich präziseste. Da geht es um einen Pfarrer, der den Glauben verloren hat und der seine Gemeinde deswegen aufgibt."
Bemerkenswert sind biblische Bezüge, auffallend oft gibt es bestimmte Namen: Isaak scheint eine kleine Besessenheit am Rande auszudrücken, so heißt etwa der Professor, der seinen eigenen Tod träumt in "Wilde Erdbeeren". Isaak – was wörtlich heißt "Gott lächelt" oder aber "Gott hat jemanden zum Lächeln gebracht" – ist der Sohn, den Gott vor einem Vater rettete, der bereit war, ihn für seinen Glauben zu opfern.
Ingmar Bergman (r) neben Liv Ullmann und Erland Josephson.© dpa/Scanpix
Am häufigsten kommt der Nachname Vogler vor, eine teutonische Anmutung des schwedischen Wortes f°agel. Nach eigenem Bekunden plagte Ingmar Bergman stets eine panische Angst vor Vögeln, so können wir uns zumindest vorstellen, dass die Figuren mit dem Namen Vogler immer eine gewisse Bedrohung ausstrahlen. Wie die Vögel sind einige dieser Figuren förmlich vom Himmel gefallen, sie durchmessen einen leeren Raum zwischen der irdischen Sinnlichkeit und der göttlichen Metaphysik.
Männer der Kirche sind in Bergmans Filmen alles andere als Sympathieträger, sondern fast immer ebenso zweifelnde wie zweifelhafte Figuren. Schon früh hat sich Ingmar Bergman von der Kirche, nie aber von der Religion abgewandt.
Kinder und Kindsein
An den Krisenstadien der Beziehungen erkennen viele Bergman-Figuren, dass ihre Partner das mit dem Erwachsenwerden noch nicht geschafft haben. Zugleich aber ist der Moment des Erwachsenwerdens das Ende der unbeschwerten, glücklichen Liebe.
Ingmar Bergman, war einer, dem es zeitlebens vor dem Erwachsenwerden gegraut hat und der schon deshalb "ein lausiger Vater" sein musste - so erinnert sich seine Tochter Linn Ullmann in einer Mischung aus Furcht und Liebe.
Verzweifelt hörte sie den Vater einmal sagen: "Jetzt hat Gott mich aus dem Kinderzimmer geworfen." Da war Ingmar Bergman 74 Jahre alt.
In Ingmar Bergmans Filmen sieht man ab und an die Welt mit den Augen von Kindern. Aber gleichzeitig sind Kinder, wenn sie überhaupt eine Rolle spielen, kaum in die Beziehungsdramen der Menschen mit einbezogen.
Natürlich ist auch das als Reflex von Bergmans Leben zu verstehen. Zwar ist er Vater von insgesamt acht Kindern, aber nie hat er eines von ihnen beim Aufwachsen begleitet, stets ging die Beziehung schon während oder nach der Schwangerschaft entzwei, stets blieb er seinen Kindern bis in deren Erwachsenenstadium fern.
Es ist eine Anwesenheit durch Abwesenheit, immer sind sie in Erzählungen und Erinnerungen präsent, nur eben in gespenstischer Form.
Das Angesicht der Angst
Immer wieder begegnen sich in Ingmar Bergmans Filmen die Prinzipien der Lebenslust und der Angst, oft sind sie in einen Dialog zwischen Mann und Frau gekleidet, wie etwa in "Einen Sommer lang". Immer wieder zeigt Ingmar Bergman in Nahaufnahmen Menschen, die von Angst geplagt sind wie Max von Sydow in "Das siebente Siegel" (1956), wie Viktor Sjöströms Angst vor dem Tod in "Wilde Erdbeeren" (1957), die Einsamkeit von Ingrid Thulin in "Das Schweigen" (1962), Liv Ullmans Verzweiflung in "Von Angesicht zu Angesicht" (1975).
Es sind diese Nahaufnahmen offensichtlich Bilder, auf die die Filme hinaus wollen, sie weisen beinahe wie Standbilder darauf hin, dass es eigentlich nicht mehr weiter gehen kann. Nur der Film geht unerbittlich weiter. Das macht das Gespenst dieser Bilder aus.
Das ist ja das Fantastische am Film, dass man so genau das menschliche Gesicht sieht. Das kann man ganz aus der Nähe studieren. Das ist fantastisch. Die Augen, die Haut, die Lippen – diese tausend Nuancen kannst du ganz von der Nähe studieren. Das ist unwahrscheinlich. Und kein anderes künstlerisches Ausdrucksmittel hat diese fantastische Möglichkeit. Ich finde: Das menschliche Gesicht ist ein unbekanntes Land. Ich höre nie auf, das zu studieren.
Ingmar Bergman
Für Ingmar Bergman waren Film und Theater immer zwei Formen der Geisterbeschwörung, die Geister der Kulturgeschichte ebenso wie die höchstpersönlichen Geister des Ingmar Bergman.
Die Schauspieler sind daher bei Bergman sehr nah am eigenen Leben. Sie sind eigentlich immer die gleichen, die man in andere Zusammenhänge gestellt hat – archetypische Menschen, eine eigene Tragedia dell’Arte, deren Rollen stets denen ähneln, die sie im wirklichen Leben als Freunde, Geliebte, Ehefrauen und Ehemänner innehaben.
"Er hat sich immer eine Gruppe von Menschen zusammengesucht", erinnert sich die Regisseurin Margarethe von Trotta. "Das hat ihn sicher gemacht, wenn er immer wieder mit denselben zu tun hat und arbeiten konnte. Er hatte eine künstlerisch-technische Crew, Sven Nyquist, der dann ab einem bestimmten Moment alle Filme mit ihm gedreht hat. Mit denen fühlte er sich sicher, die kannten auch seine Phobien, und die kannten ihn aber auch als fröhlichen Menschen."
Was man an Ingmar Bergmans Filmscripts oft bemängelt hat, ist der Schluss. Oft werden wir mit einer Art Pseudo-Happy End entlassen. Da scheinen plötzlich die finstersten Kammerspiele der Qual und der Verzweiflung mit einem Notausgang versehen, da wird eine Liebe gepriesen, von der in der Handlung nichts mehr zu spüren ist, wie in "Von Angesicht zu Angesicht" oder ein Gespräch zwischen Vater und Sohn geführt, das vorher vollkommen unmöglich schien wie in "Wie in einem Spiegel".
Das Gespenst der Familie
Der Pfarrhaushalt, in dem Ingmar Bergman aufwuchs, war für ihn der erste Erzählraum, aber auch die erste Versuchsstation dafür, wie aus Beobachtung und Kreativität noch aus der furchtbarsten Situation etwas Spielerisches und Heilsames gewonnen werden kann. Diese Mischung aus Pflichtbewusstsein, Disziplin und Maskerade waren für ihn im Rückblick dem Filmemachen gar nicht so unähnlich.
Dass Ingmar Bergman die Forderungen und die Kultur von '68 ablehnt, hat sicherlich damit zu tun, dass hier etwas aus der Balance gerät. Denn durch die neue, anarchische Forderung, das Private öffentlich zu machen, sah Ingmar Bergman seine Grundlagen, seine Methode, sein Modell eines bäuerlich-bürgerlichen Personentheaters gefährdet.
Da wird, was Bergman in mühevoller Arbeit als Beichte und Offenbarung seinem Familien-Theater-Projekt entreißt, zur Konvention. Was man sich an Wahrhaftigkeit abrang, wird zum Partygespräch. Woody Allen zeigt in "Der Stadtneurotiker", dass die Fortsetzung von Ingmar Bergman eigentlich nur noch als Satyrspiel und Farce möglich ist.
Ingmar Bergman rettet sich, indem er seinen höchst persönlichen Theater-, Familien- und Gefühlsraum noch einmal erschafft. In diesen Familienraum kehrt Ingmar Bergman mit "Fanny und Alexander" zurück, dem letzten Kino-Triumph des Regisseurs, der allein mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, darunter natürlich der für den besten ausländischen Film und die Kamera von Sven Nykvist.
Es ist nicht mehr die pessimistische Vermessung einer ganz und gar verlorenen und verzweifelten Welt wie in vielen Bergman-Filmen zuvor, sondern ganz einfach eine Hommage an das Leben. Mit "Fanny und Alexander" gibt Bergman das Metaphorische und Maskierte auf und erzählt ganz direkt von seiner Familie und seinem Leben, was er nebenbei nun auch in seinen biografischen Texten und in den weiteren Filmen tut, die für das Fernsehen entstehen.
Erlösung
Nach seiner Rückkehr aus dem deutschen Exil litt Ingmar Bergman einige Zeit unter seinem Rückzug in die Einsamkeit der Insel Farö und unter der Angst vor versiegender Kreativität. "Es wurde allmählich dunkel, ohne dass ich die Dunkelheit sah", schrieb er in seiner Autobiografie "Laterna Magica".
Seinen letzten Film "Sarabande", für das Fernsehen entstanden, drehte Bergman mit seinen langjährigen Darstellern Liv Ullmann und Erland Josephson. Noch einmal ein wagemutiger Film, natürlich ein weiteres Selbstporträt. Noch einmal erweist
Martin Scorsese einem seiner großen Vorbilder Respekt.
"Sarabande" ist ein ganz besonderer Film. Ich glaube, nur wenige Filmemacher haben die Gelegenheit für einen solchen Film ergriffen. Das ist der Film eines älteren Mannes, der sich keine Sorgen macht, der bei seiner persönlichen Rückschau keine Rücksicht darauf nimmt, ob das Publikum zufrieden ist, ob der Film Geld einspielt. Er ist ein alter Mann und er hat das Recht, das zu sagen, was er will. Und Sie haben das Recht, so einen Film abzulehnen, wenn sie das nicht mögen. Das ist alles.
Regisseur Martin Scorsese über "Sarabande"
"Sarabande" erzählt auf ganz eigene, freie Weise die Geschichte des Paares von "Szenen einer Ehe" weiter. Lange nach der Aussöhnung am Ende von "Szenen einer Ehe" geht es nun vor allem um Erinnerungen, um das Gemeinsame wie das Trennende darin. Aber was, einmal mehr, die eigentliche Wirkung eines Bergman-Filmes ausmacht, ist die Intimität, und die Erinnerung an die Intimität.
"Und plötzlich stand er da am Studioausgang, winkte und sagte 'Auf Wiedersehen'", erinnert sich Liv Ullmann. "Dann ging er, nahm einen Flug nach Farö und kam nie zurück. Weder in die Studios noch nach Stockholm. Er blieb auf Farö. So endeten seine Dreharbeiten und so endete wohl das große Abenteuer für alle, die die Ehre hatten, mit ihm arbeiten zu dürfen."
Ingmar Bergman starb am 30. Juli 2007 auf der Insel Farö. Und mit ihm ging ein Kapitel der modernen Filmkunst endgültig zu Ende.
Produktion
Autoren: Markus Metz und Georg Seeßlen
Regie: Claudia Mützelfeldt
Sprecher und Sprecherinnen: Barbara Stoll, Volker Risch, Hendrik Stickan und Bruno Winzen
Redaktion: Dr. Monika Künzel
Webproduktion: Jörg Stroisch
Die Sendung ist eine Wiederholung vom 14. Juli 2018.
Studiocanal hat mit der freundlichen Zurverfügungstellung seiner Ingmar-Bergman-Filme die Gestaltung der Langen Nacht unterstützt.
Über die Autoren:
Markus Metz, geboren 1958, studierte Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin. Er arbeitet als freier Journalist und Autor.
Georg Seeßlen, geboren 1948, studierte Malerei und Kunstgeschichte in München. Er ist als freier Autor und Kritiker unter anderem bei "Die Zeit", "Konkret" und "taz" tätig.