Ingo Dachwitz, Sven Hilbig: "Digitaler Kolonialismus"

Die dunkle Seite des technischen Fortschritts

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Buchcover zu "Digitaler Kolonialismus" von Ingo Dachwitz und Sven Hilbig: Die Welt, dargestellt als Festplatte.
© Verlag C.H. Beck

Ingo Dachwitz

Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilenC.H.Beck, München 2025

351 Seiten

28,00 Euro

Vera Linß |
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Der Siegeszug der Digitalisierung basiert darauf, dass die großen Tech-Unternehmen Arbeitskräfte und Rohstoffe im Globalen Süden rücksichtslos ausbeuten, kritisieren Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Davor dürfe Europa nicht länger die Augen verschließen.
Die Kritik an den Schattenseiten der Digitalisierung ist allgegenwärtig. Ob Überwachung, Monopolmacht oder der ökologische Fußabdruck durch KI: Dass Big-Tech mehr Regulierung braucht, ist unumstritten. Dazu gehört auch, dass der Globale Süden endlich gerecht an der Digitalisierung beteiligt werden muss. Gerade Letzteres aber werde in Europa bislang kaum gehört, kritisieren der Journalist Ingo Dachwitz und der Digitalisierungsexperte Sven Hilbig. Mit Ihrem Buch wollen sie genau das ändern.
Tatsächlich ist die Last überproportional groß, die Länder in Afrika, Asien oder Südamerika zu tragen haben, damit Industrienationen des Nordens zunehmend digital werden. Die Autoren zeigen dies entlang der Herstellungskette und der Verwertung von Technologie. Ganz vorn dabei: Künstliche Intelligenz. ChatGPT etwa funktioniert vor allem deshalb so gut, weil in Nairobi schlecht bezahlte „Geisterarbeiter“ vorher aussortieren, welche Inhalte der Chatbot keinesfalls als Antwort ausspucken darf: Verstörendes oder Gewalt.

Ausbeutung in der gesamten Herstellungskette

Auch bei der Datenextraktion wird der Globale Süden ausgenutzt. Wegen des schwachen Datenschutzes lassen sich auf Webseiten, Apps oder bei Zahlungsanbietern in den Ländern des Südens fast ungehindert Daten sammeln. Die Gewinne daraus landen jedoch bei den Tech-Unternehmen des Nordens, die die Daten für Werbezwecke vermarkten. Dasselbe Prinzip bei den Rohstoffen. Für zweieinhalb Dollar Tageslohn etwa schürfen im Kongo Minenarbeiter nach Kobalt, ohne das keine Smartphone-Batterie auskommt.
Viele der Ungerechtigkeiten, die Ingo Dachwitz und Sven Hilbig anführen, sind längst bekannt. Doch die pure Masse an Fakten, für die sie auch auf die Arbeit von Forschenden aus dem Globalen Süden selbst zurückgreifen, ist schlicht alarmierend. Ebenso wie die Schilderungen der prekären Arbeitsbedingungen, mit denen die beiden die nüchternen Zahlen unterlegen. Nathan aus Burundi etwa berichtet von schreienden Kollegen, die als Content-Moderatoren für Facebook brutale Kriegsbilder „wegmoderieren“ müssen. Ishani aus Indien erzählt, wie sie als Tagelöhnerin auf einer Mikrowork-Plattform grundlos gefeuert wird.

Der Globale Süden könnte dauerhaft abgehängt werden

Ändern soll sich daran nichts, zumindest wenn es nach den Tech-Unternehmen geht. Deshalb warnen Dachwitz und Helbig davor, dass die Länder des Globalen Südens Gefahr laufen, vom Globalen Norden dauerhaft abgehängt zu werden. Dieser nutze – nach kolonialem Muster – die wirtschaftliche Schwäche der Länder aus, um günstig an Rohstoffe zu kommen und Arbeit billig outzusourcen.
Sie verhindern so auch, dass dort eine eigene (Digital-)Industrie entstehen kann. Auch hier sprechen die Zahlen für sich: Statt in gut bezahlten Jobs zu arbeiten, haben in Indien über neunzig Prozent aller outgesourcten KI-Arbeiter einen Universitätsabschluss. Diese Dimensionen sichtbar zu machen, ist das Verdienst dieses wichtigen Buches.