Ingrid Godon und Toon Tellegen: "Ich sollte"
Übersetzt aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann
Mixtvision, München 2018
96 Seiten, 29,90 Euro
Eine Aufforderung, man selbst zu sein
Mit feinen Zeichnungen und kurzen Texten wollen Ingrid Godon und Toon Tellegen mit ihrem dritten Buch "Ich sollte" zum Nachdenken anregen: Was sollte ich tun, und was davon will ich eigentlich selber? Die Themen sprechen Kinder als auch Erwachsene an.
"Ich sollte" ist beeindruckend. Diese Mischung aus Kunst und Poesie, aus Bild und Text, aus Befehlen und Sehnsüchten ist genial. Denn was "sollte" man nicht alles: man selbst sein, netter, zwangloser, fröhlicher, sich verweigern, loslassen, nach vorne schauen. Nichts also, was man nicht sollte.
Und tatsächlich steckt hinter jedem dieser Gedanken eine Aufforderung, sich zu verbessern, sich selbst zu optimieren. Man hört förmlich die Kritik der anderen oder zumindest die Angst davor. Mit ihren über 40 Texten und Bildern übers Sollen, Müssen und Wollen machen Ingrid Godon und Toon Tellegen genau das deutlich. Ein kluges Buch. Wieder.
Feine Zeichnungen
Es ist das dritte Buch des Duos, nach "wünschen" und "denken" jetzt eben "sollen". Sie ist die Illustratorin. Er schreibt die Texte. Zusammen sind sie unschlagbar. "Ich wünschte" war 2013 in der Kategorie Kinderbuch schon für den Deutschen Jugendbuchliteratur Preis nominiert. Dabei ist die Machart immer gleich: auf der einen Seite ein Bild, auf der gegenüberliegenden der Text.
Die Bilder von Ingrid Godon sind feine Zeichnungen von Menschen, große und kleine, junge und alte, mehr Männer als Frauen, mehr Jungen als Mädchen. Sie sitzen oder stehen. Manchmal sieht man auch nur das Gesicht. Alle fein gezeichnet, mit Tusche oder Bleistift und anschließend bearbeitet: leicht koloriert und als Druck verfremdet.
Da ist der kleine Junge, in Hemd und schwarzer Hose, mit Krawatte, und streng gescheiteltem Haar. Er sitzt auf einem grünen Sofa. Und er sollte seine "Grenzen kennen". Weiter steht da: "Ich sehe sie nicht, suche überall. Sie sind anscheinend immer zu weit entfernt. Bis jemand auf sie zeigt."
Oder dann ist da das Bild ebenfalls eines Jungen, mit weißen Hemd, Fliege und Hosenträgern. "Ich sollte nicht denken, dass ich vor langer Zeit, als ich noch zur Schule ging, immerzu glücklich gewesen bin. Denn das war ich nicht."
Und zu den Worten, "Ich sollte anfangen, ich sollte endlich einmal anfangen...", sieht man eins der wenigen Mädchen. Sie sitzt mit einem Zettel in der Hand auf einem Stuhl. Alles ist schwarz weiß und weiß bis auf ihre Kleidung, die im sanften mintgrün im Kontrast zu ihrem strengen Gesichtsausdruck steht.
Selbstzweifel entgegentreten
Alle Bilder wirken altmodisch und entwickeln gerade deshalb eine ganz eigentümliche Kraft und Ausstrahlung. Wunderbar und sonderbar zugleich. Perfekt passend dazu die Texte von Toon Tellegen, die immer mit den rot gedruckten Worten "Ich sollte…" beginnen.
Der studierte Mediziner schreibt seit den Achtzigerjahren Lyrik und Prosa für Kinder und Erwachsene. Das merkt man den Texten an: Sie bewegen sich an der Grenze zwischen diesen beiden Gruppen und sprechen Themen an, die Kinder wie Erwachsene kennen.
Dabei geht es nicht nur darum, was man tun oder nicht tun sollte, sondern Toon Tellegren dringt immer tiefer in die Gedankenwelt hinter den Aufforderungen ein. Und zeigt so, wie absurd diese Bestrebungen sind. Am Ende dieser Gedankenreise bleibt man nachdenklich zurück. Wer drängt einen überhaupt dazu, etwas zu sollen? Und was wäre, wenn man nicht entscheidet?
Letztendlich ist dieses Buch eine Aufforderung dazu, man selbst zu sein. Und "sollen" sollte es dann nicht geben, wenn es gegen die eigenen Grenzen stößt. Autor und Illustratorin ermutigen vielmehr dazu, Selbstzweifel mutig entgegen zu treten. Wunderbar. Dieses aufwendige gestaltete, kluge Buch ist eine kleine Schatzkammer. Sehr zu empfehlen.