Initiative der sorbischen Minderheit

Sorben wollen eigenes Parlament

Junge Frauen und Männer in sorbischer Tracht nehmen im Spreewald am traditionellen Hahnrupfen teil.
Junge Frauen und Männer in sorbischer Tracht nehmen im Spreewald am traditionellen Hahnrupfen teil. © imago stock & people
Von Bastian Brandau |
Jahrhundertelang wurde in der Lausitz Sorbisch gesprochen. Inzwischen droht die Sprache zu verschwinden. Eine Initiative will mit einem sorbischen "Parlament" die Rechte der Minderheit stärken. Doch einige Sorben warnen vor einer Zersplitterung.
Martin Walde sitzt in seinem Wohnzimmer in Neschwitz nördlich von Bautzen. Sein Haus ist so etwas wie die Zentrale einer Initiative, die nach Jahren der Vorbereitung gerade Fahrt aufnimmt. Kulturwissenschaftler Walde hat bis zu seiner Pensionierung vor einigen Jahren am Sorbischen Institut gearbeitet. Walde ist Mitinitiator einer Gruppierung, die sich für ein sorbisches Parlament einsetzt, auf Sorbisch: einen Sejm. Während des Gesprächs ruft der Wahlleiter an. Und auch nachher muss Walde los nach Bautzen zu einem Treffen wegen der Initiative: Eine demokratisch legitimierte Vertretung der sorbischen Minderheit. Martin Walde erklärt:
"Man geht schlechterdings immer davon aus, Sorben sind eine homogene Ethnie, bei näherer Betrachtung ist das mitnichten so. Sorben leben in zwei Staaten, in Brandenburg, in Sachsen, früher noch in Böhmen. Seit der Reformation sind die konfessionell gespalten: in Protestanten und Katholiken."

Von der Verkehrssprache zur Minderheitensprache

Das Sorbische, je nach Region dem Polnischen oder Tschechischen ähnlich, war jahrhundertelag alltägliche Verkehrssprache in Städten und Dörfern in der Lausitz. Die Nationalsozialisten verboten den Schulunterricht und schränkten das Sprechen in der Öffentlichkeit ein. Zu DDR-Zeiten wurden die Sorben anerkannt und gefördert, mussten sich dafür in das DDR-Regime einreihen. Die Anzahl der sorbisch sprechenden Menschen ging immer weiter zurück, sie tut es bis heute. Und der Braunkohletagebau verschluckte ganze sorbische Dörfer.
In der Lausitz gibt es eine Reihe sorbischer Institutionen: Das wissenschaftliche sorbische Institut, die Stiftung für das sorbische Volk. Sorbenräte in den Landtagen. Und es gibt die Domowina, den Dachverband der sorbischen Vereine. Die aber sei eben ein Verein und damit nicht demokratisch legitimiert, sagt Martin Walde.
"Und es gibt keine Institution, die ein Recht hätte, für alle Sorben zu sprechen, weil sie diese politische Kompetenz nicht hat. Wir haben eben keine demokratisch legitimierte Vertretung, die Rechte wahrnehmen würde, Klagerecht, oder Gelder zu verteilen, das Budget zu verteilen. Sorben werden erst dann informiert, wenn eine Schule geschlossen wird. Also die Sorben können nicht mitbestimmen."

Die Sorben wollen Mitbestimmung

Als zu Beginn des Jahrtausends die Schule in Crostwitz geschlossen wurde, geschah das gegen den Willen der sorbischen Bevölkerung. Das, so die Vorstellung Waldes, soll mit einem Sorbischen Parlament anders werden. Er verweist auf andere Minderheiten in Europa, die ebenfalls eine parlamentarische Vertretung haben. Etwa die Deutschsprachigen Ungarn oder die Sami in Skandinavien.
"Bei den Samen haben am Anfang nur 300 gewählt, heute sind es 80.000."
Wie genau der Sejm organisiert sein wird, das müssen die ersten gewählten Mitglieder dann entscheiden. Walde und die anderen Initiatoren haben lediglich die Grundlagen für eine Art verfassungsgebende Versammlung festgelegt: Jeweils 12 Abgeordnete aus der überwiegend brandenburgischen Niederlausitz und 12 der überwiegend sächsischen Oberlausitz. Wahlberechtigt ist, wer 16 Jahre ist und sich als Sorbe bekennt.
"Der Sejm, wenn er sich dann konstituiert hat, also nach der Wahl, wird dann eine Verfassung ausarbeiten, wo alle diese Eckpunkte dann enthalten sind. Es wird dann eine Sejm-Kommission geben, die praktisch dann mit dem Staat einen neuen Staatsvertrag aushandelt, also wo die Rechte dann alle eingeschrieben werden in diesen Staatsvertrag und dann beginnt die Arbeit."

34 Sorben stellen sich zur Wahl

Eine Arbeit, an der sich Heiko Kosel beteiligen möchte. Er ist einer der 34 Kandidaten. Kosel ist Rechtsanwalt, Abgeordneter der Linken im sächsischen Landtag und deren sorbenpolitischer Sprecher. Er habe sich überzeugen lassen:
"Einerseits sagten mir die Menschen, die mich da ansprachen, es sei wichtig, eine regionale Ausgewogenheit zu erzielen. Ich stamme aus einer Subregion der Lausitz, wo das Sorbische eher schwach vertreten ist und wo deshalb auch wenige Kandidaten herkommen. Ich wurde angesprochen, eine gewisse politische Ausgeglichenheit zu erzielen, so dass wir das Spektrum abbilden können von der Konservativen bis zu Linken."

So kandidiert auch ein CDU-Bürgermeister. Ein SPD-Kreistagsmitglied aus dem Kreis Bautzen will nach eigenen Angaben Sorbisch erst noch lernen. Die AfD, das ist Kosel wichtig, ist nicht vertreten. 18 ist das Mindestalter, die jüngsten Kandidaten sind in den 90er Jahren geboren. Als älteste Kandidatin tritt die pensionierte Lehrerin Edith Penk an. Eine Sorbin, die sich seit Jahrzehnten gegen die Abbaggerung ihres Heimatdorfs Rohne eingesetzt hat. Einige Kandidaten wohnen außerhalb des sorbischen Kerngebiets, etwa in Dresden oder Berlin. 34 Kandidaturen für 24 Plätze – das bedeutet auch, dass eine Mehrheit der Kandidatinnen und Kandidaten gewählt werden wird. Der Wahlkampf läuft, soll aber mehr als Werbung für das Projekt verstanden sein, sagt Heiko Kosel.
"Dann haben wir uns vorgenommen, aber das wird natürlich auch von den Abgeordneten des Serbski Sejm abhängen, dass im Serbski Sejm es nicht darauf ankommen soll, wer etwas sagt, wer einen Antrag einbringt. Sondern was drinsteht. Das, was ja momentan so destruktiv und ermüdend an der politischen Praxis insbesondere des Sächsischen Landtags aber auch anderer Landesparlamente oder des Bundestags ist, dass man darauf schaut, aha, ein Antrag kommt von der Opposition, dann hat er also keine Chance."
Sorbische Fähnchen
Sorbische Fähnchen© dpa / picture alliance / Miriam Schönbach

Manche Sorben kritisieren die Initiative

So, die Hoffnung, könne das Projekt auch gegen Politikverdrossenheit helfen. Doch längst nicht bei allen Sorben stößt die Wahl zum Sejm auf Zustimmung. David Statnik, 35, steht seit sieben Jahren an der Spitze der Domowina, des Dachverbandes der Sorbischen Vereine. Er sieht die Sorben nicht nur durch die Domowina ausreichend repräsentiert.
"Aber neben der Domowina gibt es noch die Stiftung für das Sorbische Volk, die auch ein Netzwerk darstellt, mit ihren Fördermöglichkeiten. Und es gibt natürlich auch die zwei Räte an den Landtagen, in Sachsen und Brandenburg, es gibt verschiedenste Strukturen auf Gremienebene. Ob es nun Gemeinden sind, die rein sorbisch sind oder aber Beigeordnete oder Beiräte. Wir haben aber jetzt eine Gruppe, die unter dem Deckmantel, sie möchte vereinen, in den letzten Jahren doch sehr, sehr kritisch gegenüber den bestehenden Strukturen sich geäußert hat und eher versucht, hier Konflikte anzuzetteln."

Zersplitterung statt Einigung?

Statnik fürchtet eine weitere Zersplitterung der Interessenvertretung der Sorben. Und damit letztlich geringeren Einfluss. Zu kandidieren, sei für ihn daher nicht in Frage gekommen.
"Es ist wohlgemerkt kein Parlament, sondern es ist, auch wenn sie sich so nennen, nichts anderes als eine private Gruppe, die im Rahmen privatrechtlicher Strukturen Wahlen abhält. Sie sind keine Volksvertretung. Es ist durchaus auch kritisch zu sehen. Denn man muss davon ausgehen, dass sie die durchaus auch spärlichen Strukturen und kleinteiligen Strukturen der Sorben, die jetzt nicht auf eine große Ressource Mensch zurückgreifen können – weil wir sind nun mal ein sehr kleines Volk – zusätzlich noch spalten."
Und damit das Gewicht der Stimme der Sorben weiter schwächen, befürchtet Statnik. Das Tischtuch zwischen den Initiatoren des Sejms und der Domowina-Spitze scheint zerschnitten. Es hat Streit in der Vergangenheit gegeben. Paradox, denn die Initiatoren sind als Mitglieder sorbischer Vereine ebenfalls Mitglieder der Domowina, sagt Martin Walde. Er hofft im Gegensatz, dass ein Sejm auf Dauer auch die Zersplitterung der Sorbischen Bevölkerung beenden könnte:
"Wir bräuchten eine sorbische Akademie oder eine Universität zum Beispiel. Also wir haben sehr viele Institutionen, wie ich schon sagte, das sorbische Institut, das Theater, den Verlag – die sprechen ja alle nicht miteinander. Wir haben keine gemeinsame Strategie. Und das muss jetzt mit dem Sejm passieren, dass wir miteinander reden.

Die Sorben kämpfen mit vielen Problemen

Denn die Probleme der sorbischen Minderheit liegen für alle sichtbar auf dem Tisch: Es gibt kaum Lehrernachwuchs, die Zahl der Sorbisch sprechenden Menschen nimmt ab. Mit dem Ende der Braunkohlegewinnung wird sich die wirtschaftliche Situation in der Lausitz verändern. Einer Region, in der die AfD zuletzt überdurchschnittlich viele Stimmen holte, und in den Wahlkreisen Bautzen und Görlitz das Direktmandat. Die Folge könnte sein, dass nach den nächsten Wahlen erstmals seit 1990 kein sorbischer Abgeordneter im Dresdner Landtag sitzen würde. Ein Problem, sagt der Domowina-Vorsitzende David Statnik:
"Natürlich beobachten wir das mit Sorge, wenn sorbische Abgeordnete, also die von sich aus auch Angehörige des Sorbischen Volkes sind, nicht mehr gewählt werden. Denn das sind für uns sehr natürliche Partner, die auch uns verstehen, und auch mit uns im stetigen Kontakt sind. Ungeachtet dessen ist es auch unser Ansinnen, die Politik nicht daran zu messen, sondern die Politik daran zu messen, ob sie inhaltlich mit uns geht, ob sie inhaltlich auch zu uns steht."
Auch bei der Linkspartei gibt es für Heiko Kosel keine Garantie für seinen Listenplatz, allein weil er Sorbe ist.
"Dann hätten wir vielleicht noch das geschriebene Papier, vielleicht noch einen Koalitionsvertrag, der die Sorben erwähnt. Vielleicht hier und da ein Wahlprogramm, das die Sorben erwähnt. Aber es wäre niemand mehr da, der sich kontinuierlich darum kümmert, dass das umgesetzt wird. Und Papier ist geduldig. Das würde natürlich, wenn die Situation eintreten würde, würde es eigentlich auch die Verantwortung des Serbski Sejm erhöhen, weil der Serbski Sejm müsste dann relativ schnell Aufgaben übernehmen. Er müsste dann auch Aufgaben wahrnehmen, die bisher vielleicht durch sorbische Abgeordnete im Parlament übernommen wurden."
Bis Ende Oktober können sich Sorben registrieren lassen, um danach an der Briefwahl zum Serbski Sejm teilzunehmen. Die soll am 3. November enden.
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