Kultureinrichtungen kritisieren BDS-Beschluss des Bundestages
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Renommierte Kultureinrichtungen warnen davor, dass im Kampf gegen Antisemitismus die öffentliche Debatte zu stark eingeschränkt werde. In einer Erklärung kritisierten sie den BDS-Beschluss des Bundestages und dessen Folgen für die Meinungsfreiheit.
Es ist eine beeindruckende Bandbreite an Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen, deren Repräsentanten da auf der großen Bühne des Deutschen Theaters in Berlin zusammengekommen sind. Darunter Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, Barbara Plankensteiner, Direktorin des Hamburger Museums für Völkerkunde, Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldtforums und Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, um nur einige der Namen zu nennen.
Ihr Anliegen: Weltoffenheit, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der deutschen Gesellschaft bewahren. Die sehen sie bedroht nicht nur durch zunehmenden Antisemitismus und Rassismus in der Gesellschaft, sondern auch durch den BDS-Beschluss des Bundestages, der die Boykottbewegung BDS im Mai 2019 als antisemitisch bezeichnet hat und Kommunen und Institutionen dazu aufruft, Veranstaltungen mit Bezug zu BDS von öffentlichen Fördergeldern und Räumen auszuschließen.
BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions" (deutsch etwa "Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen"). Die Bewegung fordert einen Total-Boykott gegenüber Israel und auf jeglicher Ebene ein Ende der Zusammenarbeit, etwa auch mit israelischen Wissenschaftlern.
"Nähmen wir als Wissenschaftseinrichtung diesen Beschluss wörtlich, dann könnten wir viele jüdisch- und palästinensisch-israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mehr einladen, die gegen die Menschenrechtsverstöße ihrer eigenen Regierung Stellung nehmen, und damit nicht grundsätzlich anderes tun als türkischen, russischen oder ungarischen Kolleginnen und Kollegen, die gegen die Politik ihrer Regierungen öffentlich Stellung nehmen", erklärte Barbara Stollberg-Rilinger, Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin.
Warnung vor Einschränkung der Denkräume
Insgesamt gaben 13 hochrangige Vertreter der Initiative "GG 5.3 Weltoffenheit", benannt nach dem Grundgesetzartikel, der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit garantiert, persönliche Statements ab. Unter Berufung auf die Resolution würden wichtige Stimmen beseite gedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt, heißt es in einer zeitgleich veröffentlichten Erklärung. Darin warnen die Unterzeichner vor einer zunehmenden Einschränkung der öffentlichen Denk- und Freiräume durch eine missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusbegriffes:
"Wir leben in einer Zeit, in der kritische Positionen gegenüber der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleichgesetzt werden, während nationalistische und offen rassistische Kräfte an Fahrt gewinnen", kritisierte der Generalintendant des Humboldtforums, Hartmut Dorgeloh.
Der Fall Achille Mbembe
Mit Blick auf die Vorfälle rund um das Jüdische Museum in Berlin oder den kamerunischen Intellektuellen Achille Mbembe, der als Eröffnungsredner der Ruhr-Triennale aufgrund von Antisemitismusvorwürfen ausgeladen werden sollte, sehen die Kulturverantwortlichen, die mit zahlreichen Kooperationspartnern in der ganzen Welt zu tun haben, durch den BDS-Beschluss ihre Arbeit gefährdet. "Die historische Verantwortung Deutschlands darf nicht dazu führen, andere historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung moralisch und politisch pauschal zu delegitimieren", heißt es in dem Papier.
"Angesichts globaler Konflikte in einer Weltgesellschaft, die bis heute keine politische Form für eine demokratische und pluralistische Weltinnenpolitik gefunden hat, müssen die kulturellen Akteure sich umso mehr für die Weltsichten, die kultuellen Empfindlichkeiten und die politischen Vergangenheitsdeutungen derer öffnen, die unsere Standpunkte herausfordern", mahnte Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes.
Dabei machten die Unterzeichner deutlich, dass sie auch den Boykott Israels durch die BDS-Bewegung ablehnten. Aber, so Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, es bestehe ein Unterschied zwischen den Störaktionen des BDS und staatlichem Handeln, das Räume schließe, deren Offenheit er eigentlich garantieren müsste.
Wunsch nach Vielfalt jüdischer Diskussionen
"Aus der Perspektive der Palästinenser und vieler Menschen im globalen Süden, nicht zuletzt aber auch vieler Juden in aller Welt ist Israel eine Folge des Kolonialismus. Eine einseitige Wahrnehmung, aber sie ist genauso legitim wie die Wahrnehmung Israels als Folge von Auschwitz", sagt Loewy.
"Die deutschen Israel-Diskussionen sollen endlich die Vielfalt jüdischer Diskussionen und Kritik reflektieren, nicht nur die Meinungen konservativer deutsch-jüdischer Organisationen. Denn nach deren Logik dürften deutsche Institutionen die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, weder Einstein, noch Hannah Ahrendt zu einem Vortrag einladen", kritisierte die deutsch-amerikanisch-jüdische Philosophin und Leiterin des Einstein-Forums in Potsdam, Susan Neiman.
Mit ihrer Initiative wollen die Kulturinstitutionen eine in ihren Augen dringend notwendige Debatte in Gang bringen und den Dialog mit der Politik suchen. In ihren eigenen Häusern wollen sie damit jetzt verstärkt beginnen: mit Veranstaltungen, die das Thema zur Diskussion stellen.