"Initiative Offene Gesellschaft"

Raus aus dem Glanz der Ausstellungswelt

Martin Roth aufgenommen am 25.11.2010 im Museum of Islamic Art (MIA) in Doha.
Der Museumsmacher Martin Roth will sich stärker politisch einbringen © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Martin Roth im Gespräch mit Dieter Kassel |
Der scheidende Direktor des Victoria and Albert Museums London, Martin Roth, will es künftig nicht beim "Schönen Schein" der Ausstellungswelt belassen, sondern sich über Museumsgrenzen hinweg politisch einmischen. Er unterstützt deshalb die neue "Initiative Offene Gesellschaft", die sich heute in Berlin vorstellt.
"Es gibt Momente, da erreichen Sie eben Menschen nicht nur mit schönen Ausstellungen, sondern da muss schon deutlicher miteinander gesprochen werden", sagt der Kulturmanager Martin Roth im Deutschlandradio Kultur. Der scheidende Direktor des Victoria and Albert Museums London  ist diese Woche bei der öffentlichen Präsentation der neuen "Initiative Offene Gesellschaft" in Berlin zugegen, um das Projekt zu unterstützen.

Werben für Demokratie

Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat zusammen mit anderen prominententen Mitstreitern dieses Projekt gestartet, das mit 365 Veranstaltungen bis zur Bundestagswahl für die Demokratie werben will und auf die positiven Errungenschaften unserer Gesellschaft aufmerksam machen.

Raus in die Debatte

Man müsse stärker aus seiner behaglichen Ecke herauskommen und sich aktiver einmischen, sagt Roth. "Das können Sie mit Ausstellungen machen, das können Sie auf Twitter machen, das müssen Sie in allen sozialen Medien machen." In Folge der Ereignisse von 1989 hätten viele gedacht, dass mit dem Ende des Kalten Krieges die Welt in Ordnung komme. "Dass die Welt dann eher aus den Fugen geriet, damit hat eigentlich keiner gerechnet."
Der 61-jährige Roth leitete seit fünf Jahren das Victoria and Albert Museum und galt als sehr erfolgreich. Mit Ausstellungen wie der über David Bowie begeisterte er ein großes Publikum. Sein Rückzug in London kam deshalb überraschend.
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Martin Roth war jahrzehntelang einer der erfolgreichsten Museumsmacher Europas, leitete unter anderem die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden und ist jetzt seit fünf Jahren der Direktor des Victoria and Albert Museums in London. Und warum habe ich trotzdem gerade gesagt: Er war jahrzehntelang erfolgreicher Museumsmacher? Na ja, weil er angekündigt hat, in London aufzuhören und nach Deutschland zurückzukehren.
Nicht, weil ihm das da keinen Spaß gemacht hat, das sei eine großartige Zeit gewesen in London, hat er immer schon erzählt gehabt, aber er will jetzt halt nach Deutschland zurück, um sich hier gesellschaftspolitisch einzumischen. Er hat eigentlich bisher nie so ganz deutlich gemacht, was das heißen soll, aber heute wird er in Berlin die neue "Initiative Offene Gesellschaft" vorstellen. Und ich hatte vorher – er ist jetzt gerade im Flugzeug –, also gestern noch Gelegenheit, mit ihm in London zu sprechen, und habe ihn gefragt, ob es tatsächlich das ist, was er jetzt in Zukunft machen möchte.
Martin Roth: Nein, ich bin einfach eingeladen worden, daran teilzunehmen. Erst einmal, weil ich Harald Welzer kenne, oder wer kennt ihn nicht, sagen wir mal so, und zweitens weil ich also oft genug in der Öffentlichkeit gesagt habe, nicht erst jetzt, sondern schon seit geraumer Zeit, dass wir in der Tat mehr unternehmen müssen und deutlicher artikulieren sollten, offensiver sind, auch vielleicht erst mal mehr risikobewusst und vielleicht auch manchmal ein bisschen aggressiver in unserer Herangehensweise. Und deshalb kam er auf mich zu und fragte mich, ob ich an dieser Presseveranstaltung teilnehmen kann. Das ist sozusagen die einzige und die direkte Verbindung. Und was diese Initiative vorhat, deckt sich in vielem mit dem, was ich auch denke, und deshalb bin ich gern dabei.

Weitergeben an andere Generation

Kassel: Das heißt aber auch, Stand der Dinge ist vielleicht immer noch das, was ich so ein bisschen zwischen den Zeilen gelesen zu haben glaube in Ihren Äußerungen in den letzten Tagen und Wochen, dass Sie genau wissen, was Sie tun und in Deutschland erreichen wollen in nächster Zeit, aber noch nicht so ganz genau, wie?
Roth: Ach , schön gefragt! Also, ich sage mal so, ich bin vor allen Dingen mal froh, dass ich … dass wir einen Zustand, meine Kollegen, Mitarbeiter an eine andere Generation weitergeben können, wie ich mir das praktisch kaum erträumen konnte. Das Museum ist einfach in einer extrem guten Situation und das macht mir sozusagen das Weggehen nicht leicht, aber immerhin leichter, erster Punkt. Zweiter Punkt, es gibt in der Tat auch jetzt schon einige Themen, die ich einfach gerne weiterverfolgen möchte. Das hängt gar nicht so sehr nur mit gesellschaftlichem Engagement zusammen, sondern das sind einfach auch Ding, die ich seit langer Zeit mache.
Unter anderem bin ich Trustee am British Council, ich bin eng mit dem Goethe-Institut verbunden und ich werde ab nächstem Jahr das Ifa in Stuttgart übernehmen, also das Institut für Auslandsbeziehungen. Das ist schon mal eine ganze Menge einfach, um weiter … oder nicht weiter, sondern sich überhaupt zu engagieren. Und jetzt müssen Sie mir das einfach glauben, auch wenn sich das für viele wahrscheinlich ein bisschen absurd anhört, aber ich bin nach 25, beinahe 30 Jahren froh, dass ich nicht immer diese Riesenozeanaußenliner über die Meere schippern muss.
Ich habe in der Tat, Interesse, mehr Zeit zu haben, um mich zu beteiligen, um mich zu engagieren. Und wenn Sie sagen, er weiß noch nicht genau, was er im Einzelnen machen möchte, dann ist das recht so. Also nicht nur richtig, sondern es ist auch recht so. Ich bin froh, wenn ich auf Dinge zugehen kann, ohne von vornherein festgelegt worden zu sein.

Deutlicheres Gespräch angesagt

Kassel: Ich glaube Ihnen sofort, dass Ihnen die Arbeit als Museumsmann an allen Orten, an denen Sie waren, immer viel Spaß gemacht hat, ich glaube Ihnen auch, dass das gerade in den letzten fünf Jahren in London so war. Und was Sie gesagt haben über das, was noch Ihr Haus ist, das Victoria and Albert, das stimmt ja auch. Aber man hört trotzdem ein bisschen bei Ihnen heraus, dass Sie schon das Gefühl haben, mit Kunst und Kultur, mit Museen, egal ob in Großbritannien oder Deutschland, damit allein kann man den gesellschaftlichen Diskurs nicht bestimmen?
Roth: Ich hätte wahrscheinlich jetzt 20, 25 Jahre lang gesagt, vor allen Dingen auch aufgrund meiner Anfangszeit in Dresden: Doch! Genau das, ist es, was es ausmacht, genau das ist der Punkt, wir, die Kunst und Kultur sind dieser Stoff, aus dem die Diskussionen gemacht sind, wir sind der Stoff, der Menschen, der zusammenbringt, wir sind der Stoff, der auch mal Konflikte etwas mildern kann, wir sind diejenigen, die neue Ideen in Gang setzen, wir sind diejenigen, die auch in schwierigen Momenten mal etwas machen können. Nur, auf der anderen Seite muss ich halt auch sagen, es gibt Momente, da erreichen Sie eben Menschen nicht nur mit schönen Ausstellungen, sondern da muss schon deutlicher miteinander gesprochen werden. Und ich glaube, den Moment haben wir einfach erreicht.
Kassel: Mir geht bei unserem Gespräch jetzt gerade eines die ganze Zeit durch den Kopf und das habe ich mir schon manchmal gedacht, nämlich die Frage, wer und wie überhaupt noch den gesellschaftlichen Diskurs oder sogar eine gesellschaftliche Entwicklung bestimmt. Ich habe selbst den Eindruck, gut, wir haben jetzt darüber geredet, die Kunst und die Kultur tut es immer weniger, ich habe selbst aber auch den Eindruck – und das kann ich ja in gewissen Grenzen beurteilen –, auch der Einfluss des Journalismus ist gesunken, der Einfluss von Intellektuellen, ich habe das Gefühl, selbst der Einfluss der Politik. Wer kann denn heutzutage die Gesellschaft überhaupt noch beeinflussen? Bei dem, was Sie als Beispiel genannt haben, ich habe danach gefragt, radikalere Kunst, habe ich das Gefühl, da wird es auch wieder viele Leute geben, die sagen, lasst mich mit der Kunst in Ruhe!
Roth: Es sind nicht … Also, so negativ bin ich nicht drauf. Also, Sie erreichen in der Tat schon extrem viele Menschen. Also, ich will nicht jetzt anfangen, irgendwelche Statistiken zu bieten, aber wenn Sie sehen, wie viele Menschen wir hier in London erreichen mit unserem Haus, mit anderen Häusern, mit dem, was wir weltweit machen, mit Ausstellungen, die wir weltweit zeigen, das ist schon unglaublich. Und dann eben noch das Medienecho dazu, also, ganz ehrlich, ich habe nie das Gefühl, dass wir zu vorsichtig oder zu klein daherkommen würden.
Aber ich glaube, es gibt so ein Problem, das ich nicht so richtig beschreiben kann, aber mit dem ich schon auch täglich konfrontiert werde. Ich sage es an einem Beispiel, weil, es kann … Wenn Sie vor Jahren als Feinschmecker in ein Restaurant gehen wollten – was ich jetzt als Schwabe nicht machen würde, weil ich das Geld nicht ausgeben würde –, wenn Sie als Feinschmecker in ein Restaurant gehen wollten, dann kauften Sie sich einen Guide Michelin und dann haben sie einen Experten gehabt, der Ihnen erklärt hat, in welches Restaurant Sie gehen wollen, sollten. Und dem konnten Sie glauben. Wenn Sie das heute machen, gehen Sie zu TripAdviser und dann haben Sie 5000 Leute, die eine Average, eine Durchschnittsmeinung widergeben. Und ich glaube, das ist das, was wir gerade überall erleben. Also, wir haben sozusagen eine Art von TripAdviser-Politik. Man glaubt jedem und man glaubt alles.
Und vor allen Dingen, was ja auch noch ganz leicht ist: Wenn wir beide jetzt miteinander reden und ich erzähle was Falsches oder ich täusche mich oder wie auch immer, haben Sie die Möglichkeit, gegen mich zu reden, und Ihre Zuhörer oder unsere Zuhörer auch. Wenn Sie das alles auf Twitter machen, wenn Sie das alles auf Facebook machen, wenn Sie sozusagen sich selbst und das Subjekt auseinanderbringen, wenn Sie zum Teil nicht mehr den direkten Dialog haben, können Sie alles behaupten. Sie können ja nicht mal irgendwie zur Rechenschaft gezogen werden. Also, das, was eigentlich eine Debatte ausmacht, dass wir gleichberechtigte Partner in einer Debatte haben, das haben wir nicht mehr. Und das macht natürlich Demagogie und Propaganda extrem leicht. Sehen wir ja gerade in USA.

Auch in Zukunft realistisch

Kassel: Was überwiegt bei Ihnen, wenn Sie an die Zukunft denken, nicht nur Ihre persönliche: Der Optimismus, der Pessimismus oder schlicht eine Art von Rothschem Realismus?
Roth: Mit der Frage überfordern sie mich in gewisser Weise. Also, ich bin immer relativ realistisch gewesen und das werde ich auch in Zukunft bleiben. Ich bin nur der Meinung, dass wir alle aus unseren, wie soll ich sagen, aus unserer behaglichen Ecke herauskommen müssen, und deutlicher fragen, was wir meinen, und das halt in allen Kanälen fragen. Das können wir mit einer Ausstellung und das müssen Sie auf Twitter machen und das müssen Sie in allen sozialen Medien machen. Das müssen Sie in den Medien machen und sonst irgendwie.
Ich glaube, wir wollen einfach auf eine wirklich sehr positive Art zurückhaltend in unserem … im Ausdruck dessen, was wir wollen und was wir sagen können. Und ich finde, es ist alles eigentlich eher so in Folge von 1989 passiert, weil wir geglaubt haben, jetzt ist die Welt in Ordnung. Und dass die Welt dann eigentlich eher aus den Fugen geriet, damit hat eigentlich keiner gerechnet. Jeder dachte so, wenn jetzt dieser Kalte Krieg überwunden ist, wird alles besser. Und jetzt merken wir, dass das nicht der Fall ist.
Kassel: Martin Roth, der Direktor des Victoria and Albert Museums in London, der jetzt zurückkehren wird nach Deutschland, um sich hier – wir haben es ja gerade gehört – zu engagieren, aber eben nicht mehr nur mit den Mitteln der Kunst, egal ob der bildenden oder anderen, sondern noch darüber hinaus. Das Gespräch mit Martin Roth habe ich gestern Nachmittag aufgezeichnet am Telefon, weil er da noch in London war.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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