Wir haben 30.000 Einwohner. Wir sind eine schrumpfende Stadt. Wir haben sehr viel Leerstand. Wir haben uns in den letzten 20 bis 25 Jahren fast halbiert. Das heißt, die Infrastruktur ist dementsprechend auch viel zu groß für diesen kleinen Einwohnerkörper. Was aber, glaube ich, das größte Problem hier ist, ist der allgemein pessimistische Dialog, der hier herrscht. Und wir haben, was vielleicht auch nicht verwundert, 30 Prozent, in Anführungsstrichen, „alternative“ Wähler. Also Veränderungen und Veränderungswille gehören vielleicht nicht unbedingt zu den Stärken des Altenburgers. Aber eigentlich ist der Altenburger ein guter Kerl. Und irgendwie will er doch fliegen und muss nur dazu bewegt werden.
Bürgerliches Engagement
Bei Kindern sehr beliebt: die Kunstworkshops in der "Farbküche" der Initiative "Stadtmensch". © Anja Fehre
Altenburg soll wieder leben
07:09 Minuten
Altenburg teilt das Schicksal vieler kleiner, alter ostdeutscher Städte: Das Stadtbild ist wunderschön, bisweilen malerisch. Doch die thüringische Kleinstadt schrumpft, die Innenstadt stirbt. Dem will die Initative "Stadtmensch" etwas entgegensetzen.
„Hier sind zum Beispiel unsere ganzen Artikel für die Farbküche zum Basteln, von Pappmaschee über Holz, Bastelbögen. Dann haben wir hier unser Graffiti-Zubehör, also Sprühdosen, Caps, Stifte, diverse Gadgets. Alles, was man halt so braucht."
Daniel Rosengarten führt durch die „Farbküche“, eine Initiative in Altenburg in Ostthüringen, südlich von Leipzig. Ein großer heller Raum, vormals die Schalterhalle einer Bank, vollgestopft mit allem, was Farbspuren hinterlässt.
Gemeinschaft in der "Farbküche"
Rosengarten erklärt, was hier passiert: „Unsere Farbschleuder – immer superbeliebt. Das heißt, auf diese Trommel kommt eine Leinwand, dann dreht sich der ganze Spaß, Farben drauf, und dann entstehen diese lustigen bunten Bilder. Also wird immer gerne genommen, unser ewiger Bestseller.“
Die „Farbküche“ veranstaltet Kurse für Kinder und Erwachsene, Schulprojekte, Graffiti-Workshops, , man kann aber auch einfach so vorbeikommen, den Raum nutzen. Auch für Geburtstage, Firmenfeiern. Küche, Geschirr – alles ist da.
Die „Farbküche“ ist nur ein Angebot der weit verästelten Initiative „Stadtmensch“ in Altenburg. Projektkoordinatorin von "Stadtmensch" ist Anja Fehre. Seit Jahren in Altenburg aktiv, erst in der Kulturverwaltung, und seit einigen Jahren außerhalb der staatlichen Strukturen.
Trauer über das langsame Sterben
Altenburg liebt sie, und doch macht die Stadt sie oft traurig. Ein riesiges Schloss, großartige Museen, ein Theater, Häuser aus zehn Jahrhunderten, ein Marktplatz, der zu den schönsten in Deutschland gehören dürfte – und so viele dunkle, blinde Fenster.
Um etwas zu bewegen, hat Anja Fehre das „Stadtmensch“-Netzwerk vor etwas mehr als vier Jahren mitgegründet. Sie wollte sich nicht auf staatliche Strukturen verlassen, lieber auf die Ideen der Bürger.
„Der Stadtmensch an sich ist ein Akteur der Zivilgesellschaft, der gemeinwohlorientiert – also für alle – Stadt entwickeln möchte. Und er braucht dafür keine besonderen Voraussetzungen, sondern einfach nur Motivation, Mut und den Willen, mit anderen zusammen, etwas auf die Beine zu stellen.“
Menschen in Bewegung bringen
Der Anfang war nicht leicht, sagt sie. Menschen erst mal in Bewegung zu bringen, sich für ihre Stadt, für ihre eigenen Interessen einzusetzen. Natürlich brauche es für viele Initiativen Geld. Wie man das beschafft, könne man lernen.
„Das ist die Akademie, in der man lernt, wie man seine Projekte macht und wie es geht und was man alles beachten muss. Dann die Quartiersanker. Das heißt, wir haben Räume ertüchtigt, in denen man zusammenkommen kann, konsumfrei zusammenkommen kann, in denen man eine gewisse Infrastruktur vorfindet, in denen man auch eine Atmosphäre vorfindet, in denen man sich wohlfühlt. Die vierte Säule ist der Fonds!“
Ein Fonds hilft
Der Fonds: „Stadtmensch“ hatte 2018 im bundesweiten Wettbewerb „Stadt gemeinsam gestalten“ 665.000 Euro erhalten – als eine von vier Städten. 250.000 davon flossen in einen Topf für Gemeinschaftsprojekte, für die sich jeder bewerben konnte.
„Wir haben also einen Wettbewerb aufgesetzt: #selbermachen. Und diesem Wettbewerb konnte man sich ganz einfach mit einer A4-Seite bewerben. Was hat man vor? Wie viel Geld braucht man ungefähr? Und die Bürger konnten online und auch analog wählen, welche Projekte umgesetzt werden in Altenburg.“
Mobiles Spielecafé
Ein „Kunstgarten“, der eine zunehmend verwaisende Kleingartenkolonie wiederbelebte, einen Sternengarten vom Astronomie-Verein, ein regionaler Bioladen, eine Künstlerresidenz in einem leer stehenden Haus. Eine Zwölfjährige hat einen Fußballstore eingerichtet: Tore und Bälle für jeden, der ein Fußballturnier ausrichten will.
Die Kindergartenschwester Gabriele Orymek hatte die Idee, ein mobiles Spielecafé zu betreiben. Für Schulen, Kindergärten, Kindergeburtstage, aber auch Firmen-Events.
„Das heißt, wir bringen Tische mit Stühlen, Spiele mit und können eigentlich nahezu jedem Ort zu einem Open machen, wo gespielt wird, wo gemeinsam Gemeinschaft erlebt wird. Ja, und wo man am Spieltisch gemeinsam auch Abenteuer erlebt.“
Die Töchter bleiben in Altenburg
Drei bis acht Mal im Monat ist sie unterwegs mit dem Spielecafé. Irgendwann soll sich das Projekt auch selbst tragen. Ihre beiden Töchter helfen dabei. Es sei ein Familienprojekt, erzählt sie, sichtlich beglückt.
„Es ist tatsächlich so, dass ich das große Geschenk erhalten habe, dass mit dem mobilen Spiele-Café auch meine Töchter hierbleiben konnten. Beide haben hier Arbeit gefunden. Meine jüngere Tochter hilft uns bei der Buchhaltung ganz, ganz enorm, weil das ihr Fachgebiet ist. Und dass meine beiden Töchter hier in der Region geblieben sind, das ist etwas, da bin ich ´Stadtmenschen` und dieser ganzen Idee Spiel eigentlich schon sehr dankbar. Denn das ist keine Selbstverständlichkeit, dass die jungen Leute in der Region bleiben.“
Die ganze Stadt profitiert
Und auch die Stadt als Ganzes würde enorm profitieren, fügt sie hinzu.
„Bis vor dem Stadtmensch-Projekt haben wir vieles gemacht, aber für vieles fehlte der Blick, dass es noch andere Menschen gibt, die mitmachen. Und ich glaube, das macht ganz, ganz viel Hoffnung.“