Initiative Vermögender: "Es wird in keinem Fall reichen"

Dieter Lehmkuhl im Gespräch mit Dieter Kassel |
Die Grünen planen eine Vermögensabgabe für Reiche. Doch das Konzept reicht Dieter Lehmkuhl von der Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe nicht aus. Er fordert, dass die Reichen noch "wesentlich stärker belastet werden".
Dieter Kassel: Die Grünen wollen im Falle einer Regierungsbeteiligung nach den nächsten Bundestagswahlen eine Vermögensabgabe für Reiche einführen. Sie soll zwischen 1,36 und knapp 1,5 Prozent liegen und zehn Jahre lang für alle fällig sein, die mindestens eine Million Euro besitzen, wobei es allerdings Freibeträge für Kinder geben soll. Das Ganze beruht auf Vorschlägen und Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das heute in Weimar den Grünen die Details dieser Berechnungen vorstellen wird.

Aber noch vor den Details – relativ viel ist allerdings auch schon bekannt – gab es erste Reaktionen, unter anderem von der Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe. Da sollte man erwarten, dass die zustimmen, eigentlich tun sie das auch, aber Kritik gibt es trotzdem, denn diese Initiative sagt, das geht bei Weitem nicht weit genug, eigentlich müssten die Vermögenden noch mehr abgeben. Bei mir im Studio ist jetzt eines der Gründungsmitglieder der Initiative, Dieter Lehmkuhl. Schönen guten Morgen, Herr Lehmkuhl!

Dieter Lehmkuhl: Guten Morgen, Herr Kassel!

Kassel: Wenn man sich das – soweit es jetzt bekannt ist – anguckt, bis zu 1,5 Prozent von diesen Vermögen, die Grünen und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung haben berechnet, dass das innerhalb dieser zehn Jahre, die es dann laufen soll, so zwischen 100 und 120 Milliarden Euro Einnahmen ergeben würde für den Staat. Warum finden Sie, dass das nicht genug ist?

Lehmkuhl: Ja, es ist erst mal ein Schritt in die richtige Richtung, weil ja hier die Diskussion über Vermögensabgabe und vielleicht auch die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer in die öffentliche Diskussion kommt. Ausreichend ist es nicht, weil wir ein gigantisches Haushaltsdefizit von 1,7 Billionen haben. Das wird mit 115 Milliarden nicht ausgeglichen werden. Gut dabei ist natürlich, was die Grünen sagen, dass die Reichen für die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise nun unmittelbar herangezogen werden, weil sie ja von dem Boom vorher profitiert haben und nun jetzt auch die Lasten tragen sollen.

Aber wenn wir sehen, welche Herausforderung wir haben, auch im Bereich der Ökologie, des ökologischen Umbaus der Gesellschaft, der Bildung, der sozial gerechten Gestaltung unserer Gesellschaft, müssen die Reichen wesentlich stärker belastet werden. Im Kontext vielleicht mit der Vermögenssteuer und auch einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes macht eine solche Abgabe Grund und ist sie richtig, allein wird sie das Ziel verfehlen und nicht ausreichend sein.

Kassel: Genau diese Argumentation in Bezug auf die Wirtschafts- und Bankenkrise, die Sie gerade benutzt haben, macht sich auch das DIW, das dieses Projekt zunächst mal ausgerechnet hat, zunutze, sagt, diese 115 Milliarden, die es rein rechnerisch werden könnten bei der vorgesehenen Abgabe, sind auch ziemlich genau die Summe, die der Staat an Garantien ausgegeben hat für die Banken.

Aber greift man nicht da schon zu kurz, wenn man, wie Sie das auch gerade getan haben, sagt, na ja, alle Menschen, die reich sind – wie immer man das definiert, die Grünen definieren das bei einer Million pro alleinstehender Person, pro Kind sollen 250.000 wegkommen, das heißt, wenn wir ein Ehepaar mit zwei Kindern hätten, wären das immerhin 2,5 Millionen, die man haben muss, ehe was fällig wird … Ist eine Menge, aber trotzdem: Greift es nicht zu kurz, wenn man sagt, jeder, der so viel Geld hat, ist automatisch auch jemand, der von der Wirtschaftskrise profitiert hat?

Lehmkuhl: Selbstverständlich. Also wir haben ja auch seit der Jahrtausendwende, zumindest seit der Jahrtausendwende, eine enorme Zunahme des privaten Reichtums, der sich in Händen relativ Weniger konzentriert. Inzwischen besitzen zehn Prozent der Reichsten 63 Prozent Gesamtvermögens, wenn man die eigen genutzte Immobilie abzieht, sind es sogar 75 Prozent, und die Kluft zwischen reich und arm ist in den letzten zehn Jahren in den OECD-Ländern nirgendwo so stark gestiegen wie bei uns.

Hingegen werden die Vermögen hier so gut wie nicht belastet. Wir haben quasi … In Bezug auf vermögensbezogene Steuer ist Deutschland eine Steueroase. Wir zahlen 0,9 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, Frankreich zahlt 3,4 Prozent, England 4,5 Prozent. Wir haben die Vermögenssteuer aufgegeben 1997, da war die Freigrenze 250.000 DM, jetzt sprechen die Grünen von einer Million bzw. zwei Millionen. Ich denke hier, da ist auch ein gewisses populistisches Element, weil sie sagen, wenn wir die Gruppe klein halten, dann kriegen wir sowas eher politisch durchgesetzt und ohne zu großen Widerstand.

Aber es wird nicht reichen, es wird in keinem Fall reichen, und das, was einkommt, 115 Milliarden, das würde eine einprozentige Vermögenssteuer in gleichem Maße in dem entsprechenden Zeitraum einbringen, aber die würde laufend bleiben.

Kassel: Dann müssen wir glaube ich an dieser Stelle mal klären, was einer der zentralen Unterschiede zwischen einer neuen Steuer – ob man sie jetzt Vermögenssteuer, Reichensteuer, wie auch immer nennt, wichtiger als wie man sie nennt, ist, wie man sie dann ausgestaltet – und einer Abgabe ist. Eine Abgabe würde, egal ob wie nun bei den Grünen zehn Jahre lang, bei Ihnen erst mal nur zwei Jahre lang, dafür aber höher, eine Abgabe ist zweckgebunden, eine Steuer ist das grundsätzlich nicht in Deutschland.

Warum reden Sie trotzdem jetzt die ganze Zeit begeistert von einer Steuer, denn das, was Sie ja, Ihre Initiative ja unter anderem wollen – Geld soll in die Bildung fließen, in einen ökologischen Umbau und andere Projekte –, wäre bei einer Vermögenssteuer ja nicht zwangsläufig gegeben. Die würde einfach nur in den Staatshaushalt fließen und da für alltägliche Ausgaben ausgegeben werden.

Lehmkuhl: Das ist richtig. Ich denke, man muss beides koppeln, deswegen haben wir ja auch gefordert eine Vermögensabgabe von zwei Mal je fünf Prozent, befristet auf zwei Jahre, und dann die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, um dann die notwendigen Ausgaben, auch für Bildung, Gesundheitsdienstleistungen, auch weiter finanzieren zu können, denn die Investitionen in Bildung und Gesundheit sollen ja nicht in Bauten und Beton gehen, sondern tatsächlich in Personal, was dann dementsprechend Bildung und Dienstleistung vornehmen kann.
Kassel: Nun kann man anstatt was Neues einzuführen natürlich rein theoretisch auch an alten Stellschrauben drehen. Die SPD hat angekündigt, in die Landtagswahlkämpfe jetzt auch zu gehen – es ist natürlich eine Bundesangelegenheit am Ende – mit der Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent. Was halten Sie von der Idee? Es wäre, wenn jemand an der Regierung ist, etwas leichter umzusetzen als eine neue Abgabe.

Lehmkuhl: Ja, das weiß ich nicht, also es liegt am politischen Willen, und wir haben noch eine nachholende Gerechtigkeit durch die Aufgabe der Vermögenssteuer, ja, dadurch sind dem Fiskus inzwischen über 100 Milliarden verlorengegangen, weil er sie nicht mehr erhoben hat. Und wir haben enorme Reichtumskonzentrationen. Durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes werden die Einkommen besteuert, aber die großen Vermögen, die sich inzwischen angesammelt, fast explosionsartig angesammelt haben, bleiben außen vor, und das halte ich für ungerecht.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit Dieter Lehmkuhl von der Initiative von Vermögenden für eine Vermögensabgabe über verschiedene Ideen, die Reichen in Deutschland an der Finanzierung staatlicher und gesellschaftlicher Aufgaben zu beteiligen. Jetzt müssen wir auch mal darüber reden, Herr Lehmkuhl, mit wem ich denn hier spreche, also mit Ihnen, Sie sitzen vor mir, aber diese Initiative wurde vor knapp zwei Jahren gegründet, damals hatten Sie ungefähr 20 Unterzeichner, jetzt sind es knapp 50. In Prozent ausgedrückt ist es gigantisch, in absoluten Zahlen überzeugt es mich nicht so ganz. Bei Ihrer Initiative ist Voraussetzung, eine halbe Million zu besitzen, das haben Sie einfach mal so festgelegt. Das sind so zwischen zwei und vielleicht sogar 2,5 Millionen Betroffene in Deutschland, 50 davon unterzeichnen bei Ihnen. Das klingt nicht nach einer mehrheitsfähigen Meinung, was Sie da vertreten unter den Reichen.

Lehmkuhl: Wir sind sicher nicht mehrheitsfähig, aber was ich doch feststellen muss, dass sich in den letzten Jahren das gesellschaftliche Klima gewandelt hat. Es erkennen auch zunehmend Reiche, dass es so nicht weitergehen kann. Es gab Vorläufer unserer Initiative, die hatten 10 Leute oder mal 15 Leute, insofern ist uns hier auch eine wachsende Tendenz festzustellen. Aber der "Tagesspiegel" hat vor einem halben Jahr mal in einem Artikel formuliert, selbst den Reichen reicht es. Also zunehmend treten auch Reiche, indem sie sich auch outen, an die Öffentlichkeit und fordern für sich eine höhere Besteuerung, weil es einfach sozial ungerecht ist, wenn jetzt die Schwachen die Folgen der Krise zahlen müssen.

Kassel: Aber begegnen Sie nicht, Herr Lehmkuhl, manchmal auch Menschen, persönlich jetzt, im persönlichen Umgang, die entweder so viel Geld haben wie Sie oder noch wesentlich mehr und die sagen, pass mal auf, Lehmkuhl, du bist ein Nestbeschmutzer – wenn du willst, dann spende doch von deinem Geld, soviel du willst, aber verlang doch nicht, dass wir alle verpflichtet werden, uns zu beteiligen?

Lehmkuhl: Selbstverständlich. Das ist weit verbreitet, aber ich glaube, das Entscheidende ist hier, ob auch Reiche erkennen, dass Reichtum oder Vermögen eine gesellschaftliche Verpflichtung hat oder nicht. Und ich glaube, da liegt die Differenz.

Kassel: Es gibt die Möglichkeit, sei es nun über eine Abgabe, eine Form von Steuer, zeitlich befristet, unbefristet zu machen, und ein Gegenargument – das kennen Sie gut, da bin ich überzeugt von –, dass dann oft kommt, ist, das ist wieder so ein deutscher Gedanke: Warum kann das nicht laufen wie in den USA, wie in Großbritannien, irgendwo anders, jeder Reiche kann eine Stiftung gründen, kann direkt spenden, kann eine Schule fördern, mal privat eine Straße bauen? Da gibt es Grenzen, aber private Universitäten gibt es. Warum muss der Staat das fest vorschreiben, warum muss der Staat sozusagen ein Zwischenhändler sein zwischen den Gebenden und der Gesellschaft, die dann als Nehmender auftritt?

Lehmkuhl: Der Staat hat die ganz bestimmte Aufgaben, von denen ihn niemand entlasten kann, das heißt, für die kommunale Daseinsvorsorge zu sorgen, für die Infrastruktur, für ein funktionierendes Rechtssystem, für Sicherheit, für Bildung und so weiter, und das kann der private Sektor ihm nicht abnehmen. Aber nehmen wir doch gerade das Beispiel USA: Hier sehen wir, wie ein sozial schwacher Staat, der im militärischen und außenpolitischen Bereich enorm stark ist, aber ein sozial schwacher Staat, nicht kompensiert werden kann durch private Wohlfahrt. Da kann USA eigentlich nur ein abschreckendes Beispiel sein. Ich kann davor nur warnen, das als Maxime zu nehmen.

Kassel: Seien Sie doch bitte zum Schluss mal ganz kurz Prophet, ich bitte Gäste gerne darum, prophetisch zu sein, bevor sie gehen dürfen. Sie haben gesagt, die gesellschaftliche Stimmung verändert sich, zum Teil auch unter den Reichen, in der Politik. Wie realistisch ist denn nun eine halbwegs relevante Vermögensabgabe, egal ob wirklich in Form einer Abgabe oder Steuer? Sehen Sie das in den nächsten Jahren oder doch eher in den nächsten Jahrzehnten?

Lehmkuhl: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, es bleibt gar keine andere Wahl, als über kurz oder lang die Reichen wesentlich stärker an der Finanzierung der Gesellschaft zu beteiligen und das große Maß an Ungleichheit, was wir haben, auszugleichen. Ich bin begrenzt optimistisch, dass wir vielleicht in den nächsten Jahren eine Vermögenssteuer sehen werden, vielleicht auch eine Vermögensabgabe, die aber nicht ausreichen wird, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu stemmen.

Kassel: Dieter Lehmkuhl von der Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie zu uns gekommen sind!

Lehmkuhl: Ich danke Ihnen!