Initiativegruppe: Lauer behindert die Forschung

Moderation: Gabi Wuttke · 05.05.2006
Die Germanistikprofessorin Claudia Brinker hat den Leiter des Brüder Grimm-Museums Kassel und Geschäftsführer der Brüder Grimm-Gesellschaft, Bernhard Lauer, scharf kritisiert. In seiner Doppelfunktion verwehre er den Zugang zu den Schätzen der Grimm-Gesellschaft und behindere die Forschung, sagte Brinker. Die Initiativgruppe, der Brinker angehört, fordert eine Umstrukturierung der Grimm-Gesellschaft, um Forschung mit den Beständen wieder zu ermöglichen.
Gabi Wuttke: Ist das Mitgliederverzeichnis so einfach einsehbar, wie Herr Lauer gerade beteuert? Sind alle Aufnahmeanträge Ihres Wissens nach bearbeitet worden?

Claudia Brinker: Interessanterweise ist dieses Mitgliederverzeichnis seit gestern einsehbar. Vorher haben wir vergeblich versucht, das aktuelle Mitgliederverzeichnis zu bekommen. Es wurde auch verweigert, offiziell von Herrn Lauer verweigert. Und interessant ist auch, dass diejenigen, die ihren Antrag gestellt haben, die so viele Wochen nicht aufgenommen worden sind, dass die erst nach dem SPIEGEL-Artikel jetzt aufgenommen worden sind, also erst vor zwei oder drei Tagen jetzt ihren Mitgliederausweis erhalten haben.

Wuttke: Wenn Bernhard Lauer von einer Schmutzkampagne gegen ihn spricht, was sagen Sie dazu?

Brinker: Ich würde es völlig ablehnen, von einer Schmutzkampagne zu sprechen. Wir haben - von unserer Seite aus - immer mit Argumenten gearbeitet. Herr Lauer bezieht sich möglicherweise auf ein Forum, das in der Hessischen Allgemeinen eingerichtet ist, mit dem wir nichts zu tun haben. Und er übersieht leider dabei völlig, dass nicht nur er zum Teil wirklich unter der Gürtellinie attackiert worden ist, sondern die ganze Initiativgruppe übelst dort beschimpft wurde. Also das ist genau das, was ich auch meine, dass es das Wichtigste ist, was Herrn Lauer auszeichnet: dass er immer nur seine Position sieht und immer alles sofort abqualifiziert, was von einer Seite kommt, die nicht mit seiner Arbeit vollständig einverstanden ist.

Wuttke: Sie sind mit seiner Arbeit nicht vollständig einverstanden. Welche Erfahrung haben Sie jenseits des SPIEGEL-Artikels in der Zusammenarbeit mit Bernhard Lauer gemacht?

Brinker: Ich bin ja jetzt seit sechs Jahren in Kassel und bin seit vier Jahren im Wissenschaftlichen Rat. Wir haben in dieser Zeit wirklich immer wieder versucht, auch Herrn Lauer zu entlasten. Es geht ja immer wieder darum, dass Herr Lauer zu viel Arbeit hat, weil er zu viele Ämter vereint. Und wir haben immer versucht, ihn zu entlasten. Aber wir hatten eigentlich wenig Erfolg damit. Es ging zum Beispiel darum, dass ein Jahrbuch - die Jahrbücher kommen eben nicht jährlich heraus, wie sie eigentlich herauskommen sollten -, dass wir für ein Jahrbuch Geld gehabt hätten, dass wir die Beiträge dazu gehabt hätten und wir vorgeschlagen haben im Wissenschaftlichen Rat, dieses Buch eben jetzt auswärts publizieren zu lassen und nicht von Herrn Lauer publizieren zu lassen. Das wurde abgelehnt mit der Bemerkung, dass das Computersystem, mit dem er arbeitet, nur von ihm verstanden wird. Wir versuchen, zu delegieren, auszulagern, Arbeiten anderen zu übertragen. Aber dadurch, dass wir nie weitere Informationen bekommen und nie wirklich einbezogen werden - es ist alles nicht transparent -, können wir eigentlich überhaupt nichts tun. Und das hat im letzten Jahr eben dann dazu geführt, dass wir eben dann gesagt haben: Also jetzt ist Schluss, jetzt müssen wir entweder was ganz Neues machen oder wir müssen eben wirklich ausscheiden.

Wuttke: Bernhard Lauer fungiert in beiden Positionen seit 1989. Das ist eine Reihe von Jahren. Nun haben Sie sich ja zusammen mit drei anderen Kollegen zu einer Gruppe, eben zu dieser Initiativgruppe, zusammengeschlossen, die die Reformierung und Umstrukturierung der Grimm-Gesellschaft zum Ziel hat. Wie also werden Sie mit dem Angebot von Bernhard Lauer umgehen, zu jedem Kompromiss bereit zu sein?

Brinker: Herr Lauer betont immer in der Öffentlichkeit, zu jedem Kompromiss bereit zu sein. Er betont immer, Kooperation zu suchen. Er betont immer, andere auch einzubinden in das Ganze. Aber sobald diese Kooperation dann wirklich stattfinden soll, und zwar als Kooperation - also so, dass zwei in gleichen Rechten und Pflichten dastehen -, dann kommt der Rückzieher, dann wird er nicht mehr bereit sein zur Zusammenarbeit. Und dann hat er eben bis jetzt auch die Möglichkeit, dann tatsächlich den Zugang zur Bibliothek, zu den Handexemplaren und was alles noch an Schätzen in der Grimm-Gesellschaft liegt eben zu verwehren. Und das stimmt eben nicht, wenn er sagt, dass er das nicht tut. Wir haben vor zwei Jahren, glaube ich, hat er eine der besten und größten und überhaupt letzten noch vollständigen Gelehrtenbibliotheken bekommen für Kassel. Und seitdem versuchen wir, diese Bestände zu katalogisieren und auszustellen - ohne jeglichen Erfolg. Und er hat dann zwar einige Bücher ausgestellt im Brüder Grimm-Museum, aber eben museal, nicht zu benutzen. Und damit ist es eigentlich nicht möglich, wirklich seriös zu arbeiten. Auch ist es unmöglich, zu selektieren, wenn Wissenschaftler kommen: Welche dürfen etwas sehen und welche nicht? Und auch da stimmt es nicht, wenn er sagt, jeder, der sich anmeldet, bekommt etwas zu sehen. Er bekommt vielleicht etwas zu sehen, aber er bekommt nicht unbedingt das zu sehen, was man eben sehen möchte oder was für die Forschung wichtig ist.

Wuttke: Frau Brinker, für den interessierten Laien stellt sich die Frage: Wie kann es zu einem solchen Machtzuwachs überhaupt kommen, wie Sie ihn jetzt geschildert haben?

Brinker: Das, muss ich ganz ehrlich sagen, da bin ich auch überfragt. Wie ich nach Kassel kam, wurde ich informiert, dass es schwierig ist, hier zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Ich habe mich nicht abschrecken lassen, habe gedacht: Na ja, man soll nicht auf Leute hören, die einem irgendetwas erzählen. Ich musste aber sagen, dass es alles sich bestätigt hat. Die Schwierigkeiten sind bekannt. Es hat seit Jahren auch hinter den Kulissen da sehr viel stattgefunden, aber ohne jeden Erfolg. Und es war ja auch jetzt so, dass der Oberbürgermeister von Kassel ihn als seinen obersten Dienstherr dazu aufgefordert hat, diese Ämterkumulation aufzugeben und Herr Lauer eben nicht bereit ist dazu. Und das hängt nicht damit zusammen, dass er seinen Ruf wahren muss. Denn wir wollen ihm ja in keiner Weise das Museum nehmen. Es geht ja nicht darum, Herrn Lauer abzuschießen. Sondern es geht darum, dass wir auf zwei Beinen sozusagen stehen wollen, das eine ist das Grimm-Museum in Kassel, das andere ist die Grimm-Gesellschaft, die dann ganz zielgerichtet eben sowohl ihren wissenschaftlichen Aufgaben gerecht wird als natürlich auch Öffentlichkeitsarbeit leistet. Das ist ganz klar: Wir wollen nicht irgendein elitärer Club werden. Aber wir wollen auch über die Märchenforschung hinausgehen und eben auch die ganzen anderen Facetten, die die Brüder Grimm ja haben, die hochspannend sind, auch das alles wissenschaftlich in den Blick nehmen.

Wuttke: Zum Streit um die Führung der Brüder Grimm-Gesellschaft: Claudia Brinker, Germanistikprofessorin an der Universität Kassel. Herzlichen Dank, Frau Brinker.
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