Der Psychologe Bertolt Meyer ist seit 2014 Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz. In den Medien wird er wegen seiner Hightech-Armprothese auch als "der Forscher mit der surrenden Hand" beschrieben. Seine Forschungsschwerpunkte sind Diversität in der Arbeitswelt, Stereotype, Aspekte der Führung und psychische Gesundheit.
Inklusion am Arbeitsmarkt
Die Lebenshilfe sagt: Die Ergebnisse von den Landtags-Wahlen machen vielen Menschen mit Behinderung Angst. © picture alliance / Zoonar / Robert Kneschke
Fachkräftemangel als Chance
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Ob Schule oder Arbeitsmarkt: Für den Psychologen Bertolt Meyer ist Deutschland kein gutes Beispiel für gelungene Inklusion. Doch das Umdenken, das die Politik nicht geschafft hat, könnte bald der Fachkräftemangel erzwingen.
Nach Ansicht des Arbeits- und Organisationspsychologen Bertolt Meyer liegt in Deutschland bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen noch vieles im Argen.
Es gebe immer noch sehr viele Strukturen, die dafür sorgten, dass Menschen mit schweren Behinderungen aus dem öffentlichen Leben "herausgenommen" würden und weniger sichtbar seien als in anderen Ländern, beklagt der Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie in Chemnitz, der als Träger einer Armprothese selbst schwerbehindert ist.
Kritisch sieht Meyer zum Beispiel die Inklusionspraxis an Schulen: "Es bringt ja nichts, einer bereits überforderten Grundschullehrerin, die 30 Kinder zu betreuen hat, ein schwerbehindertes Kind in die Klasse zu setzen und zu sagen: Das ist jetzt die Inklusion", so der Psychologe. "Natürlich funktioniert das nicht! Dafür braucht es Kleinkassen, dafür braucht es Betreuung, dafür braucht es Räume etc. und dafür – Überraschung – braucht es am Ende eine Menge Geld. Und solange die Politik nicht bereit ist, das in die Hand zu nehmen, wird sich da nichts ändern."
Als Billiglöhner in Behindertenwerkstätten missbraucht
Auch die Struktur der Behindertenwerkstätten müsse dringend überdacht werden, fordert Meyer. Diese würden zwar einen behüteten Schutzraum schaffen und es gebe sicher auch einige Menschen, die davon profitierten. Ihren Auftrag, die Integration behinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern, erreichten diese Werkstätten jedoch nicht:
"Und wenn dann die Arbeitskräfte dort noch als Billiglöhner missbraucht werden für einfache, repetitive Tätigkeiten wie irgendwelche Dinge einpacken und so weiter und dafür unter Mindestlohn bezahlt werden, dann muss ich sagen: Das geht so nicht!"
Gezielt Stellen für Behinderte ausbauen
Größere Hoffnungen für die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit schweren Behinderungen setzt Meyer auf den Fachkräftemangel. Denn der sei für viele Unternehmen ein riesiges und zumindest in der Perspektive auch existenzbedrohendes Problem. "Das führt zu der interessanten Konsequenz, dass ökonomische Zwänge zu einem Umdenken, was Vielfalt und Inklusion angeht, führen", so der Psychologe.
"Viele Unternehmen merken einfach, dass sie ihren Personalbedarf nicht mehr in den gesellschaftlichen Gruppen decken können, in denen sie bisher vornehmlich rekrutiert haben. Und sie müssen jetzt kreativ werden. Und viele Unternehmen setzen dabei ganz gezielt auch auf den Ausbau von Stellen für Menschen mit Schwerbehinderung."
Von der Politik fordert Meyer außerdem, die "absurde" Regel abzuschaffen, nach der sich Unternehmen aus der Pflicht zur Einstellung schwerbehinderter Mitarbeiter "freikaufen" können: "Damit muss sofort Schluss sein!"
Die gesamte Sendung "Der Tag mit Bertolt Meyer" hier zum Nachhören: [AUDIO]