Der Beitrag entstand im Rahmen eines Hörfunk-Projekts im Studiengang Kulturjournalismus der Universität der Künste Berlin.
Gehörlos auf dem Bau
04:56 Minuten
Für schwerbehinderte Menschen ist es nicht einfach, eine reguläre Arbeitsstelle zu finden. Wie es gelingen kann, zeigt der Besuch an einem Ort, an dem man nicht unbedingt einen Gehörlosen vermuten würde: auf einer Baustelle in Berlin.
Eine Baustelle in Berlin-Charlottenburg. Hier entsteht ein neues Wohnhaus mit 63 Eigentumswohnungen. Der Rohbau steht bereits, verantwortlich ist die Firma "FACON Fassadenconzepte". Im vierten Stock des Rohbaus treffe ich Nicky Kuhle und Tobias Kern, die Chefs der Baufirma, und Martin Berg. Der 40-Jährige ist gelernter Maler und Lackierer und von Geburt an taub.
"Was er jetzt im Grunde genommen macht, ist die Wände zu grundieren", erklärt Nicky Kuhle. "Da kommt dann noch mal mit einer Maschine ein Spachtel drauf. Das können wir wiederum erst machen, wenn die Fenster drin sind. Aber wir bereiten uns das jetzt schon mal vor. Die sollen nächste Woche alle eingebaut werden."
"Mit Hörgerät kann ich das nicht"
Kommunikation ist das A und O auf der Baustelle, sagt Nicky Kuhle, zum Beispiel in Gefahrensituationen. Wie aber funktioniert das, wenn man nicht hören kann?
Normalerweise trägt Martin Berg Hörgeräte, um überhaupt etwas zu verstehen, hier allerdings nicht: "Laut, Lärm, Arbeiten. Mit Hörgerät kann ich das nicht, ich mach es aus. Weil es macht richtig Kopfschmerzen." Zehn Jahre arbeitet er jetzt schon hier.
Seitdem hat sich einiges verändert, sagt Nicky Kuhle: "Es ist mit Stress verbunden. Man braucht halt immer mehr. Man braucht mehr Verständnis, man braucht mehr Zeit. Als ich Martin vor zehn Jahren kennen gelernt habe, da konnte man sich mit ihm gar nicht verständigen. Also er hat nicht Lippen lesen können und er konnte sich so, wie eben gehört, nicht ausdrücken."
In den ersten Jahren seiner Beschäftigung zahlte das Integrationsamt der Stadt Berlin der Firma eine Anschubfinanzierung.
Unterstützung vom Integrationsamt
Das war wichtig, sagt Geschäftsführer Tobias Kern: "Die Förderung, die recht interessant gewesen ist für uns, wo wir gesagt haben: 'Okay, da kann man ganz in Ruhe prüfen, ob das für uns funktioniert, ob das was wird.' Wenn ich mich recht entsinne, gab es für drei Jahre 50 Prozent. Also 50 Prozent der Lohnkosten wurden uns zugeschossen. Und dass man in irgendeiner Form auch eine soziale Verantwortung hat und dass man natürlich sieht, dass wir eine Bevölkerungsschicht haben, die in irgendeiner Art und Weise auch irgendwie Chancen braucht im Leben. Und das hat dann irgendwie auch mit dazu geführt."
Am Anfang hatte Martin Berg bei der Arbeit ständig einen Mitarbeiter an seiner Seite.
"Das war in der Anfangszeit doch sehr aufwändig für uns. Dafür dient tatsächlich auch diese Eingliederungsunterstützung vom Integrationsamt. Die ist genau dafür da, dass man eben diesen erhöhten Aufwand dort bewegen kann."
Für Martin Berg ist wichtig: "Nur mit der Hand Bescheid sagen."
"Mittlerweile sind die Mitarbeiter, glaube ich, ganz gut in so einer Pseudo-Gebärdensprache, die sie sich selber angeeignet haben. Es funktioniert", sagt Firmenchef Tobias Kern.
Ständige Betreuung braucht Martin Berg mittlerweile nicht mehr, er arbeitet selbstständig. Trotzdem ist immer jemand in seiner Nähe, der ihn in Gefahrensituationen warnen kann. Finanzielle Unterstützung vom Integrationsamt bekommt die Firma nicht mehr.
"Trotz dieses kleineren Betreuungsaufwandes, den wir noch haben, aber den nehmen wir auch gern in Kauf", sagt einer der beiden Chefs. "Weil auch heute sucht ja im Handwerk jeder irgendwie geeignetes Personal und fachlich kompetente Leute, die Einsatzwillen zeigen. Und das ist bei ihm wirklich der Fall. Deswegen ist er da. Nicht weil wir ihm irgendwie was Gutes tun wollen, sondern weil er wirklich die Leistung bringt, die wir von ihm erwarten."
Fünf Prozent der Arbeitsplätze müssen Firmen ab einer Anzahl von 20 Mitarbeitern mit Schwerbehinderten besetzen. Tun sie es nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe zahlen.
Nur ein Drittel erfüllt die Schwerbehindertenquote
In Berlin erfüllt – trotz Fachkräftemangel – nur ein Drittel der Unternehmen die vorgeschriebene Schwerbehindertenquote. Franz Allert, der Leiter des Integrationsamts, findet dafür klare Worte.
"Ich wünsche mir eigentlich von den Firmen mehr Mut", sagt er, "mal etwas auszuprobieren und sich drauf einzulassen. Und auch schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen und die Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen, um eventuell die Rahmenbedingungen, die noch nicht vorhanden sind, dann auch zu schaffen. Und ich glaube, dass das sowohl für den einzelnen schwerbehinderten Menschen als auch für die Firma dann ein Erfolg ist."
Mehr Mut ist die eine Sache. Die Kommunikation zwischen Unternehmen und Integrationsamt die andere.
Da gebe es Verbesserungsbedarf, sagt der Unternehmer Tobias Kern: "Und das ist eigentlich schade, weil wenn man auf uns zukommen würde, aus der Erfahrung heraus, die wir haben und man hätte ähnliche Förderungsinstrumente, wären wir mit Sicherheit bereit, da noch mal drüber nachzudenken. Beziehungsweise würden wir es sogar tun, weil wir einfach auch Fachpersonal suchen, so wie alle Firmen. Und insofern ist das für uns eine Möglichkeit, neue Mitarbeiter zu gewinnen."