Paralympische Spiele

Aus der Kriegshölle ins Rampenlicht

Ein Rollstuhltennissspieler schlägt einen Ball von der Grundlinie beim Training auf dem Paralympicsgelände in Paris.
Rollstuhltennis: Eine von 22 Disziplinen bei den Paralympics in Paris © IMAGO / GEPA / Johannes Friedl
Bei den Paralympischen Spielen in Paris messen sich 4400 Athletinnen in 22 Sportarten. Ein Riesenevent. Die Macher erhoffen sich davon nachhaltige Effekte. Doch wie hat alles angefangen? Ein Blick in die Geschichte der Paralympics.
Wie schon bei Olympia verspricht Paris eine prachtvolle Bühne für die Parasportler aus aller Welt zu sein. Zum 17. Mal werden Wettkämpfe bei paralympischen Sommerspielen ausgetragen.
Dabei ist es dem Chef des Internationalen Paralympischen Komitees wichtig, sie als eigenständige Veranstaltung zu sehen: „Wir wollen nicht der kleine Bruder der Olympischen Spiele sein“, betonte Andrew Pearson schon vor einiger Zeit. „Wir haben unsere eigene Geschichte.“

Wie ist Parasport entstanden?

Seine Ursprünge hat der Behindertensport in der südenglischen Kleinstadt Aylesbury. Während des Zweiten Weltkriegs revolutioniert der deutschstämmige Arzt Ludwig Guttmann im dortigen Stoke-Mandeville-Krankenhaus die Behandlung von Rückenmarksverletzten. Sie werden besser versorgt und zur Aktivität ermutigt.
Im Herbst 1944 stößt Guttmann auf Patienten, die in ihren Rollstühlen durch den Krankenhausflur stürmen. Dabei schieben sie mit Spazierstöcken eine Scheibe über das Parkett. Guttmann spielt mit, es ist die Geburt von Rollstuhlpolo.
Nach dem Krieg organisiert Guttmann im Park des Krankenhauses einen Wettkampf im Bogenschießen für 16 Kriegsversehrte. Diese Spiele von Stoke Mandeville beginnen im Juli 1948 am selben Tag wie die Olympischen Spiele in London. Die Stoke Mandeville Spiele finden nun regelmäßig statt, 1952 bereits mit 130 Sportlern aus mehreren Ländern.

Wann gab es die ersten internationalen Paralympics?

Im September 1960, wenige Tage nach den Olympischen Spielen in Rom, finden in den gleichen Sportstätten die Wettkämpfe für Sportler mit Behinderung statt. Paralympics werden sie allerdings noch nicht genannt, sondern „International Stoke Mandeville Games“. Außerdem sind nur Querschnittsgelähmte zugelassen.
Es ist der Durchbruch. Rund 400 Athletinnen und Athleten aus 23 Ländern sind am Start. Zum ersten Mal nimmt auch eine größere Öffentlichkeit ihre Leistungen wahr.

Wie lief die Entwicklung nach 1960?

Mit dem gelungenen Einstand in Rom etabliert sich der Parasport. Fortan werden die „Weltspiele der Gelähmten“ alle vier Jahre in zeitlicher Nähe zu den Olympischen Sommerspielen ausgetragen, zunächst aber nur selten auch am gleichen Ort.
Weil die Veranstalter in München 1972 das olympische Dorf unmittelbar nach Ende der Spiele umbauen wollen, springt Heidelberg ein. Bis heute die einzige deutsche Ausrichterstadt. Erstmals sind mehr als 1000 Athleten dabei, neben Gelähmten sind auch Sehbehinderte zugelassen. Vier Jahre später finden im schwedischen Örnsköldsvik die ersten paralympischen Winterwettbewerbe statt.

Paralympics und Olympia – engere Verbindung

Der Begriff Paralympics wird schon in Tokio 1964 erwähnt. Offiziell kommt er aber erst 1988 in Seoul zum Einsatz; rückblickend wird er auch für alle Austragungen ab 1960 verwendet.
In Düsseldorf gründet sich am 22. September 1989 das Internationale Paralympische Komitee (IPC) – ein Schritt zur Professionalisierung des Behindertensports. Fortan finden die Olympischen Spiele und die Sommer-Paralympics am gleichen Ort statt. Geregelt ist das in einem Abkommen zwischen dem IPC und dem Internationalen Olympischen Komitee.
Teilnehmer- und Zuschauerzahlen wachsen. 2000 in Sydney sind erstmals mehr als 4000 Athletinnen und Athleten am Start. Im Vorlauf der Spiele von 2012 in London wird geregelt, dass die Paralympics Teil einer Olympiabewerbung sein müssen. Das jeweilige Organisationskomitee ist für beide Veranstaltungen zuständig. Seit der Austragung in der britischen Hauptstadt ist die Zahl der Teilnehmenden auf knapp 4500 gedeckelt.

Welche Probleme begleiten die Paralympics?

Die seit jeher Schwierigkeit und Streitpunkt im Parasport ist die Klassifizierung der Athleten. Die Sportlerinnen und Sportler werden von einem Kampfgericht je nach dem Grad ihrer Einschränkung in eine Wettkampfklasse eingeteilt. Ziel ist es, möglichst faire Wettkämpfe zu ermöglichen.
Die immer wieder überarbeiteten Regeln sorgen aber häufig für Kritik. Bekanntes Beispiel ist der deutsche Schwimmer Josia Topf. Er hat von Geburt an keine Arme, keine Knie und zwei unterschiedlich lange Beine. Doch muss er nach einer Neu-Klassifizierung gegen Schwimmer mit Armen antreten.
Meist sind die Unterschiede der Einschränkungen deutlich weniger markant; die Aktiven bemühen sich ihrerseits, in eine für sie günstige Startklasse zu kommen. Hoch technisierte Prothesen oder Rollstühle spielen ebenfalls eine Rolle.

Nur alle vier Jahre große Aufmerksamkeit

Durch die Paralympics ist der Behindertensport in den vergangenen 20 Jahren in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Die Zuschauerzahlen bei den Sommerspielen sind groß, durch TV-Übertragungen werden viele Menschen erreicht. Das IPC sprach von 4,25 Milliarden Menschen, die Wettkämpfe der Paralympics in Tokio 2021 verfolgt haben.
Konterkariert wird diese Entwicklung durch das Desinteresse abseits der Paralympics. In den vier Jahren zwischen den großen Wettkämpfen nimmt die Öffentlichkeit nur wenig Notiz vom Behindertensport. Einkünfte, Förderung und Trainingsbedingungen der Aktiven können sich deshalb nur langsam entwickeln.

Welche Besonderheiten gibt es bei den Paralympics?

In 22 Sportarten gehen die Athleten in Paris an den Start. Nur zwei davon haben keine Entsprechung im Programm der Olympischen Spiele: Boccia und Goalball. Alle anderen - wie Leichtathletik, Schwimmen oder Fechten - werden nach den gewohnten Regeln, allerdings den Einschränkungen der Athleten entsprechend, in verschiedenen Wettkampfklassen ausgetragen.
Das bedeutet, dass in der gleichen Disziplin mehrmals Gold vergeben wird. Während bei den Olympischen Spielen 329 Medaillenentscheidungen fielen, sind es bei den Paralympics 549. Das ist ein neuer Rekord.

Was wird von den Paralympics 2024 in Paris erwartet?

Die Paralympics in Paris versprechen, Rekorde zu brechen. Die Organisatoren in Paris rechnen mit 3,4 Millionen Zuschauern. Die TV-Übertragungen werden ausgeweitet, in Deutschland werden Wettkämpfe auch zur Primetime im Fernsehen gezeigt. Außerdem hat das IPC die Onlineplattform YouTube an Bord geholt, wo Interessierte viele Entscheidungen live oder zeitversetzt verfolgen können.
Daneben erhoffen sich Aktive und Organisatoren, dass die Paralympischen Spiele auch gesellschaftliche und politische Veränderungen anstoßen. Beispielsweise wurden 1,5 Milliarden Euro dafür bereitgestellt, um das Pariser Nahverkehrssystem behindertengerechter umzubauen. Auch soll es mehr barrierefreie Schulen in der französischen Hauptstadt geben.
Neben diesen finanziellen Investitionen rücken die Paralympics das Thema Inklusion wieder in den Fokus. Menschen mit Behinderung werde gezeigt, "dass Sport auch für sie möglich ist", sagte Marie-Amélie Le Fur, die Vorsitzenden des französischen paralympischen Sportkomitees.
Ein Effekt, auf den auch der deutsche Behindertensport hofft. Hierzulande treiben nur rund 45 Prozent der Menschen mit Behinderungen regelmäßig Sport, wie der Teilhabebericht der Bundesregierung 2021 feststellt.

jk

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