Tobias Ginsburg (geboren 1986 in Hamburg) ist Theaterregisseur und Autor.
Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie an der Bayerischen Theaterakademie und der LMU München. Seit 2007 schreibt und inszeniert er Theaterstücke, wobei politische und gesellschaftliche Themen im Vordergrund seiner Texte, Arbeiten und oft aufwendigen Recherchen stehen. 2018 erschien mit "Die Reise ins Reich" sein Buchdebüt.
Die Revolution der Vielen
Ja, die Rechtsextremisten schreien wieder. Aber nur, weil es ihnen "wehtut", meint Theatermacher Tobias Ginsburg. Denn nie zuvor habe es eine solche gesellschaftliche Vielstimmigkeit gegeben. Die Revolution der Teilhabe sei - trotz konservativem Backlash - in vollem Gange.
Fehlt es an der großen gesellschaftlichen Utopie? Den sozialpolitischen Zielen und Entwürfen? Ist das der Grund für das Erstarken der Rechten? Das Gefühl hat sich jedenfalls breitgemacht, begleitet vom Chor der Fatalisten: Die Politik sei gescheitert, heißt es, die Integration sei gescheitert, die Linke sowieso.
Klar ist vieles gerade gruselig: Rechtsextreme blöken in den Straßen und im Bundestag, die Debatten und Diskurse richten sich nach ihrem Gekreische, und laut einer Studie Leipziger Wissenschaftler können sich 40 Prozent der Deutschen wieder eine autoritäre Regierung ganz prima vorstellen.
Und trotzdem nerven Fatalismus und beschworene Utopielosigkeit gewaltig. Weshalb, das wurde eigentlich oft genug festgestellt: Wir haben es mit einem Backlash zu tun, einem Gegenschlag von Rechtsaußen. Wir sollten uns öfter klar machen, was das eigentlich bedeutet: Ja, die Faschos schreien wieder herum – aber sie schreien, weil es ihnen wehtut.
Und trotzdem nerven Fatalismus und beschworene Utopielosigkeit gewaltig. Weshalb, das wurde eigentlich oft genug festgestellt: Wir haben es mit einem Backlash zu tun, einem Gegenschlag von Rechtsaußen. Wir sollten uns öfter klar machen, was das eigentlich bedeutet: Ja, die Faschos schreien wieder herum – aber sie schreien, weil es ihnen wehtut.
Hysterische Kakophonie
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in der sogenannten westlichen Welt sind ziemlich unglaublich, mein Gott, allein die letzten 20 Jahre, die ich als halbwegs denkender Mensch miterleben konnte, haben so rasant wie radikal die Gesellschaft verändert.
Wo es anfangs um einzelne Rechte von Minderheiten, von Frauen oder der LGBTQ-Community ging, geht es nun um eine grundsätzliche Teilhabe an der Gesellschaft. Es geht nicht mehr nur darum, diskriminierte Gruppen nett zu bereden und zu behandeln, nein, sie erheben ihre eigenen Stimmen. Eine solche gesellschaftliche Vielstimmigkeit, wie wir sie heute haben, war bislang schlicht undenkbar. Unerhört.
Revolution ohne knalliges Manifest
Natürlich mag das den einen oder die andere überwältigen. Kann für jemanden, dem dieser Sound fremd ist, nach hysterischer Kakophonie klingen. Aber dann muss man eben besser zuhören. Oder das Zuhören überhaupt lernen. Und wer das tut, muss feststellen: Was stattfindet, ist nichts weniger als eine soziale Revolution.
Fehlt es uns also an großen Utopien? Ja klar, von denen kann man nie genug haben. Aber die Verwirklichung einer ganz riesengroßen findet jetzt gerade, in diesem Moment statt. Eine Revolution der Teilhabe, Diversität und Empathie ist in vollem Gange.
Das Problem dieser Revolution ist allerdings, dass sie verflucht uncool ist. Sie hat weder ein knalliges Manifest, noch große Führer oder glitzernde Guillotinen. Sie geht auch nicht von glamourösen Revoluzzern aus, sondern inzwischen vom Großteil der Gesellschaft – und wenn es mal eine Demo gibt, dann marschiert auch Omi mit. Es ist eine inklusive Revolution der Vielen, und die gilt es zu verteidigen.
Fehlt es uns also an großen Utopien? Ja klar, von denen kann man nie genug haben. Aber die Verwirklichung einer ganz riesengroßen findet jetzt gerade, in diesem Moment statt. Eine Revolution der Teilhabe, Diversität und Empathie ist in vollem Gange.
Das Problem dieser Revolution ist allerdings, dass sie verflucht uncool ist. Sie hat weder ein knalliges Manifest, noch große Führer oder glitzernde Guillotinen. Sie geht auch nicht von glamourösen Revoluzzern aus, sondern inzwischen vom Großteil der Gesellschaft – und wenn es mal eine Demo gibt, dann marschiert auch Omi mit. Es ist eine inklusive Revolution der Vielen, und die gilt es zu verteidigen.
Der Coolness-Faktor
Blöd nur, dass Verteidigung nie so viel Spaß macht wie der heroische Angriff der Avantgarde. Vielleicht macht sich auch deswegen der Fatalismus breit. Die müde Melancholie des Antifaschisten, der missmutig einen Merkel-muss-Weg-Sticker von einem Zigarettenautomaten knibbelt. Uncool eben.
Den Coolnessfaktor scheinen stattdessen die Rechten gepachtet zu haben. Es ist erstaunlich, aber die Furcht verbitterter, alter Männer um ihre Privilegien hat sich den Anstrich der Rebellion gegeben. Der reaktionäre Kampf gegen den sozialen Fortschritt findet in der Pose gesellschaftlicher Veränderung statt. Und so ein geiler eschatologischer Endkampf gegen Establishment, Mainstream und vermeintlichen Untergang klingt halt auch cooler, als eine politisch korrekte Demo für Toleranz und Miteinander.
Ich will also gar nicht zu Gelassenheit und vorweihnachtlicher Zuversicht aufrufen. Im Gegenteil, wir stehen erst am Anfang einer Revolution, und Revolutionen sind recht fragile Blümchen. Die Kämpfe sind zu schlagen, die Diskussionen zu führen, die Utopie ist auszuweiten. Aber vielleicht geht das ein klein bisschen weniger griesgrämig. Mit dem Wissen eben, dass es um mehr geht, als die Verteidigung der demokratischen Ordnung. Es geht um einen ganz großen Entwurf.
Den Coolnessfaktor scheinen stattdessen die Rechten gepachtet zu haben. Es ist erstaunlich, aber die Furcht verbitterter, alter Männer um ihre Privilegien hat sich den Anstrich der Rebellion gegeben. Der reaktionäre Kampf gegen den sozialen Fortschritt findet in der Pose gesellschaftlicher Veränderung statt. Und so ein geiler eschatologischer Endkampf gegen Establishment, Mainstream und vermeintlichen Untergang klingt halt auch cooler, als eine politisch korrekte Demo für Toleranz und Miteinander.
Ich will also gar nicht zu Gelassenheit und vorweihnachtlicher Zuversicht aufrufen. Im Gegenteil, wir stehen erst am Anfang einer Revolution, und Revolutionen sind recht fragile Blümchen. Die Kämpfe sind zu schlagen, die Diskussionen zu führen, die Utopie ist auszuweiten. Aber vielleicht geht das ein klein bisschen weniger griesgrämig. Mit dem Wissen eben, dass es um mehr geht, als die Verteidigung der demokratischen Ordnung. Es geht um einen ganz großen Entwurf.