Nicht als Freaks engagiert
Alle sprechen von Inklusion – selbst die Theaterwelt hat jetzt ihre Inklusion. Sehr prominent verwirklicht am Staatstheater Darmstadt, wo Jana Zöll und Samuel Koch, der 2010 in der Fernsehsendung "Wetten dass..?" verunglückte, seit einem Jahr feste Ensemblemitglieder sind.
"Ho, was kann man mit Rollstuhl mehr?" - Ja, vielleicht ist das eine zynische Frage, aber Jana Zöll, festes Ensemblemitglied am Staatstheater Darmstadt, weiß genau, was ich meine:
"Natürlich sind meine Ausdrucksmittel andere."
Jana Zöll, 30 Jahre alt, blond, halblanges Haar, mädchenhaftes Gesicht. Am Staatstheater Darmstadt spielt sie gerade "Kleine Zweifel" von Theresia Walser.
"... und natürlich habe ich eine andere Körperlichkeit, die man natürlich auch einsetzen kann. Anders."
Anders. Das ist das Stichwort. Nicht "mehr", nicht "besser": "anders". So anders, dass ihr bislang häufig nur eine sehr bestimmte Rolle zugeschrieben wurde...
"... vor allem Special Effects"
Jana Zöll wird anders wahrgenommen. Sie ist 90 cm groß, sitzt im Rollstuhl, sie hat Glasknochen. Und egal, was sie auf der Bühne macht: sie ist "Jana Zöll, die rollstuhlfahrende Schauspielerin. Klar, irgendwo kommt das Schauspielen vor, aber es steht doch sehr im Fokus die "behinderte Schauspielerin".
Und das nervt sie sichtlich. Auch, dass ich sie darauf anspreche, denn das, was für sie normal ist, weil sie es nicht anders kennt, wird durch Nachfragen "der Medien" nun doch wieder herausgestellt. Immer wieder dasselbe Klischee. Auf das hat sie keine Lust mehr.
Mit den Stärken der Individuen arbeiten
"Es geht darum, so wie ich bin, teilhaben zu können in der so genannten 'Normalität' am Staatstheater, aber auch im so genannten generellen "Normalen" oder der Realität, die die meisten miteinander teilen."
Seit 2014 gehört Jana Zöll zur "Normalität" des Staatstheaters Darmstadt, zum festen Ensemble. Hier hat man sich auf die Fahnen geschrieben, mit den Stärken von Individuen zu arbeiten. So wie es am Theater allgemein üblich ist. Christoph Bornmüller, Regisseur und Schauspieler am Haus, er kennt Jana Zöll gut, erklärt sich das so: "Im Grunde ist Theater ja auch eh so ein bisschen so ein Freakpool, wo ziemlich viele Individualisten aufeinander treffen, und ob da nun einer im Rollstuhl sitzt oder nicht, spielt da für mich zumindest keine Rolle."
Bornmüller sieht die Sache mit der Inklusion am Staatstheater Darmstadt darum auch sehr differenziert: "Es ist so ein Label auf einmal. Und ich sträube mich dagegen, das in diese Schublade "Inklusives Theater" zu stecken, weil es plötzlich so einen soziopädagogischen Anstrich hat, als ob man da die Leute beschäftigt oder fördert, was man ja irgendwie macht, aber das ist jetzt Teil von unserer Realität so. Warum soll man Leute verbannen – nur weil sie möglicherweise anders sind oder anders wahrgenommen werden."
Für Bornmüller, den Regisseur, ist das sehr wohl ein Thema, denn er hat sich für seine neueste Regiearbeit einen prominenten Schauspieler ausgesucht.
Samuel Koch - der Samuel Koch, der 2010 in der Fernsehsendung "Wetten dass" bei einer Wette mit Sprungstelzen verunglückte und nun Tetraplegiker ist, also vom Hals ab gelähmt, kann die Schultern bewegen und so Impulse an die Arme geben. Seine Bühnenstimme ist nicht gestützt, darum leiser und gehauchter.
Zynismus? - Einen Rollstuhlfahrer den Roller spielen zu lassen?
Mit seinen Kollegen probiert er eine Schlussszene. Koch spielt den "Roller". Christoph Bornmüller wollte das so: "Man kann das ja auch als totalen Zynismus auslegen, einen Rollstuhlfahrer den Roller spielen zu lassen."
Koch fährt in seinem Rollstuhl mit Highspeed über die Bühne, Aggression und Hochmut im Gesicht. Sein Kollege Nicolas Fethi Türksever, der den Franz spielt, liegt tot am Boden, und Koch prüft, ob er auch wirklich tot ist. Mit dem motorisierten Fußbrett seines Rollstuhls hebt er den "Leichnam" wie ein Gabelstapler in die Höhe und lässt ihn aus einem Meter Höhe fallen. "Tot", sagt er sadistisch. Koch und Türksever sind ein eingespieltes Team, wirken hier sehr vertraut miteinander.
"Ich bin ja relativ naiv als Anfänger ans Staatstheater Darmstadt gekommen und hatte so meine Hochschulerfahrung und da schon gemerkt, da ist mehr möglich als gedacht. Ich war anfangs der größte Skeptiker, was ein Schauspielstudium in meinem Zustand anbelangt, und war jedes mal überrascht, was wir in jeder Produktion noch gefunden haben. Ja!"
Wohin sie sich in den nächsten Jahren entwickeln, Jana Zöll und Samuel Koch, wird sich zeigen. Noch probieren sie sich aus. Auf jeden Fall braucht es gute Ideen, die beiden Darsteller so einzusetzen, dass mit ihnen auf der Bühne genau die Gesellschaft abzubilden, in der wir auch leben. Eben nicht als "Freak", eben nicht als "special effect", aber schon auch frei nach Schlingensief, nach dem Motto: "Wir sind gesund, Ihr seid krank!" Was ist schon unserer körperliche Deformation gegen Eure emotionale!