Ondjaki: Die Durchsichtigen.Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2015
348 Seiten, 24,80 Euro
Ein Hochhaus als Mosaik des Lebens
Realsatire aus der angolanischen Hauptstadt Luanda: Mit Humor und scharfer Ironie erzählt Ondjaki in seinem Roman "Die Durchsichtigen" vom Alltag der Nachkriegszeit. Er wird von Korruption, absurden Anordnungen und dem Glauben an Übernatürliches bestimmt.
Ein siebenstöckiges Hochhaus im Zentrum von Luanda, stark beschädigt im angolanischen Bürgerkrieg, spielt die Hauptrolle im zweiten Roman des 35-jährigen Ondjaki. Mit „Die Durchsichtigen" ist er auf die Liste der 39 besten Romane des afrikanischen Kontinents der unter 40-jährigen Autoren gelangt. Bereits 2013 erhielt Ondjaki für das Buch den Saramago Prize. In Portugal erscheint das Buch bereits in der 7. Auflage. Nun liegt die deutsche Übersetzung dieser Realsatire aus der angolanischen Hauptstadt Luanda vor.
Das Haus „atmete wie ein lebendiges Wesen man musste seine Geheimnisse kennen". Es bildet für Fremde ein unüberschaubares Labyrinth und zeichnet sich durch marode Leitungen aus, aus denen im ersten Stock selbst dann noch unaufhaltsam Wasser strömt, als die Wasserversorgung der Stadt rationiert wird. Die Bewohner entstammen unterschiedlichen sozialen Schichten und kommen aus verschiedenen Landesteilen. Mosaikartig entwickeln sich ihre Geschichten parallel.
Der Familienvater Odonato hat aus Verzweiflung über seine Armut und aus Traurigkeit über den Untergang der guten alten Zeit das Essen eingestellt. Sein Körper wird, so erklärt sich der Titel, immer durchsichtiger. Zum Schluss muss ihn seine Frau mit einer Leine festbinden, damit er nicht davonfliegt.
Das Geheimnis der Wasserknappheit
Der Journalist Paulo Pausado will hinter das Geheimnis der Wasserknappheit und der Organisation "Kipel" komen, die in der ganzen Stadt Bohrungen durchführt und die Bewohner in einen Erdöltaumel versetzt. Der gerissene und findige JoaoDegavar gründet nicht nur auf der Dachterrasse ein so genanntes Bekenntniskino, in dem die Zuschauer nicht nur ihren eigenen Soundtrack zu Pornofilmen erfinden, sondern auch noch die Kirche Des Heiligen Schafes. Dort sagen die Gläubigen statt „Amen" „mäh" und zahlen nicht zuletzt für zwei schwedische Edelprostituierte.
In diesem Haus geht ein Minister ein und aus, um seine Geliebte zu treffen, und dann beherbergt es noch eine Kriegswaise, einen stummen Genossen und einen Linksextremisten.
Mit Humor und scharfer Ironie zeichnet Ondjaki das Leben im Nachkriegs-Luanda. Auf oft tragisch ausgehende Weise, aber voller Lebenslust kämpfen die Bewohner gegen Korruption und absurde Anordnungen. So wird die weltweit erwartete totale Sonnenfinsternis kurzfristig per Parteibeschluss abgesagt. Dafür erhält die dahingeschiedene „Genossin Ideologie" ein Staatsbegräbnis.
Im Stil des magischen Realismus
Den fantastischen Facetten der Geschichten im Stil des magischen Realismus stehen konkrete und feinsinnige Beobachtungen des Lebens in Luanda gegenüber. Natürliches und Übernatürliches findet dank der oralen afrikanischen Erzähltraditionen Platz nebeneinander.
Formal zieht der Autor seine Leser durch einen fast durchlaufenden Text in den Bann. Zeitweilig fehlende Interpunktion wird durch Absätze – auch mitten im Satz – ausgeglichen. Satzanfänge sind durchgehend klein geschrieben und verwischen anfangs die Konturen, schaffen damit aber auch einen ganz eigentümlichen Lesefluss. Auch hier gibt es Brechungen durch schwarzseitige Einschübe, auf denen sich neben Gedichten auch Notizen des Autors finden.
Ondjaki lebt zurzeit in Brasilien. Bereits zur Jahrtausendwende galt er als Wunderkind der angolanischen Literatur. Inzwischen hat er 15 Bücher veröffentlicht, neben Romanen Gedichte, Erzählungen, Theaterstücke und zahlreiche Kinder- und Jugendbücher.