Innenansichten aus dem Finanzkapitalismus
Ein junger Mann hätte das ohnehin schwächelnde Finanzsystem beinahe zum Einstürzen gebracht. Der französischen Großbank Société Générale bescherte Jérôme Kerviel schließlich Milliardenverluste. Jetzt erzählt der damalige Kommunikationschef, der zur Führungsspitze der Bank gehörte, den fantastisch anmutenden Skandal aus seiner Sicht.
Früher hatten sie alle einen gemeinsamen Arbeitgeber: die Société Générale. Dann kam der Skandal. Heute sind viele der maßgeblichen Personen in diesem Wirtschaftskrimi nicht mehr bei der französischen Großbank angestellt.
Jérôme Kerviel, der mit unerlaubten Währungsspekulationen der Bank fünf Milliarden Euro Verlust bescherte, sitzt im Gefängnis. Daniel Bouton konnte sich als Bankchef nicht halten. Er hat sich inzwischen als Berater etabliert und steht feinen Geldhäusern wie den Rothschilds zur Seite. Und Hugues Le Bret, damals verantwortlich für die Kommunikation, hat ein Buch über den Kerviel-Skandal geschrieben. Er verlor deshalb seinen Chefposten bei der Online-Bank Boursorama, die mehrheitlich der Société Générale gehört. Le Bret wollte sich nicht den Mund verbieten lassen.
Er bestand darauf, dass sein Buch erscheint. Von einem Insider erfährt der Leser wie es damals war, als Kerviels Vorgesetzte auf merkwürdige Buchungen beim Wertpapierhandel stießen und sie den Vorstand informierten. Le Bret gehörte dazu. Zu jenem Zeitpunkt, am 20. Januar 2008, schob Kerviel – und damit letztlich die Bank – offene Positionen in Höhe von 50 Milliarden Euro vor sich her. In wenigen Tagen mussten sie abgestoßen werden; die Bank blieb dabei auf einem Minus von fünf Milliarden Euro sitzen.
Boutons Bericht liest sich über weite Strecken wie ein Wirtschaftskrimi. Er erzählt von der Entsolidarisierung und den Intrigen in der eigenen Chefetage und bei der Konkurrenz. Er erwähnt die zwiespältige Rolle, die die Investmentbanker von Goldman Sachs bei der notwendig gewordenen Kapitalerhöhung spielten.
Breiten Raum nimmt die Darstellung der "Medienhetze" ein. Vor allem aber lässt er seinem Ärger über das Agieren von Staatspräsident Nicolas Sarkozy freien Lauf. Durch seine Äußerungen habe er der Bank in der Phase der Schwäche zusätzlichen Schaden zugefügt. Das alles erzählt er nicht chronologisch, sondern in Rückblenden. So entsteht zusätzliche Spannung.
Le Bret schrieb ein gnadenlos subjektives Buch. Für Nichtkenner der Bankenszene ist die Grenze zwischen der Darstellung objektiver Fakten und der Einschätzung des Autors kaum nachvollziehbar. Das ist ein Problem, aber kein Zufall: Je mehr Geld im Spiel ist, desto umstrittener wird diese Gratwanderung. Denn die Beteiligten geben sich große Mühe, ihre wahren Motive zu verwischen. Wer will schon gern als machtgeil, geldgierig oder kaltherzig gelten?
Was dieses Buch ausmacht, das sind die Einsichten, die es über das oft zweifelhafte Geschäftsgebaren in der Finanzbranche vermittelt. Es liefert ein anschauliches Beispiel, wie gewissenlose Egomanen in Wirtschaft und Politik agieren, und wie vergiftet das Klima in der Chefetage einer Bank sein kann. Die Realität ist härter als manche Kriminalgeschichte.
Besprochen von Uli Müller
Hugues Le Bret: Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte. Ein Insiderbericht
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer und Enrico Heinemann
Verlag Antje Kunstmann, München 2010
280 Seiten, 18 Euro
Jérôme Kerviel, der mit unerlaubten Währungsspekulationen der Bank fünf Milliarden Euro Verlust bescherte, sitzt im Gefängnis. Daniel Bouton konnte sich als Bankchef nicht halten. Er hat sich inzwischen als Berater etabliert und steht feinen Geldhäusern wie den Rothschilds zur Seite. Und Hugues Le Bret, damals verantwortlich für die Kommunikation, hat ein Buch über den Kerviel-Skandal geschrieben. Er verlor deshalb seinen Chefposten bei der Online-Bank Boursorama, die mehrheitlich der Société Générale gehört. Le Bret wollte sich nicht den Mund verbieten lassen.
Er bestand darauf, dass sein Buch erscheint. Von einem Insider erfährt der Leser wie es damals war, als Kerviels Vorgesetzte auf merkwürdige Buchungen beim Wertpapierhandel stießen und sie den Vorstand informierten. Le Bret gehörte dazu. Zu jenem Zeitpunkt, am 20. Januar 2008, schob Kerviel – und damit letztlich die Bank – offene Positionen in Höhe von 50 Milliarden Euro vor sich her. In wenigen Tagen mussten sie abgestoßen werden; die Bank blieb dabei auf einem Minus von fünf Milliarden Euro sitzen.
Boutons Bericht liest sich über weite Strecken wie ein Wirtschaftskrimi. Er erzählt von der Entsolidarisierung und den Intrigen in der eigenen Chefetage und bei der Konkurrenz. Er erwähnt die zwiespältige Rolle, die die Investmentbanker von Goldman Sachs bei der notwendig gewordenen Kapitalerhöhung spielten.
Breiten Raum nimmt die Darstellung der "Medienhetze" ein. Vor allem aber lässt er seinem Ärger über das Agieren von Staatspräsident Nicolas Sarkozy freien Lauf. Durch seine Äußerungen habe er der Bank in der Phase der Schwäche zusätzlichen Schaden zugefügt. Das alles erzählt er nicht chronologisch, sondern in Rückblenden. So entsteht zusätzliche Spannung.
Le Bret schrieb ein gnadenlos subjektives Buch. Für Nichtkenner der Bankenszene ist die Grenze zwischen der Darstellung objektiver Fakten und der Einschätzung des Autors kaum nachvollziehbar. Das ist ein Problem, aber kein Zufall: Je mehr Geld im Spiel ist, desto umstrittener wird diese Gratwanderung. Denn die Beteiligten geben sich große Mühe, ihre wahren Motive zu verwischen. Wer will schon gern als machtgeil, geldgierig oder kaltherzig gelten?
Was dieses Buch ausmacht, das sind die Einsichten, die es über das oft zweifelhafte Geschäftsgebaren in der Finanzbranche vermittelt. Es liefert ein anschauliches Beispiel, wie gewissenlose Egomanen in Wirtschaft und Politik agieren, und wie vergiftet das Klima in der Chefetage einer Bank sein kann. Die Realität ist härter als manche Kriminalgeschichte.
Besprochen von Uli Müller
Hugues Le Bret: Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte. Ein Insiderbericht
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer und Enrico Heinemann
Verlag Antje Kunstmann, München 2010
280 Seiten, 18 Euro