Innenansichten aus einem gescheiterten Land
Somalia ist ein zerfallener Staat ohne funktionierende Strukturen. Doch der somalische Autor Nuruddin Farah hält das Scheitern des kosmopolitischen Lebens, "wo Leute tolerant sind, wo sie auch die Ansichten anderer akzeptieren", für das Hauptproblem.
Liane von Billerbeck: Er ist der einzige Autor, der Somalia auf der Weltbühne vertritt, der 1945 geborene Nuruddin Farah. Seit er mit dem Tode bedroht 1974 sein Land verlassen musste, lebt er in Südafrika, kann aber seit Mitte der 90er seine Heimat wieder besuchen.
Somalia steht im Zentrum all seiner Romane, auch in seinem jüngsten Buch, "Gekapert" heißt das auf Deutsch. Drei Somalier begeben sich aus ihrem US-amerikanischen Exil in ihr Heimatland, der eine, weil er alte Freunde treffen will, der zweite, weil er als Journalist über Somalia schreiben will, der dritte, weil er einen Sohn sucht, der offenbar unter die Piraten gegangen ist.
Die Lage in Mogadischu und ganz Somalia ist unübersichtlich: Überall lauert Gefahr, vor allem durch die marodierenden Truppen der islamistischen Al Shabaab. Zwar gab es in Somalia auch Phasen der Hoffnung für eine Befriedung, doch die Zeit scheint in weiter Ferne. Wie er sein Land sieht, das ist unser Thema im Gespräch mit Nuruddin Farah. Ganz herzlich willkommen!
Nuruddin Farah: Thank you!
von Billerbeck: In Ihrem neuen Roman kommen drei Exil-Somalier aus den USA in ihr Land zurück, das ist eine Situation, die Sie auch sehr gut kennen. Wie bewegen Sie sich dort in Somalia, wenn Sie in dieses Land fahren, das Ihre Heimat ist?
Farah: Nun, es ist schon nicht leicht in letzter Zeit, weil die Terroristen von Al Shabaab machen es den Menschen schon sehr schwer, sich frei zu bewegen, erst recht Menschen wie mir.
von Billerbeck: Wie können Sie sich dann bewegen, ohne nicht gleich in Lebensgefahr zu geraten, wie finden Sie Menschen, denen Sie vertrauen können, die Ihnen helfen?
Farah: Nun, es ist so, dass ich von Freunden in Somalia regelrecht beschützt werde. Das bedeutet, wenn ich im Auto sitze oder zum Beispiel eine Rede halte irgendwo, dann sind immer bewaffnete Beschützer bei mir, die auch dafür sorgen, dass die Straßen und die Wege, die ich gehe, frei sind. Ich gehe niemals zweimal an den gleichen Ort, und ich stehe auch immer zu unterschiedlichsten Zeiten auf. Keiner weiß ganz genau, was ich um 13 Uhr am Nachmittag beispielsweise tun werde. Es gibt keine Gewohnheiten, und so kann man mich dann auch nicht so leicht verfolgen.
von Billerbeck: Somalia gilt als ein zerfallenes Land, als ein Failing State. Sie haben eben gesagt, dass Sie auch dort an der Universität einen Vortrag halten – wie müssen wir uns das vorstellen? Was für Infrastruktur gibt es eigentlich noch? Was funktioniert in Mogadischu, in Somalia?
Farah: Als Siad Barre verjagt wurde aus Mogadischu, als er die Stadt verlassen musste, war Somalia bereits ein zerfallenes Land, es ging dann schon zehn Jahre lang so, dass eigentlich nichts mehr in diesem Land funktioniert hatte. Und dieses Scheitern von Somalia, das ist für mich nicht das Scheitern von Staatsstrukturen, sondern das, was ich kosmopolitisches Leben nenne, Kosmopolitismus, wo Leute tolerant sind, wo sie auch die Ansichten anderer akzeptieren. Und das ist in meinem Land komplett zusammengebrochen, diese Form der Toleranz.
Man kann einen Staat wiederaufbauen, man kann zerstörte Gebäude wiederaufbauen, man kann sogar Schulen wieder neu eröffnen. Aber was man nicht so schnell wiederaufbauen kann, das ist eben diesen Kosmopolitismus, das ist diese Toleranz, das ist das Schätzen einer anderen Meinung, das Akzeptieren einer anderen Ansicht. Was eine Stadt wie Berlin über eine Kleinstadt wie Herne beispielsweise heraushebt, ist eben, dass es hier in Berlin ganz verschiedenste Gruppen gibt, die einander akzeptieren, und so harmonisch miteinander leben, wie das überhaupt nur möglich ist.
Mogadischu ist eine der ältesten Städte der Welt, eine der ältesten Städte Afrikas, und existiert seit dem 10. Jahrhundert. Es war eine sehr kosmopolitische Stadt, in der Araber, Asiaten, Inder und Somalier friedlich miteinander gelebt haben. Diese Geschichte, diese kosmopolitische Vergangenheit ist zerstört worden. Und man sollte jetzt nicht in staatliche Strukturen investieren, sondern man sollte das Augenmerk mehr auf diese Geschichte legen, diese kosmopolitische Geschichte, die Mogadischu einst hatte.
von Billerbeck: Nun haben ja viele Menschen, die zur intellektuellen Elite gehören, Somalia verlassen – Sie auch, weil Sie ja in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurden damals. Wie wichtig wäre es denn, dass diese somalische Elite wieder zurückkehrt?
Farah: Nun, ich denke, die Mehrheit dieser sogenannten Eliten wird zurückkehren, allerdings ist es so, die meisten Leute sind ja nun schon in einem gewissen Alter, sie sind ja weit über 60 und haben eigentlich nur noch sehr wenige Jahre, die sie Somalia sozusagen geben können.
Wenn ich von einem Wiederaufbau Somalias spreche, dann ist mir dieser parallele Wiederaufbau so wichtig, und der muss geschehen. Und Erziehung ist für mich überhaupt das Allerwichtigste bei diesem Wiederaufbau, und ich finde, man muss auch die Europäer erziehen. Man muss auch ihnen klar machen, dass sie ganz falsche Meinungen über Somalia vertreten, und das ist es, was wir den Europäern auch wieder beibringen müssen bei diesem Wiederaufbau, Somalia von heute an einfach auch anders zu sehen.
von Billerbeck: Unterschiedlich sieht man in Europa, und offenbar im Vergleich zu Ihrer Meinung auch, die Al-Shabaab-Milizen. Sie haben vorhin von Terroristen gesprochen, bei uns werden die immer als Islamisten bezeichnet – Sie nutzen den Begriff "Religionisten". Warum das?
Farah: Nun, der Grund dafür ist ganz einfach: Wenn man jemanden einen Islamisten nennt, und dann mich, Nuruddin Farah, mit ihm irgendwie vergleicht, nehmen wir mal jemanden von Al Shabaab, er wäre dann ein Islamist, und ich wäre einfach nur noch Nuruddin. Ich bin der Meinung, sie sind Menschen, die die Religion einfach nur benutzen – mir ist es letztendlich egal, ob es christliche Fundamentalisten, Hindu-Fundamentalisten oder islamistische Fundamentalisten sind, für mich sind das alles Religionisten. Ich finde, sie verdienen den Titel Islamist gar nicht. Sie verdienen nur den Titel Terrorist.
von Billerbeck: Wenn man Ihre Bücher liest, dann werden Frauen und Männer sehr unterschiedlich geschildert: Frauen oft als sehr starke Personen, stark und mutig, Männer eher als schwach, als faul, die zudem – gerade die jüngeren Männer – sich sehr stark von diesen Al-Shabaab-Milizen, von diesen Terroristen angezogen fühlen. Ist das auch in der somalischen Wirklichkeit so, dass Männer so eher die Schwachen sind und Frauen eher die starken Figuren?
Farah: Nun, Frauen sind einfach stark, sie sind einfach auch für die Familie sehr viel wichtiger. Während des 23-jährigen Bürgerkrieges in Somalia war es so, dass alle Familien, die mit einer Tochter gesegnet waren, auch überlebt haben, weil Frauen eben so hart arbeiten, weil sie dafür sorgen, dass Essen auf den Tisch kommt, weil sie ihre ganze Zeit dafür opfern, eben für die Existenz der Familie. Die Männer dagegen reden über Politik, kaufen Waffen, kauen Kath und tun eigentlich nichts, was irgendeinen Wert erbringen würde, das ist der Unterschied zwischen den Frauen und Männern in Somalia.
von Billerbeck: Nuruddin Farah ist mein Gast, der somalische Schriftsteller, dessen neuer Roman auf Deutsch unter dem Titel "Gekapert" erschienen ist. Wenn Sie, wie Sie das in diesem Interview tun, Herr Farah, und in Ihren Büchern, die Wirklichkeit Ihres Landes so genau beschreiben, werden Sie von Ihren Landsleuten eigentlich dafür geliebt?
Farah: Also eigentlich ist es mir egal, wie man auf meine Bücher reagiert, ich schreibe sie so, wie ich kann, und das seit Jahren, aber wenn ich sehr kritisch bin und sehr herausfordernd in meiner Art, über Somalia zu schreiben, so bin ich genau so kritisch und genau so herausfordernd den Europäern gegenüber, weil ich der Meinung bin, dass vor allen Dingen, was die europäische Presse anbelangt, unglaublich viele Lügen verbreitet werden von Leuten, die niemals in Somalia gewesen sind. Ich kritisiere in erster Linie wirklich europäische Journalisten.
Beispielsweise dieses Wort Pirat oder somalischer Pirat – wenn sehr junge Somalier sich in einem klitzekleinen Plastikboot, was vielleicht zwölf mal vier Meter misst, aufhalten, und das sind dann acht bis neun eher Jungs, die mit Kalaschnikows bewaffnet sind und aufs Meer hinausfahren, sind das Piraten? Ich würde sagen, nein, es ist eine kriminelle Aktivität, aber Piraten – wenn wir uns die Definition von Piraten anschauen, die ein Boot angreifen, werden Piraten zwei bis drei Jahre lang Geiseln nehmen, diese Geiseln auch ernähren und nicht töten? Und das Schiff auch nicht zerstören und auch nicht plündern?
Was wir sie nennen können, sind Lösegelderpresser oder Geiselnehmer, aber das geschieht auch in Kalifornien, das geschieht auch in Berlin, und es geschieht in Mogadischu. Dann stellt sich natürlich auch noch eine weitere Frage: Woher wissen denn diese jungen Leute, die aufs Meer hinausfahren, wann und wo so ein riesengroßes Schiff überhaupt aufkreuzt, was größer ist als das Sendehaus hier von Deutschlandradio? Wie kommen sie überhaupt auf diese Boote? Ist es nicht jemand in London oder im Suez-Kanal, der ihnen einen Tipp gibt und ihnen sagt, da ist jetzt ein Boot unterwegs?
von Billerbeck: Also eine Lehrstunde war das mit dem somalischen Schriftsteller Nuruddin Farah. Sein neuer Roman ist unter dem Titel "Gekapert" auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, das Jörg Taszman übersetzt hat!
Farah: Thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Somalia steht im Zentrum all seiner Romane, auch in seinem jüngsten Buch, "Gekapert" heißt das auf Deutsch. Drei Somalier begeben sich aus ihrem US-amerikanischen Exil in ihr Heimatland, der eine, weil er alte Freunde treffen will, der zweite, weil er als Journalist über Somalia schreiben will, der dritte, weil er einen Sohn sucht, der offenbar unter die Piraten gegangen ist.
Die Lage in Mogadischu und ganz Somalia ist unübersichtlich: Überall lauert Gefahr, vor allem durch die marodierenden Truppen der islamistischen Al Shabaab. Zwar gab es in Somalia auch Phasen der Hoffnung für eine Befriedung, doch die Zeit scheint in weiter Ferne. Wie er sein Land sieht, das ist unser Thema im Gespräch mit Nuruddin Farah. Ganz herzlich willkommen!
Nuruddin Farah: Thank you!
von Billerbeck: In Ihrem neuen Roman kommen drei Exil-Somalier aus den USA in ihr Land zurück, das ist eine Situation, die Sie auch sehr gut kennen. Wie bewegen Sie sich dort in Somalia, wenn Sie in dieses Land fahren, das Ihre Heimat ist?
Farah: Nun, es ist schon nicht leicht in letzter Zeit, weil die Terroristen von Al Shabaab machen es den Menschen schon sehr schwer, sich frei zu bewegen, erst recht Menschen wie mir.
von Billerbeck: Wie können Sie sich dann bewegen, ohne nicht gleich in Lebensgefahr zu geraten, wie finden Sie Menschen, denen Sie vertrauen können, die Ihnen helfen?
Farah: Nun, es ist so, dass ich von Freunden in Somalia regelrecht beschützt werde. Das bedeutet, wenn ich im Auto sitze oder zum Beispiel eine Rede halte irgendwo, dann sind immer bewaffnete Beschützer bei mir, die auch dafür sorgen, dass die Straßen und die Wege, die ich gehe, frei sind. Ich gehe niemals zweimal an den gleichen Ort, und ich stehe auch immer zu unterschiedlichsten Zeiten auf. Keiner weiß ganz genau, was ich um 13 Uhr am Nachmittag beispielsweise tun werde. Es gibt keine Gewohnheiten, und so kann man mich dann auch nicht so leicht verfolgen.
von Billerbeck: Somalia gilt als ein zerfallenes Land, als ein Failing State. Sie haben eben gesagt, dass Sie auch dort an der Universität einen Vortrag halten – wie müssen wir uns das vorstellen? Was für Infrastruktur gibt es eigentlich noch? Was funktioniert in Mogadischu, in Somalia?
Farah: Als Siad Barre verjagt wurde aus Mogadischu, als er die Stadt verlassen musste, war Somalia bereits ein zerfallenes Land, es ging dann schon zehn Jahre lang so, dass eigentlich nichts mehr in diesem Land funktioniert hatte. Und dieses Scheitern von Somalia, das ist für mich nicht das Scheitern von Staatsstrukturen, sondern das, was ich kosmopolitisches Leben nenne, Kosmopolitismus, wo Leute tolerant sind, wo sie auch die Ansichten anderer akzeptieren. Und das ist in meinem Land komplett zusammengebrochen, diese Form der Toleranz.
Man kann einen Staat wiederaufbauen, man kann zerstörte Gebäude wiederaufbauen, man kann sogar Schulen wieder neu eröffnen. Aber was man nicht so schnell wiederaufbauen kann, das ist eben diesen Kosmopolitismus, das ist diese Toleranz, das ist das Schätzen einer anderen Meinung, das Akzeptieren einer anderen Ansicht. Was eine Stadt wie Berlin über eine Kleinstadt wie Herne beispielsweise heraushebt, ist eben, dass es hier in Berlin ganz verschiedenste Gruppen gibt, die einander akzeptieren, und so harmonisch miteinander leben, wie das überhaupt nur möglich ist.
Mogadischu ist eine der ältesten Städte der Welt, eine der ältesten Städte Afrikas, und existiert seit dem 10. Jahrhundert. Es war eine sehr kosmopolitische Stadt, in der Araber, Asiaten, Inder und Somalier friedlich miteinander gelebt haben. Diese Geschichte, diese kosmopolitische Vergangenheit ist zerstört worden. Und man sollte jetzt nicht in staatliche Strukturen investieren, sondern man sollte das Augenmerk mehr auf diese Geschichte legen, diese kosmopolitische Geschichte, die Mogadischu einst hatte.
von Billerbeck: Nun haben ja viele Menschen, die zur intellektuellen Elite gehören, Somalia verlassen – Sie auch, weil Sie ja in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurden damals. Wie wichtig wäre es denn, dass diese somalische Elite wieder zurückkehrt?
Farah: Nun, ich denke, die Mehrheit dieser sogenannten Eliten wird zurückkehren, allerdings ist es so, die meisten Leute sind ja nun schon in einem gewissen Alter, sie sind ja weit über 60 und haben eigentlich nur noch sehr wenige Jahre, die sie Somalia sozusagen geben können.
Wenn ich von einem Wiederaufbau Somalias spreche, dann ist mir dieser parallele Wiederaufbau so wichtig, und der muss geschehen. Und Erziehung ist für mich überhaupt das Allerwichtigste bei diesem Wiederaufbau, und ich finde, man muss auch die Europäer erziehen. Man muss auch ihnen klar machen, dass sie ganz falsche Meinungen über Somalia vertreten, und das ist es, was wir den Europäern auch wieder beibringen müssen bei diesem Wiederaufbau, Somalia von heute an einfach auch anders zu sehen.
von Billerbeck: Unterschiedlich sieht man in Europa, und offenbar im Vergleich zu Ihrer Meinung auch, die Al-Shabaab-Milizen. Sie haben vorhin von Terroristen gesprochen, bei uns werden die immer als Islamisten bezeichnet – Sie nutzen den Begriff "Religionisten". Warum das?
Farah: Nun, der Grund dafür ist ganz einfach: Wenn man jemanden einen Islamisten nennt, und dann mich, Nuruddin Farah, mit ihm irgendwie vergleicht, nehmen wir mal jemanden von Al Shabaab, er wäre dann ein Islamist, und ich wäre einfach nur noch Nuruddin. Ich bin der Meinung, sie sind Menschen, die die Religion einfach nur benutzen – mir ist es letztendlich egal, ob es christliche Fundamentalisten, Hindu-Fundamentalisten oder islamistische Fundamentalisten sind, für mich sind das alles Religionisten. Ich finde, sie verdienen den Titel Islamist gar nicht. Sie verdienen nur den Titel Terrorist.
von Billerbeck: Wenn man Ihre Bücher liest, dann werden Frauen und Männer sehr unterschiedlich geschildert: Frauen oft als sehr starke Personen, stark und mutig, Männer eher als schwach, als faul, die zudem – gerade die jüngeren Männer – sich sehr stark von diesen Al-Shabaab-Milizen, von diesen Terroristen angezogen fühlen. Ist das auch in der somalischen Wirklichkeit so, dass Männer so eher die Schwachen sind und Frauen eher die starken Figuren?
Farah: Nun, Frauen sind einfach stark, sie sind einfach auch für die Familie sehr viel wichtiger. Während des 23-jährigen Bürgerkrieges in Somalia war es so, dass alle Familien, die mit einer Tochter gesegnet waren, auch überlebt haben, weil Frauen eben so hart arbeiten, weil sie dafür sorgen, dass Essen auf den Tisch kommt, weil sie ihre ganze Zeit dafür opfern, eben für die Existenz der Familie. Die Männer dagegen reden über Politik, kaufen Waffen, kauen Kath und tun eigentlich nichts, was irgendeinen Wert erbringen würde, das ist der Unterschied zwischen den Frauen und Männern in Somalia.
von Billerbeck: Nuruddin Farah ist mein Gast, der somalische Schriftsteller, dessen neuer Roman auf Deutsch unter dem Titel "Gekapert" erschienen ist. Wenn Sie, wie Sie das in diesem Interview tun, Herr Farah, und in Ihren Büchern, die Wirklichkeit Ihres Landes so genau beschreiben, werden Sie von Ihren Landsleuten eigentlich dafür geliebt?
Farah: Also eigentlich ist es mir egal, wie man auf meine Bücher reagiert, ich schreibe sie so, wie ich kann, und das seit Jahren, aber wenn ich sehr kritisch bin und sehr herausfordernd in meiner Art, über Somalia zu schreiben, so bin ich genau so kritisch und genau so herausfordernd den Europäern gegenüber, weil ich der Meinung bin, dass vor allen Dingen, was die europäische Presse anbelangt, unglaublich viele Lügen verbreitet werden von Leuten, die niemals in Somalia gewesen sind. Ich kritisiere in erster Linie wirklich europäische Journalisten.
Beispielsweise dieses Wort Pirat oder somalischer Pirat – wenn sehr junge Somalier sich in einem klitzekleinen Plastikboot, was vielleicht zwölf mal vier Meter misst, aufhalten, und das sind dann acht bis neun eher Jungs, die mit Kalaschnikows bewaffnet sind und aufs Meer hinausfahren, sind das Piraten? Ich würde sagen, nein, es ist eine kriminelle Aktivität, aber Piraten – wenn wir uns die Definition von Piraten anschauen, die ein Boot angreifen, werden Piraten zwei bis drei Jahre lang Geiseln nehmen, diese Geiseln auch ernähren und nicht töten? Und das Schiff auch nicht zerstören und auch nicht plündern?
Was wir sie nennen können, sind Lösegelderpresser oder Geiselnehmer, aber das geschieht auch in Kalifornien, das geschieht auch in Berlin, und es geschieht in Mogadischu. Dann stellt sich natürlich auch noch eine weitere Frage: Woher wissen denn diese jungen Leute, die aufs Meer hinausfahren, wann und wo so ein riesengroßes Schiff überhaupt aufkreuzt, was größer ist als das Sendehaus hier von Deutschlandradio? Wie kommen sie überhaupt auf diese Boote? Ist es nicht jemand in London oder im Suez-Kanal, der ihnen einen Tipp gibt und ihnen sagt, da ist jetzt ein Boot unterwegs?
von Billerbeck: Also eine Lehrstunde war das mit dem somalischen Schriftsteller Nuruddin Farah. Sein neuer Roman ist unter dem Titel "Gekapert" auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, das Jörg Taszman übersetzt hat!
Farah: Thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.