Innenminister zur Flüchtlingsversorgung

Auf der Suche nach Hallen und Kasernen

Reinhold Gall im Gespräch mit Liane Billerbeck |
Flüchtlinge sind eines der Top-Themen der deutschen Innenministertagung in Koblenz. Die Versorgungssituation sei fast überall angespannt, sagt Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall. Glück hätten Länder, die über leer stehende Gebäude als Unterkünfte verfügten.
Die Bundesländer ächzen unter dem Flüchtlingsansturm. Am guten Willen fehle es vielerorts nicht, wohl aber dramatisch an Unterkünften. "Aktuell ist in der Tat die Unterbringung und die Versorgung das größte Problelm. Das heißt, wir brauchen dringend Unterkünfte, wir brauchen dringend Wohnraum auf allen Ebenen. Sowohl was die Erstaufnahme anbelangt, aber dann auch in der Anschlussunterbringung", sagte der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall zu Beginn der Herbsttagung der Innenminister der Bundesländer.
Insolvenzlisten durchforsten
Für die Städte und Gemeinden sei dies die derzeit die "dringendste Aufgabe". In Baden-Württemberg könnten glücklicherweise etliche leer stehende Bundeswehrkasernen genutzt werden, das Land nutze aber auch alle anderen Möglichkeiten. "Wir durchforsten nahezu täglich die Insolvenzlisten, um herauszufinden, ob Hallenflächen zur Verfügung stehen, die ertüchtigt werden können."
Wichtig sei auch: Der Bund müsse die Bearbeitung der Asylanträge vorantreiben - "was er bisher nicht macht". Eine schnellere Bearbeitung würde die "Zuteilung und Aufteilung auf die Kommunen" sehr erleichtern. Die Situation habe sich unter dem neuen Leiter des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration jedoch bereits deutlich verbessert, betonte Gall.


Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute und morgen findet die Herbsttagung der Innenminister von Bund und Ländern in Koblenz statt, das ist ein Treffen, bei dem die Chefs der Innenressorts Probleme analysieren und nach Lösungen dafür suchen. Und die haben derzeit vor allem mit den vielen Flüchtlingen zu tun. Der SPD-Politiker Reinhold Gall ist Innenminister von Baden-Württemberg und jetzt mein Gesprächspartner, schönen guten Morgen!
Reinhold Gall: Guten Morgen!
von Billerbeck: Im Oktober gab es ja viele Berichte, nach denen die meisten Bundesländer weniger Flüchtlinge aufnehmen, als sie nach dem Königsteiner Schlüssel eigentlich müssten. Ihr Land, Baden-Württemberg also, lag zeitweise 35 Prozent unter dem Soll. Woran lag das?
Gall: Nein, diese Zahlen bezweifele ich. Denn wenn alle Bundesländer weniger aufnehmen würden als der Königsteiner Schlüssel, dann hätten wir ja gar nicht so viele Flüchtlinge. Das ist aber nicht der Fall.
Also, wir nehmen die Flüchtlinge auf, wir haben eine Vereinbarung getroffen beispielsweise mit Bayern. Was die Verteilung der Flüchtlinge, die in Bayern ankommen, anlangt, aus der sogenannten Südwestschiene, das heißt in Rheinland-Pfalz, in Hessen, im Saarland und in unserem Bundesland, dort nehmen wir dann die Verteilung vor, dort erfüllen wir den Königsteiner Schlüssel. Wie im Übrigen auch bei der zweiten Schiene, das heißt beim EASY-Verfahren. Das heißt, ...
von Billerbeck: Was ist das?
Gall: ... in diesem Bereich werden diese Flüchtlinge verteilt, die nicht über Bayern beispielsweise anreisen, dort registriert werden, sondern die in den einzelnen Bundesländern registriert werden. Auch über dieses EDV-System findet dann ein Ausgleich statt. Wir jedenfalls erfüllen den Königsteiner Schlüssel.
Die Verteilung ist verbesserungswürdig
von Billerbeck: Das heißt, wir gehen jetzt davon aus, dass die Verteilung der Flüchtlinge inzwischen wunderbar klappt und da nichts offen ist?
Gall: Sie klappt. Es ist nicht so gut, dass es nicht noch verbessert werden könnte, weil Sie von wunderbar gesprochen haben. Es ist eine schwierige Aufgabe, überhaupt keine Frage, dort zu koordinieren und diese Ausgleiche auch herzustellen, weil die Flüchtlinge eben beispielsweise nicht nur über Bayern einreisen, sondern auch direkt in den Erstaufnahmestellen, beispielsweise bei uns in Karlsruhe, in Heidelberg anstranden und von dort aus verteilt werden müssen. Aber wir haben die Situation, ich will es mal so sagen, ziemlich gut im Griff.
von Billerbeck: Aber zehn von 16 Ländern lagen ja, was die Verteilung angeht, quasi im Minus, nur Bayern, Saarland und andere deutlich im Plus!
Gall: Ich lege noch mal Wert darauf: Wir haben uns auf der Südwestschiene verständigt mit Saarland, mit Hessen und mit Rheinland-Pfalz, dass wir 25 Prozent dieses Kontingentes aus Bayern aufnehmen und wir dann intern für die Verteilung sorgen. Und da wüsste ich nicht, dass es da Probleme gäbe.
von Billerbeck: Das heißt, die Stimmung unter Ihren Kollegen bei der Herbsttagung ist prächtig?
Gall: Nein, die Stimmung ist nicht prächtig, da sind die Probleme zu groß. Aber wir haben jedenfalls keinen Streit miteinander, sondern wir bemühen uns, anstehende Probleme oder bestehende Probleme auch gemeinsam zu lösen. Im Übrigen auch, soweit es irgend machbar ist, gemeinsam mit dem Bund.
von Billerbeck: Dann reden wir doch mal über die Probleme in Sachen Flüchtlinge! Wo sehen Sie denn die größten derzeit, die es zu lösen gilt?
Gall: Aktuell ist in der Tat das größte Problem die Unterbringung und die Versorgung der Flüchtlinge. Das heißt, wir brauchen dringend Unterkünfte, wir brauchen dringend Wohnraum auf allen Ebenen, sowohl was die Erstaufnahme anbelangt, aber dann auch in der Anschlussunterbringung, das heißt, wenn dann die Menschen auf die Städte, Gemeinden und Landkreise verteilt werden. Dort haben wir große Not, das würde ich auch so ausdrücken, und wir haben alle Hände voll zu tun, Wohnraum zu generieren. Und deshalb ist dies die wesentliche, im Moment dringendste Herausforderung.
Alle Möglichkeiten nutzen
von Billerbeck: Wo nehmen Sie den Wohnraum her, wie wollen Sie das machen?
Gall: Wir nutzen alle Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. In Baden-Württemberg haben wir – jedenfalls in Anführungszeichen – das Glück, dass die Bundeswehr-Reform bei uns Kasernen freigesetzt hat, das heißt Wohnflächen und Wohnraum in Kasernen, die wir nutzen. Wir nutzen aber darüber hinaus alles, nahezu alles an Möglichkeiten.
Beispielsweise, wir durchforsten täglich die Insolvenzlisten, um herauszufinden, ob Hallenflächen zur Verfügung stehen, die ertüchtigt werden können, wir arbeiten mit Tragluftzelten, mit provisorischen Einrichtungen, das heißt, im Prinzip alles, was irgendwie machbar ist, wird gemacht, um Menschen so gut es irgend möglich ist, unterzubringen.
von Billerbeck: Sie treffen sich ja nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Bundesinnenminister. Gibt es da auch Wünsche an den Bund, was die Länder eben nicht hinbekommen können?
Gall: Ja, ich habe davon gesprochen: Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser gemacht werden könnte. Wir müssen dringend die Verfahrensschritte noch besser aufeinander koordinieren und abstimmen, das heißt, der Bund muss die Bearbeitung der Asylanträge noch zügiger vorantreiben, was er bisher nicht macht. Denn das ermöglicht uns dann in den Ländern auch eine bessere Zuordnung und Zuteilung auf die Kommunen, das erleichtert uns die Arbeit, dass dann später nicht noch mal nachgefasst werden muss, was bei dem Thema Registrierung beispielsweise anlangt und was die Verteilung der Menschen in den Bundesländern anlangt. Da ist der Bund noch ein bisschen in der Bringschuld.
Aber wir sind da, denke ich, auf gutem Wege unterwegs, seit Herr Weise das Zepter übernommen hat bei der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge, verbessert sich da im Prinzip wöchentlich etwas, aber es gibt noch Handlungsbedarf, gerade auch was die Erfassung anlangt und die Bearbeitungszeiten im Bereich Asyl.
von Billerbeck: Das ist ein sehr optimistischer baden-württembergischer Innenminister, den ich da gerade höre. Gilt das auch für das Thema Terrorabwehr? Denn wir wissen ja, dass die Franzosen ihre Sicherheitsgesetze schon vor dem Anschlag von Paris verschärft hatten, gebracht hat es ja wenig. Wie sehen Sie das?
"Wir sind gut aufgestellt"
Gall: Ich bin der Auffassung, wir sind da schon ziemlich gut aufgestellt. Und die Menschen haben, denke ich, allen Grund, den Sicherheitsbehörden unseres Landes auch zu vertrauen. Das heißt, auch wir aber müssen immer sehr sorgfältig beobachten, ob es neue Erkenntnisse gibt, neue Lagebilder. Deshalb haben wir heute auch sehr intensive Gespräche mit dem Chef des Bundeskriminalamtes und dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Wie gesagt, wir müssen da auch auf Sicht fahren, ob es neue Erkenntnisse gibt, die uns dann zum Handeln zwingen.
Jedenfalls für unser Bundesland will ich sagen, wir sind gut aufgestellt, was die Struktur und die Organisation unserer Sicherheitsbehörden anlangt und die erforderlichen Nachsteuerungsmaßnahmen, die wir schon im Januar diesen Jahres auf den Weg gebracht haben, das heißt bestimmte Bereiche der Polizei und des Verfassungsschutzes noch einmal zu verstärken. Diese bestimmten Bereiche haben insbesondere damit zu tun, dass es uns gelingen muss, möglichst früh Informationen zu erhalten, ob aus dieser abstrakten Gefährdung eine konkrete Gefährdung entstehen kann, um dann handeln zu können.
Und auch in diesem Bereich haben wir jetzt jüngst noch mal nachgesteuert in unserem Bundesland, verstärken also noch mal die Themenbereiche Internet, Aufklärung, wir verstärken aber auch und statten besser aus die Kräfte, die in einem solchen Fall zum Einsatz kommen müssten.
von Billerbeck: Der Innenminister von Baden-Württemberg, der SPD-Politiker Reinhold Gall vor der heutigen Herbsttagung mit seinen Kollegen. Herzlichen Dank für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag!
Gall: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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