Innere Landschaft, entworfen mit sinnlicher Eleganz
Rolf Haufs Gedichtband zeichnet sich durch eine filigrane Choreografie aus. Abseits von Walzerschritt und Polonaise tanzt sich das Ich in den Grauzonen menschlichen Daseins den Blick "frei auf hoffentlich/Paar freie Jahre/Im Rettungsring".
Rolf Haufs (geb. 1935) Gedichtband "Tanzstunde auf See" mutet wie ein Triptychon an. In drei Teilen, versehen mit den Überschriften "Du meine Seele singe", "Puppentanzen" und "War für ihren Krieg nicht geeignet", werden zeitlich weit auseinanderliegende Ereignisse thematisiert, die sich gegenseitig kommentieren. Um das im Titel angestimmte und im Mittelteil ausgeführte Thema des Tanzes erschließen zu können - wo es im widerständigen Duktus heißt: "Jetzt erst recht. Wir lassen sie/Tanzen: König Kaspar Krokodil" – empfiehlt es sich, mit einer Lektüre der flankierenden Teile zu beginnen.
Im ersten Teil regieren Krankheit, Schmerz und der Todesgedanke das lyrische Sprechen, das wie so oft bei Haufs ein narratives Gerüst aufweist. Therapeuten und Ärzte scheinen die Geschicke des lyrischen Ich zu lenken. "Zugeknöpft" und mit "desinfizierten Händen" probt das medizinische Personal die "Revolution", derweil ein "Zivi" das Krankenbett zur Operation schiebt und gefühlte Jahre später verkündet: "Es ist überstanden" – fragt sich nur für wen. Ganz nebenbei offenbart ein Megakeim seinen miesen Charakter und verabschiedet sich vom Patienten mit dem Satz: "Es war schön bei dir".
Haufs poetische Kommentare klingen sarkastisch und melancholisch, niemals jedoch endgestimmt. Mitunter wird die Tonlage zum "arktischen Groll". Vor allem dann, wenn die vermeintlich Gesunden die Kranken wieder einmal in die Erde "flüstern", wie es im Gedicht "Ein für allemal" heißt.
Ein starker Sog geht von den Texten im dritten Teil aus. Mit sinnlicher Eleganz wird eine innere Landschaft entworfen, auf die kein Fremder Zugriff hat. Fest eingekapselt im lyrischen Ich erzählt diese Seelenlandschaft von der Pubertät und dem Sündenfall, vom Stadtwald, wo die Kriegstoten geordnet liegen und – in autobiografischer Referenz - von der Erinnerung an die Geburtsstadt Düsseldorf, die durch die Stimme der Großmutter präsent ist. Krieg und Nachkrieg bestimmen das Geschehen in diesem Teil, das durch die Perspektive des Heranwachsenden gefiltert wird und doch von einem älteren Alter Ego konterkariert erscheint. In klaren Konturen und mit sprachlicher Leichtigkeit kreist Haufs das Chaos der Zeit im Gedicht "Schiller und Goethe" ein. Während der Krieg tobt, fällt die Jesusfigur von der Wand und verliert ein Bein. Alle Versuche, das Bein wieder anzukleben, scheitern. Der versehrte Jesus wird zum Sinnbild einer Epoche, in der sich Amputationen in physischer und verborgener Weise vollziehen. Lakonisch heißt es: "Dann gaben wir auf./ Wir versteckten Jesus hinter den Werken/Von Schiller und Goethe".
Rolf Haufs "Tanzstunde auf See" zeichnet sich durch eine filigrane Choreografie aus. Abseits von Walzerschritt und Polonaise tanzt sich das Ich in den Grauzonen menschlichen Daseins den Blick "frei auf hoffentlich/Paar freie Jahre/Im Rettungsring".
Besprochen von Carola Wiemers
Rolf Haufs: Tanzstunde auf See
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2010
94 Seiten, 14,90 Euro
Im ersten Teil regieren Krankheit, Schmerz und der Todesgedanke das lyrische Sprechen, das wie so oft bei Haufs ein narratives Gerüst aufweist. Therapeuten und Ärzte scheinen die Geschicke des lyrischen Ich zu lenken. "Zugeknöpft" und mit "desinfizierten Händen" probt das medizinische Personal die "Revolution", derweil ein "Zivi" das Krankenbett zur Operation schiebt und gefühlte Jahre später verkündet: "Es ist überstanden" – fragt sich nur für wen. Ganz nebenbei offenbart ein Megakeim seinen miesen Charakter und verabschiedet sich vom Patienten mit dem Satz: "Es war schön bei dir".
Haufs poetische Kommentare klingen sarkastisch und melancholisch, niemals jedoch endgestimmt. Mitunter wird die Tonlage zum "arktischen Groll". Vor allem dann, wenn die vermeintlich Gesunden die Kranken wieder einmal in die Erde "flüstern", wie es im Gedicht "Ein für allemal" heißt.
Ein starker Sog geht von den Texten im dritten Teil aus. Mit sinnlicher Eleganz wird eine innere Landschaft entworfen, auf die kein Fremder Zugriff hat. Fest eingekapselt im lyrischen Ich erzählt diese Seelenlandschaft von der Pubertät und dem Sündenfall, vom Stadtwald, wo die Kriegstoten geordnet liegen und – in autobiografischer Referenz - von der Erinnerung an die Geburtsstadt Düsseldorf, die durch die Stimme der Großmutter präsent ist. Krieg und Nachkrieg bestimmen das Geschehen in diesem Teil, das durch die Perspektive des Heranwachsenden gefiltert wird und doch von einem älteren Alter Ego konterkariert erscheint. In klaren Konturen und mit sprachlicher Leichtigkeit kreist Haufs das Chaos der Zeit im Gedicht "Schiller und Goethe" ein. Während der Krieg tobt, fällt die Jesusfigur von der Wand und verliert ein Bein. Alle Versuche, das Bein wieder anzukleben, scheitern. Der versehrte Jesus wird zum Sinnbild einer Epoche, in der sich Amputationen in physischer und verborgener Weise vollziehen. Lakonisch heißt es: "Dann gaben wir auf./ Wir versteckten Jesus hinter den Werken/Von Schiller und Goethe".
Rolf Haufs "Tanzstunde auf See" zeichnet sich durch eine filigrane Choreografie aus. Abseits von Walzerschritt und Polonaise tanzt sich das Ich in den Grauzonen menschlichen Daseins den Blick "frei auf hoffentlich/Paar freie Jahre/Im Rettungsring".
Besprochen von Carola Wiemers
Rolf Haufs: Tanzstunde auf See
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2010
94 Seiten, 14,90 Euro