Constanze Kurz ist Informatikerin, Sachbuchautorin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs
Das Comeback der Video-Überwachung
Sie ist wieder da! Ganz weg war sie ja nie, doch nach dem Anschlag in Berlin und den Ereignissen in Köln nimmt die Diskussion über die Ausweitung der Videoüberwachung wieder Fahrt auf. Sie funktioniert nach Verbrecherlogik. Es bleibt kein Platz für die verbrieften Rechte normaler Menschen.
Haben Sie schon mal eine Videokamera gesehen, die sich beherzt zwischen Opfer und Täter wirft?
Das ist natürlich eine rhetorische Frage, denn keine Kamera kann das. Insofern ist der aktuelle politische Ruf nach mehr Videokameras eine durchschaubare Symbolpolitik, die jeder, der klar denken kann, auch als solche erkennt. Trotzdem begründet die Bundesregierung ihr aktuelles "Videoüberwachungsverbesserungsgesetz" damit, dass mehr Kameras gegen "Terroristen und Straftäter" helfen.
Das scheint keiner weiteren Diskussion mehr zu bedürfen. Denn der Mythos ist weitverbreitet, dass Videoüberwachung gegen Verbrechen helfen würde. Das liegt insofern nahe, da eine Aufzeichnung einer Tat der Aufklärung zuträglich sein kann. Das macht zwar kein Verbrechen ungeschehen, aber es beruhigt irgendwie.
Manche Täter wollen gefilmt werden
Liest man die Begründung zu diesem Gesetz, steht darin geschrieben, dass ein Ziel der Täter bei Anschlägen an frequentierten Orten sei, "öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen". Wie der Fall des Anschlags von Anis Amri auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zeigt, ist das nur allzu wahr. Allerdings hat der Mann die ihn filmenden Kameras ganz aktiv wahrgenommen und gar mit ihnen interagiert und Gesten in Richtung der Linse gemacht: Er wollte gefilmt werden. Es war ein Weg, die öffentliche Aufmerksamkeit für sein Verbrechen noch zu erhöhen.
In dieser Logik können Kameras sogar zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beitragen, nämlich dann, wenn Täter Orte gerade deswegen aussuchen, weil sie sich gefilmt wähnen. Es gab schon mehrfach Gewalttäter, die absichtlich direkt vor Überwachungskameras zuschlugen – um sich hinterher mit den Fahndungsvideos zu brüsten.
Die Videoüberwachung funktioniert nur nach der Verbrecherlogik. Doch wenn man sich auf die Verbrecherlogik erst mal eingelassen hat, gibt es kein Zurück mehr. Es bleibt kein Platz mehr für all die ganz normalen Menschen, die jeden Tag, jede Minute von denselben Kameras eben auch gefilmt werden. Ein Teil von ihnen wird die Kameras wahrnehmen, manche werden sie übersehen. Ein Großteil der Passanten wird nicht wissen, wie hochauflösend die Bilder sein können, wie weit man hineinzoomen kann oder auf welchen Computern die Aufnahmen wie lange gespeichert werden.
Dauerberieselung mit Angst und Schrecken
Aber all die Menschen haben Rechte, auch wenn kaum ein Hahn mehr danach kräht bei der Dauerberieselung mit Angst und Schrecken, an die wir längst gewöhnt sind. Es sind verbriefte Rechte, die beispielweise im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sind: Jeder hat das Recht, dass seine Privatsphäre und die seiner Familie respektiert wird.
Wer die öffentlichen Räume – gerade die stark frequentierten – zu Überwachungszonen umbaut, passt unser Zusammenleben der Verbrecherlogik an und übergeht die Rechte der großen Mehrheit. Das auch noch mit dem Anschlag in Berlin zu begründen, muss jedem Zeitungsleser wie Hohn vorkommen. Denn der Täter wurde ja monatelang überwacht und von Geheimdienstlern durch die Gegend kutschiert, die hernach protokollierten, was Anis Amri von seinen Anschlagsplänen ausplauderte.
Der Anschlag wurde auch durch die intensive Observation nicht verhindert, wie wir wissen. Und wie der Verbrecher aussah, wussten gleich Dutzende Behörden. Aber der weitreichende Ausbau der Videoüberwachung wird uns trotzdem dreist als politische Lösung präsentiert.