Defizite im deutschen Sicherheitssystem?
Der Politologe Joachim Krause rät nach dem Anschlag von München, eine Kooperation von Polizei und Bundeswehr im Inneren sachlich zu prüfen. Insgesamt seien die Sicherheitsorgane in Deutschland aber gut aufgestellt.
Der Politologe und Sicherheitsexperte Joachim Krause hat nach dem Anschlag von München eine sachlichen Diskussion über eine mögliche Kooperation von Bundeswehr und Polizei im Inneren angeregt. Generell seien die Sicherheitsorgane in Deutschland aber gut aufgestellt.
"Zu lasch haben die Sicherheitsorgane nicht reagiert," sagte der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kiel und Direktor des dortigen Instituts für Sicherheitspolitik im Deutschlandradio Kultur.
Als Demonstration gegen den IS sehr gut
"Da wurde wirklich alles aufgefahren, was man auffahren konnte. Und das finde ich einfach als Demonstration auch ganz gut, weil es zeigt, wenn tatsächlich der IS es versuchen sollte, ein Kommando nach Deutschland zu schicken, um mit mehreren Leuten viele Menschen umzubringen: Ganz so einfach werden die es nicht haben."
Bundeswehr- und Polizei-Kooperation sachlich prüfen
Der Politologe riet dazu, Überlegungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren gelassener einmal abzuwägen, auch wenn aktuell ein Einsatz nicht notwendig gewesen sei. "Wir sollten nicht dogmatisch daran festhalten, dass Bundeswehr und innere Sicherheitsorgane so getrennt von einander arbeiten, das ist auf die Dauer nicht gut." Diese Regelung gehe auf Erfahrungen aus den 1920er und -30er-Jahre zurück. Diese seien aber vorbei. "Ich würde raten das man das Verhältnis dieser Sicherheitskräfte und die Möglichkeiten der Kooperation doch sehr viel gelassener einmal abwägt und überlegt, was könnte man dort verbessern."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es war Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der sich als einer der Ersten ausführlich äußerte nach den tödlichen Schüssen von München. Altmaier, auch zuständig für die Koordination der Geheimdienste, wird auch an der Sitzung des sogenannten Sicherheitskabinetts teilnehmen. Innenminister Thomas de Maizière, der gerade in New York angekommen war, ist gleich wieder ins Flugzeug gestiegen und nach Deutschland zurückgeflogen, denn natürlich werden die Ereignisse auch politisch diskutiert. Welche Reaktion die richtige ist, das versuche ich jetzt zusammen mit Joachim Krause herauszufinden, Professor für internationale Politik und Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel. Guten Morgen!
Joachim Krause: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Noch sind die Motive des Geschehens ja unklar oder weitestgehend unklar, dennoch vielleicht eine erste Einschätzung: War das Vorgehen der Münchner Sicherheitskräfte angemessen?
Polizeiapparat ist "zumindest in Bayern sehr effizient"
Krause: Ja, es war angemessen angesichts der Informationslage, und das wurde deutlich. In einer solchen Situation gibt es immer Informationen und Hinweise, bei denen man nicht weiß, ob sie stimmen, aber denen man nachgehen muss, denn ansonsten setzt man sich dem Vorwurf aus, dass man wichtigen Hinweisen nicht nachgegangen ist. Im Nachhinein war das vielleicht ein bisschen zu viel, aber andererseits hat es gezeigt, dass der Polizeiapparat zumindest in Bayern sehr effizient ist und dass sie in der Lage sind, innerhalb von wenigen Stunden über 2.000 Polizisten zu mobilisieren. Das ist schon eine große Leistung.
Welty: Nach Terroranschlägen setzt ja fast schon zwangsläufig, fast automatisch eine Debatte ein über schärfere Überwachungsmaßnahmen. In Würzburg und jetzt auch in München hatten wir es wahrscheinlich mit Einzeltätern zu tun, die in keinerlei Dateien vorhanden waren. Sehen Sie dennoch Defizite im deutschen Sicherheitssystem?
Erweiterte Überwachungsmaßnahmen sind keine Lösung
Krause: Es gibt immer Defizite, über die man immer diskutieren kann, aber ich bin auch der Meinung, man sollte solche Anschläge jetzt nicht als Anlass nehmen, um darüber zu diskutieren. Diese Defizite sind auch nicht so gravierend, dass man jetzt sagen muss, es muss alles anders werden, aber wir müssen davon ausgehen, es gibt eben Situationen und es gibt Täter, die sich zu einer Tat entschließen, aus welchen Gründen auch immer, ohne dass irgendjemand das mitbekommt, und das kann man auch nicht mit erweiterten Überwachungsmaßnahmen regeln. Das haben wir in Würzburg gesehen, wie das hier mit diesem Täter in München ist, das wird sich ja in den nächsten Tagen herausstellen, was das für Motive waren.
"Gefährdungslage, wie wir sie so noch nie gehabt haben"
Man muss die Fälle von Fall zu Fall unterschiedlich sehen, aber man muss auch sehen, wir haben eine Gefährdungslage, wie wir sie so noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehabt haben, auch nicht zu Zeiten der Roten-Armee-Fraktion. Also gerade, was islamistische Gefährder betrifft, da geht die Bundesregierung von einer Zahl von 400 bis 500 Menschen aus, die bereit und in der Lage wären, Anschläge auszuüben. Wenn man sich vorstellt, zur Zeit der Roten-Armee-Fraktion waren das ungefähr 30 bis 40.
Welty: Nach den Anschlägen von Paris, die ja einen terroristischen, einen islamistischen Hintergrund hatten, haben Sie konstatiert, die französische Regierung reagiere zu scharf, die deutsche zu lasch, wie fällt Ihre Standortbestimmung heute Morgen aus?
Gut als Demonstration gegen den IS
Krause: Ja, ich muss sagen, zu lasch haben die Sicherheitsorgane nicht reagiert, sondern da wurde wirklich alles aufgefahren, was man auffahren konnte, bis hin zum GSG 9. Also es zeigt, man ist inzwischen ganz gut vorbereitet, und das finde ich auch einfach als Demonstration ganz gut, weil es zeigt, wenn tatsächlich der IS versuchen sollte, ein Kommando hier nach Deutschland zu schicken, um mit mehreren Leuten viele, viele Menschen umzubringen, ganz so einfach werden die es nicht haben.
Welty: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann fordert bereits den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, was halten Sie von dieser Spielart, von dieser Möglichkeit?
Möglichkeiten einer Kooperation mit der Bundeswehr prüfen
Krause: Noch sind wir nicht so weit, dass das notwendig sein dürfte, aber wir sollten andererseits auch nicht dogmatisch daran festhalten, dass Bundeswehr und innere Sicherheitsorgane so völlig getrennt voneinander arbeiten – das ist auf die Dauer nicht gut. Das ist eine Regelung, die im Grunde genommen auf Erfahrungen basiert, die in den 20er- und 30er-Jahren gemacht worden sind, diese Zeiten sind sowieso vorbei. Also ich würde raten, dass man das Verhältnis dieser Sicherheitskräfte und die Möglichkeiten der Kooperation doch sehr viel gelassener mal abwägt und überlegt, was könnte man dort verbessern. Aber nach solchen Anschlägen ist immer die schlechteste Zeit, darüber zu diskutieren.
Welty: Wie sehen Sie die gesellschaftliche Komponente, müssen wir befürchten, dass Geschehnisse wie die eben in Würzburg oder in München zu einer Polarisierung in der Gesellschaft führen?
Nicht in hysterische Einstellungen verfallen
Krause: Ja, besonders der Anschlag von Würzburg, das ist natürlich sofort Wasser auf die Mühlen von Leuten, die gegen alle Muslime sind, die gegen alle Ausländer sind, die gegen Flüchtlinge sind und so weiter und so fort. Das kann natürlich leicht dazu führen, dass sich so Einstellungen verhärten, die dann dazu führen, dass Muslime mehr und mehr sich bei uns isoliert führen, und das ist natürlich genau die Spirale, die Organisationen wie der Islamische Staat oder El Kaida haben wollen oder die sie anstoßen wollen. So sehr ich das manchmal verstehen kann emotional, man muss sich von solchen Sachen loslösen und versuchen, wie gesagt Gelassenheit zu wahren, das ist das Beste, was man im Augenblick machen kann, und nicht versuchen, in irgendwelche hysterischen Einstellungen zu verfallen.
Welty: Eine sachliche Diskussion fordert Joachim Krause, Professor für internationale Politik, der das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel leitet. Danke nach Kiel!
Krause: Gern geschehen, Wiederschauen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.