Wer trägt die Kosten für heilsame, aber teure Therapien?
In Deutschland leiden schätzungsweise bis zu 2000 Menschen an einer genetisch bedingten Muskelerkrankung: der Duchenne Muskeldystrophie. Ein relativ neues, sündhaft teures Medikament hilft den Patienten. Doch wer übernimmt die Kosten?
"Die Vorstellung, dass unsere Kinder unheilbar krank sind und Tag für Tag die Muskelkraft schwindet, belastet uns schwer. Die Hoffnung auf Fortschritte in der Forschung ist daher groß."
Silke Hornkamps Sohn leidet an einer besonderen Form des Muskelschwunds– an der Duchenne Muskeldystrophie. Einer von 3500 männlichen Neugeborenen ist betroffen. Schon im Grundschulalter können die Kinder nicht mehr richtig laufen, später brauchen sie einen Rollstuhl, können irgendwann nicht mehr eigenständig atmen. Die meisten Betroffenen sterben im Alter von 20 bis 30 Jahren.
"Und jetzt, nach jahrelangem Mühen ist das erste Medikament zu haben, welches sich auf den weiteren Verlauf wohl positiv auswirkt und in Deutschland wird die Kostenübernahme abgelehnt. Das kann man schon fast persönlich nehmen. Sind es unsere Kinder nicht wert zu investieren?"
Translarna heißt das Medikament, von dem Silke Hornkamps spricht. Als Vorsitzende der Deutschen Duchenne-Stiftung kennt sie sich gut mit dem Medikament aus – auch wenn ihr eigener Sohn nicht für eine Translarna-Therapie in Frage kommt. Denn nur unter bestimmten Voraussetzungen hilft es – dann aber Studien zufolge merklich: Es verlangsamt den Krankheitsverlauf. Die Patienten können länger laufen, eigenständig atmen und sterben nicht so früh.
Aber: Das Medikament ist sehr teuer. Rund 350.000 Euro kostet laut Hersteller die Therapie pro Jahr. Weniger als die Hälfte waren die deutschen Krankenkassen bereit zu zahlen. Ein Dilemma – vor allem für die Betroffenen, denn weil es zu keiner Einigung kam, hat der Hersteller Translarna vom deutschen Markt genommen.
Kosten einer alternden Gesellschaft
Wie viel sind wir bereit für Arzneimittel zu zahlen?
Das Problem, das hinter dieser Geschichte steht, kennt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen nur zu gut.
"Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, wie viel ist sie bereit für Innovationen in der Pharmaindustrie auszugeben."
Mit dieser Frage beschäftigt sich Wasem in einer Schiedsstelle, die dann eingesetzt wird, wenn sich der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken nicht mit den Pharmaunternehmen auf einen Arzneimittelpreis einigen können.
Auch mit Translarna musste sich Wasem deshalb auseinandersetzen – und schaffte es letztlich nicht, zu einem Kompromiss zu kommen. Die darauf folgende Nacht habe er nicht schlafen könne, erzählt Wasem. Er wünscht sich, dass nicht nur er und kleine Gruppen an Beteiligten über die Grenzen des Möglichen nachdenken – sondern die gesamte Bevölkerung sich des Problems bewusst wird:
"Die Kernfrage ist, glaube ich: Gibt es so etwas wie eine Grenze, bis zu der wir bereit sind zu zahlen oder nicht. Andere Länder haben solche Grenzen. Die haben den Nachteil, dass sie zu Rationierung führen können, aber nur die Augen zu machen und zu sagen, wir brauchen so etwas gar nicht, ist auch schwierig."
Translarna ist ja nur ein Beispiel von vielen. Andere Medikamente, insbesondere in der Krebstherapie, sind auf dem deutschen Markt erhältlich – und zwar für ähnlich hohe Preise. Einige neue Krebsmittel kosten rund 100.000 Euro im Jahr. Viele von ihnen heilen nicht, aber sie verlängern das Leben um ein paar Monate. Und wieder stellt sich die Frage: Sind 100.000 Euro für ein paar Monate mehr Leben gerechtfertigt?
Wer bezahlt die Therapie-Kosten einer alternden Gesellschaft?
"Da müssen wir eine breitere Diskussion als bisher führen: Wie viel sind wir bereit für Zusatznutzen auszugeben. Das fängt damit an, dass wir glaube ich eine breitere Diskussion brauchen: Was sehen wir als Zusatznutzen an? Wie wichtig ist uns Lebensqualität im Verhältnis zu Lebensverlängerung?"
Generationskonflikt vermeiden
In einer Gesellschaft, die immer älter wird und tendenziell mehr Therapien gegen Krebs oder zum Beispiel auch Alzheimer braucht, werden wir irgendwann an den Punkt kommen, an dem es heißt: Können die jungen Erwerbstätigen die Therapie-Kosten der alternden Gesellschaft noch schultern?
"Wenn wir einen Generationenkonflikt vermeiden wollen und es kann da leicht darauf hinlaufen, dann sollten wir besser heute als morgen anfangen, die Diskussion zu führen, wie viel sind wir bereit für Arzneimittel zu zahlen."
Für Silke Hornkamp ist klar: Es darf nicht sein, dass Menschen früher sterben, weil ihnen Medikamente versagt werden. Sie findet,
"dass alle ein Recht auf Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung haben, sofern ein Mittel zur Verfügung steht."
Dieses Recht besteht übrigens auch im Fall der kleinen Duchenne-Patienten – wenn auch über Umwege. Denn der Gesetzgeber hat eine Hintertür für Streitfälle wie Translarna offen gelassen, erzählt Silke Hornkamp: Menschen mit einer lebensverkürzenden Erkrankung haben demnach ein gesetzliches Recht auf Medikamente, die ihnen helfen.
"Es sieht so aus, dass alle betroffenen Jungen hier in Deutschland das Medikament erhalten, allerdings wird es aus dem Ausland bezogen."