Nur ein Flügelschlag
In der Literatur wimmelt es von Insektenliebhabern, Schmetterlingsfängern und Fliegensammlern. Von der Verwandlung in eine Bettwanze ist zu lesen, vom mörderischen Treiben der Gottesanbeterin und ominösen Falterjagden.
Seit der Antike fasziniert der Schmetterling als sichtbarstes Zeichen der Verwandlung. In der wundersamen biologischen Metamorphose, bei der aus einer erdverhafteten Raupe ein schwereloser Zweiflügler entsteht, stecken Dynamik und Kraft. Seine fragile, ätherische Gestalt assoziiert aber auch Verletzlichkeit und Flüchtigkeit des Seins. Aus dem altgriechischen Wort für Schmetterling – psyche – entwickelte sich das Sinnbild für die menschliche Seele.
Stoff für Schmetterlings-Fantasien
Bereits 400 Jahre v. Chr. träumt der chinesische Philosoph und Dichter Dschuang Dsi einen bizarren Schmetterlingstraum, in dem sich die Polarität von Wahrhaftigkeit und Wahn spiegelt:
"Einst träumte Dschuang Dschou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: Da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschaung Dschou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge."
Der Schmetterling symbolisiert ein Stück Weltenergie und liefert damit für die Künste und die Musik, vor allem aber für die Literatur reichlich Stoff, um den Fantasien freien Lauf zu lassen.
Johann Wolfgang von Goethe fasst das Naturphänomen im Gedicht "Selige Sehnsucht" in ein poetisches Gleichnis. Mit philosophischer Eleganz werden die Glut verzehrender Liebesleidenschaft und die Versenkung des Künstlers in den schöpferischen Augenblick miteinander verknüpft. Das Bild des Schmetterlings, der in der Flamme verbrennt, ist in der persischen Liebeslyrik beheimatet.
Jagdstimmung statt Sinnlichkeit
Im 19. Jahrhundert scheint dieser Zauber plötzlich verflogen. Das sinnliche Symbol fällt einer Banalisierung zum Opfer und wird zum romantisierenden Dekor. Jagdstimmung kommt auf. Schmetterlinge, aber auch Insekten und Käfer werden eingefangen und - auf Nadeln gespießt - zu Schauobjekten. Nicht nur Entomologen, Insektenkundler, und Lepidopterologen, Schmetterlingskundler, auch die gemeinen Bürger staffieren sich in ihrer Freizeit mit einem zylindrischen Kupfergefäß aus, das, an einem Lederriemen geschultert, dem Sammeln von Insekten und Pflanzen, vor allem aber Schmetterlingen dient.
Der schwedische Naturforscher Carl von Linné erwähnt es 1751 erstmals in seiner "Philosophia botanica". Zur Grundausstattung botanischer Exkursionen gehören demnach:
"Mikroskop, Botanikernadel, Botanikermesser, Schreibblei. Dilleniussche Dose. Hierzu die Anmerkung Dilleniussche: ein halbzylindrischer, kupferner Behälter von neun Zoll Länge, mit gut schließendem Deckel, mit weiter Öffnung für die Hand und leicht konkaver, sich dem Oberschenkel anpassender Seitenwand; zur Aufbewahrung und Frischerhaltung der gesammelten, mit Wasser besprengten Pflanzen bis zum Abend."
Auffällig ist, dass zumeist Schriftsteller und deren männliche Protagonisten auf der Pirsch nach Insekten, Faltern und Käfern sind.
Schmähschriften gegen Lästerlinge
Während der Schmetterling als schönste Variante des Falters die Fantasie des Künstlers immer wieder beflügelt, sind die oft mit Abscheu wahrgenommenen Fliegen, Käfer und Raupen Anlass für Schmähschriften, in denen den störenden Lästlingen der Prozess gemacht wird. Exemplarisch dafür steht Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung", in der der Handlungsreisende Gregor Samsa aus unruhigen Träumen erwacht und sich in ein "ungeheueres Ungeziefer" verwandelt sieht.
100 Jahre nach Kafkas schauriger Version einer Metamorphose mit letalem Ausgang versucht der schwedische Schriftsteller und promovierte Philosoph Lars Gustafsson die gemeine Stubenfliege im Gedicht "Fichte an der Petroleumlampe" in ironischen Versen zu adeln:
"Die Petroleumlampe wurde angezündet.
Sie sah aus wie ein kleiner Leuchtturm (…)
Und um diese Lampe flog
ein wütendes kleines metallblaues Insekt."
Sie sah aus wie ein kleiner Leuchtturm (…)
Und um diese Lampe flog
ein wütendes kleines metallblaues Insekt."
Über die Werke Johann Gottlieb Fichtes gebeugt, glaubt er in der Gestalt des Insekts, dem Geist des Philosophen zu begegnen. Tier und Mensch fühlen sich gleichermaßen von der Lichtquelle angezogen. Für den einen ist sie der Ursprung des Lebens, für den anderen Beginn der Erkenntnis. In beiden Fällen symbolisiert die Flamme Anfang und Ende des Seins.
"Der Philosoph Fichte war irgendwie
dem dicken braunen Buch
auf dem Tisch entschlüpft,
in dem er allem Anschein nach wohnte.
Kreiste, bis ihn die Flamme verschlang.
Aber da war der Abend zu Ende."
dem dicken braunen Buch
auf dem Tisch entschlüpft,
in dem er allem Anschein nach wohnte.
Kreiste, bis ihn die Flamme verschlang.
Aber da war der Abend zu Ende."
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