Kunst und Elend am Mittelmeer
Ein deutsch-griechisches Unternehmerpaar will eine Brücke zwischen Kunst und Flüchtlingspolitik schlagen. So haben Kurt Schwarz und seine Frau in diesem Jahr die Künstlerin Nevin Aladag auf die griechische Insel Samos eingeladen, die dort mit einer Klanginstallation auf das Drama der Bootsflüchtlinge aufmerksam macht.
Pytagoreo auf Samos: Im Postkarten-idyllischen Hafen feiern Inselbewohner und Touristen den griechischen Freiheitskampf vor fast 200 Jahren, während auf der anderen Seite der Insel ein paar Hundert Flüchtlinge hinter Stacheldraht darauf warten, wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden. Nacht für Nacht werden es mehr: In diesem Sommer wagen im Durchschnitt 70 jede Nacht die Überfahrt vom türkischen Festland zur zwei Kilometer weit entfernten Insel. Die meisten kommen aus Syrien oder Afghanistan.
"Das ist 'ne Situation die sich auch hier abspielt, aber die sehen wir nicht. Die ist quasi unsichtbar."
Die Künstlerin Nevin Aladag macht die Situation der Flüchtlinge zumindest hörbar. In ihrer Klanginstallation "Hoch-Saison" wird die heitere Geräuschkulisse vom Strand in Pytagoreo unterbrochen von ängstlichen Stimmen und einem Schiffsmotor. Der Ort der Ausstellung liegt am Ende der Hafenpromenade, ein strahlend weißes ehemaliges Hotel aus den 70ern. Vor drei Jahren hat es die Schwarz Foundation gekauft und hier ihren "Art Space" eingerichtet.
"Der Kern ist, über die Kunst und einen erweiterten Begriff von Kunst, die Beschäftigung mit den Themen von heute, Stellung zu beziehen."
Chiona Xanthopoulou-Schwarz ist gebürtige Griechin. Als sie gemeinsam mit ihrem Mann, Spross einer Industriellenfamilie, die Stiftung ins Leben rief, ging es beiden vor allem um zweierlei:
"Das Problem mit den Flüchtlingen, die rüberkommen, und auch mit dem Thema Ost-West, Islam Christentum."
Nevin Aladag, die Gastkünstlerin in diesem Jahr, kam als kleines Kind mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Mittlerweile hat sie auf der ganzen Welt ausgestellt. In ihren Arbeiten thematisiert Aladag immer wieder Grenzerfahrungen, das Leben im Zwischenraum und die Sehnsucht nach einer Heimat.
Egal ob sie türkisch-stämmige Jugendliche nachts in einem Kreuzberger Park aufnimmt oder Musikinstrumente von Arbeitsmigranten an den Stränden von Sharja in den vereinigten Emiraten. Wind und Wasser spielen auf den Trommeln und Rasseln aus Indien und Afrika: meditative Soundcollage und Versinnbildlichung globaler Menschenströme in einem. Vor Ort in Samos hat Aladag noch eine zweite Videoarbeit gefilmt: Borderline.
Auf der Leinwand sieht man die Spur einer Schiffsschraube im Wasser. So als würde man selbst in dem Motorboot sitzen, mit dem die Künstlerin die Seegrenze zwischen Samos und der türkischen Küste abgefahren ist.
"Die Grenze auf der Oberfläche, die nach ein paar Metern verschwand."
Zu sechst in einem Schlauchboot: Ali aus Afghanistan hat es geschafft
Dazwischen wird immer wieder der Verlauf der Grenze als Radarbild eingeblendet mit dem Schiff als blinkendem Punkt. Eine Grenze: so flüchtig wie eine Schaumkrone auf dem Meer und für viele doch so unüberwindlich wie eine Hightech-Lichtschranke. Einer der es geschafft hat ist Ali.. Er gehört zur verflogten Minderheit der Hasara. Vor zehn Jahren floh er aus Afghanistan vor dem Krieg in seiner Heimat.
"Wir waren zu sechst in einem winzigen Schlauchboot. 1500 Euro mussten wir dem Schleuser bezahlen", erzählt er.
Und sein Schlauchboot wurde nicht, wie es immer wieder geschieht von der griechischen Küstenwache zurück aufs offene Meer gezogen und zum Kentern gebracht. Nach ein paar Wochen im Abschiebegefängnis wurde ausgestattet mit einem Ausreisebefehl wieder entlassen. Die meisten der Flüchtlinge schaffen es, sich nach Athen durchzuschlagen. Ali ist auf der Insel hängengeblieben Seitdem schlägt sich Ali als Bauarbeiter durch, immer am Rande der Legalität, mal bekommt er eine Aufenthaltserlaubnis für sechs Monate in seine Papier gestempelt, mal für drei Wochen.
"Wir sind wie Luft für die anderen, wie Abfall, wie ein kaputter Fußball, den man in die Ecke gekickt hat."
Kunst und der Alltag der Flüchtlinge prallen einen Tag nach der Vernisage auf einem Podiumsgespräch aufeinander. Es geht um Europas reale Grenzen und die symbolische Wahrnehmung von Ost und West. Ein türkischer Soziologe erinnert an die Vertreibung der Griechen aus Kleinasien nach dem ersten Weltkrieg und schlägt den Bogen zu den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in seinem Land. Eine griechische Kunsthistorikerin erzählt die wechselhafte Geschichte der Region. Da meldet sich ein Inselbewohner zu Wort und bittet um Sachspenden für die Flüchtlinge der letzten Nacht. Wenn die Politik versagt, was vermag da die Kunst, fragt die spanische Kuratorin Chus Martinez:
"Kunst kann vorstellen andere Logik und uns bringen eine andere Sprache , Bildungsformen und andere Wege über die Wirklichkeit zu denken in einer Art die uns noch unbekannt ist."
Kunst als Raum unerhörter Gedankenspiele.
"Es wäre ein Gedanke zu sagen, ja kommt ruhig. Es wäre ein Gedanke von Akzeptanz."
Martinez spricht von den Flüchtlingen in ihrer Heimat. Aber Spanien könnte man auch durch Europa, Griechenland oder Deutschland ersetzen.
"Wenn vielleicht Tausende von Menschen, überqueren die Grenze von Afrika nach Spanien, gibt es zwei Möglichkeiten: Zu denken, dass sind immer noch Afrikaner und keine Spanier und wir müssen uns trennen oder denken dass sie in dem Moment wo sie in Spanien sind, sind sie Spanier."
Samos, eine Ägäisinsel im Sommer: Die einen genießen die unbeschwerten Urlaubstage. Die anderen wollen ein Leben frei von Angst, Unterdrückung und Armut. Dazwischen eine Kunststiftung in der das scheinbare Unmögliche wenigstens gedacht wird. Aber was bleibt hier am Rande Europas anderes übrig, wenn die Politik mit ihren realen Möglichkeiten , schon längst gescheitert ist?