"Fließbandarbeit des Grauens"
Zu Beginn des Jahres hatte Facebook - auf politischen Druck - eine Firma in Berlin damit beauftragt, Facebook-Einträge auf illegale Inhalte zu kontrollieren. Über deren Arbeit hält sich der US-Konzern allerdings bedeckt. Die "Süddeutsche Zeitung" hat monatelang recherchiert. Das Ergebnis: Ein Protokoll fortwährender Überforderung.
Deutschlandradio Kultur hat mit Till Krause über die Aktion #InsideFacebook gesprochen. Er ist gemeinsam mit Hannes Grassegger Autor der Recherche.
Deutschlandradio Kultur: Was waren die schlimmsten Bilder, die Ihnen Ihre Quellen geschildert haben?
Till Krause: Es ist eine Art Fließbandarbeit des Grauens. Die Menschen beschreiben, dass sie in ihrem Job mit dem absoluten Horror konfrontiert sind: Kindesmisshandlung in Nahaufnahme. Folter. Sex mit Tieren. Gewalt, die so brutal ist, dass ich sie hier gar nicht wiedergeben will.
Deutschlandradio Kultur: Die Kriterien, nach denen Facebook Posts löscht, sind geheim. Wie sind denn nun die tatsächlichen Regeln?
Till Krause: Die sind sehr komplex und ändern sich ständig. Darum ist es oft auch für die Mitarbeiter sehr schwer, die Regeln richtig umzusetzen. Wir zeigen einen Ausschnitt der Regeln samt Erklärung hier. Uns hat nach Sichtung vieler interner Dokumente überrascht, was alles nicht gelöscht werden muss: Fotos von toten Menschen mit dem Kommentar: "Hängt diesen Mistkerl auf". Das gilt für Facebook als erlaubte Befürwortung der Todesstrafe. Wenn ein börsennotierter Konzern bestimmen kann, was 1.8 Milliarden Menschen jeden Tag zu sehen bekommen und was nicht, droht die Gefahr einer Art Parallel-Gesetzbuchs der öffentlichen Meinung. Ansätze gibt es bereits: In den internen Regeln zum Thema "Glaubhafte Bedrohung" steht, dass es erlaubt ist, "grausame und unübliche Strafen bei Verbrechen zu verfechten, die Facebook anerkennt - zum Beispiel: Hängt Kinderschänder." Nun ist es nicht Sache von Unternehmen, Verbrechen anzuerkennen. Und selbst Kinderschänder haben laut deutschem Grundgesetz eine unantastbare Würde.
Deutschlandradio Kultur: Was sind das für Menschen, die sich bei der Firma bewerben? Welche Motivation haben sie?
Till Krause: Nach unseren Recherchen sind es oft Menschen aus verschiedenen Ländern, die in Berlin gestrandet sind, oft sprechen sie kein Deutsch und suchen verzweifelt nach einem Job. Die Arbeit ist ja in Sprachteams aufgeteilt, darum wurden gezielt Leute aus anderen Ländern angesprochen. Auch Flüchtlinge aus Syrien machen diese Arbeit, also Leute, die dem Terror entkommen sind, und nun beruflich arabischsprachige Enthauptungsvideos sichten. Manche der Mitarbeiter sind sehr qualifiziert, unsere Quellen berichten von Leuten mit Doktortiteln, deren Ausbildung hier nicht anerkannt ist. Warum sie den Job machen ist schwer zu sagen - viele sicher, weil sie keine andere Arbeit gefunden haben. Bei einigen aus dem Nicht-EU Ausland hängt ihr Bleiberecht von dem Job ab. Andere brauchen einfach nur das Geld
Deutschlandradio Kultur: Welche Qualifikationen setzt die Firma bei einer Einstellung voraus?
Till Krause: Das wollten wir von Facebook auch wissen. Dort hieß es nur: "Dazu machen wir keine Angaben". Uns wurde berichtet, dass die Vorstellungsgesprächen oft nur nach Fremdsprachenkenntnissen gefragt wurde, und ob man einen Computer bedienen kann. Und es kam die Frage: Können Sie verstörende Bilder ertragen? Genauer beschrieben wurden diese Bilder laut unserer Quellen aber nicht.
Deutschlandradio Kultur: Werden die Mitarbeiter, die so schreckliche Dinge sehen, psychologisch betreut oder erhalten sie Supervision?
Till Krause: Alle unsere Quellen sprachen von psychischen Belastungen - und davon, dass sie sich mit ihrem Problemen nicht ausreichend betreut fühlen. Über die konkrete Betreuung wollten uns weder Arvato noch Facebook konkrete Details verraten - also ob Psychiater zur Verfügung stehen, die der Schweigepflicht unterliegen. Eine Quelle sagte sinngemäß: Ich erzähle noch nicht irgendeiner Sozialpädagogin meine intimsten Probleme, wenn ich nicht weiß, ob sie vielleicht zu meinem Chef geht und ihm alles berichtet.
Deutschlandradio Kultur: Die Firma zahlt Ihren Informationen zufolge wenig mehr als den Mindestlohn für diese beanspruchende Tätigkeit. Arvato ist ein Bertelsmann-Unternehmen - die Bertelsmann-Stiftung wiederum profiliert sich auch mit Studien zum Arbeitsmarkt. Passt das zusammen?
Till Krause: Das müssten Sie besser Bertelsmann fragen - aber deren Antwort würde auch uns interessieren.
Deutschlandradio Kultur: Es gab vor einigen Monaten schon einmal Berichte über Arbeiter auf den Philippinen, die genau diese Arbeit für einen Hungerlohn machen. Nun gibt es immerhin Beauftragte in Deutschland selbst. Ein Fortschritt?
Till Krause: Auch das lässt sich schwer sagen. Facebook nutzt das Löschzentrum in Berlin ja auch als Zeichen an deutsche Politiker: Seht her, wir unternehmen etwas. Aber wie es den Mitarbeitern geht, steht eben bisher nicht im Fokus. Ein schrecklicher Job ist immer schrecklich, ob auf den Philippinen oder in Indien oder Berlin. Aber in Deutschland gibt es Regeln, wie man mit Mitarbeitern umgehen darf oder wie man sie auf psychische Belastungen vorbereiten muss. Facebook und die Bertelsmann Tochter Arvato zeigen sich völlig intransparent, was ihre Arbeit angeht. Darüber sollte eine große Debatte stattfinden.
Das Interview führte Sandra Ketterer, Onlineredaktion
Zur Veröffentlichung des "Süddeutsche Magazins" nimmt Arvato auf unsere Nachfrage wie folgt Stellung:
"Arvato nimmt die Belange und das Wohlergehen seiner Mitarbeiter in seinen Tochterunternehmen ernst. Dazu zählen eine umfassende Gesundheitsfürsorge sowie Betreuungsangebote durch Betriebsärzte, Psychologen und den Betriebssozialdienst. Wir haben hohe Standards und vielfältige Maßnahmen implementiert. Diese entwickeln wir kontinuierlich und im offenen Dialog mit den Mitarbeitern und ihren Vertretern weiter. Insgesamt ist die Fluktuation in dem geschilderten Bereich gering."
Im Interview mit Deutschlandradio Kultur sagte der frühere Chef der deutschen Monopolkommission, Daniel Zimmer, er teile das Unbehagen vieler Menschen gegenüber der Macht der sozialen Netzwerke ein Stück weit. Dieses Unbehagen sei Anlass für eine größere Untersuchung der Monopolkommission gewesen, die der Frage nachgeht, was auf den digitalen Märkten tatsächlich passiert.