Bibellesen mit den Followern
07:55 Minuten
Kirche – das ist nicht nur das Gebäude mit dem spitzen Turm. Kirche gibt es auch digital. Oft in der Form einzelner, social-media-begabter Pfarrpersonen. Der evangelische Pfarrer Nico Ballmann ist einer von ihnen.
"Ich kenn Nico von Instagram. Ich habe ihn zufällig einfach auf Instagram irgendwie entdeckt, wahrscheinlich, weil andere ihm gefolgt sind oder so", meint Lasse, Besucher der Epiphanias-Kirche.
Und Katho ergänzt: "Ich bin selber hier in Bickendorf in der Gemeinde frisch dazugekommen und hab dann schon auf der Internetseite den Nico gesehen und dachte, ach schön, ein etwas jüngerer Pfarrer, weil ich grad so eher generell auf der Suche bin in der Kirche. Und dann habe ich gesehen, dass er bei Instagram ist, und musste ihm dann aber auch direkt folgen, weil er halt da sehr engagiert ist, frisch."
Privates Engagement wird öffentlich
"Schönen guten Abend. Herzlich willkommen zum Instapuls an einem ganz besonderen Tag. Und die... ersten kommen gerade rein… Vogelbusch, Sabi, Conny Maiglöckchen… schön, dass ihr alle da seid", heißt es in der Instagram-Veranstaltungen.
"Hauptsächlich bin ich auf Instagram unterwegs. Da arbeite ich eigentlich jeden Tag. Clubhouse ist jetzt neu dazugekommen. Twitter und YouTube sind dann relevant, wenn sie relevant sind, also wenn gerade irgendwie Diskussionen dort laufen. Aber hauptsächlich bin ich eigentlich eher auf Instagram."
Nico Ballmann, geboren 1987, ist evangelischer Pfarrer in Köln-Bickendorf. Privat ist er schon seit 2013 auf Instagram unterwegs, 2019 hat er angefangen, seinen Account auch beruflich zu nutzen.
"Ich habe irgendwann mein Profil mal auf ‚öffentlich‘ gestellt und nicht mehr auf privat und habe ein bisschen was über meinen Alltag als Pfarrer erzählt. Und plötzlich habe ich gemerkt, das interessiert irgendwie Menschen. Die Followerzahlen sind gestiegen und gestiegen und ich dachte, das ist ja ein Ding. Und dann habe ich das ein bisschen untersucht.
Es gibt ja diese Funktion bei Instagram, dass man das analysieren kann, wer da einem folgt. Und da kam raus, dass die Zielgruppe 20- bis 35-Jährige sind. Und das ist bei uns eigentlich genau die Zielgruppe, die wir mit Kirche sonst eigentlich nicht erreichen. Und dann dachte ich mir, Mensch, wenn das so funktioniert und da Menschen sind, dann muss man da irgendwas machen. Und dann habe ich da angefangen ein bisschen mit rumzuspielen, rumzubasteln und habe verschiedene Formate entwickelt."
Sinnfragen beim virtuellen Glas Wein
"Es ist faktisch 20:15, Sonntag Abend, ‚Auf ein Glas Wein mit‘, und ja, ich hoffe, ihr hattet ne schöne Woche… Bei mir war diese Woche echt wahnsinnig viel ...", erzählt Nico Ballmann wieder auf Instagram.
"Ein Format, das heißt ‚Auf ein Glas Wein mit‘. Das ist ein Diskussionsformat, da lade ich normalerweise eine Theologin und Theologen ein zu einem speziellen Thema. Wir trinken ein Glas Wein und reden darüber", erzählt Ballmann.
Und so hört sich das auf der Plattform dann an: "Bekka Ru hat ein Thema... es geht darum, neu im Christentum zu sein und ob einen das verändert. Das wäre zum Beispiel schon ein erstes Thema. Falls ihr noch andere Themen habt, dürft ihr euch natürlich gerne melden."
"Und Ziel davon ist es, dass theologisch komplexe Sachverhalte so einfach wie möglich erklärt werden", so Ballmann weiter. "Dass auch Menschen das verstehen, die nicht Theologie studiert haben und die vor allen Dingen vielleicht auch da etwas für ihr Leben mit rausnehmen. Für ihren Lebensalltag. Was hatten wir einmal gehabt? Die Frage, wer kommt eigentlich in die Hölle?
Und da haben dann Leute im Chat berichtet, dass sie ganz, ganz lange schon damit gehadert haben und wirklich Angst davor hatten, irgendwie etwas Schlimmes zu tun in ihrem Leben, weil sie große Angst vor der Hölle hatten. Und das dann aufzunehmen und zu sagen: Nein, wir glauben, es kommt gar keiner in die Hölle und wenn wir an einen Gott glauben, der alle Menschen liebt, dann ist das eigentlich etwas, was einen Menschen befreien sollte und nicht etwas, was einem Menschen Angst machen sollte."
Authentisch, keine Kirchen-PR
Neben den verschiedenen Gesprächsformaten gibt es auf Instagram auch reine Textnachrichten von Nico Ballmann zu lesen, auf die man in der Kommentarfunktion reagieren kann. Da geht es zum Beispiel darum, wer oder was Gott ist, welche Gottesbilder Glauben heute schwer machen oder darum, dass das Christentum ohne Übersetzung in eine moderne Sprache schwer vermittelbar ist.
Ansichten, die Nico Ballmanns persönlichen Glauben wiedergeben und vor Veröffentlichung nicht von höherer Stelle redigiert oder gar zensiert werden. Digitale Kirche, betont er gerne, ist weder ein evangelisches, noch ein katholisches oder sonst wie konfessionell gebundenes Projekt:
"Da bin ich tatsächlich, Gott sei Dank, absolut frei. Die meisten Leute, glaube ich, wissen auch gar nicht, was ich da eigentlich mache. Und ich bin damals hier hingekommen und hatte gesagt, ich würde gerne digitale Kirche machen. Und der Superintendent des Kirchenkreises sagte, ja, wunderbar, perfekt, machen Sie das. Und er wusste eigentlich auch gar nicht, was ich da mache.
Ich habe dem natürlich irgendwann mal erzählt, was ich da mache, damit er auch versteht, was ich da tue. Aber das würde das System digitale Kirche komplett boykottieren, wenn es von irgendwo Anweisungen geben würde, was da jetzt gepostet werden müsste, weil dann wäre es nicht mehr authentisch, dann würde ich ja einfach nur Sachen weiterleiten. Das klappt nicht."
Bibel-Lesegruppe als Reaktion auf fromme Kritik
Heute nehmen die Aktivitäten von Nico Ballmann auf Instagram und Co. 25 Prozent seiner Arbeit als Pfarrer ein. Was er zu sagen hat, stößt im Netz allerdings nicht nur auf offene Ohren, erzählt er:
"Viele Menschen, gerade aus der evangelikalen Ecke, sage ich mal, die andere theologische Einstellungen haben als ich, beispielsweise zur Homosexualität oder zum Sex vor der Ehe und so weiter und so fort, die haben sich immer wahnsinnig aufgeregt und mir ganz viel geschrieben, ich würde die Menschen zum Teufel verführen und in den Abgrund.
Und ein Satz kam immer wieder. Und zwar, warum ich nicht einfach mal die Bibel lesen würde? Das ist natürlich total witzig. Ich mein, ich bin Theologe, ich habe acht Jahre Theologie studiert, da ist die Bibel auch schon mal vorgekommen. Aber es kam immer wieder, sodass ich gesagt habe: Ich mache daraus jetzt mal ein Format und wir lesen jetzt einfach mal gemeinsam die Bibel. Und dann habe ich die Leute eingeladen auf Zoom und da treffen sich jetzt wöchentlich 45 bis 50 Menschen, die gemeinsam mit mir Bibel lesen und die verantwortlich auslegen."
Einfach vom Glauben erzählen
"Und das Schöne, guter Gott ist, was mich immer wieder mit Freude erfüllt, ist, dass wir alle so unterschiedlich sind. Und ich möchte dir danken für diese Gemeinschaft, die wir hier haben. Für das Miteinander, für das Vertrautsein, für die Offenheit, die immer wieder gegeben wird", sagt Nico Ballmann wieder in einer seiner Instagram-Veranstaltungen.
Bei seiner Kollegin Uta Walger, ebenfalls Pfarrerin in der Epiphanias-Gemeinde in Köln-Bickendorf, kommen die Onlineaktivitäten ihres Kollegen Nico Ballmann sehr gut an: "Ich finde das super! Und ich finde auch, das steht der Kirche gut zu Gesicht, sich dem zu öffnen und den digitalen Raum auch nicht anderen zu überlassen, sondern zu sagen: Auch hier kann man Glauben leben und ausbreiten und verkündigen, ohne übergriffig zu sein, sondern einfach nur die Dinge, die einem am Herzen liegen auch online zu erzählen. Mir gefällt das."
Instagram erreicht andere Gruppen als die üblichen
Manchmal führt der Weg aus dem digitalen Raum ja auch wieder zurück in den analogen Kirchenraum, wie bei Katho und Lasse, zwei jüngere Besucher einer Andacht in der Epiphanias Kirche:
"Ich bin tatsächlich eigentlich vor ein paar Jahren aus der Kirche ausgetreten, aber bin jetzt wieder so ein bisschen... ich schau einfach mal verschiedene Angebote an und schau, wie es weitergeht. Ich glaube, es ist natürlich jetzt auch einfacher, jemandem, der vielleicht nicht so viel mit Kirche zu tun hat, mal irgendeinen Instagram-Beitrag zu zeigen, als ihn direkt dazu zu bringen, mit in die Kirche zu gehen."
"Das ist mir einfach aufgefallen, dass durch Instagram ein Pfarrer, wie der Nico jetzt zum Beispiel oder sonst auch eine Pfarrerin, irgendwie ansprechbar wird, greifbar. Der sagt seine Meinung, aber auch auf eine sehr nette Art und Weise und hat auch Ideen, die, sag ich mal, mit der altbackenen Kirche, wie man sie sich sonst vorstellt, nichts zu tun haben, sondern einfach neu sind."