Der lange Weg ins Neuland
Was soll man bloß mit diesem Internet machen, fragt sich die Bundesregierung – und will deshalb ein Forschungsinstitut zu den großen digitalen Fragen unserer Zeit gründen. Die Wissenschaftler werden viel zu tun haben. Denn der digitale Wandel krempelt unsere ganze Gesellschaft um.
Das Internet verändert alles. Verändert das Internet alles?
"Deswegen muss uns klar sein: das Digitale ist politisch", sagt der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.
Und der Innenminister Thomas de Maizière von der CDU fragt:
"So, was sagen Sie da?"
Heftig wird gestritten, wenn es in der Politik um das Internet und die Digitalisierung geht. Was bedeutet das für Wirtschaft, Arbeit, Gesellschaft und für die Politik, die den Rahmen geben soll?
Eine Antwort darauf versucht die Bundesregierung mit ihrer im August vorgestellten "Digitalen Agenda" zu geben. Die Rede ist von praktischen Aufgaben: Wie kann man schnelles Internet für alle Bürger möglich machen? Und es geht um die Lösung von abstrakten Fragen: Wie soll mit internationalen Konzernen umgegangen werden, die in mehreren Rechtsregimen agieren?
Vieles bleibt vage. Und das hat einen Grund, sagt Philipp Müller, Lobbyist bei der IT-Firma CSC und Dozent am renommierten Pariser politikwissenschaftlichen Institut Sciences Po:
"Womit wir es eigentlich zu tun haben ist ja eine echte Zeitenwende und das Problem mit Zeitenwenden ist, dass wir in den Momenten der Veränderung meist gar nicht wissen, worauf wir hätten schauen sollen."
Aus technischen Entwicklungen ergeben sich neue Rechtsfragen
Denn Veränderung zu analysieren ist Aufgabe der Forschung. Während die Ingenieurwissenschaften und Informatiker auf viele der konkreten Fragen zur Digitalisierung Antworten haben, gilt für die großen, gesellschaftlichen Umbrüche:
"Spannende Ergebnisse kommen oft nicht aus den Disziplinen, wo wir sie erwartet haben, zum Beispiel aus der Informatik."
Stattdessen kämen wichtige Impulse oft aus ganz anderen Disziplinen:
"Oft zum Beispiel von den Juristen in den USA"
Aus technischen Entwicklungen ergeben sich neue Rechtsfragen. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte sind nur zwei Themen, bei denen die Entwicklung der Technologie und ihre Anwendung auf der einen und die des Rechts auf der anderen Seite unterschiedliche Geschwindigkeiten aufweisen.
Nadine Müller muss mit solchen Geschwindigkeiten umgehen, als Referentin für "Innovation und Gute Arbeit" beim Verdi-Bundesvorstand in Berlin. Aus ihrer Perspektive muss Forschung möglichst bald Antworten geben - zum Beispiel auf die Frage:
"Wie können wir Digitalisierungsprozesse voranbringen, immer im Hinterkopf habend, dass wir die Daten, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen schützen wollen?"
Sinnvoll wäre es, sagt Nadine Müller, diese Fragen nicht nur juristisch zu beantworten, denn derzeit gilt eher die Formel "Code is Law" des US-Rechtswissenschaftlers Lawrence Lessig: Nicht das Gesetz wird in Programmen abgebildet, sondern die Programme arbeiten nach ihren eigenen Gesetzen.
Aber noch viel mehr Fragen ergeben sich aus dem Wandel der Arbeit für die potenzielle Forschungsagenda des geplanten Instituts.
"Was fällt an Arbeit weg und wo wird neue Arbeit entstehen? Und welche Arbeit wollen wir zukünftig als Gesellschaft?"
Die Digitalisierung könnte einige Berufszweige gleich ganz infrage stellen:
"Es gibt Studien, die prognostizieren, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Hälfte der Jobs wegfallen sollen und darauf müssten wir natürlich gesellschaftlich eine Antwort finden."
Bremsen veraltete Gesetze neue Technologien aus?
Die Digitalisierung lässt kaum ein Berufsbild unberührt. Der KfZ-Mechaniker ist passé, nun heißt er Mechatroniker und muss sich mit elektronischen Steuerungen auskennen. Und ohne Word und E-Mails ist kaum ein Bürojob mehr denkbar. Damit sei auch die Frage verbunden, so die Verdi-Referentin Nadine Müller, wie eigentlich zukünftig Arbeitsorganisation aussehen könnte?
"Was ist eigentlich adäquat, wie organisiert man gut digitale Arbeit? Da können meines Erachtens nicht einfach alte Konzepte aus der Industrie übertragen werden."
Denn gute Arbeitsorganisation ist nicht nur entscheidend für die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens, sondern macht auch für die Arbeitnehmer einen Unterschied.
Ausgestattet mit Smartphone und Laptop kann überall und jederzeit gearbeitet werden. Welche Regularien sollten eingeführt werden? Brauchen wir in der Zukunft das Recht auf Nichterreichbarkeit? Welche Kompetenzen müssen Arbeitnehmer und Selbstständige in Zukunft mitbringen und wie kann dafür gesorgt werden, dass ältere Menschen nicht von der Schnelligkeit der Entwicklung abgehängt werden? Viele Fragen, die vom Institut in spe beackert werden sollten, meint Verdi-Referentin Nadine Müller.
Auch dem Bundesverband Deutscher Start-ups brennen Fragen unter den Nägeln, denen sich ein solches Institut annehmen könnte. Der Vorsitzende Florian Nöll sieht aber noch ganz andere Themen, die dringend erforscht werden müssten:
"Zum Beispiel die Frage, welche Gesetze in Deutschland nicht mit der Digitalisierung kompatibel sind. Wenn man das frühzeitig weiß, kann man frühzeitig agieren und läuft nicht Gefahr, dass neue Technologien, neue Innovationen ausgebremst werden durch Gesetze, die vielleicht schon fünfzig Jahre alt sind."
Forschung sollte aus der Sicht der jungen IT-Unternehmen auch bei der Unternehmensgründung betrieben werden: Wie sehen zukunftsfähige Anreize für Jungunternehmer aus, damit die ihre Ideen in Deutschland umsetzen? Wie können Hochschulen zu Gründerschmieden ausgebaut werden?
"Wie schafft man es unsere politischen Entscheidungsstrukturen so aufzustellen, dass sie in der Lage sind schneller und frühzeitiger auf solche Entwicklungen zu reagieren?"
Eine Frage, deren Beantwortung auch für die Bundesregierung interessant sein dürfte. Denn wenn eins klar ist, dann dass im Moment noch nichts klar ist. Was in dem Institut erforscht werden soll, da hat sich auch das Bundesforschungsministerium noch nicht entschieden. Und will deshalb mit Forschern genau diese Frage in den kommenden Monaten erforschen.