Institution für lebendiges Judentum
In Kassel wurde der Begründer der Lehrhaus-Idee, der Religionsphilosoph Franz Rosenzweig, vor über 125 Jahren, am 25. Dezember 1886, geboren.
Im Saal der Jüdischen Gemeinde im Souterrain der Kasseler Synagoge herrscht an diesem Sonntagmorgen eine Atmosphäre wie im Hochschulseminar. Die Tische sind zusammengerückt. Darauf ausgebreitet liegen Bibeln, Fotokopien, Schreibuntensilien. Die etwa 25 vorwiegend christlichen Gäste warten gespannt auf die Referenten. "Psalmen-Übersetzungen im Vergleich" lautet das Thema heute. Esther Haß vom Gemeinde-Vorstand wird von Rabbiner Shlomo Freyshist begleitet, der die Psalmen auf Hebräisch vorträgt.
Esther Haß hat die Idee, ein Jüdisches Lehrhaus zu gründen, von Franz Rosenzweig aufgegriffen. In Kassel, wo er 1886 zur Welt kam, fühlt man sich ihm besonders verpflichtet. Seit 25 Jahren gibt es an der Universität Kassel eine Franz-Rosenzweig-Gastprofessur. In diesem Jahr hat sie die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Liliane Weissberg von der University of Pennsylvania inne. Thema ihrer Antrittsvorlesung: "Franz Rosenzweig und das Jüdische Lehrhaus":
"Er wollte eine Institution gründen, die ein lebendiges Judentum vermitteln konnte, die sozusagen das Judentum neu für diejenigen entdeckte, die sich von Fragen der Religion oder der jüdischen Tradition total zurückgezogen hatten. Rosenzweig selbst hatte das Judentum auf Umwegen kennengelernt, über das Christentum, philosophisch, über seine Erfahrungen im Osten Europas in einem praktischen Sinne. Wie war es lebendig zu halten? Er erfand diesen Begriff eines freien jüdischen Lehrhauses, um zunächst einmal jedem Eingang zu verschaffen."
Rosenzweig entstammte einer angesehenen assimilierten deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, in der Religion wenig Platz hatte. Seinen Zugang zum Judentum fand er als junger Mann über eine Lebenskrise.
"Ich bleibe also Jude." Mit diesem berühmten Satz beendete Rosenzweig im Herbst 1913 eine intensive philosophische Debatte, die er mit seinen christlich-konvertierten Freunden und Verwandten geführt hatte. Die hatten ihm eine klare religiöse Positionierung abverlangt. Rosenzweig entschied sich für das Judentum und widmete sich von da an - aufgrund seiner eigenen Unwissenheit - dem (intensiven) Studium jüdischer Schriften. Er verzichtete auf die eingeschlagene akademische Karriere und machte es sich zur Aufgabe, sein Glaubensbekenntnis mit Leben zu füllen. Er wollte Wissen vermitteln und gleichzeitig einen religiösen Dialog führen. Er nannte das "Menschwerdung". Eva Schulz-Jander, Geschäftsführerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Mitherausgeberin einer neuen Rosenzweig-Biografie ist von Rosenzweigs Konsequenz beeindruckt:
"Also, er hat ja mit seinen christlichen - den konvertierten Freunden, jetzt sehr überzeugten Christen, nicht aus Opportunismus Übergetretenen, sondern wirklich aus Überzeugung - hat er ja den wirklich tiefsten christlich-jüdischen Dialog geführt, der je geführt wurde."
1920 ging Rosenzweig nach Frankfurt am Main, wo er die Leitung einer jüdischen Einrichtung für Erwachsenen-Bildung übernahm. Nach seinen Vorstellungen gestaltete er sie zu einem ideologiefreien Jüdischen Lehrhaus um. Jeder konnte sich ohne Aufnahmeprüfung einschreiben. In erster Linie richtete sich Rosenzweig an das liberale, assimilierte Judentum. Er reagierte auf dessen Verlust an Wissen um jüdische Traditionen und Religiosität, dem er Einhalt gebieten und zu Identitätsfindung und Umkehr aufrufen wollte.
Zwar geht Rosenzweig zusammen mit Martin Buber als Bibel-Übersetzer in die Geschichte ein, als sein wichtigstes Werk aber gilt die Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses. Der Zweck bestehe darin, so Rosenzweig "Klarheit in uns selbst zu gewinnen". Für Esther Haß ist Rosenzweigs Lehrhaus aktueller denn je:
"Die Zeit ist insofern reif für Lehrhäuser, weil gerade heutzutage von jüdischen Gemeinden aus eine Öffnung erfolgt, zu religiösen Schriften des Judentums, ganz besonders auch aus dem 20. Jahrhundert, weil da Vieles untergegangen ist oder gar nicht veröffentlicht werden durfte und auch in Israel wird jetzt gerade aus diesem Zeitraum ganz viel in die Universitäten getragen und dazu eröffnet."
Esther Haß hat die Idee, ein Jüdisches Lehrhaus zu gründen, von Franz Rosenzweig aufgegriffen. In Kassel, wo er 1886 zur Welt kam, fühlt man sich ihm besonders verpflichtet. Seit 25 Jahren gibt es an der Universität Kassel eine Franz-Rosenzweig-Gastprofessur. In diesem Jahr hat sie die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Liliane Weissberg von der University of Pennsylvania inne. Thema ihrer Antrittsvorlesung: "Franz Rosenzweig und das Jüdische Lehrhaus":
"Er wollte eine Institution gründen, die ein lebendiges Judentum vermitteln konnte, die sozusagen das Judentum neu für diejenigen entdeckte, die sich von Fragen der Religion oder der jüdischen Tradition total zurückgezogen hatten. Rosenzweig selbst hatte das Judentum auf Umwegen kennengelernt, über das Christentum, philosophisch, über seine Erfahrungen im Osten Europas in einem praktischen Sinne. Wie war es lebendig zu halten? Er erfand diesen Begriff eines freien jüdischen Lehrhauses, um zunächst einmal jedem Eingang zu verschaffen."
Rosenzweig entstammte einer angesehenen assimilierten deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, in der Religion wenig Platz hatte. Seinen Zugang zum Judentum fand er als junger Mann über eine Lebenskrise.
"Ich bleibe also Jude." Mit diesem berühmten Satz beendete Rosenzweig im Herbst 1913 eine intensive philosophische Debatte, die er mit seinen christlich-konvertierten Freunden und Verwandten geführt hatte. Die hatten ihm eine klare religiöse Positionierung abverlangt. Rosenzweig entschied sich für das Judentum und widmete sich von da an - aufgrund seiner eigenen Unwissenheit - dem (intensiven) Studium jüdischer Schriften. Er verzichtete auf die eingeschlagene akademische Karriere und machte es sich zur Aufgabe, sein Glaubensbekenntnis mit Leben zu füllen. Er wollte Wissen vermitteln und gleichzeitig einen religiösen Dialog führen. Er nannte das "Menschwerdung". Eva Schulz-Jander, Geschäftsführerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Mitherausgeberin einer neuen Rosenzweig-Biografie ist von Rosenzweigs Konsequenz beeindruckt:
"Also, er hat ja mit seinen christlichen - den konvertierten Freunden, jetzt sehr überzeugten Christen, nicht aus Opportunismus Übergetretenen, sondern wirklich aus Überzeugung - hat er ja den wirklich tiefsten christlich-jüdischen Dialog geführt, der je geführt wurde."
1920 ging Rosenzweig nach Frankfurt am Main, wo er die Leitung einer jüdischen Einrichtung für Erwachsenen-Bildung übernahm. Nach seinen Vorstellungen gestaltete er sie zu einem ideologiefreien Jüdischen Lehrhaus um. Jeder konnte sich ohne Aufnahmeprüfung einschreiben. In erster Linie richtete sich Rosenzweig an das liberale, assimilierte Judentum. Er reagierte auf dessen Verlust an Wissen um jüdische Traditionen und Religiosität, dem er Einhalt gebieten und zu Identitätsfindung und Umkehr aufrufen wollte.
Zwar geht Rosenzweig zusammen mit Martin Buber als Bibel-Übersetzer in die Geschichte ein, als sein wichtigstes Werk aber gilt die Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses. Der Zweck bestehe darin, so Rosenzweig "Klarheit in uns selbst zu gewinnen". Für Esther Haß ist Rosenzweigs Lehrhaus aktueller denn je:
"Die Zeit ist insofern reif für Lehrhäuser, weil gerade heutzutage von jüdischen Gemeinden aus eine Öffnung erfolgt, zu religiösen Schriften des Judentums, ganz besonders auch aus dem 20. Jahrhundert, weil da Vieles untergegangen ist oder gar nicht veröffentlicht werden durfte und auch in Israel wird jetzt gerade aus diesem Zeitraum ganz viel in die Universitäten getragen und dazu eröffnet."