Institution in Ostfriesland

Von Hartwig Tegeler |
1986 präsentierten "Stern"-Gründer Henri Nannen und seine Frau Eske die von ihnen über Jahrzehnte gesammelten Kunstwerke der Öffentlichkeit. In dem von ihnen gegründeten Kunsthalle Emden sind vor allem Werke aus der Zeit des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit zu sehen. Inzwischen ist das ostfriesische Museum zu einer künstlerischen Institution geworden.
"Ich sage jetzt mal ..."

Das vorweg mal über Emden ...
"Wir sind das einzige Museum mit einem Schiffsanleger, ja!"

Da wäre der neue Eingang. Neu seit Abschluss der vierten Umbauphase im Jahr 2007. Ilka Erdwiens, Pressefrau der Kunsthalle, ist würdevoll ´hindurchgeschritten´. Steht jetzt leicht am Anleger. Nun ´würdevoll´ grinsend.

"Vorsicht Stufe! Aber hier unten kann man auch wirklich mit seinem Bötchen anlegen. Hier starten auch die Rundfahrten mit dem Grachtenboot."

Tja, irgendwie ist alles etwas anders bei der Kunsthalle Emden. Das mit der Museumserfahrung vor allem.

"Also, die Emder haben auch alle kleine Boote. Die haben alle so eine kleine Nuckelpinne, und damit tuckern die auch durchaus mal ins Museum. Und dann legen hier Paddelboote oder Motorboote an."

Etwas anderes muss unbedingt auch vorweg geklärt werden: Wo ist das Bild mit den blauen Fohlen?

"Ja, das ist wohlverwahrt hinten im Depot. (...) Wir haben das Depot im hinteren Teil des Gebäudes, da kommen die Gäste so nicht hin, aber da ist jetzt unsere ganze Sammlung wohl verpackt eingelagert."

Franz Marcs Gemälde DIE BLAUEN FOHLEN von 1913 steht repräsentativ für die ´ganze Sammlung´, von der Ilka Erdwiens spricht und mit der STERN-Gründer Henri Nannen und seine Ehefrau Eske – beide gebürtige Emder – 1986 die Kunsthalle in der ostfriesischen Seehafenstadt gründeten. Im Jahr 2000 wurde der Schwerpunkt Klassische Moderne – Arbeiten beispielsweise von Nolde, Kokoschka oder Modersohn-Becker - durch eine Schenkung des Münchner Galeristen Otto van de Loo durch Kunstwerke aus der Zeit nach 1945 ergänzt. Von all dem – wie gesagt: Depot – ist auf den 1800 Quadratmetern Ausstellungsfläche bis Ende März fast nichts zu sehen...

Und am Anfang war ...

... Sondern Anderes.

... das Paradies.

Der Garten Eden ...

"Wir sehen hier in der Ecke so eine Art Dschungel, der aus der Ecke herauswächst, so auf Augenhöhe, vielleicht einen Meter hoch."

Alles Grün. Miniaturpflanzen, Schlingpflanzen, Moos.

"Ein echter Dschungel, wo man in Versuchung ist, da so rein zu schauen, in den kleinen Dschungelausschnitt, und man hat das Gefühl, das geht jetzt nach hinten noch endlos weiter."

Einige Gemälde und Installationen in der Emder Sonderaustellung mit dem Titel GARTEN EDEN – DER GARTEN IN DER KUNST SEIT 1900 wirken so sinnlich einladend, dass die Ausstellungsmacher vor den Kunstwerken ein Warnschild gehängt haben: Bitte nicht weiter treten! Fast 200 Objekte präsentiert die Ausstellung von Klassikern wie Paul Cézanne, Claude Monet oder Max Liebermann bis hin zu Werken Künstler jüngerer Generationen wie David Hockney oder Lee Friedlander. 200 Objekte, sagt Ilka Erdwiens, und Stolz schwingt in ihrer Stimme:

"106 Künstler. Nur einer weniger als in der documenta. Also, das sieht man schon die Größenordnung."

Apropos Größe. In einem der zahlreichen Räume der GARTEN-EDEN-Ausstellung ein fast Wand füllendes, hinterleuchtetes Dia des japanischen Künstlers Matsuyama. Eine Blumenwiese, schön bunt. Auf den zweiten Blick aber sieht man ...

"... dass da Blumen zusammen blühen, die jahreszeitlich überhaupt nicht zusammen gehören. Oder dass da links plötzlich Schnee zu sehen ist. Und wenn ich an Schnee denke, dann weiß ich, da können ja überhaupt nicht diese ganzen Blumen blühen. Wenn man dann auf diese Spur gesetzt wird, stellt man fest, dass es im Grunde das ganze Jahr mehr oder wenig auf einem Bild ist."

Matsuyama hat kein Foto gemacht, sondern eine faszinierende digitale Komposition. Um das aber zu erkennen, muss man mit diesem Kunstwerk, nun, anfangen zu ´sprechen´. In einen Dialog treten. Darum geht´s in Emden. Grundsätzlich.

"Das ist der Dialog, den wir im Grunde als roten Faden in unserer Arbeit immer in den Mittelpunkt stellen."

Eine andere Form solchen Dialogs findet in der Besucher-Lounge mit ihrer riesigen Fensterfront statt; es ist ein Dialog zwischen dem Besucher, der Architektur der Kunsthalle und der Stadt Emden. In der Lounge, ausgestattet mit Sofa, Tisch, Stühlen – auf dem Tisch Stapel von Kunstbänden; Ort der Stille, des Innehaltens – bekommt man den Eindruck, als provoziere das Museum hier den Blick hinaus ... und damit nach Emden hinein.

"Das ist genau die Aussage, die die Architektur dazu treffen soll."

Das Museum – Teil der Stadt.

"Ja, es fügt sich ein."

Eske Nannen, die die Kunsthalle seit dem Tod ihres Mannes 1997 leitet, mit dem Credo des Hauses:

"Eine lebendige Begegnungsstätte zwischen Bildern und Bürgern. Ich glaube, das haben wir jetzt, trotz der Größe, Vierter Bauabschnitt, erhalten. Es ist so, der Besucher kommt rein und soll das Gefühl haben: Du bist hier willkommen!"

"(...) Es soll nicht der etwas abgehobene Musentempel sein, wo man sich als Besucher erstmal ganz klein fühlt."

Fügt die Ilka Erdwiens, die Pressefrau, hinzu.

"Ich glaube, wir haben es geschafft, ganz viele Menschen mal ins Haus zu bekommen, und ich bilde mir jetzt mal ein, dass (...) die Leute, die hier in der Region wohnen, haben inzwischen eine gewissen Stolz entwickelt, dass das Haus hier ist. In ihrer Gegend."

Und wann wird das Haus mit dem Namen Kunsthalle Emden denn endlich richtig Museum heißen, so, wie sich´s gehört?!

"Ich glaub nie."

Lacht sie doch einfach!


In Kooperation mit dem Deutschen Museumsbund stellt Deutschlandradio Kultur im Radiofeuilleton jeden Freitag gegen 10:50 Uhr im "Profil" ein deutsches Regionalmuseum vor. In dieser Reihe wollen wir zeigen, dass auch und gerade die kleineren und mittleren Museen Deutschlands unerwartete Schätze haben, die es sicht lohnt, überregional bekannt zu machen und natürlich auch zu besuchen.