Ganztagsunterricht gefährdet Musikschulen
Länder und Kommunen täten gut daran, Musiklehrer an Schulen besser zu bezahlen und den Musikschulen nicht das Wasser durch Ganztagsunterricht abzugraben, rät Orchestermusiker Klaus-J. Rathjens. Talentförderung brauche "Leistungszentren".
Als in den 70er- und 80er-Jahren kommunale Musikschulen geschaffen wurden, hatte dieses gute Gründe: Musisch Begabte sollten nicht mehr nach Fachlehrern suchen müssen, vielleicht gar keine finden oder nur solche, die nicht fundiert ausgebildet waren.
Musikschulen garantieren qualifizierten Unterricht. Zugleich entwickelten sie sich zu kulturellen Zentren von Städten und Regionen, zu Häusern, in denen nichts weiter heimisch ist als Musik, als Kunst. Nicht nur qualitativ, auch quantitativ waren sie erfolgreich. Derzeit bilden sie bundesweit etwa eine Million Schüler aus.
Doch ihr Konzept, musikalischen Nachwuchs heranzuziehen, ist gefährdet. Viele allgemeinbildende Schulen dehnen ihren Unterricht auf den Nachmittag aus und bieten zusätzlich ein vielseitiges Programm, die Freizeit zu gestalten, darunter auch Musikunterricht.
Ganztagsschulen zu schaffen, mag pädagogisch attraktiv und gesellschaftspolitisch sinnvoll sein, nicht aber, den kleineren Musikschulen damit das Wasser abzugraben.
Problematisch stellt sich die strikte Anwesenheitspflicht dar. Der Schüler darf Nachmittagsstunden nicht außerhalb der "gebundenen Ganztagsschule" verbringen, auch nicht um ein Instrument zu lernen, nicht einmal um an einer Orgel zu üben, die er meist nur in einer benachbarten Kirche finden wird.
Zahlreiche Formen der Kooperation
Warum – so muss man fragen – kann diese Regelung nicht flexibler ausgelegt werden? Warum ließe sich nicht beides miteinander kombinieren und wahlweise externen Musikunterricht in den schulischen Stundenplan einbauen? Trainieren doch auch jugendliche Sporttalente nicht nur auf den Anlagen der Schule, sondern in ihren Vereinen.
Nun sind Musikschulen durchaus auf Ganztagsschulen zugegangen. Deren Interesse war zwar unterschiedlich groß, aber mittlerweile gibt es zahlreiche Formen der Kooperation. Ihnen ist nur leider gemeinsam, dass sie oft einseitig angelegt ist.
Die Instrumentallehrer schwärmen aus, um an verschiedenen Schulen in einer Atmosphäre von Mathe, Englisch, Werken und Nachhilfe zu unterrichten. Sie hinterlassen dagegen verwaiste Räume in ihren Musikschulen, deren künstlerisches Flair von übenden Geigen und Flöten, Klavieren und Schlagzeugen erstirbt.
Als "Handlungsreisende in Sachen Musik" zu arbeiten, kostet sie Zeit, Benzin und Einkünfte. Häufig sind sie freiberufliche Honorarkräfte, viele davon Musiker, die ja nur nachmittags mit Unterrichten ihr Geld verdienen können. Übrigens: Auch wenn Ganztagsschulen selbst solche Musikpädagogen beschäftigen, zahlen sie meist nur eine geringere Vergütung für sie, da man in ihnen minder qualifizierte Betreuer sieht.
Stark sinkende Einnahmen für Musiklehrer
Kaum ein anderer Berufsstand hat in den letzten Jahren derartig sinkende Einnahmen hinnehmen müssen wie Musiker. Mehr als zutreffend beschreibt das plakative Reden vom "künstlerischen Prekariat" die deutschen Verhältnisse.
Hängen unsere Bildungspolitiker dem Glauben an, dass allgemeinbildende Schulen die omnipotenten Institutionen für alles das darstellen, was deren Schüler für ihr späteres Leben benötigen?
Der Wert der musischen Betätigung sollte doch auch ihnen bekannt sein: Langzeitstudien belegen, dass sich ein Instrumentalunterricht auf alle lernintensive Gebiete positiv auswirkt. Vom "Humboldtschen Bildungsideal" ganz zu schweigen.
Mit viel Elan wurden Wettbewerbe wie "Jugend forscht", "Jugend trainiert für Olympia" und eben auch "Jugend musiziert" etabliert. Talente fördern zu wollen, setzt Freiraum im dichtgedrängten Tagesplan voraus. Begabte unterstützen zu wollen, verlangt "Leistungszentren".
Schulen verfügen über naturwissenschaftliche Labors, vielleicht auch über ausreichend Sportstätten. Eine städtische Musikschule aber können sie nicht ersetzen.
Klaus-J. Rathjens studierte Kirchenmusik an der Hamburger Musikhochschule und war Leiter der Schauspielmusik am Schleswig-Holsteinischen Landestheater. Es folgten Engagements als Korrepetitor und Kapellmeister an Opernhäusern, Theatern, auf Tourneen und Festivals (Rossini-Festspiele, Ludwigsburger Schlossfestspiele). Parallel dazu arbeitet er als Arrangeur und Komponist, schrieb Bühnenmusiken, u.a. zur deutschsprachigen Bühnenfassung des Disney-Films "Das Dschungelbuch", sowie weihnachtliche Klarinettentrios. Interessiert am "Crossover" arrangierte er für sein Pop-Rock-Trio und das Hamburger Sinfonieorchester den Genre-Klassiker "Pictures at an Exhibition".