Inszenierung von Götz Friedrich

Abschied vom Berliner Nibelungen-Tunnel

Eine Ensembleszene aus Richard Wagners "Ring des Nibelungen" in der Inszenierung von Götz Friedrich aus dem Jahr 1984 an der Deutschen Oper Berlin, aufgenommen bei der Wiederaufnahme im Juni 2001
Eine Ensembleszene aus Richard Wagners "Ring des Nibelungen" in der Inszenierung von Götz Friedrich aus dem Jahr 1984, aufgenommen bei der Wiederaufnahme im Juni 2001 © imago / DRAMA-Berlin.de
Von Maria Ossowski |
Eine Legende verschwindet nach 33 Jahren: An der Deutschen Oper Berlin wird zum allerletzten Mal Richard Wagners "Ring des Nibelungen" in der Inszenierung von Götz Friedrich aufgeführt. Das Tunnel-Bühnenbild geht auf den Schrott, die Requisiten werden versteigert.
"Jede Gestalt ist einst und jetzt. Anfang heißt Ende und das Ende ist der Neubeginn." So hat Götz Friedrich 1984 seinen "Ring des Nibelungen" im dunklen Tunnel erklärt und eine Regielegende geschaffen. Es herrschte zur Premiere die Zeit der Angst vor dem Atomkrieg. Deshalb haben die Götter sich unter die Erde begeben. Der Dramaturg Curt Rösler hat damals mit Friedrich zusammen gearbeitet und erinnert sich:
"Das war die Zeit des Nato-Doppelbeschlusses. Wir hatten zwar alle die Hoffnung, es wird nie passieren. Aber wir wussten alle, es kann passieren, es kann einen Nuklearschlag geben."
Die Gefahr sei realer gewesen. Deswegen sei es klar gewesen, dass Protagonisten auf der Opernbühne Menschen darstellten, die sich vor dem Atomschlag unter die Erde gerettet hätten.

Tunnelkonzept von einer Postkarte inspiriert

Eine Postkarte von einem Tunnel in Washington hat Friedrich auf die Idee gebracht, sein Konzept ein dreiviertel Jahr vor der Premiere komplett umzuschmeißen. Ein Tunnel musste her, der unendlich lang wirkt. Die Bühnentechnik hat fast ununterbrochen gearbeitet, die Spielleiterin Gerlinde Pelkowski war damals Beleuchterin:
"Er wusste einfach von Anfang an, was er wollte. Er hat 'Rheingold' in drei Wochen gemacht und drei Wochen später ist 'Walküre' rausgekommen. Heutzutage schafft das, glaube ich, kein Regisseur, in sechs Wochen zwei Premieren rauszubringen. Er wusste einfach, was er wollte. Die Röhre stand die ganze Zeit vom ersten Probentag an, sodass wir immer tagsüber beleuchtet haben."
Am Abend habe man geprobt, so Pelkowski.
Der Ring aus dem Rhein, der Macht gibt und Reichtum, aber eben keine Liebe, er wandert von Göttern zu Halbgöttern und zurück in den Rhein. Zwischendurch verstößt Wotan seine Walkürentochter, die Siegfried gerettet hat und die ihn später liebt - eine Riesenstory, die in einer Riesenröhre 16 Stunden zum Opernkrimi macht.

30 Sattelschlepper für den Transport

Der technische Direktor Uwe Arsand managt diesen auch bühnenbildnerischen Ausnahmezustand:
"Wir sind hier in 70 Metern Entfernung vom letzten Zuschauerplatz. Das ist hier das Tunnelende, wo wir uns gerade befinden. Der Tunnel hat eine Länge von 34 Metern insgesamt, eine Spielfläche von 390 Quadratmetern."
Alleine 30 Sattelschlepper seien benötigt worden, um alles in neun Tagen in die Deutsche Oper zu bewegen.
1500 Arbeitsstunden allein in drei Tagen waren nötig, um Brandpasten in die Bodenlöcher für das Ende der "Walküre" zu füllen, oder um die Schmiede im "Siegfried" auf die Wippe zu setzen.

Kraftakt auf riesieger Bühne

Dann ist das Schwert fertig und Siegfried kann mit Nothung in den Kampf gegen einen Technodrachen ziehen, ein Monstrum von vielen Tonnen, das extra gesichert sein muss, damit der Drache nicht in den Orchestergraben fällt.
Nur an der Deutschen Oper mit ihrer riesigen, tiefen Bühne ist so ein Kraftakt möglich. Wenn dann der eiserne Vorhang sich hebt, haben alle Herzklopfen, auch Abendspielleiterin Gerlinde Pelkowski, die das Copyright von Friedrichs Produktion hütet:
"Meistens haben die Sänger auch Herzrasen, weil sie sich auch sehr wohlfühlen. In dem Tunnel fühlt man sich in jedem Fall wohl, weil er akustisch unterstützt. Es wird die Geschichte des Rings erzählt, da können die Sänger sich auch darauf verlassen. Das ist heute ja auch nicht immer selbstverständlich."
Außerdem wüssten die Sänger immer, dass der "Ring" toll werde.

Kreischende und buhende Wagnerianer

Bei den Premieren 1984 war der Erfolg noch nicht so sicher. Ich erinnere selbst, wie die Wagnerianer in einen Buh- und Kreischrausch verfallen sind, als die Walküren in Lederklamotten die Toten Helden bestiegen und an Stangen tanzten. Und erst Wotan, der Gottvater. Der weltbeste Bassbariton seiner Zeit, den auch Bayreuth buchen wollte, aber: Simon Estes war ein Schwarzer! Der Dramaturg Curt Rösler erinnert sich:
"Es gab so eine kleine Absprache zwischen Götz Friedrich und Wolfgang Wagner, dass Götz Friedrich Simon Estes als Erster bekommt und dass wir hier in Berlin dieses Zeichen setzen. Es geht auch mit einem Afroamerikaner als Wotan."
Dies habe natürlich auch große Opposition hervorgerufen und die Wagnerianer seien nicht amüsiert gewesen, erinnert sich Rösler an den Widerspruch:
"Der Lichtalbe, das muss ein Weißer sein. Er muss ein nordischer Gott sein, das geht nicht!"
Den Siegfried damals hat unvergessen für jeden Wagnerfan René Kollo gesungen.

Nach Ostern kommt die Entsorgungsfirma

33 Jahre "Friedrich-Ring" an der Deutschen Oper, eine Inszenierung, die alle lieben, die Götz Friedrich aber selbst gerne noch zu Lebzeiten abgesetzt hätte. Es reiche irgendwann, meinte er. Und der Ring endet jetzt erst 17 Jahre nach seinem Tod. Auch das Bühnenbild ist in die Jahre gekommen. Überall halten schwarze Klebestreifen den Tunnel zusammen, es kracht und quietscht hin und wieder auch während der Vorführungen. Und deshalb kommen nach dem Ostermontag die blauen LKWs der Entsorgungsfirma ALBA und der Ringtunnel ist endgültig Geschichte.
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