Die psychosoziale Gesundheit von Migranten
Fast 17 Millionen Einwanderer leben in Deutschland. Eine Forscherin der Berliner Charité erforscht ihren psychosozialen Gesundheitszustand. Sie denkt, die Integration neuer Migranten sei nur möglich, wenn wir mehr über ihre Probleme wissen.
"Schouler-Ocak, hallo, ja - das hab ich in die Post gegeben – Sie wollten die Statistiken wissen?"
Meryam Schouler-Ocak ist vielgefragt und vielbeschäftigt. In ihrem Büro der Charité in Berlin-Mitte klingelt das Telefon ohne Unterlass.
"Das geht hier so den ganzen Tag wahrscheinlich, oder?"
"Das ist immer so, es ist furchtbar, manchmal wenn keine Sprechzeiten sind ist es ruhig, dann komme ich ganz gut zum Arbeiten, aber ansonsten ist es oft so."
"Das ist immer so, es ist furchtbar, manchmal wenn keine Sprechzeiten sind ist es ruhig, dann komme ich ganz gut zum Arbeiten, aber ansonsten ist es oft so."
Die Wissenschaftlerin leitet die Arbeitsgruppe Interkulturelle Versorgungs- und Migrationsforschung. Seit inzwischen mehr als zehn Jahren forscht sie zu Themen der psychosozialen Gesundheit von Menschen mit Migrationsgeschichte.
"Also wir gucken zum Beispiel: Wie ist die Inanspruchnahme von bestimmten Leistungen von Patienten, die einen Migrationshintergrund haben, im Vergleich zu Einheimischen?"
Wie gehen Ärzte, Schwestern, Krankenpfleger und Krankenkassen mit Patienten mit Migrationshintergrund um? Wie gut – beispielsweise – sind sie vorbereitet auf Sprachprobleme und kulturgebundene Unterschiede? Die Antwort – so zeigt eine Reihe vergangener Untersuchungen der Forschergruppe, um die interkulturelle Kompetenz im Gesundheitswesen steht es: Eher schlecht.
"Wir haben ja bereits seit Mitte der 50er Jahre Arbeitsmigranten hier, bereits in 4. Generation und wir haben es nicht geschafft Strukturen zu schaffen, in denen die Integration in das Gesundheitssystem oder die Aufnahme dieser Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen hinzubekommen. Es gibt einzelne spezifische Zentren, es gibt sehr viele Player, so wie mich in diesem Feld, aber es gibt keine eigentlich strukturellen Vorgaben. Heißt, wir reden immer über interkulturelle Öffnung der Einrichtungen, wir reden immer über die Qualifizierung der Mitarbeiter im Gesundheitssektor, aber das wird nirgendwo so richtig durchgeführt."
Kaum Infos über Folgen der Gesundheitssituation
Zudem, kritisiert Meryam Schouler-Ocak: Es gäbe zwar viele regionale Berichte und Einzeluntersuchungen. Epidemiologische Studien – also bevölkerungsweite umfassende Datenerhebungen zu Ursachen und Folgen der Gesundheitssituation von Migranten und ihren Nachkommen – fehlten jedoch. Vor allem: zur psychischen Gesundheit und Gesundheitsversorgung von Migranten. Projekte der Forschungsgruppe widmen sich daher unter anderem auch:
"Der Suizidprävention von Frauen mit türkischem Migrationshintergrund der interkulturelle traumazentrierten Psychotherapie"
"Depressionen bei älteren Migranten der ersten Generation in Europa"
"Oder ganz aktuell..."
"Depressionen bei älteren Migranten der ersten Generation in Europa"
"Oder ganz aktuell..."
...den Identitätskonzepten und Moralvorstellungen von Migranten der zweiten oder dritten Generation in Deutschland
"Das läuft noch, da sind die Ergebnisse noch nicht vorliegend, ich will da nicht zu viel vorgreifen, weil, das soll ja auch wissenschaftlichpubliziert werden."
Klar ist aber schon jetzt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit von Migranten – und einer gelingenden Integration. Und die Versäumnisse der Vergangenheit sind eine Ursache der aktuellen Probleme mit Geflüchteten:
"Genau auf diese Situation pfropft sich jetzt die Gesundheitsproblematik der Flüchtlinge und Asylbewerber drauf. Heißt: dadurch, dass sie jetzt gekommen sind, und in dieser großen Zahl gekommen sind, haben die Einrichtungen gesagt: Oh Gott wir sind überhaupt nicht drauf vorbereitet, natürlich sind sie nicht!"
"Sie waren vorher auch nicht drauf vorbereitet auf die Migranten. Genau in diesem Bereich wurde ja oft immer gespart oder man hat die Erfordernis gar nicht gesehen oder wollte es nicht sehen, oder oder..."
"Sie waren vorher auch nicht drauf vorbereitet auf die Migranten. Genau in diesem Bereich wurde ja oft immer gespart oder man hat die Erfordernis gar nicht gesehen oder wollte es nicht sehen, oder oder..."
Kulturgebundene Kommunikationsprobleme
Nach wie vor etwa gebe es keine einheitliche Kostenregelung für den Einsatz von Dolmetschern bei Arztbesuchen.
"Dann hieß es: na ja sollen sie doch Deutsch lernen! Ist doch kein Thema"
"Aber die Sprache ist es gar nicht."
"Dann hieß es: na ja sollen sie doch Deutsch lernen! Ist doch kein Thema"
"Aber die Sprache ist es gar nicht."
Schon seit 2008 beispielsweise liegen die Ergebnisse einer umfassenden Studie aus 12 großen deutschen Krankenhäusern vor, aus denen deutlich wird: Wenn Kommunikationsprobleme auftreten zwischen Migranten und Ärzten – dann liegt das nicht nur an der Sprachbarriere.
"Bei 27 Prozent wurden sprachgebundene Kommunikationsprobleme berichtet aber bei 38 Prozent kulturgebundene. Heißt also: kulturgebundene Dinge sind viel gewichtiger im Alltag. Dass heißt, dass wissen wir seit vielen Jahren - ich erzähl das auch immer überall."
Menschen aus anderen Kulturen leiden anders, ihr Symptomempfinden und die Art, wie sie Krankheitssymptome beschreiben, sind stark von der Kultur abhängig, aus der sie kommen. Sie haben andere Erwartungen an eine Behandlung und gehen anders mit Therapeuten um. All das ist wichtig zu verstehen – gerade auch auf der Suche nach einem angemessenen Umgang mit aktuell Geflüchteten, die in hoher Zahl auf ärztliche oder therapeutische Hilfe angewiesen sind.
Versteht man es nicht – wird Integration nicht gelingen:
"Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, Angststörung Posttraumatische Belastungsstörung, Zwangsstörung, sie können natürlich in die Schulen gehen, Sprachschulen, Kurse – aber sie können es gar nicht aufnehmen und auch gar nicht verarbeiten, weil sie haben Konzentrationsprobleme. Sind vergesslich, d.h. die Funktionen im kognitiven Bereich sind nicht abrufbar wie bei einem gesunden Menschen."