Und was glaubst du?
Kann interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten und Grundschulen dazu beitragen, dass Geflüchtete besser ankommen? Die Hochschule Emden/Leer widmet dieser Frage ein Forschungsprojekt.
Die Kindertagesstätte der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde im Emdener Stadtteil Borssum. Mittagszeit in der Cafeteria. Sie liegt im Zentrum des Hauses, jeder, der kommt oder geht muss den Raum durchqueren. Jeder kann also auch den kleinen Extratisch sehen, der dort seit dem vergangenen Jahr steht. Auf ihm sind ausgestellt:
Kinder: "Ein Kreuz. – Ein Martin-Luther-Bild. – Ein Kirchenschlüssel. – Die Bibel. – Eine Kerze. – Ein Becher. – Eine Martin-Luther-Spielfigur. – Von Playmobil."
Gertraud Reeners: "Also zu unserem Tisch werden weitere Sachen noch, sei es zum Abendmahl oder auch weitere neue Bücher hinzukommen, auch vielleicht dann wichtige Dinge, die zum Beispiel zum Islam gehören."
Gertraud Reeners ist die Leiterin der Kindertagesstätte. 123 Kinder werden hier betreut. Jedes sechste kommt aus einer Zuwanderer- oder Flüchtlingsfamilie. Auch die religiöse Identität dieser Kinder, ob sie nun aus Syrien kommen, aus dem Irak oder Afghanistan, soll im Kita-Alltag vorkommen. Im Grunde sei das nichts Neues:
"Wir arbeiten schon lange integrativ und haben dieses Thema immer bei uns in der Arbeit mit drin gehabt, da wir viele Migrantenfamilien auch betreuen."
Ein Methodenkoffer zu religiöser Vielfalt
Mehr Geflüchtete bedeuten aber auch mehr unterschiedliche Kulturen und größere Anforderungen an die Integration. Gertraud Reeners kann deshalb dem Forschungsprojekt der Hochschule Emden/Leer durchaus etwas abgewinnen:
"Durch dieses Projekt wird unser Wissen in Bezug auf die fünf Weltreligionen wirklich nochmal aufgefrischt und wieder vertieft."
Birte Engelberts: "Beispielsweise entwickeln wir derzeit einen Methodenkoffer zum Thema religiöse Vielfalt, gemeinsam mit dem Nifbe, dem Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung. Und es geht eben auch darum, jetzt während dieses Forschungsprojektes Erfahrungen zu sammeln, was brauchen Pädagoginnen in ihrem Praxisalltag, um mit den Kindern zum Thema Religion ins Gespräch zu kommen"
Birte Engelberts, Wissenschaftlerin an der Hochschule Emden/Leer, verantwortet die Befragung aller 300 Kindertagesstätten und 120 Grundschulen in Ostfriesland. Während der gerade laufenden Auswertung habe sich herausgestellt, dass viele Erzieher und Lehrkräfte zwar meinen, religiöse Rituale und Bräuche können integrationsfördernd wirken. Gezeigt habe sich aber auch:
"Wenn es um das Thema Religion geht und um die einzelnen unterschiedlichen Religionen der Familien, dass es bei den Pädagoginnen in den Kindertageseinrichtungen große Unsicherheiten gibt, dass dort Ängste sind, dass man nicht alles weiß über die anderen Religionen. Und da gibt es große Unsicherheiten, auch im Umgang mit den Eltern."
Im Methodenkoffer sind deshalb auch eine Reihe Bücher enthalten. Die Erzieherinnen der evangelischen Kita in Emden-Borssum probieren sie gerade im Alltag aus.
Reeners: "Also, hier stehen mehrere Bücher, sowohl für uns Mitarbeiter als auch Kinderbücher, die wir vorlesen können zu allen Weltreligionen…"
Engelberts: "… zum Beispiel das Bilderbuch ‚Wieso, weshalb, warum – Religionen der Welt‘. Damit kann man in der Gruppe arbeiten, an Bildern zeigen, wer sind die Juden, was glauben die Juden, was glauben die Christen, was glauben die Moslems, wie spricht man mit Gott? Wir haben hier beispielsweise auch das Buch "Wie heißt Dein Gott", das lädt zum Philosophieren mit Kindern ein: Wie stellen sich Kinder eigentlich ihren Gott vor? Es geht ja auch darum: Wir müssen nicht auf alle Kinderfragen eine Antwort haben, es geht vielmehr darum, dass wir uns mit den Kindern gemeinsam auf Entdeckungsreise begeben."
Allen die gleichen Chancen geben
Ortswechsel nach Bremen. Dort haben alle 64 evangelischen Kindertagesstätten ebenfalls an der Befragung der Hochschule Emden/Leer teilgenommen. Auch die Kita der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde in Bremen-Huchting, einem sozial sehr durchmischten Stadtteil. 120 Kinder werden dort betreut. In jeder der sechs Gruppen beginnt der Tag mit einem Begrüßungsritual. Allein in der Hühner-Gruppe sprechen die Jungen und Mädchen sieben verschiedene Sprachen:
Monika Mau: "Türkisch, kurdisch, arabisch, romanis, russisch, albanisch und englisch-afrikaans."
Wenn Erzieherin Monika Mau mit den Kindern redet, sprechen auch ihre Hände. In einer Gebärdensprache, die alle Kinder mitmachen. Das helfe nicht nur denen, die spezielle Förderung brauchen.
"Auch den Kindern, die Deutsch nicht sprechen, die lernen durch die Gebärden und Zeichen schneller die Worte und kommen so auch besser an die Sprache ran."
Die Kinder sind mittlerweile damit beschäftigt, das Geschirr fürs Frühstück zu decken. Auf die Tische kommt, was in der hauseigenen Küche zubereitet wird.
"Butter, Brot, Salami, Käse und Gurke und Milch und Apfelschorle und Wasser."
Kinder aus 17 Nationen mit ihren unterschiedlichen kulturellen Prägungen sind in der Kita unter einen Hut zu bringen. Ein Drittel der Kinder haben christliche Eltern, ein Drittel ist konfessionslos und ein Drittel gehört anderen Religionen an. Diese Kinder sind mehrheitlich Muslime, einige stammen auch aus jesidischen Familien. Integration laufe deshalb nicht in erster Linie über die Religion, sagt Leiterin Kirsten Vöge. Es gehe darum, Gemeinschaft zu bilden und einen friedvollen Alltag miteinander zu gestalten.
Vöge: "Es ist uns wichtig, dass die Menschen, die zu uns kommen, die gleichen Chancen haben, also die Kinder die gleichen Chancen haben, an Bildung zu kommen. Ja, und wir schauen dann eben einfach, welchen Weg können wir gehen, wer braucht welche Unterstützung da und wie können wir uns gemeinsam aufstellen."
Und Kitaleiterin Gabriele Wink ergänzt die Aussage ihrer Kollegin mit einem Leitsatz, den ein früherer Gemeindepastor geprägt hat:
"Es gibt keine zweite Garnitur Gottes. Und das ist eigentlich diese christliche Haltung, mit der wir unterwegs sind."
Vielfalt soll im Alltag erlebbar werden
Über diese Haltung komme man automatisch mit jedem ins Gespräch, ob konfessionslos, Muslim oder Jeside. Und dabei könne man sehr viel über religiöse Besonderheiten erfahren und die Achtung davor auch im Alltag leben. Etwa indem man während des Ramadan keine Elternabende veranstaltet. Oder in der hauseigenen Küche auch koschere Mittagsgerichte kocht. Die Kinder kämen so schon früh in Kontakt mit anderen Religionen und lernten, diese zu respektieren. Beide Leiterinnen sind deshalb gegenüber dem Forschungsprojekt der Hochschule Emden/Leer eher zurückhaltend.
Vöge: "Ich tu mich eigentlich ein bisschen schwer mit der Antwort auf diese Frage 'Mehr religiöse Bildung'. Wenn ich mir jetzt vorstellen würde, ich hätte so einen Materialkoffer, dann ist das in meinem Bild tatsächlich immer so ein aufgesetzter Moment. Und das wäre für mich schwierig."
Mit anderen Worten: Es kommt sehr darauf an, wie man religiöse Bildung versteht. Birte Engelberts von der Hochschule Emden/Leer hält es jedenfalls für entscheidend, die religiöse Vielfalt im Kitaalltag erlebbar zu machen. Auch auf Eltern wirke das nachweislich positiv.
Engelberts: "Wenn sie wissen, wir werden hier auch mit unserer eigenen Religion berücksichtigt und es wird auch über unsere Religion gesprochen, es wird auch über unsere religiösen Feste gesprochen, das schafft unheimlich viel Vertrauen. Und wir erleben es durch das Forschungsprojekt auch häufig, dass Eltern anfangen, sich aktiv einzubringen."