Ein Langzeitarbeitsloser motiviert Migranten und Schulverweigerer
Ohne Sport wäre ich abgestürzt, sagt Andreas Steinhoff, seit der Wende arbeitslos. Den Hartz-IV-Frust überwand der Parchimer als ehrenamtlicher Fußballtrainer. Inzwischen hat er einen bezahlten Job gefunden: Er trainiert junge Flüchtlinge und Schulverweigerer.
"So, kommt her. Jeder einen Ball, Ball am Fuß, einlaufen, los geht es!"
Ein Leben als Fußballtrainer. Kein Glamour, keine großen Meisterschaften, sondern einfach nur Kindern das Fußballspielen beibringen auf einem Rasen in Parchim, Mecklenburg. Ehrenamtlich. Ein Tag wie jeder andere im Leben des Andreas Steinhoff im Jahr 2010.
"Ich habe echt jeden Morgen zu tun, um zu sagen: Junge, jetzt gehst du wieder raus, motiviert. Und das 365 Tage im Jahr. Weil, das ist die Verantwortung, die man noch hat für den Jugendbereich, für die Mannschaften, für den Kreisfußballverband. Das zieht mich wieder hoch. Ich kann mich nicht gehen lassen. Funktioniert nicht."
Indem er anderen hilft, hilft er sich selbst
Die Kinder und Jugendlichen, die Steinhoff trainiert, kommen meist aus der Parchimer Weststadt, einem Plattenbaugebiet mit vielen Arbeitslosen und Einwanderern. Hier ist Training gleich Sozialarbeit. Indem er anderen hilft, hilft er sich selbst.
"Wenn ich keinen Sport hätte jetzt in meiner Situation, dann würde es mich nicht mehr geben. Das steht fest."
Seit der Wende ist Andreas Steinhoff arbeitslos. Im Mai 2010 wird sein großer Traum erfüllt: Weg von Hartz IV. Gemeinsam mit dem Kreissportbund Parchim, für den er seit 20 Jahren als ehrenamtlicher Fußballtrainer arbeitet, hat er lange um diese Stelle gekämpft. Voller Zuversicht tritt er sie damals an.
"Das Projekt ist so angelegt, dass ich hauptsächlich Hartz-IV-Empfänger durch Sportkurse wieder fit mache für den Arbeitsmarkt. So ist es ausgelegt. Und Sportkurse heißt nicht Fußballspielen, sondern da hole ich mir dann Partner, das ist alles schon in der Vorbereitung: Rückenschule, die Krankenkassen, Suchtberatung und so weiter. Wir wollen eine Plattform schaffen, wo sie sich ein bisschen bewegen, kennenlernen. Ich denke, dass viele Scheu haben werden. Ich bin jetzt selber das sechste Jahr Hartz-IV-Empfänger, ich weiß ja, wie das ist."
Sport als Rettungsanker – seine eigene Lebenserfahrung. Das will er vermitteln.
"Ich sitze nicht 24 Stunden in meiner Wohnung. Ich muss unter Leute kommen, muss rauskommen. Sonst hätte ich keine Chance. Ich bin ja auch schon ein paar Mal abgestürzt in den 20 Jahren, weil nichts mehr ging. Aber ich bin halt wieder alleine aufgestanden."
Wer jahrelang arbeitslos ist, dem fehlt irgendwann die Kraft
Um dieses "immer wieder Aufstehen" geht es. Doch Andreas Steinhoff merkt bei seinem Projekt für die Parchimer Arbeitslosen: vielen, die jahrelang zuhause saßen, fehlt die Kraft und oft auch der Mut, zuweilen auch das Interesse.
"Das Wesentliche war, die Leute rauszubekommen, früh rauszubekommen, weil wir haben ja um acht Uhr angefangen. Dass sie wieder ein geregeltes Leben haben, einen Tagesablauf. Bei den meisten hat es funktioniert. Und manchen hat es auch richtig gut getan, dass sie wieder unter Leute kamen, das hat man gemerkt in den Gesprächen. Aber es wurde von den Arbeitslosen selber zu wenig angenommen.
Was verwunderlich war: es kamen kaum junge Leute. Im ganzen Jahr hatten wir einen einzigen. Mehr Frauen, ältere Frauen. Zwei sind heute noch ehrenamtlich tätig im Verein, die haben wir untergebracht. Einige haben wieder Arbeit und einige halt nicht. Da waren wir auch immer auf die Vereine angewiesen, die uns kostenlos reinlassen. Die wollen dann immer wissen, wie das Projekt aussieht und wer da kommt. Und wenn man sagt, das sind alles Hartz-IV-Leute, da blocken sie gleich ab. Die Gesellschaft ist so."
Deutschlandradio Kultur berichtete bereits 2010 über ihn
2011 endet die erste bezahlte Stelle, die Andreas Steinhoff seit 20 Jahren hat. Nach den beiden Radiosendungen im Deutschlandradio Kultur findet sein Engagement zum ersten Mal ein öffentliches Echo. Es melden sich Hörer, die ihn unterstützen wollen, er bekommt vom Ministerpräsidenten des Landes eine Auszeichnung für ehrenamtliche Tätigkeit und eine Urkunde vom Landrat. Zu diesem Zeitpunkt ist er schon wieder das, was er nie wieder sein wollte: Hartz-IV-Empfänger.
"Alles von vorne, die gleiche Maschinerie. Man kennt das ja schon über die Jahre. Nicht ein Stellenangebot vom Jobcenter, gab es schon früher nicht, danach auch nicht mehr. Dann war ich ein Jahr in Ü50, also, ich wurde von einem Träger betreut, und die haben sich wirklich um Arbeit bemüht. Aber auch da hat man keine Arbeit bekommen."
Das Programm "Soziale Teilhabe" verschafft ihm 2015 einen Job
Fünf Jahre später, Parchim, Plattenbaugebiet Weststadt. Ein großer, heller Flachbau, gepflegte Rabatten, ein Spielplatz und ein Bolzplatz. Unverändert der Name der Straße: sie ist nach Lenin benannt, um die Ecke der Juri-Gagarin-Ring. Die Zeit ging unbeschadet über die sozialistischen Helden, aber nicht über die Bestimmung des Gebäudes hinweg.
Einst war hier der Kindergarten, heute steht "Kinder- Jugend- und Familientreff" am Eingangsschild. Offene Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Straffälligenhilfe, Erziehungshilfe, Jugendhilfe, Migrantenarbeit. Reparaturstelle für gesellschaftliche Schäden aller Art. Andreas Steinhoff gehört jetzt zu den Mitarbeitern, er ist angestellt über ein Projekt "Soziale Teilhabe". Eine Stelle, die nicht nur ein Jahr, sondern drei Jahre vom Bund gefördert wird. Hauptgewinn.
"Gelesen habe ich davon - ich bin ja auch regelmäßiger SVZ-Leser, Schweriner Volkszeitung. Und bin dann selber zum Jobcenter gegangen, hab dort nachgefragt, wie das hier in Parchim läuft und eine Woche später habe ich Bescheid bekommen, dass ich mich hier auf eine Stelle bewerben kann. Und das habe ich auch gemacht. Wäre ich aber nicht zum Jobcenter gegangen, wäre nichts passiert. Das muss man ganz klar sagen."
Viel verdient er nicht, aber das Lebensgefühl ist anders
15.000 Stellen wurden bundesweit im Projekt "Soziale Teilhabe" vergeben. Zielgruppe: "besonders arbeitsmarktferne Personen", wie es im Arbeitsministeriumsdeutsch heißt. Doch wer wie viele von diesen Menschen weder Internet hat noch Tageszeitung, dem fällt es schwer, von solchen Programmen zu erfahren. Auch Andreas Steinhoff kann sich kein Abo leisten, er liest die Zeitung meist beim Bäcker.
"Das Gute daran ist, dass man drei Jahre hat. Finanziell hat sich nichts geändert, ich werde immer noch vom Jobcenter aufgestockt. Aber es ist trotzdem ein anderes Lebensgefühl. Etwas mehr wie Hartz IV ist es schon. Aber es wird trotzdem noch aufgestockt, weil man unter der Armutsgrenze ist - weil man einen gewissen Wert nicht erreicht, wird man aufgestockt. Aber es ist ein Unterscheid wie Tag und Nacht, ob man Hartz IV bekommt oder einen Job hat. Und man geht morgen raus und geht abends glücklich nach Hause. Ohne Stress, man hat das Jobcenter nicht mehr an den Hacken, das ist so."
Im Kraftraum des Parchimer Treffs tun alte, woanders längst ausgemusterte Geräte ihren Dienst. Hier und draußen auf dem Bolzplatz hatte Andreas Steinhoff schon in den vergangenen Jahren ehrenamtlich ausgeholfen. Geschaut, dass alles ruhig und fair zugeht.
"Mein Chef vom Kraftraum, der Herr Schulz, ist selber Fußballtrainer gewesen, man kennt sich also, man war zusammen auf dem Platz, im selben Verein. Kraftraum war das erste. Und dann bin ich immer, wo Personalnot war, hin. Wo die Flüchtlingswelle anfing, war es hier auf Schlag überfüllt. So, dass unsere Leute personell überfordert waren.
Dann oben unsere Schulwerkstatt - ich wusste auch nicht, dass es so was gibt. Das ist eine Maßnahme, wo Kinder, Jugendliche, die die Schule verweigern, unterrichtet werden. Dort geholfen, aber nur als stiller Zuhörer, Unterstützung für die Lehrkräfte. Es kommen auch viele Erwachsene, die Hilfestellung brauchen oder gerade im Kraftsportbereich - da kommen Leute, die krank waren und jetzt Sport machen müssen. Die können das hier machen, kostengünstig - also gratis. Das ist schon was Vernünftiges."
Herr Steinhoff will nichts geschenkt, sagt sein Chefin
23 Jahre gibt es den Parchimer Kinder-, Jugend- und Familientreff, Träger ist die Diakonie Dobbertin. Die ehemalige Lehrerin Gabriele Liebenow hat den Treff gegründet und leitet ihn bis heute.
"Herr Steinhoff ist immer sehr verlässlich und äußerst interessiert daran, sein Geld selbst zu verdienen. Das Geld nicht geschenkt zu bekommen, sondern dafür eine Leistung zu erbringen. Er ist stolz darauf, sinnvolle Arbeit zu leisten, weitere Trainingszeiten bei uns im Kraftraum abzusichern und damit die Möglichkeiten für junge Leute, denen es vielleicht auch nicht so gut geht, zu erweitern. Und durch seine Beständigkeit und seinen Fleiß ihnen auch ein gewisses Vorbild zu sein."
Zu den beliebtesten Beschäftigungen im Treff gehört Tischtennis spielen. Auch heute wieder stehen die Jugendlichen um die Platte herum und beobachten das Match zwischen einem kurdischen und einem syrischen Jungen.
Tischtennis mit den jungen Flüchtlingen
"Burat, hast du mich Montag nicht gesehen, mein Freund? Ich sitze im Bus und mache so - er sieht vorbei - lachen - Du bist zur Berufsschule, kann das sein? - Ja. - Hast mich gar nicht gesehen, hast immer nach den Mädchen geguckt."
"Netzroller ist deine Spezialität?" …
"Gerade sportliche Angebote sind erzieherisch gar nicht unwirksam. Zum einen ist es das Miteinander spielen nach Regeln, was für viele Kinder unheimlich wichtig ist. Man muss gewinnen und verlieren können, auch das ist für viele Kinder gar nicht einfach, die sich gerne durchsetzen gegen andere. Das andere ist die Regelmäßigkeit, die die sportlichen Angebote verlangen und ermöglichen. Und ich glaube, man braucht für sportlichen Wettkampf - ob das jetzt Tischtennis oder Billard im Klub oder Fußball auf dem Bolzplatz - zunächst mal nicht die Sprache des anderen zu kennen. Wenn man sich denn auf einige Basisregeln einigt. Und das ist etwas, was Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Ländern erstmals zusammenführt."
(Steinhoff:) "Du darfst nicht lachen, sonst verlierst du!"
Viele Familien leben jahrelang im Flüchtlingsheim
Burat Aslan ist schon fast zu Hause hier im Treff. Der 15-jährige Kurde kommt aus der Türkei. Seit fünf Jahren wohnt seine Familie in Deutschland, die Eltern haben in Parchim Arbeit. So kommen er und seine Geschwister fast jeden Nachmittag nach der Schule hierher. Burat geht zur Berufsschule und wiederholt dort die 9. Klasse. Sein Ziel ist es, die mittlere Reife zu schaffen.
"Hier bin ich am meisten, helfe ich manchmal und spiele mit. Mit hier arbeiten so gesagt, Tischtennis, Billard, was wir können. Hier gibt’s Käfig, wo wir Fußball spielen mit Jugendlichen. Ich finde gut, dass es so einen Jugendklub gibt in Parchim, dass wir alle was zusammen machen. Dass wir alle zusammen halten, wir auch manchmal zusammen alle kochen und zusammen spielen. Meine Geschwister kommen um vier oder halb fünf.
- Steinhoff: Habt ihr von deiner Schwester gesprochen?
- Ja. - Oh, die fehlt hier noch, ganz anderes Kaliber!
- Ja, sie ist anstrengend, sie ist sieben, geht erste Klasse. Ist sehr anstrengend, Geschwister zu haben."
Wenn es mit der Familie anstrengend ist, hilft es manchmal, unter Gleichaltrigen im Jugendtreff zu sein. Und damit auch dem beengten Zuhause für ein paar Stunden zu entrinnen: Die meisten, die hierher kommen, leben im Flüchtlingsheim. Viele nicht erst seit Monaten, sondern schon seit Jahren.
"Wir können Kinder und Jugendliche nur insofern entlasten, indem wir ihnen einen alternativen Aufenthaltsort anbieten, wo über Kinder- und Jugendarbeit oder Hausaufgabenhilfe es möglich ist, der beengten Wohnsituation für eine Weile zu entrinnen."
Regel Nummer eins: keine Gewalt
Autorität muss man sich bei manchen Jugendlichen erst erkämpfen, die Regeln immer neu erklären und durchsetzen. Regel Nummer eins: keine Gewalt, auch nicht verbal.
"Man ist es ja gewöhnt im Laufe der Jahre. Man kann auch bei denen nur mit Leistung überzeugen. Wenn man ihnen etwas Gutes anbietet, dann öffnen sie sich nachher ein bisschen und kommen auch respektvoller aufeinander zu. Aber anfangs ist natürlich immer erst Krawall, jedenfalls bei den meisten. Aber im Laufe der Jahre prallt das bei mir alles ab. Man hat die Erfahrung, wie man damit umgehen muss.
Neueinsteiger würden wahrscheinlich verzweifeln, wir nicht mehr. Irgendwann merken sie, dass sie mit uns nicht machen können, was man will. Aber wir können sie es ja nicht ausleben lassen, wie die das machen, sie dürfen keine Gewalt anwenden. Wir können das nur durch Sprache machen. Überzeugungsarbeit. Und hier etwas anbieten, was den Jungs gefällt und den Mädchen.
"Ich finde ihn nett. Er will auch gerne was mit uns zusammen machen, er fragt auch, was wir spielen wollen. Wir spielen auch manchmal Billard, Tischtennis oder irgendwas anderes, Karten. Er war auch früher mein Trainer, Fußball."
Kaum Übergriffe, aber es gibt Vorurteile gegenüber Migranten
Nicht jedem gefällt es, dass sich hier so viele jugendliche Migranten treffen. Überhaupt dass im Wohngebiet so viele Flüchtlinge leben. Gerade deshalb ist ein Treff wie dieser wichtig, denn besonders bei den Festen, die hier organisiert werden, kann man sich kennenlernen.
"Das ist ein großes Spannungsfeld. Seit sehr vielen Jahren werden zum Beispiel Spätaussiedler vorrangig dieser Siedlung zugewiesen, weil hier die Mieten vergleichsweise preiswert waren. Es hat sich relativ bald bei manchen Alteingesessenen so ein Gefühl der Überfremdung entwickelt. Von daher waren manche Reibereien vorprogrammiert.
Wir haben aber in der Parchimer Weststadt bewiesen, dass ein Miteinander durchaus möglich ist. Es ist Frieden, es kommen kaum Übergriffe vor. Meist sind sie verbaler Art und richten sich gegen Migranten, muss ich sagen. Aber aus diesem Nebeneinander ist noch kein Miteinander geworden."
Im August 2016 ging eine Meldung durch die Presse: In der Parchimer Weststadt wurde die Tür zu der notdürftigen, in einer Art Baracke untergebrachten Moschee zugemauert und mit fremdenfeindlichen Parolen beschmiert. Wer in diesem Umfeld mit Migranten arbeitet, hat es nicht immer leicht.
"Wir haben zu kämpfen jeden Tag mit Vorurteilen, wir werden auch beschimpft von Bürgern, die uns gar nicht kennen, dass wir mit solchen Leuten arbeiten. Wir sind hier im sozialen Brennpunkt, Weststadt, wir sind der einzige Klub hier oben. Und hier war es von heute auf morgen knackenvoll. Weil sie hier ihre Freizeit verbracht haben. War nicht einfach, auch für die Mitarbeiter nicht, da einen geregelten Werdegang reinzubringen, wie das hier alles so abläuft. Aber mittlerweile hat sich das eingespielt und es ist auch weniger geworden.
Integration durch Sport - ein besseres Mittel gibt es nicht
Aber man hat in Parchim auch zu kämpfen mit Vorurteilen, eindeutig. Man wird beschimpft, wenn Jugendliche einen erkennen, deutsche Jugendliche. RTL und N3 hatten mal einen Bericht über mich gemacht, da habe ich 16 Nationen trainiert. Und da ging das schon los mit Russenfreund, Beschimpfungen und Beleidigungen ohne Ende. In Ludwigslust wollte man mich mal auf dem Sportplatz verprügeln deswegen."
Damals hatte Andreas Steinhoff als ehrenamtlicher Fußballtrainer dafür gesorgt, dass sein Verein an dem Projekt "Integration durch Sport" teilnimmt.
"Es gibt kein besseres Mittel. Aber auch diese Projekte sind für fünf Jahre begrenzt, dann gibt es keine Mittel mehr. Entweder man findet dann einen neuen Verein - aber jedes Projekt hat auch einen bürokratischen Aufwand, der viele abschreckt. Aber Integration durch Sport: Ich weiß das vom Tischtennis hier, da spielt eine Syrerin - ein Mädchen, hat man ja selten - die ist Landesmeisterin geworden. Und wenn wir welche finden und sagen, könnte Talent haben, dann geben wir einen Zettel mit von einem Verein und sagen: Geh da mal hin und meld dich an. Aber da ist es leider auch so, wenn man nicht selber mitgeht, dann wird das auch nichts. Oder es scheitert an der Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit."
Als Frustventil gibt es den Sandsack im Kraftraum
- "Hallo!"
- "Hallo! Alles gut, Herr Steindorff?"
- "Ist dein Bruder hier? Hab gestern mit ihm geschrieben. Bist du hier auch groß geworden im Jugendklub?"
- "Ich bin im Heim groß geworden."
- "Na, ich meine in der Freizeit."
- "Ja, manchmal."
Hier kann man seinen Frust an einem Sandsack ablassen. Die Wände im Kraftraum hängen voller Fußballschals, die meisten hier sind Fans.
"Die Gewaltbereitschaft ist schon höher. So ein bisschen das Faustrecht, sehr impulsiv. Und wir hatten das ja früher in Parchim auch, wo wir durch das Projekt 'Integration durch Sport' mit 15 Migranten in Lubmin waren, eine Woche lang mit zwei Anti-Gewalt-Therapeuten von der Jugendstrafanstalt Neustrelitz. Die haben das geleitet, ich war mit. Das sind alles brave Jungs geworden heute. Die haben alle beim Parchimer Fußballklub gespielt.
Das ging so weit, dass andere Städte, ich weiß es von Zarrentin, dass die gesagt haben: Wir kommen nicht mehr nach Parchim, wir spielen nicht mehr. Weil sie haben einfach diese Spieler - sie waren nicht alt, 12, 13 - und haben einfach andere Leute verprügelt. Und wo wir als Verein gesagt haben: Wir brauchen Hilfe. Dadurch sind wir in das Projekt Integration durch Sport gekommen, und sie haben gleich reagiert und die Mittel dafür zur Verfügung gestellt. Das müsste es heutzutage mehr geben. Und sind alles vernünftige Jungs geworden."
Jungs, auf die man sich verlassen kann
"Salem Aleikum…spielen…"
Einer dieser Jungs ist heute ein junger Mann, der mit seiner Familie einen Imbiss betreibt. Immer wenn Zeit ist, kommt er noch in den Kraftsportraum oder kickt mit Freunden auf dem Bolzplatz, der zum Jugendtreff gehört.
"Wie lange hast du bei mir Fußball gespielt? Lange. Vier, fünf Jahre. Mit euch war es auch schwierig, aber alles ist gut geworden. Das ist das Positive."
(Junger Mann:) "Gab’s schlechte Zeiten."
- Steinhoff: "Bei euch kann man sagen, hat sich der Einsatz gelohnt. Das ist auch wirklich ehrlich gemeint. Wenn wir keine Erfolge gehabt hätten, würden wir das nicht machen, Migrationsarbeit. Und das Schöne ist, die Jugendlichen gehören nicht mehr zu dem Klientel, die Schwierigkeiten machen, auch außerhalb vom Tor nicht. Gar nicht. Das sind Jungs geworden, auf die man sich verlassen kann, wenn man Hilfe und Unterstützung braucht. Du bist Kurde?"
- "Ich bin Kurde."
- "Bist du in Deutschland geboren? Dein Bruder?"
Die beengten Wohnverhältnisse fördern die Aggression
14 Jahre hat die Familie in der Flüchtlingsunterkunft gewohnt. Unvorstellbar lange, findet Andreas Steinhoff. In der Zeit, als er die Probleme mit den jungen Migranten auf dem Fußballplatz hatte, ging er einmal dorthin, wo die meisten von ihnen wohnen: ins Parchimer Flüchtlingsheim.
"Weil ich verstehen wollte, warum die so aggressiv sind. Bei den meisten normalen Deutschen, wenn die zuhause Probleme haben, werden die auch aggressiv. Das habe ich bei denen auch vermutet. Und dann war ich mal da. Und ich habe gedacht: das kann doch nicht wahr sein. Tür an Tür. Und dann ein Zimmer und so viele Menschen drin. Da müssen die Kinder aggressiv werden, die können gar nicht anders. Und die lassen die Aggression auf dem Sportplatz raus.
Bloß, sie haben sie falsch gesteuert, die Aggression. Danach habe ich es verstanden. Und habe gesagt: Das ist ja eigentlich menschenunwürdig. Und vor einem Jahr ungefähr habe ich erfahren, dass sie endlich mal eine Wohnung bekommen haben, die ganze Familie. Er hat ja noch kleinere Brüder. Die haben da Jahre drin gelebt, die Familie! Ist ein Unding."
Wenn Kinder hier Fußball spielen, nehmen sie gern die Trainer-Tipps von Andreas Steinhoff an. Die Älteren kommen ohne ihn aus. Sie brauchen einfach nur eine Möglichkeit, sich zu treffen.
"Wir sagen Käfig dazu, es ist eine Bolzanlage, und hier ist es manchmal richtig voll. Bei gutem Wetter ist es voll hier. Ist nur schade mit den Nachbarn, die sich ein bisschen beschweren, weil es so laut ist. Es ist ja mitten im Neubaugebiet. Aber die müssen ja irgendwohin, die Jungs. Lieber hier, als draußen auf der Straße Blödsinn machen. Das spricht sich auch hier schnell rum, dass man hier rein kann, immer offen ist und keiner sagt: Komm, wir kassieren mal hier ab."
Ein junger Albaner hat es ins Sportgymnasium geschafft
Ein paar Kinder mit bunten Schulranzen rennen vorbei.
"Die gehen bestimmt gleich rein in den Jugendklub und machen Hausaufgaben, vermute ich mal. Die werden hier überall unterstützt, auch die Jugendlichen, wenn sie ihre Bewerbungsmappen schreiben. Machen alles die Leute hier, die Angestellten. Ist deshalb auch so beliebt hier."
Im Tischtennisraum hat Burat inzwischen einen neuen Gegner gefunden, einen 15-jährigen Albaner. Andreas Steinhoff kennt ihn, der Junge ist Torschützenkönig in der Jugendliga: 36 Tore in einer Saison.
"Er geht jetzt zum FC Mecklenburg Schwerin, Sportgymnasium. Ist doch gut! Bloß, die Jungs müssen auch durchhalten. Nur mal so ein bisschen Fußball spielen gibt’s da nicht. Schule und Training. Wir haben schon viele Parchimer dort gehabt, die wieder zurück gekommen sind, die es nicht geschafft haben."
Aber der junge Albaner wird der erste Migrant aus dem Parchimer Fußballclub sein, der es ans Sportgymnasium schafft.
"Das freut mich, muss ich sagen. Und er ist auch ein sehr guter Fußballer…
Ich bin noch hier bis abends, gegen sieben. Dann kommen Freunde. Wir kennen uns, die meisten Syrer kommen auch hierhin, wir haben jetzt auch Freunde in Syrien. Wir spielen mit denen und reden mit ihnen Deutsch, damit die bisschen mehr Deutsch können. Es ist besser, dass wir hier sind und alle zusammen was machen. Nicht nur draußen, immer Fahrrad fahren. Im Winter ist hier das beste, hier ist es warm. Hier gibt’s nie so viel Stress."
"Wir sehen uns, tschüss…"
Die Sportler halfen ihm, eine bessere Wohnung zu bekommen
Andreas Steinhoff muss nur am Bolzplatz vorbei über die Straße gehen, dann ist er zu Hause. Er wohnt jetzt in einer Neubauwohnung. Noch so ein Hauptgewinn für ihn wie der Arbeitsplatz im Jugendtreff. Jahrelang lebte er in einer unsanierten, zugigen Altbauwohnung. Im Jobcenter sagte man, etwas anderes sei zu teuer und stünde ihm nicht zu. Auch davon hatte er vor fünf Jahren im Deutschlandradio-Nachspiel erzählt.
"Ich habe hier die Wohnung bekommen, das kann man vielleicht mal erzählen, eine tolle Geschichte. Auch nach der Radiosendung - ich wusste ja gar nicht, dass so viele diesen Sender hören, selbst Parchimer Bürger hören den! Viele haben mich angesprochen. Dann hat sich die Presse eingeschaltet, die haben auch nochmal einen Bericht über mich gebracht und meine Lebenslage. Weil halt die Wohnung, die ich hatte - das gibt es ja auch noch in der heutigen Zeit, dass man keine Küche und kein Schlafzimmer hat.
Und da haben Sportler einen offenen Brief an das Jobcenter geschrieben. Man soll sich nicht selber loben, aber die haben meine ehrenamtliche Arbeit, die ich geleistet habe, aufgerechnet gegen das, was der Staat mir nicht zugestehen wollte. Und daraufhin habe ich eine vernünftige Wohnung bekommen. Der Unterschied ist wirklich nur 20 Euro, darum ging’s, von der Miete. Und jetzt habe ich eine Küche, jetzt habe ich einen Balkon, alles, was man braucht. Und da haben sich Sportler für eingesetzt. Mein ganzes Leben hat sich geändert dadurch."