Herr Ho hat Berlin geteilt
Nordvietnam, Südvietnam - der alte Konflikt schwelt in Berlin weiter. Thuy Luong fällt es schwer, das zu ertragen. Sie war neun Jahre alt, als sie nach Deutschland kam. Ihre Eltern erzählen, dass sie keine Zeit hatten, sich um die eigene Integration zu kümmern.
Taxifahrer: "Die Eltern fahren jetzt nach Hause oder fahren sie zu Besuch?"
Thuy Luong: "Wie bitte?"
Taxifahrer: "Die Eltern fahren nach Hause oder waren sie zu Besuch jetzt nach Vietnam?"
Thuy Luong: "Die fahren, um die Familie zu besuchen."
Taxifahrer: "Ah. Ich war noch nie in Vietnam. Aber in Thailand war ich schon mal."
Thuy Luong: "Ist so typisch für Deutschland, oder? Alle kennen Thailand."
Thuy bringt ihre Eltern mit dem Taxi zum Flughafen. Wegen der vielen Kisten und Taschen im Kofferraum hat der Fahrer gedacht, dass die Familie den Kontinent für längere Zeit verlassen wird. Geschenke, sagt Thuy knapp. Der Mann hinter dem Lenkrad ist sehr an der Geschichte der dreiköpfigen Familie aus Vietnam interessiert. Thuy ist 31 Jahre alt, ihre Eltern sind beide 55. Sie sitzen auf der Rückbank. Herr Luong reicht dem Taxifahrer eine Flasche Wasser nach vorne.
Taxifahrer: "Mir würde etwas einfallen, was ich aus meiner Kindheit und Jugend her noch kenne. Die Frage nach Onkel Ho! Wissen Sie, wer Onkel Ho ist?"
Thuy Luong: "Onkel Ho."
Taxifahrer: "Die kleinen Vietnamesen... Ja. (lacht) So. Punkt."
Mitte der 80er-Jahre in der DDR angekommen
Thuy zieht ihre linke Augenbraue hoch. Das Gespräch geht weiter. "Oh, Marzahn hat ja auch schöne Ecken und wie lange sind Sie schon in Deutschland?". Frau Luong antwortet, dass sie Mitte der 80er in die DDR gekommen ist. Als Vertragsarbeiterin. "Vor der Wende also." stellt der Taxifahrer fest. Und dann kommt das Thema gleich auf die Unterschiede zwischen "Ossis" und "Wessis".
Taxifahrer: "Das wird auch ewig noch so bleiben. Mit diesen Ossis und Wessis. Weil da ist ein himmelweiter Unterschied in den Verhaltensweisen."
Berlin ist bis heute eine geteilte Stadt. Aber ganz anders als der Taxifahrer meint. Unsichtbare Mauern, die Nord- und Südvietnamesen trennen. Die Grenze verläuft zwischen Ost- und Westberlin. Auf der einen Seite leben vermehrt die Familien der ehemaligen Vertragsarbeiterinnnen und -arbeiter aus Nordvietnam, die in den 80er-Jahren von der DDR-Regierung eingeladen wurden. Und auf der anderen die Bootsflüchtlinge aus Südvietnam, die bereits in den 70ern gekommen sind. Ein alter Konflikt aus der Heimat schwelt seit Jahrzehnten in Berlin weiter. Und kaum ein Außenstehender merkt etwas davon.
Frau Luong: "In Vietnam haben die Südvietnamesen zu uns aus dem Norden immer 'Bac Ky' gesagt."
Thuy meint, dass das eigentlich nur im Ausland so sei.
Frau Luong: "Nein! Das sagen sie doch noch im Süden, da nennen sie uns 'Bac Ky'."
Aber nur im Süden! Ergänzt die Tochter.
Frau Luong: "Nein, im Norden sagt man das nicht."
Thuy Luong: "Also wir haben hier bei dieser Sendung ganz viel mit Ost-West zu tun. Und ich finde, das sind Wunden der Vergangenheit. Besonders bei den Vietnamesen ist ja nicht nur dieses Ost-West-Phänomen, sondern auch dieses Nord-Süd-Phänomen. Alles trifft sich an einem Punkt."
Taxifahrer: "Versteht der Papa eigentlich kein Deutsch?"
Herr Luong: "Ein bisschen."
Taxifahrer: "Ein bisschen. Hör mal! Wie lange ist denn der Papa schon hier?! Hoho, ja."
Thuy Luong: "Er hat's verstanden!"
Frau Luong: - vietnamesisch -
Taxifahrer: "Die Mutter spricht ja auch kein Deutsch!"
Frau Luong: "Nein."
Taxifahrer: "Hach, Menschenskinder!"
Frau Luong: (lacht)
Angst vor Missverständnissen
Februar 2014. Thuy Luong hat lange darüber nachgedacht, ob sie bei dieser Sendung überhaupt mitmachen möchte. Sie hat mit vielen Freunden gesprochen, ob sie sich im Radio vor einem großen Publikum über Politik und über die vietnamesische Community äußern sollte. Ihre Angst, etwas zu sagen, was vielleicht von einigen als falsch angesehen werden könnte, ist groß.
Thuy Luong: "Also Vietnamesen mögen Getratsche. Aber sie können nicht Konfrontieren. Unter sich sind sie sehr laut. Aber nach außen da halten sie sich zurück, weil sie denken, lieber ich enthalte mich und ich versuche da so mein Leben zu leben. Und will mich nicht einmischen. Wenn keiner was sagt, dann haben wir auch keine Stimme und deswegen überwinde ich mich, steige über meinen Schatten."
Im Osten von Berlin veranstaltet ein Verein aus dem Westen der Stadt ein Neujahrsfest. Die Schlange am Eingang ist lang. Menschen aus beiden Teilen der alten Heimat sind willkommen. Vertreterinnen und Vertreter aus Bundestag und Abgeordnetenhaus geben sich die Ehre. Auf der Bühne gibt es traditionelle Tänze und Zeremonien. Der gesamte Veranstaltungsort ist festlich geschmückt, viele rote Streifen auf gelben Untergründen. Die Farben der Flagge des ehemaligen Südvietnams.
Thuy Luong: "Die Veranstalter sind halt ehemalige Boatpeople und sie hängen an dieser Fahne noch. Also es gilt für sie als Erinnerung und ist für sie auch aktuell vielleicht. Aber für die Welt ist eigentlich offiziell hat Vietnam eine andere Fahne. Die rote mit dem gelben Stern."
Thuy entdeckt in der Menge einen Bekannten.
Thuy Luong: "Ähm... obwohl die Veranstaltung doch für alle sein soll!"
Bekannter: "Ja, das ist... hängt von dem Veranstalter ab. Der stammt hauptsächlich aus der Flüchtlingsreise. Also ehemalige Flüchtlinge, Boatpeople."
Thuy Luong: "Also ich schrecke mich gar nicht ab, aber ich glaube schon, dass viele Leute das nicht schön finden."
Die Stimmung bei einigen Nordvietnamesen hier ist tatsächlich getrübt. Die rot-gelben Flaggen werden als Vorwurf verstanden. Und der lautet:
Thuy Luong: "Wir sind alle Kommunisten, weil wir unter einem kommunistischen Regime aufgewachsen sind. Das ist immer diese Beschuldigung einander."
Und was werft Ihr denen vor?
Thuy Luong: "Naja, dass sie halt Vietnam verraten haben. Ich sag mal jetzt, die im Osten werfen denen im Westen vor, dass die ihr Heimatland verraten. Also die Südregierung damals hat ja auch für die Amerikaner gearbeitet. Ja, Vaterlandsverrat."
Historischer Hintergrund mit Brüchen
Eine kurze Reise durch Vietnams Geschichte der Teilung. Mitte der 50er-Jahre müssen die Kolonialherren aus Frankreich das Land verlassen. Vietnam wird unter der Last von Ansprüchen verschiedener Mächte entlang des 17. Breitengrades gespalten. Im Norden regiert der kommunistische Ho Chi Minh. Bis heute wird er verehrt. Im Süden herrscht der von den USA protegierte Ngo Dinh Diem. Der wird später bei einem vom CIA unterstützen Militärputsch getötet. Etwas später greifen die USA den Norden Vietnams an.
Der Vietnam-Krieg ist nicht zu gewinnen und hinterlässt ein Trümmerfeld. Das Ziel den Kommunismus zu besiegen ist gescheitert. Im Jahr 1975 wird Südvietnam dem Norden wieder angeschlossen. Die südvietnamesischen Unterstützer der Amerikaner müssen mit Umerziehungslagern, Folter und Ermordung rechnen. Über eine Million Menschen fliehen mit Booten ins Ausland. Umstände, die Thuy erst mit dem Beginn ihres Studiums vor gut zehn Jahren begriffen hat. Sie kann nachvollziehen, dass die Leute aus dem Süden Ressentiments den Menschen aus dem Norden gegenüber hegen.
Thuy Luong: "Also ich muss zugestehen, die im Westen, die sind auf jeden Fall integrierter. Die leben sogar schon assimilierter. Die leben wirklich mit der deutschen Gesellschaft mit. Und ja, die Ost-Community braucht da noch. Die leben für sich. Die sind da in einer Subkultur und das ist der Unterschied.
Ich weiß noch als Kind oder als Jugendliche habe ich mir nichts anderes gewünscht, als ich kann ewig so leben, wie ich lebe. Also unter Vietnamesen. Da ist man in einer Gemeinschaft. Oder das Wort 'Integration' hab ich erst seit zehn Jahren so richtig wahrgenommen."
Heute ist Thuy Sozialarbeiterin an einer Schule in Berlin-Lichtenberg, im Ostteil der Stadt. Sie hat ihr Abitur gemacht und studiert. Über 160 Schülerinnen und Schüler mit Vietnam-Bezug besuchen das Gymnasium. Thuy unterrichtet Vietnamesisch in einer AG. Heute steht die Analyse eines alten vietnamesischen Märchens auf dem Plan. Neben dem Unterricht, muss Thuy den Lehrern, Eltern und Schülern bei Konflikten zur Seite stehen.
Thuy Luong: "Es gibt unterschiedliche Gründe. Entweder sind die Eltern unzufrieden mit ihren Leistungen, also die Schulleistungen und möchten, dass die Kinder besser werden. Ansonsten gibt es auch, besonders in der Pubertät, ganz viele Probleme mit der Kultur, mit der Sprache. Viele kommen einfach plötzlich nicht mehr klar. Die Eltern betrachten die Kinder immer noch als Kind. Viele sprechen Verbote aus, kontrollieren oder ermöglichen nicht so viel Freizeit, wie die deutschen Kinder das haben. Ja, die vietnamesischen Kinder sehen das nicht ein. Ich versuche, sag ich mal, Kultur zur übersetzen."
Gemeinsamer Neuanfang 1991
Thuy ist neun Jahre alt, als sie mit ihrem Vater nach Berlin kommt. Das war im Jahr 1991. Eigentlich soll es nur ein längerer Besuch werden. Thuys Mutter ist seit 1986 in Berlin. Sie hat in der DDR in einer Fabrik gearbeitet, um genug Geld zu verdienen, das sie der Familie nach Hause schicken kann. Doch dann entschließen sich Frau und Herr Luong gemeinsam mit Thuy einen Neuanfang in Deutschland zu wagen.
Thuy Luong: "Ich war damals sehr glücklich, dass die Familie wieder vereint ist. Egal wo wir waren! Hauptsache wir waren wieder zusammen, als Familie. Obwohl, ich muss ehrlich sagen, ja, sie war fünf Jahre weg. Da war ich vier. Und ich hab ganz wenige Erinnerungen. Man hört sie nur über Erzählungen und über Briefe. Ich hab ihr auch ganz viele Briefe geschrieben. Dann kam sie zweimal zu Besuch und dann hat man halt... Ja, man weiß, das ist Deine Mama und Menschen erwähnten sie ja auch jeden Tag. Aber ich glaube, also wenn ich darüber nachdenke, da ist schon eine Lücke. Eine emotionale Lücke."
Eine Wohnung im Bezirk Hohenschönhausen wird zum neuen Zuhause. Herr und Frau Luong müssen sich selbstständig machen, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Auf Märkten werden sie künftig Kleidung verkaufen. Thuy geht zur Schule. Lernt schnell sich in beiden Sprachen auszudrücken.
Thuy Luong: "Ich hab Wörter, die eigentlich schlimm klingen, ganz normal empfunden. Zum Beispiel, wie 'Duldung', 'Abschiebung'. Was gab's noch? 'Zigaretten verkaufen', keine Ahnung, 'auf dem Markt Textilien verkaufen'. Das war für mich alles sehr normal. Und ich glaube zwischen neun bis zwölf war ich immer nur mit diesen Aufenthaltsproblemen konfrontiert. Also ich konnte alle Stufen von Aufenthalt, ja."
Thuy sitzt in ihrer Wohnung in Berlin-Wedding. Ein großes Zimmer mit Küche. Bunte Bilder an den Wänden, pinkfarbene Kissen, ein mit Büchern und Plastikkitsch überlastetes Regal. Über dem Sofa hängen Urlaubsbilder. Thuy mit ihren Eltern am Pool, im Hintergrund Palmen. Eine Single-Wohnung – die 31-jährige lebt hier alleine. Argwöhnisch blicken gerade ältere Freunde und Bekannte auf diese Situation. Auch Frau und Herr Luong sind wenig glücklich, dass Thuy noch immer keinen Mann hat.
Thuy Luong: "Ja, die denken immer, ja Du hast einen Freund oder so. Und dann ziehst Du aus und... Das stimmt nicht! Die verstehen nicht, dass man für sich... dieses für sich leben. Das ist was typisch Deutsches. Meine Eltern haben das später erst Schritt für Schritt mitbekommen, dass es vielleicht ganz gut war. Ich bringe immer wieder neue Sachen in ihr Leben mit rein. Was ich draußen gelernt hab. Ich bin keine, die weg ist und für immer weg. Ich bin jede Woche da und bringe neue Sachen mit. Neues Wissen."
Besuch bei den Eltern. Ein Haus am Stadtrand von Berlin. Davor steht das Familienauto. Meine Eltern, erzählt Thuy, scheinen langsam anzukommen in Deutschland.
Thuy Luong: "Also die erste Generation ist eigentlich am Ende ihrer Kräfte. Die haben so viel geschuftet, gearbeitet. Die haben andere Sorgen gehabt."
Am Eingang des Wohnzimmers steht ein buddhistischer Altar. Eine Tüte mit Keksen, Obst und zu Fächern gefaltete 10-Euro Scheine als Opfergabe. Im Fernsehen läuft das Programm des vietnamesischen Auslandssenders VTV4. Acht Stunden täglich bringt er neue Serien-Episoden und aktuelle Nachrichten aus der Heimat. Obendrein Werbung für das Militär und für Milchprodukte.
Herr Luong: "Wir sind sehr lange nicht in Vietnam gewesen. Was wir wissen, wissen wir aus dem Fernsehen."
Frau Luong: "Das Leben hat sich deutlich verbessert und ist einfacher geworden."
Herr Luong: "Das haben wir im Fernsehen gesehen. Aber was im echten Leben dort passiert wissen wir nicht. Wir waren ja lange nicht da."
Fernsehbilder und Erinnerungen mischen sich
Vietnam. Der Geruch von Hanoi. Die feuchte und warme Luft. Da sind die vertrauten Geräusche. Das Hupen und Sausen. Fernsehbilder vermischen sich mit Erinnerungen. Den Entschluss in Deutschland zu bleiben haben Frau und Herr Luong das ein oder andere Mal bereut. Mit Freunden haben sie oft besprochen, wie es wäre zurück zu gehen. Unsere Jobs hätten wir nicht wieder bekommen, sagt Herr Luong. Also sind wir geblieben, um das Beste aus der Situation zu machen. Er ist gelernter Elektriker. Er liebt diese Aufgabe und vermisst sie schmerzlich. Viele Deutsche reduzieren uns, sagt Herr Luong. Für sie sind wir einfach nur "die Vietnamesen vom Markt".
Herr Luong: "Es gab Leute, die uns gut und Leute, die uns schlecht behandelt haben. Wir haben immer auf dem Markt gearbeitet, bei Wind und Wetter. Viele haben das gesehen und haben für unsere Situation Verständnis aufbringen können. Aber andere haben uns geringschätzig betrachtet. Sie meinen, wir sind Ausländer. Die Deutschen hatten ja kurz nach der Wende selbst keine Arbeit und haben uns so als Parasiten gesehen."
Familie Luong kommt aus der Stadt Haiphong. Die liegt 100 Kilometer östlich von der Hauptstadt Hanoi, im Norden. Ihre Antwort auf die Frage, wie sie den Konflikt mit den Menschen aus dem Süden sehen, ist sehr asiatisch. Zurückhaltend und höflich. Und dennoch werden die Vorurteile spürbar. Aber Berlin bietet genug Platz, um sich aus dem Weg zu gehen.
Frau Luong: "Ich kann nicht für andere sprechen. Aber für mich ist es so, dass ich nicht zwischen Nord- oder Südvietnamesen unterscheide. Wir betrachten Vietnamesen als Vietnamesen. Alle Landsleute hier sind einfach nur Vietnamesen."
Herr Luong: "Die Community hier besteht eh meistens aus Nordvietnamesen. Die sind vor langer Zeit gekommen."
Frau Luong: "Vielleicht schon in den 70er-Jahren. Sogar in den 60er-Jahren kamen schon die ersten nach Deutschland."
Herr Luong: "Die Vertragsarbeiter sind meistens in Ostberlin. Wir treffen wenige aus dem Süden. Und wenn, dann nur zufällig, wenn wir zum Vietnam-Center gehen. Ich kenne auch Vertragsarbeiter, die den Akzent aus dem Süden sprechen. Ich vermute, dass sie eigentlich aus dem Norden stammen und zu den privilegierten gehört haben. Also das sind womöglich Leute, die etwas für die Regierung geleistet haben."
Frau Luong: "Das wissen wir doch aber nicht genau!"
Herr Luong: "Ich habe sehr wenige Südvietnamesen getroffen. Wenn, dann sind sie höchstwahrscheinlich Boatpeople. Also Flüchtlinge. Wir hatten kaum Kontakt mit den Leuten. Wir gehen nur Arbeiten."
Frau Luong: "Wir wollen uns nicht um die Politik kümmern."
Herr Luong: "Verwandte von mir, die sind innerhalb Vietnams vom Norden in den Süden gezogen."
Frau Luong:"Bei Treffen zwischen Vertragsarbeitern und Boatpeople, da haben wir... wir nehmen daran nicht teil. Wir wollen keine Gruppierungen. Wir haben manchmal in der Zeitung 'Tuan Tin Tuc' oder im Internet gelesen oder bei VTV4 gesehen, dass einige Organisationen von Boatpeople wohl auch politische Ziele verfolgen. Damit wollen wir gar nichts zu tun haben."
Enormer finanzieller Druck
Das Ehepaar hat seit mehr als 25 Jahren nur gearbeitet. Der Druck Geld zu den Verwandten zu schicken und sich selbst zu versorgen ist noch immer groß. Zeit, die neue Sprache zu lernen, hat es zwischen Schichtdienst und Haushalt nicht gegeben. Und die Sprachbarriere hat mit dazu geführt, dass die Vietnamesen lieber unter sich geblieben sind. Unter Leuten, die das gleiche Schicksal haben. Leuten aus dem Norden.
Thuy Luong: "Pfefferblätter, heißt es. Vietnamesische Pfefferblätter. Wenigstens steht hier vietnamesisch drauf! Also etwas aus Vietnam! Ja, irgendwie komme ich so traditionell rüber. Aber ich hab auch ein ganz modernes Denken. Würdest Du nicht so denken?"
Hoang Anh: "Ja. Also... manchmal." (lacht)
Thuy Luong: "Er ist extrem eingedeutscht!"
Thuy neckt ihren alten Schulfreund Hoang Anh. Beide kaufen für das Abendessen in einem großen asiatischen Supermarkt im Westen von Berlin ein. Thuy ernährt sich bewusst traditionell vietnamesisch. Die beiden sind zur selben Zeit nach Deutschland gekommen und haben dieselben Erfahrungen gemacht. Selbst in ihrer Generation, der in Vietnam geborenen und in Deutschland aufgewachsenen, schwelt der Nord-Süd-Konflikt weiter.
Wie ist es bei jenen, die in Berlin geboren sind? Der nächsten Generation?
Hoang Anh: "Ich denke mal die Generation nach uns, die dann zwar unter dieser Ideologie erzogen wurden. Aber viele nehmen das auch nicht richtig ernst."
Es ist nicht so, dass wir uns auf der Straße begegnen und uns beschimpfen, fügt Thuy hinzu. Die Grabenkämpfe laufen oft subtil ab. Dialekte spielen eine Rolle.
Es werden Fragen gestellt. Nach Herkunft, Grund des Aufenthaltes in Deutschland. Die Reaktion beinhaltet oft nur ein Kopfnicken. Und das sagt meist mehr als tausend Worte. Hoang Anh studiert inzwischen in Hessen.
Es werden Fragen gestellt. Nach Herkunft, Grund des Aufenthaltes in Deutschland. Die Reaktion beinhaltet oft nur ein Kopfnicken. Und das sagt meist mehr als tausend Worte. Hoang Anh studiert inzwischen in Hessen.
Hoang Anh: "Da, wo ich jetzt studiere, in Darmstadt, merke ich es nicht so. Weil da ist der Teil der nordvietnamesischen Community nicht so stark vorhanden, wie hier in Berlin."
Nur einmal, erinnert ihn Thuy, hat er auch in Darmstadt schlechte Erfahrungen gemacht.
Hoang Anh: "Wir waren in einer Bar mit vier Vietnamesen. Den Kindern der Boatpeople. Und als sie betrunken wurden, haben sie sich ihr wahres, sagen wir Denken gezeigt. Was sie von uns gehalten haben. Sie haben mich einfach mit Sachen beschmissen. Mich als Kommunisten beschimpft. Das war für mich schon etwas Krasses. Ich meine im nüchternen Zustanden würden sie niemals etwas zeigen. Aber ja. Aber schon ein Schlag ins Gesicht. Aber sie haben sich später am Tag entschuldigt und ich hab ihnen auch verziehen."
Thuy Luong: "Du hast darüber gelacht!"
Hoang Anh: "In dem Moment hab ich darüber gelacht. Ja."
Thuy Luong: "Schon irgendwie. Aber da merkt man, außerhalb Berlins gibt es mehr Begegnungen. Finde ich, da gibt's mehr Begegnungen als hier in Berlin, obwohl man im engeren Raum lebt."
Die Taxifahrt von Familie Luong zum Flughafen neigt sich dem Ende zu. In ein paar Stunden starten die Eltern in Richtung Hanoi zum Familienbesuch. Thuy hat dem Taxifahrer erzählt, dass in Berlin ein Nord-Süd-Konflikt tobt.
Taxifahrer: "Nord und Süd. Haha."
"Dann hat Herr Ho ja auch Berlin geteilt", sagt er. "Dit is ja 'n Ding". Thuy lacht und meint, dass die Sache halt sehr kompliziert sei. Sie habe jedenfalls keine Lust mehr auf die eisige Stimmung und die gegenseitigen Verletzungen. Der Taxifahrer meint, dass er sie verstehen kann und erzählt dann wieder von Ossis und Wessis: Die Sache ist halt sehr kompliziert.
Die ungelöste Heiratsfrage
Epilog. Thuy hat gestern eine E-Mail bekommen.
Thuy Luong: "Meine Eltern haben mich gestern gefragt: Hast Du eine E-Mail bekommen? Ich so: Was für eine E-Mail? Von wem denn? Also eine Bekannte von uns in Vietnam wollte mich mit jemandem hier verkuppeln."
Taxifahrer: (lacht)
Thuy Luong: "Weil ich ja angeblich schon über dem Heiratsalter bin und immer noch nicht verheiratet bin, denken sie, ich hätte ein Problem. Und deswegen ..."
Frau Luong: "Denk ich nicht."
Thuy Luong: "Dooooch! Na, wie denkst Du das?"
Frau Luong: "Ich nicht, ich nicht."
Thuy Luong: "Ja. Du schiebst es auf die Bekannte."
Frau Luong: "Die Bekannte nur. Nicht ich."
Thuy Luong: "Ja, ja. Also dann hab ich reingeguckt. Ein junger Mann, Pharmazeut oder er arbeitet in so einer Pharmazieindustrie. Schöne Grüße nach Hannover! (lacht) Ähm... ja. 33 Jahre alt, äh... ja. (prustet) Ich fand's sehr lustig."
Taxifahrer: "Das ist ja so eine richtige Herzgeschichte! Nein, ist das niedlich."
Thuy Luong: "Ich kenn den Typ gar nicht."