So klappt Dorfleben mit Flüchtlingen
Das Dorf Voßberg im Landkreis Märkisch-Oderland hat fast genauso viele Asylbewerber wie Einwohner. Brandanschläge auf Heime gibt es hier aber keine. Auch nicht in den Nachbarorten. Das Erfolgsrezept des Landrats ist so einfach, dass es schon wieder schwer umzusetzen ist.
Ein paar Kinder zwischen einem und zehn Jahren spielen im großen, sonnigen Vorgarten, vor einem dreigeschossigen Plattenbau am Rande des kleinen Dorfes Voßberg bei Letschin. Ihre Mütter sitzen plaudernd auf Bänken im Schatten. Der Plattenbau ist ein Heim des Arbeiter-Samariter-Bundes für 25 erwachsene Flüchtlinge, ihre 31 Kinder und acht Obdachlose. Jede Familie bewohnt ein Zimmer, teilt sich Bad und Küche mit den anderen Bewohnern, was gut funktioniert. Es ist Samstagvormittag, Sozialarbeiter Karsten Jagoda macht eine Rauchpause auf der Eingangstreppe, beobachtet die spielenden Kinder. Neben ihm: der stellvertretende Landrat Lutz Amsel. Amsel ist im brandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland für die Asylbewerber zuständig. "Probleme gibt es in meinem Landkreis nicht", sagt Lutz Amsel. Seine Strategie:
"Reden, reden, reden und die Leute mitnehmen. Das Einfache, was schwer zu machen ist."
Reden, reden, reden - das ist Amsels ganze Strategie. Und sie funktioniert. Für dieses Jahr rechnet Lutz Amsel mit 1300 neu ankommenden Asylbewerbern. Bevor er die Menschen irgendwo in seinem Landkreis unterbringt, spricht Lutz Amsel als erstes mit dem Bürgermeister und den gewählten Kommunalpolitikern. Anschließend laden er und die Beteiligten sofort zur Bürgerversammlung ein:
"Es gibt diffuse Ängste und da muss man einfach drüber reden und das machen wir dann auch. So dass im Allgemeinen nach diesen Einwohnerversammlungen, so war es bisher immer, sich erste Willkommenskreise vor Ort bilden. Und mit denen arbeiten wir eng zusammen, organisieren auch runde Tische und Ähnliches. Also das heißt wir kommen nicht einmal hin und sagen: Hier sind die Asylbewerber und nu' macht mal, sondern versuchen, gemeinsam mit den Bürgern vor Ort dieses tägliche Leben zu organisieren und ständig zu begleiten."
Der Oderbruch hat eine Flüchtlingstradition
Konkret heißt das, dass an diesem Morgen Michael Böttcher in dem Heim vorbeikommt. Er ist Bürgermeister von Letschin, wozu Voßberg gehört, und braucht mehr Personal für die neuen Kinder in seiner Schule:
"Da haben wir ein großes Problem. Genau darum habe ich mich gekümmert, ich habe einen Antrag gestellt bei der zuständigen Landrätin."
Während Böttcher seine Probleme schildert, zückt Lutz Amsel das kleine Notizbuch, das er immer dabei hat. Beide Männer werden eine Lösung finden, da sind sie sich sicher.
"Wir brauchen Kinder, wir brauchen in der Region auch wieder eine Stärkung unserer Lebensqualität und auch der Vielfalt. Und ich gehe auch davon aus, dass mit jeder Familie, die hier kommt, auch eine gewisse neue Kraft hier hineinströmt in das Oderbruch."
Neulich hat Böttcher Wohnungen für zwei Flüchtlingsfamilien mit zusammen acht Kindern im Ortsteil Golzow besorgt. Auch wenn die sich mit der Sprache noch schwer tun, Golzow hat durch sie wieder genügend Kinder für eine eigene Schulklasse. Dass Asylbewerber in der Region als Bereicherung erlebt werden, liegt an solchen Erfahrungen, aber auch an der eigenen Geschichte der Menschen im Oderbruch:
"Das Oderbruch ist prädestiniert. 1945 waren viele auf der Flucht gewesen und diese Flüchtlinge sind hier in den Dörfern des Oderbruchs gelandet. Das waren Kriegsflüchtlinge und diese Kriegsflüchtlinge haben sich hier integrieren können. Und warum sollte es uns nicht gelingen, die Integration auch andersrum zu realisieren?"
Während Bürgermeister und stellvertretender Landrat noch über die Schule diskutieren, plaudert Sozialarbeiter Karsten Jagoda auf Russisch mit zwei Jungen und deren Mutter aus Tschetschenien über das Dorf-Sportfest am Nachmittag.
"... und du gehst heute zum Sportfest mit Deinem Bruder ..."
Simplice aus Kamerun ist auf dem Weg zum Fußballtraining im Nachbarort, schwingt sich gerade im Hof auf sein Fahrrad.
"Hier ist ein bisschen gut. Ich bin eine Jahr hier. Ich möchte hier bleiben."
Ereignisse wie in Tröglitz muss man nicht zulassen
Nach zwei Stunden Besuch muss Lutz Amsel weiter. Der nächste Termin an diesem Samstag wartet in der Stadtpfarrkirche von Müncheberg. Die Volkshochschule hat Flüchtlinge, die schon länger in der Stadt leben, und Bürger zu Versammlung mit anschießendem Fest geladen. Amsel ist für die offizielle Begrüßung zuständig. Um die 100 Bewohner sind gekommen, auch Rentnerin Christa Konrad, hören still zu, was die fünf Flüchtlinge auf dem Podium erzählen:
"Also ich habe mich selbst dabei ertappt, dass ich mich erst mal im Internet belesen habe und bin heute ganz doll erfreut darüber, dass man die Leute fragt, weshalb sie hier sind."
Für Lutz Amsel sind die Geschichten der Flüchtlinge nichts Neues. Er hat in den letzten Monaten viele solcher Erzählungen gehört. Trotzdem bleibt er auch die nächsten zwei Stunden in der Bürgerversammlung sitzen. Er weiß genau, warum er an diesem Samstagnachmittag noch nicht Feierabend machen will:
"Jeder weiß ja um das schlimme Ereignis in Tröglitz. Da hat der Ministerpräsident Haseloff gesagt: Tröglitz ist überall. Da muss ich ihm energisch widersprechen. Trötzlitz ist nicht überall, sondern nur dort, wo wir es zulassen!"