Integration ist "eine Schicksalsfrage für Deutschland"
Immer mehr Zuwanderer kommen nach Deutschland - und zugleich gelingt deren Integration besser, haben Studien ergeben. In Zeiten des Fachkräftemangels verständen auch Unternehmer, dass man sich verstärkt um Migranten bemühen müsse, meint die Juristin Christine Langenfeld.
Dieter Kassel: Gleich mehrere Studien, Untersuchungen, Statistiken sind aktuell erschienen, die die Situation von Einwanderern und die Migrationsströme in Deutschland, in Europa und in den Industrienationen der Welt, die zur OECD gehören, beschreiben. Und wer, wie immer bei solchen Untersuchungen, nur darauf wartet, dass das wieder Berichte voller Negativindikatoren und Problemen sind, der wurde diesmal in wesentlichen Punkten enttäuscht.
Denn zwei positive Schlüsse lassen die vorliegenden Zahlen zu. Zum einen: Die Integration von aus anderen Ländern kommenden Menschen in Deutschland funktioniert immer besser und funktioniert vor allen Dingen in Deutschland besser als in vielen anderen Staaten. Und: Es kommen immer mehr Menschen nach Deutschland, die Steigerung ist enorm, und es kommen auch immer mehr höher Qualifizierte.
Was diese Zahlen bedeuten, ob solche pauschalen Schlüsse überhaupt zulässig sind, das wollen wir jetzt mit Christine Langenfeld besprechen. Sie ist die neue Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration, und da sie das offiziell seit gestern ist, hat sie quasi heute ihren ersten Arbeitstag. Und ist schon für uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Frau Langenfeld!
Christine Langenfeld: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Bei diesen Zahlen, machen Sie sich Sorgen, dass Ihr neuer Job im Grunde genommen schon überflüssig ist?
Langenfeld: Also, diese Sorgen mache ich mir keineswegs. Es ist allerdings ganz klar so, dass die Tendenz positiv ist, sowohl, was eben das Gelingen der Integration angeht, der Zuwanderer, und was eben ihre Qualifikation angeht. Also, die Tendenz ist gut, es geht positiv nach vorne, aber natürlich bleiben viele Baustellen weiterhin sozusagen zu beackern. Und dazu gehört insbesondere der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Bildung.
Kassel: Nun ist aber doch einer dieser Indikatoren aus den vorliegenden Untersuchungen auch, dass im europäischen und weltweiten Vergleich kaum irgendwo Einwanderer so häufig Arbeitsplätze finden, die ihrer Qualifikation entsprechen wie in Deutschland.
Langenfeld: Das ist natürlich ganz besonders erfreulich, dass in Deutschland die Situation so positiv ist, auch im Vergleich zu anderen Staaten. Dennoch ändert … bleibt die Tatsache, dass im Jahr 2010 etwas über 30 Prozent der Migranten zwischen 25 und 30 Jahren ohne Schulabschluss und ohne beruflichen Abschluss waren. Es bleibt die Tatsache, dass immer noch doppelt so viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeitslos sind wie Menschen ohne Migrationshintergrund, und es bleibt die Tatsache, dass immer noch doppelt so viele Schüler mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss verlassen.
Diese Zahlen bessern sich zwar, insgesamt wird die Arbeitsmarktintegration und die Bildungsbeteiligung besser, aber das, was ich eben aufgelistet habe, macht doch deutlich, dass die Unterschiede immer noch groß sind und dass hier einiges zu tun bleibt. Wir können uns nicht allein darauf ausruhen, dass es besser geht in Deutschland als in anderen Ländern.
Kassel: Das ist sicherlich alles richtig, was Sie sagen, aber tun Sie nicht im Moment gerade das, was ganz oft in unserer Gesellschaft passiert? Immer darauf hinweisen, wie problematisch es läuft mit der Einwanderung und der Integration. Ein bisschen die Freude darüber vergessen, dass manches doch funktioniert?
Langenfeld: Da gebe ich Ihnen sehr gerne recht. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat ja von Anfang an sehr deutlich gemacht und hat dies auch in seiner Umfrage im Rahmen des Integrationsbarometers belegt, dass auch die Atmosphäre, sozusagen das Lebensgefühl der Menschen, sowohl der Deutschen, also derjenigen Menschen ohne Migrationshintergrund, aber und derjenigen mit Migrationshintergrund, ob nun eingebürgert oder nicht, sehr positiv ist.
Also die Menschen spüren insgesamt ein recht positives Integrationsklima. Wir haben dies mit Zwei minus bewertet, um mal eine Schulnote heranzuziehen, und diese Bewertung resultiert auch selbst aus ihren positiven Integrationserfahrungen. Also, diese Erkenntnis, die sich jetzt in diesen harten Zahlen sozusagen auch widerspiegelt, entspricht genau dem, was der Sachverständigenrat schon vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit gebracht hat.
Kassel: Wenn wir jetzt also feststellen, dass es, auch wenn noch genug zu tun bleibt, in verschiedenen Fällen positive Entwicklungen gibt, was Schulabschlüsse angeht, was Arbeit angeht und vieles mehr, kann man denn diese Zahlen überhaupt pauschal so bewerten? Denn wenn man genau hinguckt, bleiben wir beim Schulerfolg, müssen wir doch immer wieder feststellen, dass Migranten, die aus bestimmten Ländern kommen, scheinbar grundsätzlich besser abschließen als welche aus anderen.
Langenfeld: Das ist richtig. Das heißt, wir müssen sehr differenziert sein. Wir haben zum Beispiel Migranten, die aus sozusagen, die als Spätaussiedler kommen, schneiden im Allgemeinen sehr gut ab, sie schneiden vielfach sogar im Durchschnitt besser ab als ihre deutschen Mitschüler. Und genauso verhält sich das auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt Migrantengruppen, dazu gehört etwa die Gruppe der aus der Türkei stammenden Migranten, aber auch aus Italien, die insbesondere im schulischen Bereich Defizite haben, also häufiger als andere ohne Schulabschluss etwa abgehen. Darauf müssen wir unsere Bemühungen eben in besonderer Weise konzentrieren.
Es ist ja so, dass sehr, sehr häufig es in Schulen zu einer Konzentration von Kindern und Jugendlichen kommt, die aus bildungsfernen Haushalten stammen. Häufig ist es so, dass ihn manchen, dass in Schulen 80 Prozent der Kinder über einen Migrationshintergrund verfügen, insbesondere dann, wenn die Schulen in Bezirken liegen, in denen eben zahlreiche Familien mit Migrationshintergrund leben, und es kann passieren, dass an diesen Schulen ein Lernklima entsteht, welches eben dem Schulerfolg nicht förderlich ist.
Und hier muss einfach mehr investiert werden. Diese Schulen müssen sozusagen mit mehr Sozialarbeitern etwa ausgestattet werden, aber auch andere Unterstützungsmaßnahmen erhalten. Und dass so etwas gelingen kann, sehen wir ja an einzelnen Schulen insbesondere in Berlin. Also hier bleibt wirklich einiges zu tun, aber die Aufgabe ist lösbar meines Erachtens.
Kassel: Wenn wir noch mit einer Frage bei der Integration bleiben, und dann kommen wir zur Zuwanderung. Das sind ja zwei verschiedene Themen, auch wenn es in beiden Fällen positive Tendenzen gibt. Eine Frage dazu: Wenn wir mal davon ausgehen, es gibt ja diese Zahlen, die auch belastbar sind, es gibt Erfolge in der Integration - wer ist an diesen Erfolgen eigentlich schuld?
Langenfeld: Also ich denke, dass der Staat, der sozusagen die Schule in seiner Hand hat, aber auch die Wirtschaft, die Unternehmen erkannt haben, dass die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund eine Frage ist, eine Schicksalsfrage für Deutschland. Integration muss gelingen. Man muss sich verstärkt um sie bemühen. Und hier sind entsprechende Maßnahmen getroffen worden. Hier ist aber auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft geschaffen worden, auch bei den Migranten selbst, im Übrigen, dass Integration eben eine Aufgabe ist, die Anstrengungen von beiden Seiten erfordert. Sowohl vonseiten der Mehrheitsgesellschaft, vonseiten des Staates, aber eben auch von den Migranten selbst.
Und in dieser Atmosphäre sozusagen der Erkenntnis einer Herausforderung geht es dann eben auch durchaus voran. Es gibt dann auch immer mehr positive Beispiel, immer mehr Role Models, wie man das so nennt, an denen man sich orientieren kann. Also alles das führt dann dazu, dass es in langsamen Schritten - es geht weiß Gott nicht schnell -, aber langsam und stetig vorangeht.
Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Christine Langenfeld, sie ist die neue Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration. Und jetzt reden wir über die Einwanderer.
Und da möchte ich jetzt, auch wenn das immer leicht verwirrend wird, wirklich mal eine konkrete Zahl nennen. Im Jahr 2010, das sind die letzten aktuellen, belastbaren Zahlen, sind 222.400 Menschen nach Deutschland eingewandert. Das ist ein enormer Zuwachs, in%en ausgedrückt. In absoluten Zahlen ist es ja eigentlich ja doch nicht so beeindruckend. Kleinere Staaten wie Dänemark, Neuseeland oder Norwegen haben fast dreimal so viele Menschen neu aufgenommen, die Schweiz fünfmal so viele, nämlich 1.500.000. Ist es insofern nicht auch ein bisschen unangemessen, sich so sehr über diese Zunahme zu freuen?
Langenfeld: Also es ist so, dass in 2011, ich darf Ihnen vielleicht noch eine aktuellere Zahl hinzufügen, knapp 280.000 Menschen nach Deutschland eingewandert sind, beziehungsweise diese Zahl weist den positiven Wanderungssaldo aus. Also tatsächlich das Ergebnis zwischen Abwanderung und Zuwanderung. Eingewandert an Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind weitaus mehr, fast 800.000 Menschen. Aber als Saldo bleibt eben doch diese hohe Zahl.
Warum freuen wir uns darüber, und warum ist es berechtigt, sich darüber zu freuen? Auch wenn die Zahl im Verhältnis immer noch ziemlich klein ist im Vergleich zu anderen Staaten: Weil Deutschland über lange Jahre hinweg sozusagen ein Abwanderungsland war. Wir hatten … wir haben zum ersten Mal, gelingt es nun in nennenswertem Umfang, einen positiven Wanderungssaldo zu erzeugen. Und man muss hinzufügen, dieser positive Wanderungssaldo besteht, kommt wohl zustande ganz überwiegend durch die Zuwanderung von Menschen, die qualifiziert sind. Es gibt jedenfalls sehr, sehr starke Anhaltspunkte dafür, festzuhalten, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, gut qualifiziert sind. Die Menschen kommen ganz überwiegend aus den Staaten der EU, namentlich aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, aus Polen, aus Ungarn, aber sie kommen jetzt verstärkt …
Kassel: Frau Langenfeld? Wir haben da gerade eine schwierige Telefonleitung, wir hatten gerade von Ihnen den Satz "sie kommen jetzt verstärkt auch aus", und dann wurden Sie unterbrochen. Ich nehme mal an, Sie haben Griechenland gesagt, oder?
Langenfeld: Ja, Griechenland und Spanien. Wir haben dort also einen wirklich signifikanten Anstieg, wir haben zum Bespiel aus Griechenland einen Anstieg der Zuwanderung um 90 Prozent, 11.000 Menschen mehr sind in 2011 aus diesem Land nach Deutschland gekommen. Das ist natürlich eine hohe Zahl. Und regelmäßig handelt es sich um gut qualifizierte Personen, die eben in Deutschland einen Arbeitsplatz suchen und häufig …
Kassel: Frau Langenfeld, wir haben eine ganz schlechte Leitung jetzt plötzlich, aber eine Frage möchte ich trotzdem unbedingt noch stellen: Wenn jetzt natürlich viele Griechen kommen, Spanier, Portugiesen, es hat sogar einen leichten Anstieg bei den Iren gegeben. Das passt ja alles ins Bild, aber da muss man doch mal feststellen, da kann Deutschland nun gar nichts für, das liegt doch an der Eurokrise?
Langenfeld: Da kann Deutschland nichts für, aber Deutschland ist eben Teil der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein Wanderungsraum, und in diesem Fall profitiert Deutschland, das ja händeringend Arbeitskräfte sucht, von dieser Krise. Und die Arbeitskräfte in Griechenland und in Spanien, die einen Arbeitsplatz suchen, haben die Möglichkeit, sich in der Union frei zu bewegen.
Ob die Einwanderung dauerhaft ist nach Deutschland, ob diese Menschen in Deutschland bleiben, das hängt von vielen Dingen ab, das kann heute noch niemand vorhersagen, aber es zeigt sich an dieser Stelle, dass eben Europa als Wanderungsraum tatsächlich auch funktioniert. Und es ist zu hoffen, dass diese Menschen, jedenfalls für die Zeit, die sie in Deutschland bleiben wollen, hier einen Arbeitsplatz finden und dass Deutschland eben, das auf der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften ist, davon gleichermaßen profitieren kann.
Kassel: Es bleibt noch viel zu tun, es bliebe auch viel zu besprechen, was wir an dieser Stelle nicht tun können, aber wir halten fest - die Feststellung, dass man aus aktuellen Zahlen entnehmen kann, dass es sowohl bei der Integration als auch bei der Einwanderung positive Tendenzen gibt. Dem widersprechen Sie nicht. Christine Langenfeld war das, die neue Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration. Danke Ihnen für heute und sage einfach mal, bis zum nächsten Mal.
Langenfeld: Ja. Ich danke Ihnen, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Was diese Zahlen bedeuten, ob solche pauschalen Schlüsse überhaupt zulässig sind, das wollen wir jetzt mit Christine Langenfeld besprechen. Sie ist die neue Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration, und da sie das offiziell seit gestern ist, hat sie quasi heute ihren ersten Arbeitstag. Und ist schon für uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Frau Langenfeld!
Christine Langenfeld: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Bei diesen Zahlen, machen Sie sich Sorgen, dass Ihr neuer Job im Grunde genommen schon überflüssig ist?
Langenfeld: Also, diese Sorgen mache ich mir keineswegs. Es ist allerdings ganz klar so, dass die Tendenz positiv ist, sowohl, was eben das Gelingen der Integration angeht, der Zuwanderer, und was eben ihre Qualifikation angeht. Also, die Tendenz ist gut, es geht positiv nach vorne, aber natürlich bleiben viele Baustellen weiterhin sozusagen zu beackern. Und dazu gehört insbesondere der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Bildung.
Kassel: Nun ist aber doch einer dieser Indikatoren aus den vorliegenden Untersuchungen auch, dass im europäischen und weltweiten Vergleich kaum irgendwo Einwanderer so häufig Arbeitsplätze finden, die ihrer Qualifikation entsprechen wie in Deutschland.
Langenfeld: Das ist natürlich ganz besonders erfreulich, dass in Deutschland die Situation so positiv ist, auch im Vergleich zu anderen Staaten. Dennoch ändert … bleibt die Tatsache, dass im Jahr 2010 etwas über 30 Prozent der Migranten zwischen 25 und 30 Jahren ohne Schulabschluss und ohne beruflichen Abschluss waren. Es bleibt die Tatsache, dass immer noch doppelt so viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeitslos sind wie Menschen ohne Migrationshintergrund, und es bleibt die Tatsache, dass immer noch doppelt so viele Schüler mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss verlassen.
Diese Zahlen bessern sich zwar, insgesamt wird die Arbeitsmarktintegration und die Bildungsbeteiligung besser, aber das, was ich eben aufgelistet habe, macht doch deutlich, dass die Unterschiede immer noch groß sind und dass hier einiges zu tun bleibt. Wir können uns nicht allein darauf ausruhen, dass es besser geht in Deutschland als in anderen Ländern.
Kassel: Das ist sicherlich alles richtig, was Sie sagen, aber tun Sie nicht im Moment gerade das, was ganz oft in unserer Gesellschaft passiert? Immer darauf hinweisen, wie problematisch es läuft mit der Einwanderung und der Integration. Ein bisschen die Freude darüber vergessen, dass manches doch funktioniert?
Langenfeld: Da gebe ich Ihnen sehr gerne recht. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat ja von Anfang an sehr deutlich gemacht und hat dies auch in seiner Umfrage im Rahmen des Integrationsbarometers belegt, dass auch die Atmosphäre, sozusagen das Lebensgefühl der Menschen, sowohl der Deutschen, also derjenigen Menschen ohne Migrationshintergrund, aber und derjenigen mit Migrationshintergrund, ob nun eingebürgert oder nicht, sehr positiv ist.
Also die Menschen spüren insgesamt ein recht positives Integrationsklima. Wir haben dies mit Zwei minus bewertet, um mal eine Schulnote heranzuziehen, und diese Bewertung resultiert auch selbst aus ihren positiven Integrationserfahrungen. Also, diese Erkenntnis, die sich jetzt in diesen harten Zahlen sozusagen auch widerspiegelt, entspricht genau dem, was der Sachverständigenrat schon vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit gebracht hat.
Kassel: Wenn wir jetzt also feststellen, dass es, auch wenn noch genug zu tun bleibt, in verschiedenen Fällen positive Entwicklungen gibt, was Schulabschlüsse angeht, was Arbeit angeht und vieles mehr, kann man denn diese Zahlen überhaupt pauschal so bewerten? Denn wenn man genau hinguckt, bleiben wir beim Schulerfolg, müssen wir doch immer wieder feststellen, dass Migranten, die aus bestimmten Ländern kommen, scheinbar grundsätzlich besser abschließen als welche aus anderen.
Langenfeld: Das ist richtig. Das heißt, wir müssen sehr differenziert sein. Wir haben zum Beispiel Migranten, die aus sozusagen, die als Spätaussiedler kommen, schneiden im Allgemeinen sehr gut ab, sie schneiden vielfach sogar im Durchschnitt besser ab als ihre deutschen Mitschüler. Und genauso verhält sich das auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt Migrantengruppen, dazu gehört etwa die Gruppe der aus der Türkei stammenden Migranten, aber auch aus Italien, die insbesondere im schulischen Bereich Defizite haben, also häufiger als andere ohne Schulabschluss etwa abgehen. Darauf müssen wir unsere Bemühungen eben in besonderer Weise konzentrieren.
Es ist ja so, dass sehr, sehr häufig es in Schulen zu einer Konzentration von Kindern und Jugendlichen kommt, die aus bildungsfernen Haushalten stammen. Häufig ist es so, dass ihn manchen, dass in Schulen 80 Prozent der Kinder über einen Migrationshintergrund verfügen, insbesondere dann, wenn die Schulen in Bezirken liegen, in denen eben zahlreiche Familien mit Migrationshintergrund leben, und es kann passieren, dass an diesen Schulen ein Lernklima entsteht, welches eben dem Schulerfolg nicht förderlich ist.
Und hier muss einfach mehr investiert werden. Diese Schulen müssen sozusagen mit mehr Sozialarbeitern etwa ausgestattet werden, aber auch andere Unterstützungsmaßnahmen erhalten. Und dass so etwas gelingen kann, sehen wir ja an einzelnen Schulen insbesondere in Berlin. Also hier bleibt wirklich einiges zu tun, aber die Aufgabe ist lösbar meines Erachtens.
Kassel: Wenn wir noch mit einer Frage bei der Integration bleiben, und dann kommen wir zur Zuwanderung. Das sind ja zwei verschiedene Themen, auch wenn es in beiden Fällen positive Tendenzen gibt. Eine Frage dazu: Wenn wir mal davon ausgehen, es gibt ja diese Zahlen, die auch belastbar sind, es gibt Erfolge in der Integration - wer ist an diesen Erfolgen eigentlich schuld?
Langenfeld: Also ich denke, dass der Staat, der sozusagen die Schule in seiner Hand hat, aber auch die Wirtschaft, die Unternehmen erkannt haben, dass die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund eine Frage ist, eine Schicksalsfrage für Deutschland. Integration muss gelingen. Man muss sich verstärkt um sie bemühen. Und hier sind entsprechende Maßnahmen getroffen worden. Hier ist aber auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft geschaffen worden, auch bei den Migranten selbst, im Übrigen, dass Integration eben eine Aufgabe ist, die Anstrengungen von beiden Seiten erfordert. Sowohl vonseiten der Mehrheitsgesellschaft, vonseiten des Staates, aber eben auch von den Migranten selbst.
Und in dieser Atmosphäre sozusagen der Erkenntnis einer Herausforderung geht es dann eben auch durchaus voran. Es gibt dann auch immer mehr positive Beispiel, immer mehr Role Models, wie man das so nennt, an denen man sich orientieren kann. Also alles das führt dann dazu, dass es in langsamen Schritten - es geht weiß Gott nicht schnell -, aber langsam und stetig vorangeht.
Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Christine Langenfeld, sie ist die neue Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration. Und jetzt reden wir über die Einwanderer.
Und da möchte ich jetzt, auch wenn das immer leicht verwirrend wird, wirklich mal eine konkrete Zahl nennen. Im Jahr 2010, das sind die letzten aktuellen, belastbaren Zahlen, sind 222.400 Menschen nach Deutschland eingewandert. Das ist ein enormer Zuwachs, in%en ausgedrückt. In absoluten Zahlen ist es ja eigentlich ja doch nicht so beeindruckend. Kleinere Staaten wie Dänemark, Neuseeland oder Norwegen haben fast dreimal so viele Menschen neu aufgenommen, die Schweiz fünfmal so viele, nämlich 1.500.000. Ist es insofern nicht auch ein bisschen unangemessen, sich so sehr über diese Zunahme zu freuen?
Langenfeld: Also es ist so, dass in 2011, ich darf Ihnen vielleicht noch eine aktuellere Zahl hinzufügen, knapp 280.000 Menschen nach Deutschland eingewandert sind, beziehungsweise diese Zahl weist den positiven Wanderungssaldo aus. Also tatsächlich das Ergebnis zwischen Abwanderung und Zuwanderung. Eingewandert an Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind weitaus mehr, fast 800.000 Menschen. Aber als Saldo bleibt eben doch diese hohe Zahl.
Warum freuen wir uns darüber, und warum ist es berechtigt, sich darüber zu freuen? Auch wenn die Zahl im Verhältnis immer noch ziemlich klein ist im Vergleich zu anderen Staaten: Weil Deutschland über lange Jahre hinweg sozusagen ein Abwanderungsland war. Wir hatten … wir haben zum ersten Mal, gelingt es nun in nennenswertem Umfang, einen positiven Wanderungssaldo zu erzeugen. Und man muss hinzufügen, dieser positive Wanderungssaldo besteht, kommt wohl zustande ganz überwiegend durch die Zuwanderung von Menschen, die qualifiziert sind. Es gibt jedenfalls sehr, sehr starke Anhaltspunkte dafür, festzuhalten, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, gut qualifiziert sind. Die Menschen kommen ganz überwiegend aus den Staaten der EU, namentlich aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, aus Polen, aus Ungarn, aber sie kommen jetzt verstärkt …
Kassel: Frau Langenfeld? Wir haben da gerade eine schwierige Telefonleitung, wir hatten gerade von Ihnen den Satz "sie kommen jetzt verstärkt auch aus", und dann wurden Sie unterbrochen. Ich nehme mal an, Sie haben Griechenland gesagt, oder?
Langenfeld: Ja, Griechenland und Spanien. Wir haben dort also einen wirklich signifikanten Anstieg, wir haben zum Bespiel aus Griechenland einen Anstieg der Zuwanderung um 90 Prozent, 11.000 Menschen mehr sind in 2011 aus diesem Land nach Deutschland gekommen. Das ist natürlich eine hohe Zahl. Und regelmäßig handelt es sich um gut qualifizierte Personen, die eben in Deutschland einen Arbeitsplatz suchen und häufig …
Kassel: Frau Langenfeld, wir haben eine ganz schlechte Leitung jetzt plötzlich, aber eine Frage möchte ich trotzdem unbedingt noch stellen: Wenn jetzt natürlich viele Griechen kommen, Spanier, Portugiesen, es hat sogar einen leichten Anstieg bei den Iren gegeben. Das passt ja alles ins Bild, aber da muss man doch mal feststellen, da kann Deutschland nun gar nichts für, das liegt doch an der Eurokrise?
Langenfeld: Da kann Deutschland nichts für, aber Deutschland ist eben Teil der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein Wanderungsraum, und in diesem Fall profitiert Deutschland, das ja händeringend Arbeitskräfte sucht, von dieser Krise. Und die Arbeitskräfte in Griechenland und in Spanien, die einen Arbeitsplatz suchen, haben die Möglichkeit, sich in der Union frei zu bewegen.
Ob die Einwanderung dauerhaft ist nach Deutschland, ob diese Menschen in Deutschland bleiben, das hängt von vielen Dingen ab, das kann heute noch niemand vorhersagen, aber es zeigt sich an dieser Stelle, dass eben Europa als Wanderungsraum tatsächlich auch funktioniert. Und es ist zu hoffen, dass diese Menschen, jedenfalls für die Zeit, die sie in Deutschland bleiben wollen, hier einen Arbeitsplatz finden und dass Deutschland eben, das auf der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften ist, davon gleichermaßen profitieren kann.
Kassel: Es bleibt noch viel zu tun, es bliebe auch viel zu besprechen, was wir an dieser Stelle nicht tun können, aber wir halten fest - die Feststellung, dass man aus aktuellen Zahlen entnehmen kann, dass es sowohl bei der Integration als auch bei der Einwanderung positive Tendenzen gibt. Dem widersprechen Sie nicht. Christine Langenfeld war das, die neue Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration. Danke Ihnen für heute und sage einfach mal, bis zum nächsten Mal.
Langenfeld: Ja. Ich danke Ihnen, Herr Kassel!
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