Rekordwert junger Migranten bei der Berliner Polizei
Der Anteil junger Männer mit Migrationshintergrund ist in der Berliner Polizei größer als in der Gesamtbevölkerung - ein Rekord. Ihre Fremdsprachenkenntnisse und das Wissen über andere Kulturen können bei der Arbeit hilfreich sein. In der Ausbildung lernen sie auch, wie sie ihre Körpersprache einsetzen.
"Funkspruch: Es befindet sich eine Person im KFZ, die dort nicht hingehört ... ..habe verstanden, kommen ... verstanden, Sie bekommen Unterstützung, Polizeibeamte, zwei Mann dazu."
Eine Übung für künftige Polizisten in Berlin. Polizeianwärter im mittleren Dienst lernen per Rollenspiel, wie man alltägliche und nicht ganz so alltägliche Situationen meistert, erklärt Ausbilder Marcel Vandamme:
"Jemand kommt zu seinem Fahrzeug und stellt fest, da sitzt jemand drin, der da gar nicht reingehört, ich hoffe und erwarte, dass die ihn ziemlich schnell aus dem Fahrzeug rausholen, mit den Techniken, die wir gelernt haben und dann mal sehen."
Übung: "Wachen Sie auf, Polizei, wachen Sie auf, steigen Sie aus dem Fahrzeug aus! ... Hau ab! ... Ey, kommen Sie jetzt mal raus da, kommen Sie raus!"
Fremdsprachen sind wichtig
Der halbschlafende Typ im Wagen rührt sich nicht. Er ist betrunken oder hat Drogen genommen, außerdem will oder kann er nicht verstehen, was die beiden angehenden Polizisten von ihm wollen. Vielleicht hätte Ali Peroz mehr Glück gehabt. Der Polizeikommissaranwärter steht kurz vor dem Abschluss und spricht außer Deutsch auch noch Farsi und Dari, weil seine Eltern in Afghanistan geboren wurden. Das hat ihm schon während seiner Ausbildung geholfen, zum Beispiel als er zu einem handgreiflichen Streit in ein Berliner Flüchtlingsheim gerufen wurde:
"Viele der Flüchtlinge sprechen Englisch, ja, aber auch sehr gebrochen. Und natürlich wenn man die Sprache der Personengruppe spricht, dann hält man sich taktisch gesehen erst mal zurück und versucht erst mal so aufzunehmen, was halt vorgefallen war. Und im Endeffekt ging es eben nur darum, dass der eine dem anderen ein Brötchen geklaut hat. Arabisch kann ich leider nicht, also Syrisch, aber ich konnte mich mit der afghanischen Personengruppe dann zusammensetzen und dann haben wir das geregelt."
Dafür wird der 24-Jährige von seinen Kollegen geschätzt – aber nicht nur dafür. Polizeiarbeit ist Teamarbeit, sagt auch Serkan Yalcinkaya, der in Zukunft als Kriminalkommissar arbeiten wird. Er hat türkische Wurzeln, sein Vater kam Mitte der 70er-Jahre als Gastarbeiter nach Berlin:
"Zum Beispiel kommen Kollegen oft zu mir und fragen: 'Kannst du das lesen?', wenn es Kyrillisch oder Arabisch ist. Man wird sozusagen für seine Fähigkeiten auch wirklich geschätzt, das merkt man auch und ich persönlich habe noch nie von Kollegen was gehört, was mich verletzen würde. Ich glaube, die sehen in mir auch nicht den Migranten, sondern den Kollegen, mit dem sie später mal zusammenarbeiten werden."
Anteilig mehr junge Migranten als in der Bevölkerung
Auf 36 Prozent im mittleren und 28 Prozent im gehobenen Dienst ist der Anteil der der jungen Polizisten mit Migrationshintergrund in Berlin inzwischen gestiegen. Ein Rekordwert. Der Anteil der Migranten beim Polizeinachwuchs ist inzwischen höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in der Stadt. Deutsche Sprache und deutsche Staatsbürgerschaft sind aber Voraussetzung für Bewerber. Unter diesen Polizisten im zweiten Lehrjahr sind auch welche mit polnischen und arabischen Wurzeln. Bei der heutigen Übung spielt die Herkunft allerdings keine Rolle. Ausbilder Marcel Vandamme trainiert Basiswissen:
"Wie spricht man an, Eigensicherung, wir beurteilen halt die Sprache, wie sprechen sie mit dem Bürger, wie sprechen sie untereinander, die Eigensicherung, wie durchsuchen sie, Handfesseltraining, Funkverkehr und das angewandte Fachwissen."
"Tun Sie das Messer weg! Steigen Sie aus dem Fahrzeug aus und legen Sie das Messer weg, legen sie das Messer jetzt weg! Gut. Und aussteigen! Hände raus und aussteigen, los!"
Serkan Yalcinkaya und Ali Peroz beobachten die Szene. Sie haben ihre Ausbildung für den gehobenen Dienst schon fast abgeschlossen.
"Ich hätte das ein bisschen anders gemacht. Weil wenn er schon ein Messer in der Hand hat, hätte ich die Schusswaffe auf jeden Fall früher schon gezogen und hätte mir vom Halter erst mal den Fahrzeugschein zeigen lassen, ob das überhaupt sein Fahrzeug ist.
"Auch ich würde das anders machen, ich würde den Geschädigten auch nicht so nah an das Einsatzgeschehen lassen. Er müsste sich weiter wegstellen."
Mit der Videokamera die Körpersprache überprüfen
Dazu kommt die Körpersprache. Ali Peroz ist ohnehin groß und breitschultrig. Aber als Ausbilder Vandamme die Videokamera hervorholt, stellt er sich unwillkürlich noch ein bisschen gerader hin:
"Man sieht die Körpersprache und vor allem als Polizist draußen sollte man ja immer aufrecht gehen und Brust raus und wenn man zu Anfang hier ist doch so ein schmächtiger Typ ist, dann verkriecht man sich und man nimmt zuerst die Rollenspiele teilweise nicht ernst, man muss sich erst mal reinfuchsen, aber es ist schon wichtig mal ein Bild zu sehen, wie man sich gibt überhaupt."
Im sozial problematischen und kriminalitätsbelasteten Wedding kann es jedenfalls nicht schaden, auch körperlich ein bisschen Eindruck zu machen. Für Ali Peroz wird die ganz normale Polizeiarbeit nämlich auf eigenen Wunsch dort beginnen, im Abschnitt 35:
"Ich werde Verkehrsunfälle aufnehmen, unzulässigen Lärm verhindern, Körperverletzung verhindern, wir sind die ersten vor Ort und im Schichtdienst erst mal früh, spät und nachts."
Zwischen den Kulturen eine Brücke schlagen
Viele Migranten leben im Wedding. Und seine eigene Herkunft kann da bei der Arbeit auf dem Abschnitt hilfreich sein, davon ist Ali Peroz überzeugt:
"Straßenverkehr, da fängst das schon mal an, viele die aus den Ländern kommen, kennen sich beispielsweise nicht mit den Straßenverkehrsgesetzen hier in Deutschland aus und im Rahmen der Präventionsarbeit haben wir Verkehrssicherheitsberater in den Abschnitten, die besuchen auch regelmäßig die Flüchtlingsheime und beschulen die, damit sie sich sicher im Straßenverkehr aufhalten."
Über die Sprachkenntnisse hinaus seien auch seine zwei Kulturen ein Vorteil, meint Serkan Yalcinkaya:
"Weil ich hier geboren bin und trotzdem in zwei Kulturen aufgewachsen bin, einmal in der türkischen Kultur und einmal in der deutschen Kultur. Durch die Familie bekommt man sozusagen die türkische Kultur hineingefüttert und indem man zur Schule geht, durch Freunde, den Fußballverein und so weiter kriegt man die deutsche Kultur. Man schaut sich deutsches Fernsehen an und man nimmt sich die besten Komponenten aus beiden Kulturen und lässt eine neue Kultur entstehen, was eigentlich sehr von Vorteil ist. Aus dem Grund fungiert man als Brücke, ich komme sehr gut mit Menschen aus der Türkei klar und ich komme auch sehr gut mit Deutschen klar."
Er weiß, wie unterschiedlich auch Menschen mit türkischen Wurzeln ticken können. Sein Vater stammt aus einer offenen, modernen Familie, seine Mutter aus einer sehr konservativen und traditionellen:
"Da bietet es sich manchmal an, nicht die Hand zu geben der Frau, sondern von weitem das Wort 'Hallo' zu sagen und dann in die Gesprächsrunde einzugehen. Das muss man respektieren, dass die Dame dem Herren nicht die Hand geben möchte und eventuell der Herr der deutschen Polizistin nicht die Hand geben möchte. Und das sind halt Kompetenzen, die man sieht, besonders wenn die Frau bedeckt ist, da muss man sich ein bisschen klar werden, dass der Mann der Dame die Hand nicht geben sollte, sondern von weitem 'Hallo' und die Kommunikation dann aufbauen sollte."
Potenzial für einen steilen Aufstieg
Den persönlichen Kontakt zu Opfern und Tätern findet der künftige Kriminalkommissar wichtig. Als Anwärter für den gehobenen Dienst muss er aber genau wie Ali Peroz vor allem lernen, Einsätze zu planen und zu leiten. Mit Ausbilderin Silvia Lonsing geht es im Einsatztraining jetzt um Prävention gegen Taschendiebstähle:
Ich würde mal fragen, wo wollen wir den Einsatz machen, was ist wichtig für so einen Einsatz, woran müssen wir denken? – Kottbusser Tor ist ja momentan die Lage mit den Taschendiebstählen sehr hoch, das wäre eine gute Örtlichkeit, wo wir das vielleicht machen könnten. – Des weiteren muss mit dem Bezirksamt Kontakt aufgenommen werden, ob wir überhaupt dort unsere Stände aufstellen können. – Wir müssen signalisieren, hier ist die Polizei, wir führen hier heute ein Präventionsgespräch in der Umgebung durch, müssen Flyer parat haben. – In dem Zusammenhang müssten wir auch klären, ob wir eventuell verdeckte Kräfte einsetzen und Handtaschen, die offen sind mit, kennt ihr diese Kleber, diese Aufkleber, mit den Aufklebern versehen vielleicht. – Sie haben ja jetzt ihren Planungsstab, dass man jetzt die Aufträge rausgeben an die entsprechenden Leute."
Die Ausbilderin ist zufrieden mit ihren Schülern. Drei Jahre wird Serkan Yalcinkaya nach seinem Abschluss in ganz verschiedenen Bereichen der Kriminalpolizei arbeiten. Das LKA 13 für Sexualstraftaten ist sein Wunschziel. Ali Peroz will neben seinem Dienst bei der Polizei noch Jura studieren und dann bei der Polizei Karriere machen – auch um zu beweisen, wie weit man es mit Migrationshintergrund bringen kann.
"Das, was Deutschland meinen Eltern und meiner Familie gegeben hat, war auch irgendwann der entscheidende Punkt, was ich dann diesem Land wieder zurückgeben wollte. Und wie klappt das besser, als bei der Berliner Polizei oder allgemein bei einer Behörde."
Einem steilen Aufstieg bei der Polizei steht bei Ali Peroz und Serkan Yalcinkaya eigentlich nichts im Wege. Einen Polizeipräsidenten mit Migrationshintergrund hatte die Stadt jedenfalls noch nicht.
Warum ist der Polizeidienst so attraktiv für Migranten?Daniela Hunold von der Deutschen Hochschule der Polizei
Audio Player
Audio Player