Integration von Flüchtlingen

Pflicht zum interkulturellen Dialog

Flüchtlinge warten am 28.10.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze in Österreich vor Wegscheid (Bayern) auf ihre Einreise nach Deutschland.
Bei der Integration von Flüchtlingen müssten Muslime, Christen, aber auch nicht-religiöse Menschen helfen, sagt Erzbischof Stefan Heße. © dpa / picture-alliance / Armin Weigel
In Würzburg findet am Dienstag ein Flüchtlingsgipfel der katholischen Kirche statt, der sich mit Integrationsfragen beschäftigt. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße sieht dabei die ganze Gesellschaft in der Pflicht – nicht nur die Muslime.
Bei der Integration der Flüchtlinge seien Muslime, Christen, aber auch nicht-religiöse Menschen gleichermaßen gefordert, meint der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz.
"Denn es geht meines Erachtens bei dem Ganzen um die Frage, was unser Land zusammenhält, was sozusagen der gesellschaftliche Konsens ist, der uns trägt."
Parallelgesellschaften verhindern
Jeder Einzelne müsse sich an dem interkulturellen Dialog beteiligen und dürfe sich "nicht wegdrücken".
Der Dialog sei allerdings nicht ganz einfach, sagt Heße. Außerdem müssten die Anstrengungen verstärkt werden:
"Denn nur wenn wir in diesen Dialog einsteigen, können wir verhindern, dass irgendwelche Parallelgesellschaften entstehen, die dann irgendwo nebenher existieren und bei denen wir dann nicht mehr wissen, was da in unserem Land läuft. Das sollten wir auf jeden Fall tunlichst vermeiden."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: In Würzburg findet heute ein katholischer Flüchtlingsgipfel statt. Es wird da natürlich unter anderem um ganz praktische Fragen gehen, wie können katholische Hilfsorganisationen ihre Arbeit koordinieren, welche Bedarfe gibt es bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, aber es geht natürlich auch um die Frage, wie kann Deutschland die vielen Flüchtlinge integrieren, wie kann auch die katholische Kirche zur Integration von überwiegend muslimischen Neubürgern beitragen? Die Vorbereitung dieses Flüchtlingsgipfels hat Stefan Heße geleitet, denn der Hamburger Erzbischof ist auch der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der deutschen Bischofskonferenz. Herr Heße, schönen guten Morgen!
Stefan Heße: Morgen, Herr Kassel, ich grüße Sie!
Kassel: Wir haben über diese Frage, wie können gerade muslimische Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft integriert werden, gestern Abend hier im Deutschlandradio Kultur auch schon mit Aiman Mazyek geredet, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, und er hat seine Vorstellung dazu so zusammengefasst:
((Einspieler))
Aiman Mazyek war das, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
"Der Dialog ist das Instrument"
Wir reden jetzt mit dem Hamburger Bischof und Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen der katholischen Kirche, Stefan Heße. Herr Heße, ist das die Aufgabe von Muslimen, die Neuankömmlinge zu integrieren oder ist es auch die Aufgabe der katholischen Kirche?
Heße: Ich würde sagen, da kann sich keiner vor drücken, sondern das ist eine Aufgabe, die wir alle in unserem Land haben. Die haben selbstverständlich die Muslime in Deutschland, die haben die Christen in Deutschland und die haben auch die Menschen in Deutschland, die sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, denn es geht meines Erachtens bei dem Ganzen um die Frage, was unser Land zusammenhält, was sozusagen der gesellschaftliche Konsens ist, der uns trägt, und dafür ist jeder Einzelne in Deutschland mitverantwortlich, und deswegen sollte er sich an diesem interkulturellen Dialog auf jeden Fall beteiligen und sich eben nicht wegdrücken.
Ich glaube als Bischof, als Christ, dass eben der interreligiöse Dialog auch eine gewisse Rolle darin spielt, manches einfacher machen kann. Manchmal ist es auch ein bisschen schwieriger, weil natürlich verschiedene Religionen aufeinandertreffen, aber da stimme ich Herrn Mazyek zu, Dialog ist das Instrument. Ich würde aber ergänzen, jeder ist dazu aufgefordert.
Künftig mehr Bedeutung für Religion in der Gesellschaft?
Kassel: Glauben Sie, dass sich die Bedeutung von Religion in unserer Gesellschaft verändern wird durch die Neuankömmlinge?
Heße: Ich bin ja bis vor einigen Monaten in Köln tätig gewesen, im Rheinland, da sieht die religiöse Landschaft natürlich etwas anders aus als jetzt im Norden Deutschlands, wo ich tätig bin, in Hamburg, und wenn ich hier in Bayern bin, dann gehen die Uhren da sozusagen wieder ganz anders.
Also religiös ist unser Land sehr, sehr verschieden aufgestellt, will ich mal sagen. Grundsätzlich wird man aber sagen müssen, wir sind ein plurales Land und selbst in den großen Städten unseres Landes auch sehr säkular, und deswegen ist dieser gesellschaftliche Konsens, von dem ich sprach, der für mich auch ein religiöser ist, umso wichtiger. Der muss immer wieder ins Gespräch geführt werden, damit wir zumindest verstehen, aus welcher Geschichte wir kommen, was unsere Wurzeln sind.
Da können sicher auch die Muslime mit ihrem doch überzeugenden Glauben etwas beitragen, da müssen wir Christen sozusagen Aufklärung betreiben. Aber alles in allem ist natürlich die religiöse Landschaft grundsätzlich in der Entwicklung begriffen.
Das Recht ist nicht der in Gesetz gegossene Glaube
Kassel: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie ja da auch, dass auch Katholiken, natürlich auch evangelische Christen, andere, aber auch Katholiken Muslimen sagen müssen, natürlich sollt, dürft, könnt ihr euren Glauben leben, aber ihr müsst diese Grenze ziehen zwischen religiösen Gesetzen und weltlichen Gesetzen, unserem Grundgesetz, und ihr müsst einfach dort, wo eure religiösen Vorstellungen unseren Vorstellungen von Wertegemeinschaft widersprechen, letzteres ernster nehmen als ersteres. Ist das nicht ein bisschen schwierig manchmal für einen gläubigen Christen? Denn wir vergessen, dass man im Alltag ja manchmal auch einsehen muss, unsere Gesetze sagen nicht komplett das Gleiche wie die Bibel.
Heße: Ja gut, das haben wir jetzt zum Beispiel bei der Sterbehilfediskussion gesehen, wir können eigentlich ganz froh sein mit dem, was da rausgekommen ist, weil das Gesetz und das Recht eben jetzt nicht der in Gesetz gegossene Glaube ist. Da gibt es immer noch einen Unterschied und den gilt es zu respektieren. Wir leben Gott sei Dank in einem freiheitlichen Staat und zu dessen Grundwerten stehen wir als Christen, und das würde ich auch von jedem erwarten, der in dieses Land kommt.
Durch Zuwanderung verändern sich beide Seiten
Kassel: Aber ist nicht die Verlockung groß, zu sagen, na ja, wenn jetzt Menschen kommen, die ein anderes Verhältnis zu ihrer Religion haben, eine andere Vorstellung von Staat und Religion, dann können wir ja auch darüber bei uns noch mal neu diskutieren.
Heße: Ich sage mal, die Werte, die bestehen, die bestehen. Das ist die Grundlage, unser Grundgesetz, da gibt es enge Regelungen. Wenn da etwas zur Disposition gestellt werden soll, ich glaube, dass das gar nicht so leicht ist, das jetzt über Bord zu werfen und etwas anderes draus zu machen, da würde ich auch dringend vor warnen.
Aber klar ist auch, dass natürlich ein Zuzug von Menschen immer zu Veränderungen auf beiden Seiten führt – bei denen, die kommen, aber auch bei denen, die da sind. Das ist nun mal beim Dialog so der Fall. Wenn Dialog bedeuten würde, es bleibt alles wie es ist, dann bräuchten wir gar nicht miteinander zu reden.
Warnung vor Parallelgesellschaften
Kassel: Diese Diskussion, die wir jetzt mit Ihnen gerade auch fortsetzen, begann ja mit Äußerungen des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland am Wochenende, der – und da muss man genau formulieren – gesagt hat, viele Flüchtlinge kommen aus Regionen, eben nicht Religionen, Regionen, die kulturell so geprägt sind, dass dort eine Abneigung gegen Juden, Homophobie und anderes sehr verbreitet ist – haben Sie auch Sorge vor einem Konflikt der Religionen in Deutschland?
Heße: Mir liegt sehr an diesem Dialog, ich sage aber auch ganz klar, dass der Dialog nicht ganz einfach ist. Wir versuchen da das zu tun, was wir im Moment können. Ich glaube aber, dass wir Anstrengungen noch sehr stark vermehren müssen, denn nur wenn wir in diesen Dialog einsteigen, können wir verhindern, dass irgendwelche Parallelgesellschaften entstehen, die dann irgendwo nebenher existieren und bei denen wir dann nicht mehr wissen, was da in unserem Land läuft. Das sollten wir auf jeden Fall tunlichst vermeiden.
Kassel: Wenn Muslime kommen, die sehr gläubig sind und sich die Gesamtbevölkerung verändert, rein statistisch gesehen, nimmt dadurch natürlich der Anteil der gläubigen Katholiken ab – machen Sie sich da Sorgen, dass Ihre Kirche an Bedeutung verliert?
Auch wenige Christen können viel bewirken
Heße: Dann müsste ich jetzt in Hamburg schon lange graue Haare bekommen haben, also etwa in Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise Mecklenburg gehört zum Erzbistum Hamburg, da sind wir Katholiken mit einem Anteil von eins bis zwei Prozent vertreten. Das ist sehr, sehr wenig, ganz anders als hier in Bayern. Ich glaube, dass es nicht so sehr auf die Quantitäten ankommt, sondern auf die Qualität, also überzeugende Christen, und selbst wenn es wenige sind, die wirken sehr, sehr viel. Zum Beispiel eine Mutter Teresa hat in einem ganz anderen Umfeld als einzelne Frau angefangen und da, ich sage mal, Großartiges, Wunderbares bewirkt. Das traue ich auch unseren Glaubensgemeinschaften und Gemeinden zu, wenn sie wirklich aus der Tiefe des Glaubens leben.
Kassel: Der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der deutschen katholischen Bischofskonferenz und Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, über Integration von Flüchtlingen und was auch Katholiken dazu beitragen können. Vielen Dank an Sie und vor allen Dingen Danke nach Würzburg, womit wir noch mal erklären, warum Sie gerade "hier in Bayern" gesagt haben, Sie sind natürlich vor Ort. Danke für das Gespräch, Herr Heße, und einen erfolgreichen Gipfel!
Heße: Danke! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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