Integrationspreisträgerin Bjeen Alhassan

"Ein Nein ist für mich keine Antwort"

33:30 Minuten
Ein Porträt der Integrationspreisträgerin Bjeen Alhassan.
"Ich sehe mich als starke Person": Bjeen Alhassan. © Vitali Strelski
Moderation: Ulrike Timm |
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Im Corona-Lockdown gründete sie eine Facebook-Lerngruppe für geflüchtete Frauen: Dafür wurde Bjeen Alhassan mit dem Integrationspreis geehrt. Von der Bundeskanzlerin ausgezeichnet zu werden, sei für sie ein "Traum" gewesen, bekennt die Ökonomin.
Mit Bjeen Alhassan kann man sich vielsprachig unterhalten: Kurdisch, Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch - und ein bisschen Plattdeutsch ist auch noch dabei. "Moin" ist der Begrüßungsstandard der studierten Ökonomin.
Als sie vor sieben Jahren in Deutschland landet, kommt Alhassan zunächst nach Nordfriesland, später lebt sie in Hamburg. Von allen Sprache ist Kurdisch bis heute ihre favorisierte, es ist ihre Muttersprache. "Sie hat auch mit Rebellion zu tun, sogar mit Revolution", sagt sie. "Ich durfte die Sprache in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Daher bleibt das für mich immer eine besondere Sprache."
Als die gebürtige Syrerin 2014 nach Deutschland kommt, ist sie nicht wirklich motiviert, Deutsch zu lernen. Doch ein Beratungsgespräch an der Uni verändert ihre Haltung. Die Mitarbeiterin dort "hat ganz klar zu mir gesagt, dass ich ohne Deutsch keine Chance habe. Wenn ich einen Master auf Englisch absolviere, sind meine Chancen sehr, sehr begrenzt in Deutschland. Das war der Moment, wo ich für mich entschieden habe: Ich mache weiter auf Deutsch."

Mobbing an der Universität

Heute spricht Alhassan fast akzentfrei. 2019 beendet sie ihr Wirtschaftsstudium an der Hochschule in Emden-Leer mit einem Master. Die neue Sprache ist während des Studiums die eine Herausforderung, verschiedene Kommilitonen und ein Professor die andere.
Für ihre Masterarbeit bekommt sie eine 4.0, dabei sind ihre Noten zuvor viel besser. Die Zusammenarbeit mit ihrem Professor sei alles andere als einfach gewesen, sagt die Ökonomin: Sie habe sich gemobbt gefühlt.
"Meine Masterarbeit wurde von einem Professor betreut, der sich selbst als AfD-Kreisvorstand Ostfriesland bezeichnet. In einem NDR-Interview habe ich über diese Erfahrung an der Hochschule Emden-Leer gesprochen - wie ich mich diskriminiert gefühlt habe. Daraufhin wurde ich verklagt." Der Professor verlange nun ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro, erzählt Alhassan.
Anfang 2020 engagiert sich die heute 29-Jährige in einem Hamburger Verein, macht dort Bildungsarbeit mit Jugendlichen, die später an IT-Unternehmen vermittelt werden. Wenig später, im März, folgt der Lockdown. Zum ersten Mal seit Jahren kommt sie, wie sie sagt, zum Nachdenken.

Im Krieg ändern sich die Gesichter der Menschen

Sie hatte ehemals in Damaskus gelebt, denkt an die Stadt, an die Demonstrationen gegen Assad, an die Bomben zurück: "Ich fand das sehr schade, dass ich nur ein Jahr hatte, um Damaskus vor dem Krieg so richtig zu entdecken. Im März 2011 hat der Krieg angefangen. Man sieht dann die Stadt anders. Man sieht, wie die Menschen anders werden, die Gesichter ändern sich. Das sind nicht mehr die glücklichen Gesichter. Das das tut weh."
Über Erbil, dem autonomen kurdische Gebiet im Irak, kommt Bjeen Alhassan nach Deutschland, ein Jahr vor dem großen Flüchtlingsstrom. Sie ist nicht allein, ihre Eltern und der Bruder sind zu diesem Zeitpunkt bereits in Deutschland.
Im Corona-Frühjahr 2020 lässt die junge Frau all das noch einmal Revue passieren. Und sie erinnert sich an die Zeit, als sie in Emden ehrenamtlich Schriftstücke für geflüchtete Frauen übersetzt hat – und fragt sich, wie sie diese wohl erreichen kann. Ihr sei klar gewesen, dass diese Frauen besonders unter der Isolation leiden würden, erzählt Alhassan.

Integrationspreis von der Bundeskanzlerin

Also gründet sie "Lernen mit Bijin", eine Facebook-Gruppe, in der Alhassan auf Deutsch, Englisch, Kurdisch und Arabisch praktische Tipps für das Leben in Deutschland gibt.
"Es gibt hier viele Fragen. Wie kann ich dieses Formular ausfüllen? Ich verstehe diesen Brief nicht. Was bedeutet das? Es sind Sachen, die ich manchmal auch nicht kenne. Dann frage ich Bekannte oder Freunde von mir."
Über 150 Frauen sind in dieser Gruppe mittlerweile versammelt. 2020 hat Bjeen Alhassan für ihr Engagement den Nationalen Integrationspreis erhalten, überreicht von Angela Merkel.
"Von der Bundeskanzlerin ausgezeichnet zu werden, das ist eine große Ehre. Als ich noch in Syrien war, sah ich sie immer als starke Frau. Jetzt von ihr mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, ist für mich ein Traum."
Gerade hat Alhassan "Transfer of Knowledge" gegründet, ein Verein vor allem für Mädchen und junge Frauen. Außerdem hat sie sich vorgenommen, zu promovieren. "Ich sehe mich als eine starke Person, die ein Nein nicht als eine Antwort nimmt", zeigt sie sich selbstbewusst.
(ful)
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