Die neuen Prediger in Nordamerika
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In den USA und Kanada gibt es ein Netzwerk, das sich als "Intellectual Dark Web" bezeichnet. Die Akteure sind politisch heterogen, meist aber sehr konservativ und allesamt populär - zum Beispiel der Podcast-Moderator Ben Shapiro. Wer sind diese Leute und was wollen sie?
Vancouver am 23. Juni 2018: eine Bühne, drei Stühle vor einem schwarzen Hintergrund, im Saal 3000 Menschen. Sam Harris, Jordan Peterson und Bret Weinstein betreten das Podium. Noch bevor sie mit einer zweistündigen Diskussion beginnen, werden sie von ihrem Publikum gefeiert.
Die drei sind Protagonisten eines Phänomens, das ein weiterer seiner Akteure, Eric Weinstein, mythenhaft als "Intellectual Dark Web" bezeichnet. Wer sind diese Leute und was wollen sie? Das lassen wir uns von Matthias Kolb erklären. Er ist Politik-Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und hat zu der Bewegung vor Ort in Kanada recherchiert.
Matthias Kolb: Das "Intellectual Dark Web" ist eine lose Gruppe aus Intellektuellen und Medienfiguren in Nordamerika. Zu den Hauptfiguren zählen vor allem der Philosoph Sam Harris, der ehemalige Komiker Joe Rogan, dessen Podcast wahnsinnig erfolgreich ist, oder der Comedian Dave Rubin. Den Begriff "Intellectual Dark Web" hat Eric Weinstein geprägt. Das ist ein Mathematiker und Investor, der sich da jetzt aber auch engagiert.
Auch eine wichtige Figur ist Ben Shapiro, der früher bei Breitbart war und ausgestiegen ist, als Steve Bannon das Portal quasi in eine "Trump-Prawda" verwandelt hat. Heute ist er ein konservativer Trump-Gegner, der an den Universitätscampussen Nordamerikas wahnsinnig beliebt ist und auch einen sehr populären Podcast hat. Aus Kanada ist der Psychologieprofessor Jordan Peterson dabei. Was diese Leute anbieten: Politisch sind sie nicht total einheitlich. Wenn man beispielsweise auf die USA-Wahl 2016 zurückgreift, gibt es Leute, die haben Bernie Sanders unterstützt, es gab manche, die waren mehr für Hillary Clinton, manche waren sogar für Trump, manche sind total überzeugte konservative Trump-Gegner. Was die aber alle gemeinsam haben, ist die Überzeugung, dass die Political Correctness viel zu stark ist in Nordamerika. Dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr ist. Die sind schon alle davon überzeugt, dass Kapitalismus an sich ziemlich gut ist, dass Männer und Frauen sich unterscheiden und die USA und der Westen dem Untergang entgegengehen und da wollen sie gegensteuern.
Teresa Sickert: Einer der Protagonisten aus dieser "Intellectual Dark Web"-Szene ist Jordan Peterson und den haben Sie sich auch ein bisschen genauer angeschaut. Sie beschreiben ihn als ein "Phänomen". Was genau meinen Sie damit?
Matthias Kolb: Ich glaube, dass "Phänomen" ein sehr guter Begriff ist, um Jordan Peterson und seine Ideen und vor allem seine Wirkung in Nordamerika zu beschreiben. Weil er jemand ist, der sehr schwer fassbar ist und der wie aus verschiedenen Figuren zusammengesetzt ist. Um seine Biografie ein bisschen zu erklären: Er ist 56 Jahre alt, Kanadier, in der Provinz aufgewachsen, hat Psychologie studiert, fraglos ein sehr, sehr kluger Mann. Er hat in Harvard gelehrt und ist dann nach Toronto gekommen. Sein erstes Buch "Map of Meaning" hat er vor gut zwanzig Jahren geschrieben. Da wollte er verstehen, wie es sein kann, dass Menschen wegen eines "strong beliefs", also wegen des Glaubens an eine Ideologie oder einen Glauben, so bereit sind, fast ihr ganzes Leben und alles zu zerstören. Er ist sehr besessen von der Sowjetunion, von totalitären Ideologien und damit hat er sich ganz stark beschäftigt und wollte das psychologisch und von der Neurologie her verstehen. Das Buch wurde dann eigentlich ignoriert, aber Peterson wurde in Kanada ins Fernsehen eingeladen und war schon präsent im öffentlichen Leben. Er hat in der ganzen Zeit Therapiesitzungen gemacht und Leuten geholfen, ihr Leben besser zu strukturieren. Er hat auch recht früh angefangen, seine Vorlesungen bei Youtube einzustellen. Er hat also schon immer gemerkt: Das was ich sage, das stößt auf Resonanz. Daraus hat er nach und nach bestimmte Thesen entwickelt. Seine wichtigste These ist: "Leben bedeutet Leiden." Die Menschen müssten einen Sinn in ihrem Leben finden, sonst würden sie immer unglücklich sein. Und seine Hauptbotschaft ist: "Hört auf, anderen die Schuld zu geben, an dem, was bei euch im Leben schief läuft und reißt euch zusammen!"
Tim Wiese: Das klingt für mich aber auch protestantisch-calvinistisch. Nach dem Motto: "Du bist selber für dein Schicksal verantwortlich und wenn du leidest, dann geschieht dir das wahrscheinlich auch nur recht."
Matthias Kolb: Genau. Er kommt aus einer konservativen, liberalen Denkrichtung, wo er sagt: "Du bist verantwortlich für das, was in deinem Leben passiert." Sein Bestseller, der mittlerweile mehr als zwei Millionen mal verkauft wurde, heißt "12 Rules for Life". Darin entwickelt er Tipps und Ratschläge, wie es den Leuten gelingen kann, ihr Leben umzukrempeln. Das besondere bei Peterson ist: Er vermischt das mit ganz vielen anderen Sachen. In dem Buch stehen persönliche Anekdoten aus seinem Leben drin. Er geht tief in die Geschichte hinein. Er zitiert ganz viel aus der Evolution, aus der Neurobiologie und mischt das zu einer einzigartigen Mischung, die sehr viele Leute anspricht. Und hier kommt der zweite Punkt dazu, warum er so populär ist: Das liegt daran, weil er nicht nur ein Buchautor ist, sondern weil er ein Internet-Star ist. Er hat einen Youtube-Kanal mit Millionen von Abonnenten, den er sehr gut nutzt und er hat sich auch mit Youtube in den letzten Jahren ganz stark als Kämpfer gegen politische Korrektheit inszeniert. Das ist auch ein großer, wichtiger Faktor. Er gilt als die strenge Vaterfigur all derer, die von Political Correctness ein bisschen die Nase voll haben in Nordamerika. Ein weiterer Faktor, der ihn gerade bei jungen Leuten, bei jungen Männern sehr populär macht, ist auch, dass er ganz harsche Kritik übt an der Ausrichtung der Universitäten in Nordamerika. Er sagt da ganz klar: "Die Unis liefern nichts, die sind viel zu teuer, die Leute werden mit Schulden überladen, die Abschlüsse sind nichts wert und weil die Hochschulen die Studenten mittlerweile als Kunden ansehen und nicht mehr versuchen, denen beizubringen, wie man unabhängig und kritisch denkt." Er sagt auch, an den Hochschulen fänden bestimmte Ideen und Diskussionen gar nicht mehr statt und da ist er total dagegen.
Teresa Sickert: Trotzdem hat er viele Fans und Anhänger auch außerhalb der Wissenschaftscommunity. Es ist rund um Peterson ein regelrechtes Medienimperium entstanden und da geht es nicht nur darum, Botschaften zu verbreiten, sondern letztlich ist das auch ein Geschäftsmodell. Wie sehen Sie das?
Matthias Kolb: Genau, ich glaube, es ist einfach eine Kombination aus beidem. Peterson ist jemand, der die konventionellen Medien nicht mehr braucht. Er redet zwar weiterhin viel mit ihnen, weil er, glaube ich, nicht fern von Eitelkeit ist. Ich glaube aber, er braucht die Leute nicht mehr, weil er über Podcasts die Möglichkeit hat, seine Ideen und seine Theorien in voller Länge und mit voller Kontrolle auszuspielen. Eine ganz spannende Sache bei Peterson und bei anderen im "Intellectual Dark Web" ist, dass sie vor allem über die Crowdfunding-Plattform Patreon monatlich hohe Summen generieren, um weiter arbeiten zu können. Bei Peterson sind das wohl um die 80.000 Dollar im Monat, um weitermachen zu können, um den Kampf gegen die Political Correctness weiterführen zu können. Er macht das ganz geschickt und hat wirklich verstanden, wie die sozialen Medien funktionieren. Weil die Leute, die ihm spenden, die dürfen ihm auch Fragen schicken, große politische oder auch kleinere persönliche Fragen und die beantwortet er ganz regelmäßig. Das wird dann auch wieder auf Youtube ausgestrahlt. Da sitzt er vor seinem iBook, schaut meist etwas müde und angespannt, aber beantwortet dann lange, sehr privat und persönlich die Fragen, die ihm gestellt werden.
Tim Wiese: Wenn wir das Phänomen Peterson fassen wollen. Was haben wir da? Haben wir da auf der einen Seite einen Menschen, der sehr konservativ ist und sagt: "Diese konservative Haltung, die kommt in den liberalen 'Mainstream-Medien' nicht mehr vor" – ein Vorwurf, den man ja öfter hört, den man auch hier in Deutschland hört – oder ist da jemand, der vielleicht sogar in einer Form gefährlich ist und, wie Sie das beschrieben haben, teilweise auch schon an Verschwörungstheorien kratzt?
Matthias Kolb: Ich glaube, dass er schon auf einem seltsamen Weg ist. Dass er sich davon entfernt hat, wirklich der Wissenschaftler zu sein. Dass er die wissenschaftlichen Standards nicht mehr so wirklich einhält. Er ist, glaube ich, sehr überzeugt von dem, worüber er redet. Seine Methode in den Interviews und Diskussionen ist auch immer, dass er die anderen mit einer Unmenge an Daten und Informationen überschüttet, die man kaum kontern kann. Und es gibt schon Leute, gerade in den USA und Kanada, die ihn für gefährlich halten, zum Beispiel Bernhard Schiff, ebenfalls ein ehemaliger Psychologie-Professor, der Peterson an die Uni von Toronto geholt hat. Aber das mindert momentan überhaupt nichts an der Faszination, die er bei ganz verschiedenen Leuten auslöst, nicht nur im konservativen Spektrum, sondern auch bei Leuten, die in den USA die Demokraten wählen oder dem feministischen Premierminister Kanadas, Justin Trudeau, vor drei Jahren ihre Stimme gegeben haben. Petersons Appeal, seine Attraktivität ist wirklich sehr, sehr breit.