"Intelligente Verschwendung" löst das Müllproblem
Der Verfahrenstechniker Michael Braungart plädiert für eine neue Vorstellung von Verschwendung: Wenn man abbaubare und wiederverwertbare Materialien wegschmeiße, trage man zur Artenvielfalt bei. Die Menschen dürften sich nicht mehr nur als Schädling begreifen, sondern müssten nur andere Techniken entwickeln.
Dieter Kassel: Kim Kindermann mit einem Beitragaus einer Zukunft, in der das sogenannte Cradle-to-Cradle-Prinzip unsere Vorstellung von Konsum und von Produkten, die man – heute würde man noch schlicht sagen – recyceln kann, bereits völlig verändert hat. Michael Braungart lebt ein bisschen zumindest mit dem Kopf schon jetzt in dieser Welt. Er ist Professor für Verfahrenstechnik an der Universität Lüneburg, er ist aber auch Gründer von mehreren Firmen, unter anderem der EPEA Internationale Umweltforschung, und da beschäftigt er sich dann nicht mehr nur mit dem Nachdenken, sondern wirklich mit dem Herstellen entsprechender Produkte. Im Moment ist er gerade in den Niederlanden, und da haben wir ihn in seinem Hotelzimmer erreicht. Schönen guten Morgen!
Michael Braungart: Ja, guten Morgen! Ich lehre an der Erasmus-Universität in Rotterdam hier, wie man genau diesen Übergang Cradle to Cradle schaffen kann. Also es ist eigentlich auch gar keine Utopie, sondern es wird hier Wirklichkeit. Die holländische Regierung hat erklärt, dass 2012 alle diese Produkte, die gekauft werden von öffentlicher Seite – das ist etwa 45 Milliarden Euro an Kaufkraft – in Cradle to Cradle umgesetzt werden. Also die Utopie wird in drei, vier Jahren Realität sein hier.
Kassel: Gehen wir aber noch mal vielleicht sogar auf 20, 30 Jahre. Wenn Sie dann – sei es in den Niederlanden oder irgendwo auf der Welt – wieder in einem Hotelzimmer sitzen und wieder reden wir beide miteinander, kann dann das Hotelzimmer trotzdem genauso aussehen wie heute oder ist irgendwas dann weg aufgrund dieses Cradle-to-Cradle-Prinzips?
Braungart: Nein, es geht ja auch gar nicht um Sparen, Verzichten, Vermeiden – und der Beitrag vorher hat das nur teilweise erfasst –, es geht um intelligente Verschwendung. Wie ein Kirschbaum im Frühling, der spart auch nicht, verzichtet nicht, sondern all das, was gemacht wird, ist nützlich. Der Kirschbaum ist nicht kohlenstoffneutral, sondern er ist kohlenstoffpositiv. Das heißt, er schafft Boden, er reinigt die Luft.
Das heißt, wir verschwenden Dinge so, dass die anderen Lebeweisen sich an uns freuen. Und das wird für das Hotelzimmer sein, dass die Luft im Zimmer hier besser sein wird als die Außenluft. Im Moment ist die Innenraumluft in Europa in einem durchschnittlichen Gebäude etwa drei- bis achtmal schlechter als die schlechteste Außenluft hier in Rotterdam. Dann könnten wir die Luft so verändern, dass sie sauberer ist, weil ich kann ja die Luft im Gebäude wirklich so gestalten, dass alle Produkte, die drin sind, nicht einzeln vor sich hin stinken, sondern dass sie positiv die Luft reinigen.
Kassel: Machen wir es doch mal ganz konkret: In Ihrem Hotelzimmer – das unterstelle ich jetzt einfach mal – ist vermutlich irgendeine Art von Fernseher. Wie kann ich mir das nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip denn vorstellen? Nehmen wir an, ich habe einen Fernseher, bin den leid, er ist entweder kaputt oder mir nicht mehr modern genug, was passiert denn dann?
Braungart: Die meisten Dinge, die wir vor uns sehen, werden nicht von uns verbraucht. Wir sagen immer der Verbraucher, wir sind aber keine Verbraucher für Fernseher oder für Waschmaschinen oder für Fenster, wir nutzen die Dinge nur. Das heißt, man wird in Zukunft nur noch 10.000, 20.000 Stunden Fernsehen kaufen, weil in dem Fernseher sind über 4000 verschiedene Substanzen drin, die also ... Warum, ich will die doch gar nicht haben. Wenn ich die kaufe, dann habe ich sie am Hals. So kaufe ich nur noch die Nutzung. Ich kaufe nur noch 3000-mal waschen anstatt eine Waschmaschine, ich kaufe nur noch 25 Jahre durchgucken anstatt eines Fensters, weil ein Energiesparfenster kann nur mit schädlichen Chemikalien hergestellt werden. Aber die sind nur dann schädlich, wenn sie in die Umwelt gelangen. So werden sie technische Nährstoffe.
All das, was also nur genutzt wird, wird technischer Nährstoff. Also auch der Teppichboden hier wird dann nicht mehr verkauft, sondern es wird nur noch eine Zehn-Jahre-Fußbodenverpackung-Versicherung verkauft. Das heißt, man muss nicht das billigste, stinkige Zeug verwenden, sondern man kann die besten Materialien nehmen, die immer wieder technische Nährstoffe werden. Und dadurch eben kann das Beste verwendet werden, nicht mehr das Billigste.
Kassel: Aber braucht man dafür nicht eine gigantische Logistik? Wir haben ja heute schon Diskussionen darüber, ob Pfandsysteme sinnvoll sind aufgrund des wahnwitzigen Energieverbrauchs. Wenn ich mir dann vorstelle, alles in meiner Wohnung ist geliehen, muss irgendwann wieder abgeholt werden oder von mir selber irgendwohin gebracht, frisst das nicht sämtliche Vorteile wieder weg?
Braungart: Nein, ganz im Gegenteil: Hier gibt es eine große Abfallfirma, van Gansewinkel heißt die, die hat sich erklärt zur Nährstofffirma, ja, schon jetzt. Das heißt, die macht kein Abfallmanagement, sondern sie macht Nährstoffmanagement. Das heißt, natürlich bedeutet das nicht, dass der Schreibtischstuhl, der hier steht, wieder zum Schreibtischstuhl wird, denn ich will doch nicht die nächsten 5000 Jahre wieder dieselben Schreibtischstühle haben, sondern das bedeutet, alle Materialien werden so gestaltet, dass sie heute ein Schreibtischstuhl sein können, morgen ein Computerteil, übermorgen ein Teil vom Fernseher, dann ein Teil eines Autos, dann ein Teil einer Waschmaschine. Das heißt, sie werden technische Nährstoffe, und dadurch wird das Unternehmen, was die Materialien macht, viel wertvoller.
Das heißt aber nicht, dass sie alle immer selber zurücknimmt, sondern dass sie dann sagt: Liebe Firma van Gansewinkel, hier, ich habe ein hochwertvolles Material, was du jetzt von mir wieder zurückhaben kannst. Die Firma ändert damit in eine Rohmaterialbank. Der Fensterhersteller wird dadurch jedes Jahr mehr wert. Das heißt aber nicht, dass er auf Dauer dieselben Fenster immer machen muss, sondern er kann in die Technosphäre viel bessere Materialien abgeben. Das heißt, anstatt 900 Additive, wie jetzt in Polypropylen, werden nur noch 60 Additive drin sein, die wirklich echte Kreisläufe ermöglichen, dass das Material, wie bei unseren neuen Schreibtischstühlen zum Beispiel, mindestens 300-mal wieder eingeschmolzen werden kann und wieder für vergleichbare Produkte verwendet werden. Das heißt, wir werden damit von Rohstoffimporten praktisch unabhängig.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur in unserer "Was wäre, wenn ...?"-Serie zum Klima- und Umweltschutz mit dem Wissenschaftler und Unternehmer Michael Braungart. Herr Braungart, ist denn das wirklich die Lösung, weil es klingt ja nun wirklich fast zu schön, um wahr zu sein. Sie haben ja schon von positiver Verschwendung gesprochen vor ein paar Minuten – das klingt so, als könnten wir, wenn wir dieses Prinzip komplett umsetzen, so leben wie bisher, immer noch große Autos, große Fernseher, große Reisen, und es ist trotzdem alles in Ordnung.
Braungart: Nein, wir gehen ja im Moment hin und brauchen alle diese Dinge, weil wir letztlich Angst haben, weil wir denken, wir würden was verpassen, weil wir versuchen, etwas an uns zu reißen, weil wir denken, wir seien zu viele Menschen auf der Erde. Wenn wir begreifen, dass wir nicht zu viele sind – die Ameisen zum Beispiel wiegen etwa viermal mehr als wir Menschen, und weil die Ameisen viel mehr körperlich arbeiten und weil sie viel kürzer leben, nur drei bis sechs Monate, entsprechen sie etwa 30 Milliarden Menschen. Das heißt, wir sind nicht zu viele, sondern wir sind nur zu dumm. Die Ameisen machen keinen Müll, sie verwenden nur Nährstoffe.
Und ich habe mir ganz viele Völker auf der Welt angeguckt, Naturvölker unterschiedlicher Bereiche, die Menschen sind immer großzügig und freundlich, wenn sie keine Angst haben. Also das heißt, wenn man nicht ständig sagt, du bist aber Schädling, so wie wir es tun mit unserer Ökobewegung, wo wir immer sagen, es wäre besser, es gäbe dich gar nicht, weil wir versuchen, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren.
Das ist dann gegenteilig. Wir haben einen großen Fußabdruck, der wird aber ein Feuchtgebiet. Das heißt, wir werden großzügig und verschwenderisch, weil wir selber akzeptiert sind. Im Moment haben wir das Gefühl, es wäre besser, es gäbe uns nicht – Passivhäuser, null Emission, also überall immer Schuldmanagement, und dann werden wir raffgierig. Aber wenn Menschen akzeptiert sind, sind sie immer großzügig und freundlich.
Schauen Sie, das Wegwerfen ist ein lustvoller Vorgang. Wir haben eine Eiscremeverpackung zum Beispiel entwickelt, die ist nicht nur biologisch abbaubar, sondern sie enthält Samen von seltenen Pflanzen, sodass ich durch das Wegwerfen zur Artenvielfalt beitrage. Die ist eine Flüssigkeit bei Raumtemperatur, sie ist nur eine Folie, wenn sie gefroren ist, aber die kann ich wegschmeißen an jeder Stelle, wo ich bin, und ich trage wie jeder Singvogel zur Artenvielfalt bei. Wir haben erst den Müll erfunden und dadurch erst das Problem geschaffen. Die Natur kennt keinen Abfall. Das heißt, wir gehen nur praktisch auf den Naturzustand zurück.
Kassel: Wir sind nicht zu viele, wir sind zu dumm – das wäre vielleicht auch ein schönes Motto für Kopenhagen. Herr Braungart, ich danke Ihnen für das Gespräch und hoffe, dass – weil Utopien haben es ja oft so an sich, dass sie dann doch nicht der realen Zukunft entsprechen –, dass möglichst viel davon wahr werden kann, was Sie skizziert haben.
Braungart: Ich habe gerade mit den drei, vier größten Unternehmen in Dänemark gesprochen. Die haben gesagt: Braungart, wir hören dir eine Stunde zu. Dann diskutieren wir intern, was wir wollen, und dann sagen wir, wir machen es. Und sie kamen zurück nach einer Stunde und sagten: Wir tun das, wir sind Wikinger – we are vikings, we do things. Und Kopenhagen wird ganz viele neue Dinge zeigen und viele, viele Veränderungen.
Nur wenn man versucht, weniger schädlich zu sein anstatt nützlich, dann sind wir zu viele. Und Kopenhagen zum Beispiel wird zeigen, dass wir Boden wieder aufbauen. Im Moment verlieren wir 5000-mal mehr Humus als neu gebildet wird. Zwei Drittel von allem Kohlenstoff ist im Boden gebunden. Das heißt, wenn wir Mais anbauen, verlieren wir bis zu 30.000 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar. Wir können es anders und wir werden alles noch mal neu erfinden, und Kopenhagen wird dabei ein ganz wichtiger Schritt sein.
Kassel: Ich hoffe das auch, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Braungart: Danke Ihnen auch!
Kassel: Danke schön, Herr Braungart! Michael Braungart, Wissenschaftler, Unternehmer und Visionär vielleicht, aber nicht unbedingt Utopist. Mit Utopien werden wir uns aber auch morgen wieder beschäftigen, geht weiter in unserer Serie. Morgen werden wir uns die Frage stellen, wie eigentlich unsere Lebensmittelpreise aussehen, wenn sämtliche Klimakosten da mit drinstecken würden. Mehr zu der Serie natürlich auch im Internet unter dradio.de.
Michael Braungart: Ja, guten Morgen! Ich lehre an der Erasmus-Universität in Rotterdam hier, wie man genau diesen Übergang Cradle to Cradle schaffen kann. Also es ist eigentlich auch gar keine Utopie, sondern es wird hier Wirklichkeit. Die holländische Regierung hat erklärt, dass 2012 alle diese Produkte, die gekauft werden von öffentlicher Seite – das ist etwa 45 Milliarden Euro an Kaufkraft – in Cradle to Cradle umgesetzt werden. Also die Utopie wird in drei, vier Jahren Realität sein hier.
Kassel: Gehen wir aber noch mal vielleicht sogar auf 20, 30 Jahre. Wenn Sie dann – sei es in den Niederlanden oder irgendwo auf der Welt – wieder in einem Hotelzimmer sitzen und wieder reden wir beide miteinander, kann dann das Hotelzimmer trotzdem genauso aussehen wie heute oder ist irgendwas dann weg aufgrund dieses Cradle-to-Cradle-Prinzips?
Braungart: Nein, es geht ja auch gar nicht um Sparen, Verzichten, Vermeiden – und der Beitrag vorher hat das nur teilweise erfasst –, es geht um intelligente Verschwendung. Wie ein Kirschbaum im Frühling, der spart auch nicht, verzichtet nicht, sondern all das, was gemacht wird, ist nützlich. Der Kirschbaum ist nicht kohlenstoffneutral, sondern er ist kohlenstoffpositiv. Das heißt, er schafft Boden, er reinigt die Luft.
Das heißt, wir verschwenden Dinge so, dass die anderen Lebeweisen sich an uns freuen. Und das wird für das Hotelzimmer sein, dass die Luft im Zimmer hier besser sein wird als die Außenluft. Im Moment ist die Innenraumluft in Europa in einem durchschnittlichen Gebäude etwa drei- bis achtmal schlechter als die schlechteste Außenluft hier in Rotterdam. Dann könnten wir die Luft so verändern, dass sie sauberer ist, weil ich kann ja die Luft im Gebäude wirklich so gestalten, dass alle Produkte, die drin sind, nicht einzeln vor sich hin stinken, sondern dass sie positiv die Luft reinigen.
Kassel: Machen wir es doch mal ganz konkret: In Ihrem Hotelzimmer – das unterstelle ich jetzt einfach mal – ist vermutlich irgendeine Art von Fernseher. Wie kann ich mir das nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip denn vorstellen? Nehmen wir an, ich habe einen Fernseher, bin den leid, er ist entweder kaputt oder mir nicht mehr modern genug, was passiert denn dann?
Braungart: Die meisten Dinge, die wir vor uns sehen, werden nicht von uns verbraucht. Wir sagen immer der Verbraucher, wir sind aber keine Verbraucher für Fernseher oder für Waschmaschinen oder für Fenster, wir nutzen die Dinge nur. Das heißt, man wird in Zukunft nur noch 10.000, 20.000 Stunden Fernsehen kaufen, weil in dem Fernseher sind über 4000 verschiedene Substanzen drin, die also ... Warum, ich will die doch gar nicht haben. Wenn ich die kaufe, dann habe ich sie am Hals. So kaufe ich nur noch die Nutzung. Ich kaufe nur noch 3000-mal waschen anstatt eine Waschmaschine, ich kaufe nur noch 25 Jahre durchgucken anstatt eines Fensters, weil ein Energiesparfenster kann nur mit schädlichen Chemikalien hergestellt werden. Aber die sind nur dann schädlich, wenn sie in die Umwelt gelangen. So werden sie technische Nährstoffe.
All das, was also nur genutzt wird, wird technischer Nährstoff. Also auch der Teppichboden hier wird dann nicht mehr verkauft, sondern es wird nur noch eine Zehn-Jahre-Fußbodenverpackung-Versicherung verkauft. Das heißt, man muss nicht das billigste, stinkige Zeug verwenden, sondern man kann die besten Materialien nehmen, die immer wieder technische Nährstoffe werden. Und dadurch eben kann das Beste verwendet werden, nicht mehr das Billigste.
Kassel: Aber braucht man dafür nicht eine gigantische Logistik? Wir haben ja heute schon Diskussionen darüber, ob Pfandsysteme sinnvoll sind aufgrund des wahnwitzigen Energieverbrauchs. Wenn ich mir dann vorstelle, alles in meiner Wohnung ist geliehen, muss irgendwann wieder abgeholt werden oder von mir selber irgendwohin gebracht, frisst das nicht sämtliche Vorteile wieder weg?
Braungart: Nein, ganz im Gegenteil: Hier gibt es eine große Abfallfirma, van Gansewinkel heißt die, die hat sich erklärt zur Nährstofffirma, ja, schon jetzt. Das heißt, die macht kein Abfallmanagement, sondern sie macht Nährstoffmanagement. Das heißt, natürlich bedeutet das nicht, dass der Schreibtischstuhl, der hier steht, wieder zum Schreibtischstuhl wird, denn ich will doch nicht die nächsten 5000 Jahre wieder dieselben Schreibtischstühle haben, sondern das bedeutet, alle Materialien werden so gestaltet, dass sie heute ein Schreibtischstuhl sein können, morgen ein Computerteil, übermorgen ein Teil vom Fernseher, dann ein Teil eines Autos, dann ein Teil einer Waschmaschine. Das heißt, sie werden technische Nährstoffe, und dadurch wird das Unternehmen, was die Materialien macht, viel wertvoller.
Das heißt aber nicht, dass sie alle immer selber zurücknimmt, sondern dass sie dann sagt: Liebe Firma van Gansewinkel, hier, ich habe ein hochwertvolles Material, was du jetzt von mir wieder zurückhaben kannst. Die Firma ändert damit in eine Rohmaterialbank. Der Fensterhersteller wird dadurch jedes Jahr mehr wert. Das heißt aber nicht, dass er auf Dauer dieselben Fenster immer machen muss, sondern er kann in die Technosphäre viel bessere Materialien abgeben. Das heißt, anstatt 900 Additive, wie jetzt in Polypropylen, werden nur noch 60 Additive drin sein, die wirklich echte Kreisläufe ermöglichen, dass das Material, wie bei unseren neuen Schreibtischstühlen zum Beispiel, mindestens 300-mal wieder eingeschmolzen werden kann und wieder für vergleichbare Produkte verwendet werden. Das heißt, wir werden damit von Rohstoffimporten praktisch unabhängig.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur in unserer "Was wäre, wenn ...?"-Serie zum Klima- und Umweltschutz mit dem Wissenschaftler und Unternehmer Michael Braungart. Herr Braungart, ist denn das wirklich die Lösung, weil es klingt ja nun wirklich fast zu schön, um wahr zu sein. Sie haben ja schon von positiver Verschwendung gesprochen vor ein paar Minuten – das klingt so, als könnten wir, wenn wir dieses Prinzip komplett umsetzen, so leben wie bisher, immer noch große Autos, große Fernseher, große Reisen, und es ist trotzdem alles in Ordnung.
Braungart: Nein, wir gehen ja im Moment hin und brauchen alle diese Dinge, weil wir letztlich Angst haben, weil wir denken, wir würden was verpassen, weil wir versuchen, etwas an uns zu reißen, weil wir denken, wir seien zu viele Menschen auf der Erde. Wenn wir begreifen, dass wir nicht zu viele sind – die Ameisen zum Beispiel wiegen etwa viermal mehr als wir Menschen, und weil die Ameisen viel mehr körperlich arbeiten und weil sie viel kürzer leben, nur drei bis sechs Monate, entsprechen sie etwa 30 Milliarden Menschen. Das heißt, wir sind nicht zu viele, sondern wir sind nur zu dumm. Die Ameisen machen keinen Müll, sie verwenden nur Nährstoffe.
Und ich habe mir ganz viele Völker auf der Welt angeguckt, Naturvölker unterschiedlicher Bereiche, die Menschen sind immer großzügig und freundlich, wenn sie keine Angst haben. Also das heißt, wenn man nicht ständig sagt, du bist aber Schädling, so wie wir es tun mit unserer Ökobewegung, wo wir immer sagen, es wäre besser, es gäbe dich gar nicht, weil wir versuchen, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren.
Das ist dann gegenteilig. Wir haben einen großen Fußabdruck, der wird aber ein Feuchtgebiet. Das heißt, wir werden großzügig und verschwenderisch, weil wir selber akzeptiert sind. Im Moment haben wir das Gefühl, es wäre besser, es gäbe uns nicht – Passivhäuser, null Emission, also überall immer Schuldmanagement, und dann werden wir raffgierig. Aber wenn Menschen akzeptiert sind, sind sie immer großzügig und freundlich.
Schauen Sie, das Wegwerfen ist ein lustvoller Vorgang. Wir haben eine Eiscremeverpackung zum Beispiel entwickelt, die ist nicht nur biologisch abbaubar, sondern sie enthält Samen von seltenen Pflanzen, sodass ich durch das Wegwerfen zur Artenvielfalt beitrage. Die ist eine Flüssigkeit bei Raumtemperatur, sie ist nur eine Folie, wenn sie gefroren ist, aber die kann ich wegschmeißen an jeder Stelle, wo ich bin, und ich trage wie jeder Singvogel zur Artenvielfalt bei. Wir haben erst den Müll erfunden und dadurch erst das Problem geschaffen. Die Natur kennt keinen Abfall. Das heißt, wir gehen nur praktisch auf den Naturzustand zurück.
Kassel: Wir sind nicht zu viele, wir sind zu dumm – das wäre vielleicht auch ein schönes Motto für Kopenhagen. Herr Braungart, ich danke Ihnen für das Gespräch und hoffe, dass – weil Utopien haben es ja oft so an sich, dass sie dann doch nicht der realen Zukunft entsprechen –, dass möglichst viel davon wahr werden kann, was Sie skizziert haben.
Braungart: Ich habe gerade mit den drei, vier größten Unternehmen in Dänemark gesprochen. Die haben gesagt: Braungart, wir hören dir eine Stunde zu. Dann diskutieren wir intern, was wir wollen, und dann sagen wir, wir machen es. Und sie kamen zurück nach einer Stunde und sagten: Wir tun das, wir sind Wikinger – we are vikings, we do things. Und Kopenhagen wird ganz viele neue Dinge zeigen und viele, viele Veränderungen.
Nur wenn man versucht, weniger schädlich zu sein anstatt nützlich, dann sind wir zu viele. Und Kopenhagen zum Beispiel wird zeigen, dass wir Boden wieder aufbauen. Im Moment verlieren wir 5000-mal mehr Humus als neu gebildet wird. Zwei Drittel von allem Kohlenstoff ist im Boden gebunden. Das heißt, wenn wir Mais anbauen, verlieren wir bis zu 30.000 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar. Wir können es anders und wir werden alles noch mal neu erfinden, und Kopenhagen wird dabei ein ganz wichtiger Schritt sein.
Kassel: Ich hoffe das auch, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Braungart: Danke Ihnen auch!
Kassel: Danke schön, Herr Braungart! Michael Braungart, Wissenschaftler, Unternehmer und Visionär vielleicht, aber nicht unbedingt Utopist. Mit Utopien werden wir uns aber auch morgen wieder beschäftigen, geht weiter in unserer Serie. Morgen werden wir uns die Frage stellen, wie eigentlich unsere Lebensmittelpreise aussehen, wenn sämtliche Klimakosten da mit drinstecken würden. Mehr zu der Serie natürlich auch im Internet unter dradio.de.