"Intelligenz, Scharfsinn, Machtbewusstsein"
Nach Ansicht des Journalisten Peter Merseburger kommt dem früheren "Spiegel"-Verleger Rudolf Augstein das Verdienst zu, den Deutschen beigebracht zu haben, "wie wichtig Meinungsfreiheit als Salz der Demokratie ist". "Er war immer für die Meinungsfreiheit", sagte Merseburger, dessen Biografie über Augstein jetzt erschienen ist.
Jürgen König: Zu Gast ist der Journalist Peter Merseburger, dessen Buch über den Journalisten und "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein soeben erschienen ist. Herr Merseburger, guten Morgen. Ich freue mich sehr, dass Sie bei uns sind.
Peter Merseburger: Guten Morgen.
König: Sie waren auch ein Kollege, ein Weggefährte Augsteins, Sie waren beide prägende publizistische Persönlichkeiten in der sozialliberalen Ära Willy Brandts. Wie gut haben Sie sich gekannt?
Merseburger: Ich würde sagen, ich habe nie zu Augsteins engstem Zirkel gehört. Ich war mal fünf Jahre beim "Spiegel", davon ein halbes Jahr in der Zentrale, dann wurde ich Korrespondent in Berlin, '60 bis '63 - tolle Zeiten, also, man sah richtig, wie die Mauer so langsam entstand und gebaut wurde, die Frage war nur, wann, wo, wie, was wird geschehen, dann war ich in Brüssel.
Also, ich war in erster Linie Korrespondent, aber ich kenne doch Augstein aus vielen Konferenzen und auch aus dieser oder jener Geschichte, an der er besonderen Anteil genommen hat. Aber wie gesagt, ich glaube, ich habe nie zu seinem engsten Kreis gehört, und das ist ganz wichtig. Ein Biograph braucht Distanz, und die habe ich eigentlich immer gehabt.
König: Als was für einen Menschen haben Sie Augstein kennengelernt, wie würden Sie ihn charakterisieren?
Merseburger: Eine unerhörte ... Intelligenz, analytischer Scharfsinn, eine angeborene Skepsis und gleichzeitig doch ein hochentwickeltes Machtbewusstsein, denn er hat sich dann irgendwann mit dem "Spiegel" das Instrument geschaffen, mit dem er Politik beeinflussen konnte und als Jens Daniel war er ja nun wirklich der Mann, der den "Spiegel" groß gemacht hat.
König: ... das Pseudonym, unter dem er geschrieben hat ...
Merseburger: Das Pseudonym, unter dem er geschrieben hat, und vor allen Dingen gegen Adenauer angeschrieben hat und gegen die Adenauer-Republik, und ich glaube, wenn es Jens Daniel nicht gegeben hätte, wäre der Spiegel politisch nie so bekannt und so groß geworden.
König: Sprechen wir über den erfolgreichen Rudolf Augstein, der mit Ende 20 schon gesagt hat, er hätte im Leben eigentlich schon alles erreicht, der eigentlich durch die Laune eines britischen Besatzungsoffiziers, der einen - wie Sie es nennen - Magazinspleen hatte, mit 23 schon zum Chefredakteur geworden ist und der die Jahre der Hitlerei, wie Augstein das immer nannte, mit so viel Skeptizismus ... , dass er daraus eigentlich schon das Erfolgsrezept des "Spiegels" machte, oder? Wie würden Sie das beschreiben?
Merseburger: Also, ich würde da vorsichtig sein, Augstein hat unerhört viel Glück gehabt. Er hat Glück gehabt, dass er durch den Krieg gekommen ist, er hat Glück gehabt, dass zum Beispiel die Wohnung, in der seine Familie wohnte und auch er, im Krieg nicht zerbombt wurde, das waren glaube ich nur 10 oder 15 Prozent aller hannoverschen Wohnungen. Er hat Glück gehabt, dass er sofort bei einem Blatt der Militärregierung durch seinen früheren Mentor und Feuilletonchef Friedrich Rascher wieder angestellt wurde und dadurch dem Briten auffiel, und die haben ihn dann zu diesem Magazin, das sie gegründet haben, "Diese Woche", geholt. Und als "Diese Woche" aufmüpfig war und Schwierigkeiten der britischen Besatzungsmacht mit den anderen Besatzern brachte, hat man das Magazin in deutsche Hände überführt, und Augstein hat es praktisch geschenkt bekommen.
Wichtig für ihn und vor allen Dingen die Leute, die mit ihm das machten, das waren aus dem Krieg heimgekehrte Landser, die teilweise nie Journalismus betrieben hatten. Die waren von tiefer Skepsis gegen jedes große Wort geprägt, die hatten sich zusammengetan mit dem Schwur, nie wieder, was da gewesen war. Aber sie wussten eigentlich nicht, was werden sollte.
Es gab einen Selbstfindungsprozess des "Spiegel", den Sie nachlesen können heute in den ersten Jahren, wo der "Spiegel" eigentlich die Majorität der deutschen öffentlichen Meinung widerspiegelt, mit Vorbehalten gegen die Alliierten, gegen die Art, wie sie deutsche Soldaten behandelten, als reine Kriegsverbrecher, auch Vorbehalte gegen die alte Generation aus der Weimarer Republik, die nun plötzlich wieder das Steuer übernahm. Alles das finden Sie, bis der "Spiegel" langsam zu dem wird, was er vielleicht Ende der 50er oder ab 1957 wirklich geworden ist, der "Spiegel", wie wir ihn kennen.
König: Und der dann mit Adenauer auch seinen Lieblingsfeind sozusagen findet, der ganze Muff der 50er Jahre, das beschreiben Sie ja sehr, sehr schön, wie Augstein da also eine Zielscheibe par exellence findet.
Merseburger: Richtig, er ist dann der meistgehasste Mann der Republik für die CDU, und natürlich bekämpft er die Westbindung der Bundesrepublik. Manchmal ist er der einzige Oppositionelle, denn die SPD ist irgendwann dann unter Willy Brandt auf den Zug der Deutschlandverträge und der Westintegration aufgesprungen. Das hat Augstein nie gemacht.
König: Was ich auch ganz faszinierend finde, ein Nationalliberaler sozusagen, der ja auch versucht hat, für die FDP ins Parlament zu kommen, der aber dieses Nationale nie ablegen konnte, der Amerika nicht mochte, in Russland war er als Soldat gewesen, der mit Europa nichts am Hut hatte. Wie ist das zu erklären, ein solcher Binnenblick auf Deutschland?
Merseburger: Also ich glaube, das ist zum Teil deutschzentriert, zum Teil zu erklären mit einem Fremdsprachenmangel. Augstein, der ja aus der katholischen Diaspora kommt, hatte durchaus national gesonnene, wenn Sie wollen, deutschnationale Studienräte an den Gymnasien. Und die haben ihm deshalb auch seine Bismarck-Verehrung, die er bis ans Ende gehabt hat, die haben ihm ein deutschnationales Weltbild eingebrockt.
Und es gibt ein Tagebuch von ihm aus dem Krieg, wo er sagt, dass die deutsche Kultur doch als Kultur so wichtig ist, dass sie sicherlich sich auch nach dem Kriege durchsetzen wird. Er hat zutiefst irgendwo an Deutschland geglaubt, er hat sogar mitten im Krieg gesagt, die Amerikaner werden zwar den Krieg gewinnen, aber die Deutschen werden in Europa die wichtigsten sein, weil die Franzosen kaputt sind, die Italiener kaputt sind und die Briten wollen sich auf ihr Empire zurückziehen.
Also eine durch und durch nationale Grundstimmung war bei ihm da, schon als Junge - also, als junger Soldat - und die ist dann bis später durchgezogen worden, denn Augstein war ein überzeugter Maastricht-Gegner und hat gegen den Euro angeschrieben in einer Art und Weise, die man heute überhaupt kaum nachvollziehen kann.
König: Zum Journalisten des Jahrhunderts hat man ihn gewählt, und das war er auch, Sie stimmen dem auch zu?
Merseburger: Aber sicher! Er stand natürlich durch die ganze Kampagne gegen Strauss, die dann schließlich zur "Spiegel"-Affäre geführt hat, stand er da als Ikone der Meinungsfreiheit und als praktisch die Ehre der liberalen Altäre, das war überhaupt gar keine Frage.
König: Und auch das Ende der Kanzlerschaft Adenauers, das damit langsam sich einleitete.
Merseburger: Richtig, das ist damit verbunden, und Augstein hat natürlich den Verdienst, dass er den Deutschen beigebracht hat, wie wichtig Meinungsfreiheit als Salz der Demokratie ist. Er war immer für die Meinungsfreiheit. Auch wenn die Regierung Gesetze machte, um Sicherheit zu verstärken und so weiter, hat er immer gesagt, bitte achtet auf die bürgerlichen Rechte, auf die Meinungsfreiheit, auf das, was die Demokratie eigentlich ausmacht.
Insofern ist er wirklich ein Mann, der den Deutschen mit beigebracht hat, demokratisch zu werden. Er selber musste es allerdings mit seinem "Spiegel" auch erst werden, das ist das Interessante an der Geschichte.
König: Sprechen wir über den gescheiterten Rudolf Augstein, das behandeln Sie immer eher am Rande, ich fand es dennoch ausgesprochen faszinierend, zu lesen, wie er als Literat Karriere machen wollte, was überhaupt nicht funktioniert hat, wie seine Anläufe einer politischen Karriere im Nichts zerliefen, vier von fünf Ehen scheiten fatal. Würden Sie dieses Wort auch übernehmen: ein Gescheiterter, in diesen einzelnen Bereichen?
Merseburger: Ich glaube, vielleicht ist Scheitern ein bisschen zu viel, aber im Prinzip hat er das Glück, das er wiederholen wollte mit dem "Spiegel", die Wiederholung dieses Glücks ist ihm nicht gelungen. Der "Spiegel" hat ja dann eine gewisse Routine entwickelt, die einen so intelligenten, aufgeschlossenen, nach neuen Ufern strebenden Mann wie Augstein, der so früh und so jung Erfolg hatte, natürlich gelangweilt hat. Und er hat versucht, etwas Neues zu machen, und das ist ihm allerdings misslungen.
Er hat immer eine gewisse Distanz zu seiner eigenen Schöpfung, dem "Spiegel", gehabt - er hat einmal gesagt, ich bin wie Prometheus an den "Spiegel" gekettet -, wollte nach der "Zeit" greifen, hatte die Vorstellung, dass dies die seriösere und ihm angemessenere Form des Journalismus sei, das ist misslungen.
Er hat neue Zeitungsgründungen angepackt, das ist ihm misslungen. Insofern wurde er zum Schluss auf den "Spiegel" zurückgeworfen, den er eigentlich dann nicht mehr so richtig überzeugt mochte, wahrscheinlich, weil er die Schwächen des "Spiegel", die Anonymität, den Zwang zur Story - nicht jedes Ereignis eignet sich ja dafür, daraus eine Geschichte zu machen, aber der "Spiegel"-Journalist muss das jahrelang tun -, das alles hat ihm natürlich, das war ihm ganz bewusst, und deshalb hat er auch eine gewisse Distanz zum "Spiegel" gehabt. Mit manchen seiner Artikel war er dann so eine Art Fremdkörper im eigenen Blatt.
König: War das auch sein Werk, diese Häme, dieses gewisse, wie soll man sagen, Zurechtrücken der Wirklichkeit zugunsten einer "Spiegel"-Wirklichkeit, die sich in diesem berühmten "Spiegel"-Ton äußerte - war das sein Werk, dass er alle Redakteure da sozusagen auf Linie brachte?
Merseburger: Er hat am Anfang ganz eindeutig dies mit bewirkt. Man dachte immer, dass das von ihm nicht so sehr gewollt war, aber ich habe ein paar Briefe gefunden, in denen er ganz deutlich sich dazu bekennt.
Das ist eine Auseinandersetzung mit Bucerius um die "Zeit", die wollten mal zusammen gehen, da sagt er: Ich kann den "Spiegel" eigentlich nicht ändern, und die Häme und dieser "Spiegel"-Jargon, sagen wir, gehörte eindeutig dazu, weil Sie verlangen von mir, wenn wir zusammen gehen, dass ich rentables Blatt mache, aber das Blatt, dass dann um dieses erleichtert wäre, wäre kein rentables Blatt, wie Sie es wünschen.
König: Diese Marotte, seine Gäste nur im Bademantel zu empfangen - wie ist dergleichen zu erklären? Denn ich fand es auch eine interessante Facette dieses Menschen Rudolf Augstein.
Merseburger: Das ist der späte Rudolf Augstein, der sich seiner Macht bewusst ist, auch seiner Geldmacht durchaus bewusst ist, der dann einfach auf alle Konventionen pfeift.
Das ist sehr deutlich und das hat auch ein bisschen natürlich mit seinem Hang zum Alkohol zu tun, der sicherlich aus meiner Sicht auch mit diesen gescheiterten Versuchen, aus dem Käfig, dem goldenen Käfig des "Spiegel", auszubrechen, verknüpft ist.
König: Sie haben jetzt mehrere Jahre, wenn ich so sagen darf, mit Rudolf Augstein geistig verbracht. Was war für Sie das erstaunlichste, bewegendste, schönste, größte, vielleicht auch traurigste Erlebnis während dieser drei Jahre?
Merseburger: Also, das traurigste ist sicherlich sein, wie ich finde, tragisches Ende, dass man sieht, wie er eigentlich die Macht des "Spiegel", von der Macht des "Spiegel" nicht lassen kann. Er hätte ja seine Nachfolge früher regeln können, das wollte er nicht, er wollte bis zum Schluss Macht behalten.
Aber gleichzeitig merkte man, dass seine Luzidität und seine klare, vernünftige Haltung doch nach und nach sich in den Kommentaren nicht mehr wiederfand, und er hätte da eigentlich früher aufhören müssen. Aber dazu war er nicht in der Lage, weil er gleichzeitig ein machtbesessener Mann war. Ich glaube, wer so viel Erfolg hat, kann sich des Erfolgs, der ja auch Macht bedeutet, schlecht entwöhnen. Und er hat sich auch dem Alkohol nicht entwöhnt.
König: Vielen Dank. Der den Deutschen das obrigkeitsstaatliche Denken austrieb - Rudolf Augstein, dessen Leben hat jetzt Peter Merseburger beschrieben, das Buch ist bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienen, hat 560 Seiten, kostet 29,95 Euro.
Peter Merseburger: Guten Morgen.
König: Sie waren auch ein Kollege, ein Weggefährte Augsteins, Sie waren beide prägende publizistische Persönlichkeiten in der sozialliberalen Ära Willy Brandts. Wie gut haben Sie sich gekannt?
Merseburger: Ich würde sagen, ich habe nie zu Augsteins engstem Zirkel gehört. Ich war mal fünf Jahre beim "Spiegel", davon ein halbes Jahr in der Zentrale, dann wurde ich Korrespondent in Berlin, '60 bis '63 - tolle Zeiten, also, man sah richtig, wie die Mauer so langsam entstand und gebaut wurde, die Frage war nur, wann, wo, wie, was wird geschehen, dann war ich in Brüssel.
Also, ich war in erster Linie Korrespondent, aber ich kenne doch Augstein aus vielen Konferenzen und auch aus dieser oder jener Geschichte, an der er besonderen Anteil genommen hat. Aber wie gesagt, ich glaube, ich habe nie zu seinem engsten Kreis gehört, und das ist ganz wichtig. Ein Biograph braucht Distanz, und die habe ich eigentlich immer gehabt.
König: Als was für einen Menschen haben Sie Augstein kennengelernt, wie würden Sie ihn charakterisieren?
Merseburger: Eine unerhörte ... Intelligenz, analytischer Scharfsinn, eine angeborene Skepsis und gleichzeitig doch ein hochentwickeltes Machtbewusstsein, denn er hat sich dann irgendwann mit dem "Spiegel" das Instrument geschaffen, mit dem er Politik beeinflussen konnte und als Jens Daniel war er ja nun wirklich der Mann, der den "Spiegel" groß gemacht hat.
König: ... das Pseudonym, unter dem er geschrieben hat ...
Merseburger: Das Pseudonym, unter dem er geschrieben hat, und vor allen Dingen gegen Adenauer angeschrieben hat und gegen die Adenauer-Republik, und ich glaube, wenn es Jens Daniel nicht gegeben hätte, wäre der Spiegel politisch nie so bekannt und so groß geworden.
König: Sprechen wir über den erfolgreichen Rudolf Augstein, der mit Ende 20 schon gesagt hat, er hätte im Leben eigentlich schon alles erreicht, der eigentlich durch die Laune eines britischen Besatzungsoffiziers, der einen - wie Sie es nennen - Magazinspleen hatte, mit 23 schon zum Chefredakteur geworden ist und der die Jahre der Hitlerei, wie Augstein das immer nannte, mit so viel Skeptizismus ... , dass er daraus eigentlich schon das Erfolgsrezept des "Spiegels" machte, oder? Wie würden Sie das beschreiben?
Merseburger: Also, ich würde da vorsichtig sein, Augstein hat unerhört viel Glück gehabt. Er hat Glück gehabt, dass er durch den Krieg gekommen ist, er hat Glück gehabt, dass zum Beispiel die Wohnung, in der seine Familie wohnte und auch er, im Krieg nicht zerbombt wurde, das waren glaube ich nur 10 oder 15 Prozent aller hannoverschen Wohnungen. Er hat Glück gehabt, dass er sofort bei einem Blatt der Militärregierung durch seinen früheren Mentor und Feuilletonchef Friedrich Rascher wieder angestellt wurde und dadurch dem Briten auffiel, und die haben ihn dann zu diesem Magazin, das sie gegründet haben, "Diese Woche", geholt. Und als "Diese Woche" aufmüpfig war und Schwierigkeiten der britischen Besatzungsmacht mit den anderen Besatzern brachte, hat man das Magazin in deutsche Hände überführt, und Augstein hat es praktisch geschenkt bekommen.
Wichtig für ihn und vor allen Dingen die Leute, die mit ihm das machten, das waren aus dem Krieg heimgekehrte Landser, die teilweise nie Journalismus betrieben hatten. Die waren von tiefer Skepsis gegen jedes große Wort geprägt, die hatten sich zusammengetan mit dem Schwur, nie wieder, was da gewesen war. Aber sie wussten eigentlich nicht, was werden sollte.
Es gab einen Selbstfindungsprozess des "Spiegel", den Sie nachlesen können heute in den ersten Jahren, wo der "Spiegel" eigentlich die Majorität der deutschen öffentlichen Meinung widerspiegelt, mit Vorbehalten gegen die Alliierten, gegen die Art, wie sie deutsche Soldaten behandelten, als reine Kriegsverbrecher, auch Vorbehalte gegen die alte Generation aus der Weimarer Republik, die nun plötzlich wieder das Steuer übernahm. Alles das finden Sie, bis der "Spiegel" langsam zu dem wird, was er vielleicht Ende der 50er oder ab 1957 wirklich geworden ist, der "Spiegel", wie wir ihn kennen.
König: Und der dann mit Adenauer auch seinen Lieblingsfeind sozusagen findet, der ganze Muff der 50er Jahre, das beschreiben Sie ja sehr, sehr schön, wie Augstein da also eine Zielscheibe par exellence findet.
Merseburger: Richtig, er ist dann der meistgehasste Mann der Republik für die CDU, und natürlich bekämpft er die Westbindung der Bundesrepublik. Manchmal ist er der einzige Oppositionelle, denn die SPD ist irgendwann dann unter Willy Brandt auf den Zug der Deutschlandverträge und der Westintegration aufgesprungen. Das hat Augstein nie gemacht.
König: Was ich auch ganz faszinierend finde, ein Nationalliberaler sozusagen, der ja auch versucht hat, für die FDP ins Parlament zu kommen, der aber dieses Nationale nie ablegen konnte, der Amerika nicht mochte, in Russland war er als Soldat gewesen, der mit Europa nichts am Hut hatte. Wie ist das zu erklären, ein solcher Binnenblick auf Deutschland?
Merseburger: Also ich glaube, das ist zum Teil deutschzentriert, zum Teil zu erklären mit einem Fremdsprachenmangel. Augstein, der ja aus der katholischen Diaspora kommt, hatte durchaus national gesonnene, wenn Sie wollen, deutschnationale Studienräte an den Gymnasien. Und die haben ihm deshalb auch seine Bismarck-Verehrung, die er bis ans Ende gehabt hat, die haben ihm ein deutschnationales Weltbild eingebrockt.
Und es gibt ein Tagebuch von ihm aus dem Krieg, wo er sagt, dass die deutsche Kultur doch als Kultur so wichtig ist, dass sie sicherlich sich auch nach dem Kriege durchsetzen wird. Er hat zutiefst irgendwo an Deutschland geglaubt, er hat sogar mitten im Krieg gesagt, die Amerikaner werden zwar den Krieg gewinnen, aber die Deutschen werden in Europa die wichtigsten sein, weil die Franzosen kaputt sind, die Italiener kaputt sind und die Briten wollen sich auf ihr Empire zurückziehen.
Also eine durch und durch nationale Grundstimmung war bei ihm da, schon als Junge - also, als junger Soldat - und die ist dann bis später durchgezogen worden, denn Augstein war ein überzeugter Maastricht-Gegner und hat gegen den Euro angeschrieben in einer Art und Weise, die man heute überhaupt kaum nachvollziehen kann.
König: Zum Journalisten des Jahrhunderts hat man ihn gewählt, und das war er auch, Sie stimmen dem auch zu?
Merseburger: Aber sicher! Er stand natürlich durch die ganze Kampagne gegen Strauss, die dann schließlich zur "Spiegel"-Affäre geführt hat, stand er da als Ikone der Meinungsfreiheit und als praktisch die Ehre der liberalen Altäre, das war überhaupt gar keine Frage.
König: Und auch das Ende der Kanzlerschaft Adenauers, das damit langsam sich einleitete.
Merseburger: Richtig, das ist damit verbunden, und Augstein hat natürlich den Verdienst, dass er den Deutschen beigebracht hat, wie wichtig Meinungsfreiheit als Salz der Demokratie ist. Er war immer für die Meinungsfreiheit. Auch wenn die Regierung Gesetze machte, um Sicherheit zu verstärken und so weiter, hat er immer gesagt, bitte achtet auf die bürgerlichen Rechte, auf die Meinungsfreiheit, auf das, was die Demokratie eigentlich ausmacht.
Insofern ist er wirklich ein Mann, der den Deutschen mit beigebracht hat, demokratisch zu werden. Er selber musste es allerdings mit seinem "Spiegel" auch erst werden, das ist das Interessante an der Geschichte.
König: Sprechen wir über den gescheiterten Rudolf Augstein, das behandeln Sie immer eher am Rande, ich fand es dennoch ausgesprochen faszinierend, zu lesen, wie er als Literat Karriere machen wollte, was überhaupt nicht funktioniert hat, wie seine Anläufe einer politischen Karriere im Nichts zerliefen, vier von fünf Ehen scheiten fatal. Würden Sie dieses Wort auch übernehmen: ein Gescheiterter, in diesen einzelnen Bereichen?
Merseburger: Ich glaube, vielleicht ist Scheitern ein bisschen zu viel, aber im Prinzip hat er das Glück, das er wiederholen wollte mit dem "Spiegel", die Wiederholung dieses Glücks ist ihm nicht gelungen. Der "Spiegel" hat ja dann eine gewisse Routine entwickelt, die einen so intelligenten, aufgeschlossenen, nach neuen Ufern strebenden Mann wie Augstein, der so früh und so jung Erfolg hatte, natürlich gelangweilt hat. Und er hat versucht, etwas Neues zu machen, und das ist ihm allerdings misslungen.
Er hat immer eine gewisse Distanz zu seiner eigenen Schöpfung, dem "Spiegel", gehabt - er hat einmal gesagt, ich bin wie Prometheus an den "Spiegel" gekettet -, wollte nach der "Zeit" greifen, hatte die Vorstellung, dass dies die seriösere und ihm angemessenere Form des Journalismus sei, das ist misslungen.
Er hat neue Zeitungsgründungen angepackt, das ist ihm misslungen. Insofern wurde er zum Schluss auf den "Spiegel" zurückgeworfen, den er eigentlich dann nicht mehr so richtig überzeugt mochte, wahrscheinlich, weil er die Schwächen des "Spiegel", die Anonymität, den Zwang zur Story - nicht jedes Ereignis eignet sich ja dafür, daraus eine Geschichte zu machen, aber der "Spiegel"-Journalist muss das jahrelang tun -, das alles hat ihm natürlich, das war ihm ganz bewusst, und deshalb hat er auch eine gewisse Distanz zum "Spiegel" gehabt. Mit manchen seiner Artikel war er dann so eine Art Fremdkörper im eigenen Blatt.
König: War das auch sein Werk, diese Häme, dieses gewisse, wie soll man sagen, Zurechtrücken der Wirklichkeit zugunsten einer "Spiegel"-Wirklichkeit, die sich in diesem berühmten "Spiegel"-Ton äußerte - war das sein Werk, dass er alle Redakteure da sozusagen auf Linie brachte?
Merseburger: Er hat am Anfang ganz eindeutig dies mit bewirkt. Man dachte immer, dass das von ihm nicht so sehr gewollt war, aber ich habe ein paar Briefe gefunden, in denen er ganz deutlich sich dazu bekennt.
Das ist eine Auseinandersetzung mit Bucerius um die "Zeit", die wollten mal zusammen gehen, da sagt er: Ich kann den "Spiegel" eigentlich nicht ändern, und die Häme und dieser "Spiegel"-Jargon, sagen wir, gehörte eindeutig dazu, weil Sie verlangen von mir, wenn wir zusammen gehen, dass ich rentables Blatt mache, aber das Blatt, dass dann um dieses erleichtert wäre, wäre kein rentables Blatt, wie Sie es wünschen.
König: Diese Marotte, seine Gäste nur im Bademantel zu empfangen - wie ist dergleichen zu erklären? Denn ich fand es auch eine interessante Facette dieses Menschen Rudolf Augstein.
Merseburger: Das ist der späte Rudolf Augstein, der sich seiner Macht bewusst ist, auch seiner Geldmacht durchaus bewusst ist, der dann einfach auf alle Konventionen pfeift.
Das ist sehr deutlich und das hat auch ein bisschen natürlich mit seinem Hang zum Alkohol zu tun, der sicherlich aus meiner Sicht auch mit diesen gescheiterten Versuchen, aus dem Käfig, dem goldenen Käfig des "Spiegel", auszubrechen, verknüpft ist.
König: Sie haben jetzt mehrere Jahre, wenn ich so sagen darf, mit Rudolf Augstein geistig verbracht. Was war für Sie das erstaunlichste, bewegendste, schönste, größte, vielleicht auch traurigste Erlebnis während dieser drei Jahre?
Merseburger: Also, das traurigste ist sicherlich sein, wie ich finde, tragisches Ende, dass man sieht, wie er eigentlich die Macht des "Spiegel", von der Macht des "Spiegel" nicht lassen kann. Er hätte ja seine Nachfolge früher regeln können, das wollte er nicht, er wollte bis zum Schluss Macht behalten.
Aber gleichzeitig merkte man, dass seine Luzidität und seine klare, vernünftige Haltung doch nach und nach sich in den Kommentaren nicht mehr wiederfand, und er hätte da eigentlich früher aufhören müssen. Aber dazu war er nicht in der Lage, weil er gleichzeitig ein machtbesessener Mann war. Ich glaube, wer so viel Erfolg hat, kann sich des Erfolgs, der ja auch Macht bedeutet, schlecht entwöhnen. Und er hat sich auch dem Alkohol nicht entwöhnt.
König: Vielen Dank. Der den Deutschen das obrigkeitsstaatliche Denken austrieb - Rudolf Augstein, dessen Leben hat jetzt Peter Merseburger beschrieben, das Buch ist bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienen, hat 560 Seiten, kostet 29,95 Euro.