Intensivform des christlichen Glaubens
Der Begriff "Mystik" ist in den letzten Jahrzehnten so strapaziert worden, dass er für fast alles herhalten muss, was irgendwie geheimnisvoll klingt, ob in der Esoterik, im New Age oder in Psychogruppen. Doch mit Mystik im christlichen Sinne hat das alles wenig zu tun. Aber was ist Mystik?
"Es ist eine Intensivform des christlichen Glaubens","
sagt der Leipziger Theologieprofessor Peter Zimmerling. Im Gegensatz zum intellektuellen für-wahr-halten weiß der Mystiker, dass es Gott gibt, so der Theologe, - durch eine tiefe, authentische Begegnung mit Gott. Diese Begegnung kann sich auf verschiedene Arten ausdrücken: Durch innere Erkenntnis, durch Träume, durch Visionen oder durch das, was wir "Wunder" nennen – etwas, was nach menschlichem Ermessen nicht möglich ist. Die Mystik ist immer eine zutiefst individuelle Gotteserfahrung.
""Und das macht natürlich auch die Brisanz der Mystik im Hinblick auf die institutionalisierte Religion aus, dass alle Kirchen zunächst mal mit Mystikerinnen und Mystikern Probleme haben."
Denn, so Professor Zimmerling, sie stehen im Verdacht, die kirchliche Dogmatik und Glaubenslehre zu gefährden. Mystiker gab es in der gesamten Kirchengeschichte, etwa bei den Mönchen des frühen Christentums, den sogenannten Wüstenvätern des vierten Jahrhunderts. Oder im Mittelalter, der Blütezeit der Mystik, mit Persönlichkeiten wie Meister Eckhart, Johannes Tauler oder Katharina von Siena. Häufig bewegten sich die Mystiker am Rande der Kirche, viele von ihnen waren Laien, unter ihnen auffallend viele Frauen. In der Kirchengeschichte wurden sie nicht selten als Häretiker verfolgt.
"Es gab natürlich auch Mystikerinnen, die anerkannt worden sind, ich nenn jetzt mal Theresa von Avila, Anfang des 16. Jahrhunderts, wahrscheinlich die größte Mystikerin aller Zeiten, die wahrscheinlich nur deswegen die Inquisition überstanden hat, weil Philipp II von Spanien sie gedeckt hat."
Mit Martin Luther wird die Mystik eher selten in Verbindung gebracht. Doch das sei eine sehr einseitige Sicht auf den großen Reformator, meint Peter Zimmerling:
"Er hat ja meiner Meinung nach, das ist auch tatsächlich vor allem der junge Luther gewesen, eine literarische Renaissance der mittelalterlichen Mystik betrieben, indem er diese berühmte Theologia Deutsch, von der wir nicht wissen, von wem sie eigentlich stammt, herausgegeben hat. Das ist wohl eine Schrift irgendwie in der Nachfolge der deutschen Mystik - Meister Eckart, Tauler, Seuse. Und Luther hat darin offensichtlich seine eigene reformatorische Theologie wiedergefunden."
Und auch das berühmt gewordene Turmerlebnis muss für Luther eine Art mystischer Erfahrung gewesen sein. Der Mönch im Augustinerkloster hatte nach quälenden Zweifeln plötzlich beim Bibelstudium die Erkenntnis, dass der Mensch sich die Gnade Gottes nicht verdienen kann durch gute Werke, sondern dass sie ihm zufällt, ganz unverdient, allein durch seinen Glauben.
"Da fühlte ich, dass ich geradezu neugeboren und durch die geöffneten Pforten in das Paradies selbst eingetreten war",
sagt Luther später in der Rückschau über diese innere Erfahrung. Die Erkenntnis der Rechtfertigung durch den Glauben bringt eine bahnbrechende Entwicklung in ganz Europa auf den Weg. Doch die Reformation produziert zunächst auch Umstürzler, Bilderstürmer und Schwärmer.
Peter Zimmerling: "Und da sieht Luther Gefahr. Dass sie sich nicht genügend korrigieren ließen vom biblischen Wort. Und da meinte Luther, dass es unbedingt des Kriteriums der biblischen Texte und zusätzlich der Bekenntnisse der Kirche, vor allem der ökumenischen, des Glaubensbekenntnisses bedürfe."
Aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Auf der Suche nach evangelischer Mystik im 21. Jahrhundert. Das Stadtkloster im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist dafür ein guter Ort.
Georg Schubert: "Es hilft uns, dass die Glocken läuten. Wenn man um 12 Uhr die Glocken hört, dann reicht es noch, den Computer zu sichern oder den Hammer hinzulegen, sich auf den Weg zu machen."
Georg Schubert kommt aus der Schweiz, er war früher Gymnasiallehrer, heute leitet er das Stadtkloster Segen in Berlin. Das liegt mitten in einer Häuserzeile direkt an der lauten Schönhauser Allee. Auf dem gesamten Areal wird noch immer saniert, Kirche und Wohnhäuser sind eingerüstet.
Jeden Tag um zwölf Uhr mittags gibt es in der Segenskirche liturgische Gesänge und Gebet. Die Bewohner des Stadtklosters, Touristen und Menschen aus der Nachbarschaft sitzen verstreut in den Bänken. Vor dem Altar brennen Kerzen, durch die Fenster fällt gnädig mildes Licht auf die Schäden im Inneren der Kirche.
Für 15 Minuten ist die Betriebsamkeit des Alltags unterbrochen, jeden Tag, von Montag bis Freitag, immer mittags um zwölf. Es ist diese Regelmäßigkeit des täglichen Stillewerdens, die Raum schaffen soll für mystische Erfahrungen im Alltag. Nicht die Arbeit soll den Rhythmus des Tages bestimmen, sondern das Gebet. Georg Schubert:
"Es ist halt immer ein Punkt am Tag, wo man sagt: Ich erinnere mich zurück, ich erinnere mich, dass ich mit Gott unterwegs bin, dass er mir die Möglichkeit anbietet, zu ihm aufzuschauen, dass er mir sagt, dass bei ihm Friede und Erkenntnis ist."
Georg Schubert gehört zur Communität Don Camillo, die in der Schweiz ansässig ist. Vor drei Jahren kam er mit seiner Familie und Freunden nach Berlin, um das Stadtkloster Segen aufzubauen. Die kleine Gemeinschaft will für christliches Leben begeistern, mit gemeinsamem Arbeiten und Wirtschaften. Und sie will Menschen mitten in der hektischen Großstadt einen Ort der Stille anbieten, für Gebet und Meditationen mit Texten von Mystikern.
"Mystik hat ja etwas mit Geheimnis zu tun, weil da etwas geschieht, was man letztlich nicht ganz durchdringen und ergründen kann. Ich glaube, es ist ein wesentliches Element von gemeinschaftlichem Leben, dass man durch die Gebete ein Stück weit gezwungen wird, zu verlangsamen, inne zu halten, Atem zu holen, und das gehört für mich schon in das weite Feld der mystischen Beziehung zu Gott."
Nach der spirituellen Pause gehen die Touristen zurück in die Schönhauser Allee, Nachbarn nach Hause, und die Mitglieder der klösterlichen Gemeinschaft essen gemeinsam Mittag. Nicht alle Mystik-Angebote geben eine so klar christliche Orientierung wie das Stadtkloster Segen. Für die Unterscheidung hilft auch heute noch die Luther-Empfehlung: zu prüfen, ob es sich mit den Inhalten der Bibel verträgt.
Zum Thema:
Gesellschaft der Freunde christlicher Mystik
Evangelische Kommunität in Berlin, die christliche Mystik in den Alltag integriert
sagt der Leipziger Theologieprofessor Peter Zimmerling. Im Gegensatz zum intellektuellen für-wahr-halten weiß der Mystiker, dass es Gott gibt, so der Theologe, - durch eine tiefe, authentische Begegnung mit Gott. Diese Begegnung kann sich auf verschiedene Arten ausdrücken: Durch innere Erkenntnis, durch Träume, durch Visionen oder durch das, was wir "Wunder" nennen – etwas, was nach menschlichem Ermessen nicht möglich ist. Die Mystik ist immer eine zutiefst individuelle Gotteserfahrung.
""Und das macht natürlich auch die Brisanz der Mystik im Hinblick auf die institutionalisierte Religion aus, dass alle Kirchen zunächst mal mit Mystikerinnen und Mystikern Probleme haben."
Denn, so Professor Zimmerling, sie stehen im Verdacht, die kirchliche Dogmatik und Glaubenslehre zu gefährden. Mystiker gab es in der gesamten Kirchengeschichte, etwa bei den Mönchen des frühen Christentums, den sogenannten Wüstenvätern des vierten Jahrhunderts. Oder im Mittelalter, der Blütezeit der Mystik, mit Persönlichkeiten wie Meister Eckhart, Johannes Tauler oder Katharina von Siena. Häufig bewegten sich die Mystiker am Rande der Kirche, viele von ihnen waren Laien, unter ihnen auffallend viele Frauen. In der Kirchengeschichte wurden sie nicht selten als Häretiker verfolgt.
"Es gab natürlich auch Mystikerinnen, die anerkannt worden sind, ich nenn jetzt mal Theresa von Avila, Anfang des 16. Jahrhunderts, wahrscheinlich die größte Mystikerin aller Zeiten, die wahrscheinlich nur deswegen die Inquisition überstanden hat, weil Philipp II von Spanien sie gedeckt hat."
Mit Martin Luther wird die Mystik eher selten in Verbindung gebracht. Doch das sei eine sehr einseitige Sicht auf den großen Reformator, meint Peter Zimmerling:
"Er hat ja meiner Meinung nach, das ist auch tatsächlich vor allem der junge Luther gewesen, eine literarische Renaissance der mittelalterlichen Mystik betrieben, indem er diese berühmte Theologia Deutsch, von der wir nicht wissen, von wem sie eigentlich stammt, herausgegeben hat. Das ist wohl eine Schrift irgendwie in der Nachfolge der deutschen Mystik - Meister Eckart, Tauler, Seuse. Und Luther hat darin offensichtlich seine eigene reformatorische Theologie wiedergefunden."
Und auch das berühmt gewordene Turmerlebnis muss für Luther eine Art mystischer Erfahrung gewesen sein. Der Mönch im Augustinerkloster hatte nach quälenden Zweifeln plötzlich beim Bibelstudium die Erkenntnis, dass der Mensch sich die Gnade Gottes nicht verdienen kann durch gute Werke, sondern dass sie ihm zufällt, ganz unverdient, allein durch seinen Glauben.
"Da fühlte ich, dass ich geradezu neugeboren und durch die geöffneten Pforten in das Paradies selbst eingetreten war",
sagt Luther später in der Rückschau über diese innere Erfahrung. Die Erkenntnis der Rechtfertigung durch den Glauben bringt eine bahnbrechende Entwicklung in ganz Europa auf den Weg. Doch die Reformation produziert zunächst auch Umstürzler, Bilderstürmer und Schwärmer.
Peter Zimmerling: "Und da sieht Luther Gefahr. Dass sie sich nicht genügend korrigieren ließen vom biblischen Wort. Und da meinte Luther, dass es unbedingt des Kriteriums der biblischen Texte und zusätzlich der Bekenntnisse der Kirche, vor allem der ökumenischen, des Glaubensbekenntnisses bedürfe."
Aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Auf der Suche nach evangelischer Mystik im 21. Jahrhundert. Das Stadtkloster im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist dafür ein guter Ort.
Georg Schubert: "Es hilft uns, dass die Glocken läuten. Wenn man um 12 Uhr die Glocken hört, dann reicht es noch, den Computer zu sichern oder den Hammer hinzulegen, sich auf den Weg zu machen."
Georg Schubert kommt aus der Schweiz, er war früher Gymnasiallehrer, heute leitet er das Stadtkloster Segen in Berlin. Das liegt mitten in einer Häuserzeile direkt an der lauten Schönhauser Allee. Auf dem gesamten Areal wird noch immer saniert, Kirche und Wohnhäuser sind eingerüstet.
Jeden Tag um zwölf Uhr mittags gibt es in der Segenskirche liturgische Gesänge und Gebet. Die Bewohner des Stadtklosters, Touristen und Menschen aus der Nachbarschaft sitzen verstreut in den Bänken. Vor dem Altar brennen Kerzen, durch die Fenster fällt gnädig mildes Licht auf die Schäden im Inneren der Kirche.
Für 15 Minuten ist die Betriebsamkeit des Alltags unterbrochen, jeden Tag, von Montag bis Freitag, immer mittags um zwölf. Es ist diese Regelmäßigkeit des täglichen Stillewerdens, die Raum schaffen soll für mystische Erfahrungen im Alltag. Nicht die Arbeit soll den Rhythmus des Tages bestimmen, sondern das Gebet. Georg Schubert:
"Es ist halt immer ein Punkt am Tag, wo man sagt: Ich erinnere mich zurück, ich erinnere mich, dass ich mit Gott unterwegs bin, dass er mir die Möglichkeit anbietet, zu ihm aufzuschauen, dass er mir sagt, dass bei ihm Friede und Erkenntnis ist."
Georg Schubert gehört zur Communität Don Camillo, die in der Schweiz ansässig ist. Vor drei Jahren kam er mit seiner Familie und Freunden nach Berlin, um das Stadtkloster Segen aufzubauen. Die kleine Gemeinschaft will für christliches Leben begeistern, mit gemeinsamem Arbeiten und Wirtschaften. Und sie will Menschen mitten in der hektischen Großstadt einen Ort der Stille anbieten, für Gebet und Meditationen mit Texten von Mystikern.
"Mystik hat ja etwas mit Geheimnis zu tun, weil da etwas geschieht, was man letztlich nicht ganz durchdringen und ergründen kann. Ich glaube, es ist ein wesentliches Element von gemeinschaftlichem Leben, dass man durch die Gebete ein Stück weit gezwungen wird, zu verlangsamen, inne zu halten, Atem zu holen, und das gehört für mich schon in das weite Feld der mystischen Beziehung zu Gott."
Nach der spirituellen Pause gehen die Touristen zurück in die Schönhauser Allee, Nachbarn nach Hause, und die Mitglieder der klösterlichen Gemeinschaft essen gemeinsam Mittag. Nicht alle Mystik-Angebote geben eine so klar christliche Orientierung wie das Stadtkloster Segen. Für die Unterscheidung hilft auch heute noch die Luther-Empfehlung: zu prüfen, ob es sich mit den Inhalten der Bibel verträgt.
Zum Thema:
Gesellschaft der Freunde christlicher Mystik
Evangelische Kommunität in Berlin, die christliche Mystik in den Alltag integriert