Mehr Transparenz

Interessenkonflikte im Journalismus offenlegen

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Lebensgefährtin Franca Lehfeldt verlassen das Sylt-Museum.
Finanzminister Christian Lindner heiratet die "Welt"Journalistin Franca Lehfeldt. Einen Interessenskonflikt möchte die "Welt" trotzdem nicht erkennen. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Ein Kommentar von Markus Grill |
Wenn es um Interessenkonflikte anderer Berufsgruppen geht, sind die Medien schnell alarmiert. Doch was ist eigentlich mit der eigenen Zunft? Hier müsse mehr Offenheit herrschen, meint der Journalist Markus Grill.
Vor wenigen Tagen erschien im „Deutschen Ärzteblatt“ ein Artikel über die psychischen Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Das Thema an sich ist wichtig und interessant, aber mir geht es hier um etwas anderes. Am Ende des Artikels findet sich ein Absatz über Interessenkonflikte.
Die Autoren sind ehrenwert und kompetent, allesamt Kinderärzte oder Klinikdirektoren. Einer hat angegeben, dass er Reisekosten von einer Fachgesellschaft erhalten hat, ein anderer bekam Geld vom Forschungsministerium, ein Dritter Beratungshonorare von Pharmafirmen. Es ist in der Wissenschaft, vor allem aber in der Medizin, inzwischen vollkommen üblich und wird von Fachzeitschriften auch verlangt, dass Autorinnen und Autoren ihre Interessenkonflikte offenlegen. Was aber sind überhaupt Interessenkonflikte?

Selbstreflexion und Offenheit

Der Begriff wurde erst in den 80er-Jahren in der Medizin bekannt. Vor fünf Jahren hat eine Gruppe deutscher Medizinprofessoren um den Mainzer Psychiater Klaus Lieb dazu ein Standardwerk vorgelegt. Interessenkonflikte sind demnach alle Gegebenheiten, die das professionelle Urteilsvermögen beeinflussen können.
Bei Ärzten bedeutet dies, dass es neben dem primären Interesse um das bestmögliche Wohl für Patienten noch ein sekundäres, oft finanzielles Interesse gibt. Es ist ein großer Fortschritt in der Medizin, dass diese Interessenkonflikte ausgesprochen, aufgeschrieben und sichtbar werden, weil sie nicht nur dem Publikum eine kritische Bewertung ermöglichen, sondern auch die betroffenen Autorinnen und Autoren zur Selbstreflexion bringen.

Kaum Problembewusstsein in den Medien

Seit ich über Korruption im Gesundheitswesen berichte, habe ich von Ärzten immer wieder die Bemerkung gehört: Was ist eigentlich mit euch Journalisten los? Warum schreibt ihr nicht über eure eigenen Interessenkonflikte? Ich kann darauf relativ wenig entgegnen, denn diese Kritik an uns Journalisten ist berechtigt. Ist der Verfasser des Leitartikels Mitglied einer politischen Partei? Man erfährt es nicht. Handelt der Wirtschaftsjournalist selbst mit Aktien? Ist die Außenpolitik-Redakteurin Mitglied der US-freundlichen Atlantikbrücke? Das Publikum erfährt darüber genauso wenig wie über die Nebentätigkeiten der Gesundheitsexpertin für Pharmafirmen oder die Greenpeace-Mitgliedschaft des Umweltredakteurs.
Dabei sind all das Interessenkonflikte. Wie unreflektiert Medien mit dem Thema bisher umgehen, sieht man übrigens auch an der Sprache. So ist, wenn überhaupt über die eigene Branche berichtet wird, häufig von „möglichen Interessenkonflikten“ die Rede – als ob man nicht wüsste, ob ein Interessenkonflikt überhaupt vorliegt. Die Medizinwissenschaft hat diese Formulierung bereits vor zehn Jahren abgeschafft. Denn ein „möglicher Interessenkonflikt“ ist bei genauem Nachdenken immer ein Interessenkonflikt. Unklar und damit „möglich“ ist nur, ob und in welchem Ausmaß er die Urteilsfähigkeit beeinflusst.

Interessenkonflikte sind kein Makel

Zwar kann nicht unter jedem Artikel oder nach jedem Radiobeitrag ein Absatz über die Interessenkonflikte der Autoren erscheinen. Aber jedes Medium hat heute eine Internetseite und viele präsentieren da stolz ihre Journalisten mit kurzen Angaben über deren Biografie. An diesem Ort wäre es leicht möglich, Interessenkonflikte zu veröffentlichen. Aber in den Medien gibt es bis heute kaum ein Problembewusstsein für Interessenkonflikte.
Als zum Beispiel die „Welt“-Reporterin Franca Lehfeldt vor Kurzem Bundesfinanzminister Christian Lindner heiratete, erklärte ihr Verlag, darin keinen Interessenkonflikt erkennen zu können, obwohl Frau Lehfeldt über Bundespolitik berichtet. Es braucht offenbar noch Zeit, bis Rundfunkanstalten und Verlage erkennen, welche Chance darin liegt, mit Transparenz Vertrauen aufzubauen. Ein Interessenkonflikt an sich ist kein Makel. Ein Makel aber ist es, ihn zu verschweigen.

Markus Grill ist Chefreporter im NDR/WDR Investigativ-Ressort. Er studierte Geschichte und Germanistik in Freiburg und Berlin und absolvierte im Anschluss ein Volontariat bei der „Badischen Zeitung“. 2003 ging er zum „Stern“ nach Hamburg, wo er als Redakteur und Reporter im Politik- und Wirtschaftsressort unter anderem den Schmiergeld-Skandal bei Ratiopharm und den Überwachungsskandal bei Lidl aufdeckte. 2009 wechselte er zum Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und berichtete von 2012 bis 2014 als Wirtschaftskorrespondent aus Washington D.C. Nach seiner Rückkehr wurde er Chefredakteur des Recherchezentrums „Correctiv“. Seit November 2017 arbeitet Markus Grill in der Recherchekooperation von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ und deckte unter anderem 2021 zusammen mit Kolleg:innen den Corona-Schnelltest-Skandal auf.

Der Journalist Markus Grill
© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
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