Internationale Hilfe

Wie Geberländer ihre Versprechen brechen

Flüchtlinge in Belek, Türkei
Syrische Flüchtlinge in Belek, Türkei: Wo keine Hilfe ankommt, herrscht bittere Armut © DLF / Benjamin Hammer
Von Marc Engelhardt |
600 Millionen Euro für ein globales Impfprogramm, vier Milliarden Dollar für den Wiederaufbau von Gaza, 1,8 Milliarden für Syrien: Regierungen und Unternehmen versprechen riesige Geldsummen für Hilfsbedürftige. Doch zahlen tun sie längst nicht immer.
Es ist die größte Krise seit dem zweiten Weltkrieg: Seit mehr als vier Jahren versinkt Syrien im Bürgerkrieg. Fast 11 Millionen Männer, Frauen und Kinder sind auf der Flucht. Mehr als jeder zweite Syrer ist auf Hilfe angewiesen. Angesichts dieser Notlage gibt der Rest der Welt sich Ende März großzügig. Bei einer pompösen Geberkonferenz im Golfemirat Kuwait kommen Vertreter von fast achtzig Staaten zusammen. Dort bitten Hilfsorganisationen um insgesamt 8,4 Milliarden Dollar. Am Ende des Tages erklärt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon:
"UN-Mitgliedsstaaten, Organisationen und internationale Partner haben 3,8 Milliarden Dollar an Unterstützung für die Notleidenden in Syrien und den angrenzenden Nachbarländern zugesagt. Jeder einzelne Dollar davon wird für humanitäre Unterstützung ausgegeben werden."
Ergebnis der UN-Geberkonferenz für Syrien im März. Benötigt: 8,4 Milliarden Dollar. Versprochen: 3,8 Milliarden Dollar. Acht Monate später: fehlen noch versprochene 675 Millionen ... obwohl neue Versprechen in Milliardenhöhe hinzugekommen sind.
Versprochen ist noch lange nicht gezahlt. Syrien ist da nur ein Beispiel unter vielen. Wenn eine Krise Schlagzeilen macht, versprechen Regierungen und immer häufiger auch Stiftungen und Unternehmen öffentlichkeitswirksam Millionen und lassen sich als Retter in der Not feiern.
Ob die Geber auch tatsächlich zahlen, bekommt kaum jemand mit
Ob sie wirklich zahlen, bekommt die Öffentlichkeit kaum mit. So gehen Helfer am Ende immer wieder leer aus. So leer, dass der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, im Oktober dieses Jahres erklären muss:
"Die humanitäre Hilfe ist zwar noch nicht am Ende, wie einige behaupten. Tatsächlich arbeiten wir effektiver als viele andere. Aber wir, die Helfer, sind pleite. Wir sind nicht einmal mehr in der Lage, auch nur das absolute Minimum an Schutz und Hilfe zu leisten, um die menschliche Würde derer zu schützen, um die wir uns sorgen."
Was das vor Ort in den Nachbarstaaten Syriens bedeutet, weiß Bettina Lüscher, Chefsprecherin des Welternährungsprogramms in Genf. 25 Millionen Dollar braucht das Welternährungsprogramm jede Woche, nur um Flüchtlinge aus Syrien zu ernähren. Ein Betrag, der seit Jahren nicht zusammenkommt.
"Das ist schon eine schwierige Lage, wenn man einer Mutter sagen muss: Du kriegst nicht mehr 100 Prozent der Gelder, die Du eigentlich kriegen solltest, 28 Dollar im Monat pro Person, sondern wir müssen das zurück kürzen, das ist schon schwierig. Und das geht lange schon so. Wir sind jetzt im fünften Jahr dieses Krieges, die Menschen sind verzweifelt und verlieren ihre Hoffnung."
Im September dieses Jahres fehlt so viel Geld, dass das Welternährungsprogramm seine Hilfen kürzen muss.
360.000 Notleidende bekommen gar nichts mehr.
Die anderen nur noch die Hälfte, sie müssen mit 50 Cent am Tag überleben.
Auch in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon ist das zu wenig, um auszukommen.
"Wenn jetzt das Problem ist, dass die, die außerhalb der Flüchtlingslager sind, nicht mehr die vollen Rationen bekommen, dann heißt das, dass die Menschen weniger oft essen, dass die Mahlzeiten kleiner werden, dass sie ihre Kinder - vor allem Jungs - aus den Schulen nehmen und zum Betteln schicken oder für kleine Jobs, zum Beispiel Mehlsäcke tragen. Und dann haben wir auch die Sorge vor sexuellem Missbrauch und davor, dass Kinder früh verheiratet werden, weil dann einer weniger zu füttern ist. Es hat echte Konsequenzen. Und das im 21. Jahrhundert ist furchtbar mit anzusehen."
Dabei hätte eigentlich genug Geld da sein müssen. Hätten die Geber ihre in Kuwait gegebenen Versprechen rechtzeitig erfüllt, wären die Rationen für syrische Familien nicht gekürzt worden.
Ein halbes Jahr nach der Geberkonferenz fehlen 770 Millionen
Aber im September, ein halbes Jahr nach der Geberkonferenz, stehen noch mehr als 770 Millionen Dollar versprochener Hilfen aus.
Auch dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fehlt dringend benötigtes Geld. Kein Wunder, dass Finanzchef Axel Bisschop davor warnt, Versprechen bei großen Geberkonferenzen seien mit Vorsicht zu genießen.
"Fakt ist, dass der Bedarf viel höher ist als das, was reinkommt. Und wenn auf einer Konferenz etwas versprochen wird, dann heißt das nicht, dass das Geld an diesem Tag überwiesen wird. Wenn vor acht Monaten etwas versprochen wurde, dann wird es vielleicht heute überwiesen, oder erst ganz am Ende des Jahres, wenn alle anderen Rechnungen bezahlt sind."
Manche Regierungen bezahlen erst einmal die Hilfsorganisationen im eigenen Land. Erst später werden Überweisungen an die Vereinten Nationen und ihre Hilfsorganisationen getätigt. Andere Geber mögen andere Gründe dafür haben, dass sie spät zahlen. Doch die Folgen sind immer die gleichen, warnt Bisschop:
"Wenn Hilfsgelder nicht sofort ausgezahlt werden, dann müssen bestimmte Programme angehalten werden, bis das Geld zur Umsetzung da ist. Das ist ein Riesenproblem für unsere Arbeit vor Ort. Sie müssen wissen, wie viel Geld sie haben, um arbeiten zu können. Derzeit müssen sie ständig entscheiden, was besonders wichtig ist und was warten muss, damit das vorhandene Geld für die Ausgaben reicht."
Organisationen wie das UNHCR haben wenig Rücklagen, um Geld vorzustrecken.
Luftaufnahme des Flüchtlingslagers Dadaab in Kenia
Auch hier wird dringend Hilfe benötigt: das Flüchtlingslager Dadaab in Kenia© dpa / Brendan Bannon/Iom/Unhcr
In Afrika hätten dieses Jahr 14 neue Flüchtlingslager gebaut werden müssen, sieben mussten erweitert werden. Kostenpunkt: 215 Millionen Dollar. Vorstrecken: ging nicht, weil andere Krisen wie die in Syrien derzeit alle flüssigen Mittel beanspruchen. Die Folge: Verschiebung auf unbestimmte Zeit.
Dass versprochene Hilfen zu spät überwiesen werden, ist für die Helfer ein drängenderes Problem als man glauben mag. Gerade globale Organisationen haben lange Planungsvorläufe, auch weil dutzende Akteure an der Hilfe beteiligt sind. Geld wird vom Geber an die UN gezahlt, geht von dort an internationale Hilfsorganisationen, die die Hilfen an Gruppen vor Ort weiterleiten. Den Gebern spart das viel Aufwand und Kosten. Doch funktionieren kann eine solche Kette nur dann, wenn Geber frühzeitig zahlen, warnt Bettina Lüscher vom Welternährungsprogramm.
"Man muss ja auch planen können, wie so eine Hilfsoperation aussieht. Das kann man eben nicht von einer Woche zur nächsten, das hat Monate von Vorarbeit, und wir müssen eigentlich wissen, was wir in den nächsten sechs Monaten an Geldern bekommen, um richtig intelligent und smart arbeiten zu können. Und diese Gewissheit haben wir eben nicht."
Schon die große Unklarheit, wann versprochene Hilfsgelder gezahlt werden - heute oder in vielen Monaten - sorgt dafür, dass Menschen leiden müssen. Die Lebensmittelrationen für Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern bleiben nur wegen dieser Ungewissheit bis heute gekürzt.
"Wir haben die Rationen immer noch nicht wieder auf 100 Prozent eingestellt, für die Menschen etwa im Libanon, oder in Jordanien außerhalb der Flüchtlingslager, oder auch in Ägypten, der Türkei oder anderen Ländern. Wir können das nicht auf 100 Prozent setzen, weil wir nicht genau wissen, welche Gelder kommen. Denn wir wollen ja nicht die Leute, die Familien, die auf der Flucht sind, von einer Panik in die nächste bringen. Sondern wir müssen ja ständig mit denen kommunizieren und denen sagen: Jetzt kriegt ihr weniger, jetzt können wir wieder weitermachen."
Manchmal, sagt Axel Bisschop, dauert es nicht Monate, sondern Jahre, bis versprochene Gelder bei den Empfängern ankommen - wenn überhaupt.
"Wir haben große Zusagen bestimmter Geber gesehen, die ganz andere Mittel beinhaltet haben. Da können Naturalien enthalten sein oder Dienstleistungen, oder auch Gelder, die erst ein Jahr später kommen. Vielleicht kommt ein Teil des Geldes auch erst in zwei oder drei Jahren. Vor diesem Hintergrund finde ich die Zahlen, die Sie von der Syrienkonferenz zitieren, eigentlich noch ganz gut."
Bisschop und seine Kollegen bei anderen UN- und Hilfsorganisationen geben die Hoffnung nicht auf, dass auch in diesem Jahr manche Geber noch bis Silvester zahlen werden. Das wäre dann zwar spät - aber besser als nie.
Für die Helfer ist der Zahlungsverzug der Super-Gau
Berichte aus den Vorjahren zeigen aber, dass oft genug gar nicht gezahlt wird. Für die Helfer ist das der Super-GAU, vor allem dann, wenn sie das Geld in zuversichtlicher Erwartung schon vorgestreckt haben.
Beispiel Syrienhilfe: 2013 wurden von zugesagten Geldern mehr als 128 Millionen Dollar nicht überwiesen. 2014 waren es über 250 Millionen.
Mehr als 200 Millionen Dollar, die ein Konsortium aus islamischen Hilfsorganisationen versprochen hatte, kamen nach Zahlen des bei den UN angesiedelten Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten nie an. Der Vorsitzende dieses Konsortiums, Abdullah al-Matooq, ist zugleich Minister im kuwaitischen Kabinett.
Auf schriftliche Nachfragen ... keine Reaktion. Telefonisch ... niemand zu erreichen. Der letzte Jahresbericht auf der Homepage der Organisation ... von 2010. Die Zusagen ... vermutlich verloren.
Auch für die Ebolakrise in Westafrika riefen Hilfsorganisationen 2014 und 2015 zu dringender Hilfe auf. Jeden Tag gab es neue Infektionen. Geld wurde sofort benötigt, um Isolierstationen aufzubauen, Menschen mit sauberem Trinkwasser, Nahrung oder einem Dach über dem Kopf zu versorgen.
Die Lage: Dramatisch! Versprochen, aber dennoch nicht gezahlt: nach UN-Zahlen fast 600 Millionen Dollar. Darunter: fast 150 Millionen Dollar aus Großbritannien, 100 Millionen von der Weltbank, 200 Millionen von privaten Gebern, darunter Unternehmen und Stiftungen.
Insgesamt sind laut UN-Statistik im Jahr 2014 eineinhalb Milliarden versprochene Dollar nicht gezahlt worden. Das entspricht ungefähr einem von fünfzehn versprochenen Dollars.
Die Helfer, die auf das Geld angewiesen sind, sind in all diesen Fällen machtlos. Das weiß auch Rasmus Egendal, der in der Zentrale des Welternährungsprogramms in Rom für die Beziehungen zu den Gebern zuständig ist.
"Keine Regierung ist zu irgendetwas verpflichtet. Das Welternährungsprogramm wird zu 100 Prozent aus freiwilligen Beiträgen getragen. Wir treffen mit einigen Regierungen Absprachen, die regeln, wie und was sie zahlen. Aber fast immer gilt: wenn eine Regierung sich entscheidet, das Welternährungsprogramm nicht zu unterstützen, können wir nichts dagegen tun."
Egendal und das Welternährungsprogramm haben aus ihren Erfahrungen mit großen Geberkonferenzen Konsequenzen gezogen. Zwar nutzen sie die Konferenzen als Plattform, um für Unterstützer zu werben. Doch auf die Versprechen verlassen tun sie sich nicht.
"Einige Regierungen machen Versprechungen und halten sie dann nicht. Das ist natürlich unglücklich. Wir planen deshalb nicht auf Grundlage der Geberkonferenzen. Unsere Planungsgrundlage sind die Ergebnisse dessen, was uns individuell im Gespräch mit Vertretern bestimmter Länder versprochen wird. Das ist verlässlicher. Allerdings war es in diesem Jahr selbst auf diese Weise bei vielen Gebern schwierig, deutliche Angaben zu bekommen."
Geberkonferenzen sind demnach vor allem für diejenigen vorteilhaft, die ihre Hilfen einer großen Öffentlichkeit verkaufen wollen.
Steinmeier versprach 1,8 Milliarden - unklar ist, wer sie zahlt
Für die Empfänger sieht es anders aus. Wie intransparent Geberkonferenzen sein können, und wie leicht mutmaßlich leere Versprechungen gemacht werden können, zeigt das Beispiel eines Treffens, zu dem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Abend des 29. September dieses Jahres ins New Yorker Westin Hotel einlädt. Die UN-Generalversammlung ist in vollem Gange, Syrien das Topthema. Trotz großer Hoffnungen im Vorfeld bleiben diplomatische Fortschritte aus. Wenigstens bei der humanitären Hilfe soll etwas geschehen. Frank-Walter Steinmeier:

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußert sich in Lusaka (Sambia) zu der Geiselname in einem Hotel in Bamako (Mali).
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier: Zusagen von 1,8 Milliarden Dollar© picture-alliance / dpa/Bernd von Jutrczenka
"Es darf nicht passieren, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen oder das Welternährungsprogramm, dass diese Organisationen Nahrungsmittelrationen kürzen, Gesundheitsstationen schließen und Zelte nicht gegen Kälte isolieren können, weil ihnen dafür in diesem Jahr schlicht und einfach das Geld fehlt oder aber innerhalb der nächsten Wochen ausgeht.
In einer solchen Situation, finde ich, ist es die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass nicht noch dramatischere Zustände eintreten und dass wir den humanitären Hilfsorganisationen in dieser Not helfen und damit vor allem den Flüchtlingen helfen."
Zu diesem Zeitpunkt haben hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien und den Nachbarstaaten bereits ihre Flucht in Richtung Europa angetreten. Auch wegen der fehlenden Hilfen vor Ort, wie UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming wenige Wochen zuvor in Genf betont.
"Das UNHCR und seine Partner in den Nachbarländern Syriens sind katastrophal unterfinanziert. Logischerweise ist es so: Wenn sich die Lebensumstände von Menschen immer weiter verschlechtern, wenn sie in absoluter Armut leben und keine Verbesserung absehbar ist, sie keine Perspektive haben - dann entscheiden sich viele, nach Europa aufzubrechen."
Mehr Hilfe vor Ort, so die Hoffnung europäischer Politiker, könnte zumindest eine Fluchtursache beseitigen. Deshalb lädt Bundesaußenminister Steinmeier als G7-Vorsitzender zu einer Geberkonferenz.
Im Konferenzraum des Westin Grand Central hängen an diesem Abend außer den Flaggen von EU und UN die von 17 weiteren Nationen, von Österreich, Kanada und Frankreich bis hin zu Schweden, Schweiz und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Gut zwei Stunden nach Beginn des Treffens tritt der deutsche Außenminister vor die versammelte Presse.
"Wir haben uns darauf geeinigt, gemeinsam 1,8 Milliarden Dollar für die internationalen Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen, insbesondere UNHCR und das World Food Programm bereitzustellen. Deutschland alleine wird davon 100 Millionen Euro beitragen."
1,8 Milliarden: das ist fast die Hälfte der Summe, die die gesamte Staatengemeinschaft beim riesigen Gebergipfel Anfang des Jahres in Kuwait versprochen hat.
Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, der ebenfalls an dem Treffen teilnimmt, dankt Steinmeier entsprechend herzlich. Auch in der UN-Generalversammlung, wo am nächsten Tag ein Treffen zu Migrationsfragen stattfindet, wird Steinmeiers Ankündigung begrüßt.
"Wir müssen viel mehr tun als wir bisher tun. Die für humanitäre Aufgaben zuständigen UN-Agenturen stellen die wichtigste Unterstützung bereit. Aber sie sind auf gefährliche Weise unterfinanziert. Deutschland hat 100 Millionen Euro zusätzlicher Hilfen zugesagt, und wir rufen andere auf, uns zu folgen. Deshalb habe ich als G7-Vorsitzender gestern eine Geberkonferenz zusammengerufen, und ich bin froh über die Unterstützung in Höhe von mehr als 1,8 Milliarden Dollar."
Doch wer am 29. September genau was zugesagt hat, ist bis heute ein Geheimnis. Zwischen 12 und 15 Ländern hätten Zusagen gemacht, sagt Steinmeier noch am selben Abend - genaueres kann oder will er nicht sagen.
Das Außenamt schafft es nicht, die Geberliste vorzulegen
Es werde eine Liste der Geber und ihrer Versprechen geben, springt Steinmeiers Sprecher dem Minister zur Seite. Doch danach will sich niemand mehr im Auswärtigen Amt an diese Zusage erinnern. Zunächst reagieren die Sprecher gar nicht, dann heißt es schließlich lapidar:
"Eine Aufschlüsselung der Zusagen, die während des erweiterten G7-Außenministertreffens in New York gemacht wurden, können wir Ihnen leider nicht übersenden. Es tut mir leid, dass ich Ihnen in diesem Fall nicht weiterhelfen kann."
Vielleicht gibt es gar keine Liste. Darauf lässt das Schreiben eines Diplomaten in der deutschen Vertretung in New York schließen, in dem es zu den versprochenen Hilfen, die englisch 'Pledges' genannt werden, heißt:
"Wir haben leider keine Liste verfügbar, die Aufschluss über einzelne Zusagen der G7-plus-Teilnehmerstaaten bietet. Die Gesamtsumme von 1,8 Milliarden Dollar beinhaltet sowohl Pledges, die im Raum gemacht wurden, als auch solche, die uns bilateral zugesagt, dann aber während der Veranstaltung nicht wiederholt wurden."
Zugesagt, aber nicht wiederholt - das klingt schwammig und ist es wohl auch.
Von den angeschriebenen Außenministerien der Teilnehmerstaaten erinnert sich immerhin noch das in London, dass "nach unserem Verständnis Großbritannien 200 Millionen Pfund zugesagt hat".
In Stockholm heißt es dagegen klar: "Schweden hat beim erweiterten Treffen der G7-Außenminister kein Versprechen zu vermehrter Unterstützung gegeben."
Und in Ankara zieht man sich darauf zurück, die Türkei habe in diesem Jahr bereits staatliche Hilfen in Höhe von 7,6 Milliarden Dollar für syrische Flüchtlinge im Land gezahlt. Ob in New York mehr versprochen wurde? Keine Antwort.
Auch bei denen, denen die Hilfe gelten soll, weiß man mehr als sechs Wochen nach dem Treffen in New York noch nichts Genaues. UNHCR-Mann Axel Bisschop, der sich sichtlich bemüht, keinen Geber zu blamieren, zuckt mit den Schultern.
"Einige der Zusagen sind sehr wahrscheinlich welche, die früher schon einmal gemacht wurden. Wir haben bis jetzt noch keine Liste aller Länder, in denen stünde, was sie zugesagt haben und wann sie es zahlen wollen. Mit den wenigen Ländern, von denen wir wissen, haben wir Kontakt aufgenommen, und wir hoffen sehr, dass diese Zusagen eingelöst werden."
Ob er in der Lage ist zu sagen, wieviel wirklich neues Geld beim Treffen der G7-Außenminister in New York versprochen wurde? Nein, im Moment könne er diese Frage nicht beantworten. Normal sei der Ablauf aber nicht, sagt Bisschop.
"Das ist nicht der Weg, der üblicherweise beschritten wird. Normalerweise bekommen wir alle Listen und klare Hinweise auf Mittelzusagen und wie sie genau gemacht wurden."
Deutschland selbst gilt als verlässlicher Geber. Keine der UN-Organisationen äußert Zweifel daran, dass Deutschland die versprochenen 100 Millionen Euro zahlen wird - zusätzlich zu allen vorher gemachten Versprechen, wie Frank-Walter Steinmeier vor der UN-Generalversammlung betont hat. Doch eilig scheint Deutschland es damit nicht zu haben.
Das europäische Informationssystem EDRIS, in dem die EU die Hilfszahlungen ihrer Mitgliedsstaaten verwaltet, verbucht zwischen Ende September und dem ersten Dezember nur 36,8 Millionen Euro aus Deutschland für die Syrienhilfe. Mindestens 63,2 Millionen fehlen also noch. Das Abdichten kalter Flüchtlingszelte muss warten.
Können die Helfer und Flüchtlinge mit dem Geld rechnen?
Und was ist mit dem Rest? Können die Helfer, die Flüchtlinge, die Hungernden mit den in New York versprochenen 1,8 Milliarden Dollar rechnen - oder sind sie eine Chimäre, ein Trugbild, weil die gleiche Summe schon einmal anderswo versprochen und bezahlt wurde, oder aber nie bezahlt werden wird? Eine Frage, die kaum zu beantworten scheint.
Dabei verfügen die UN über ein eigenes Kontrollsystem, das versprochene und tatsächlich geleistete Hilfszahlungen einander gegenüberstellt. Der Financial Tracking Service, kurz FTS, ist die umfangreichste Datenbank über Hilfszahlungen weltweit. Angesiedelt ist es bei OCHA, dem UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.
Verbucht werden Hilfszahlungen von Staaten und privaten Gebern an UN-Organisationen und anerkannte Hilfsorganisationen, solange sie zur Bewältigung einer von OCHA durch einen Spendenaufruf anerkannten Krise beitragen sollen. Die Zahlen sind nicht nur umfassend, sie werden auch täglich aktualisiert und sind öffentlich zugänglich. Doch es gibt ein Problem, wie Jens Laerke erklärt, der Sprecher von OCHA in Genf.
"FTS ist ein System, das auf Freiwilligkeit beruht. Niemand zwingt irgendjemanden, Daten an uns weiterzugeben. Allerdings erkennen die meisten großen Akteure in der humanitären Hilfe an, dass es sich um ein gutes System handelt, das allen ein gutes Bild darüber verschafft, wo noch Lücken sind und wo Geld am dringendsten gebraucht wird. Aber wir sind zu einhundert Prozent abhängig von den Informationen, die Geber und Empfänger an uns melden."
Bei den großen Gebern sind die Mechanismen seit langem eingespielt. Europäische Länder, auch Deutschland, übermitteln ihre Daten über das Brüsseler EDRIS-System. Für alle gibt es zudem feste Abläufe, Formate, Kriterien.
"Nur weil jemand etwas bei einem öffentlichen Treffen verspricht, nehmen wir es noch nicht als Zusage in unser System auf. Erst brauchen wir eine schriftliche Bestätigung der entsprechenden Regierung. Nur dann verfolgen wir die Zusage. Wenn wir von mündlichen Zusagen hören, machen wir uns aber sehr wohl eine Notiz und fragen nach. Es kann ein bisschen Zeit kosten, bis Geber und Empfänger Zahlungen bestätigen, vor allem wenn es um große Summen von verschiedenen Gebern geht. Normalerweise braucht das gut einen Monat."
Bilanz der Syrienhilfe in diesem Jahr: 3,8 Milliarden Dollar, versprochen vor mehr als acht Monaten in Kuwait. 1,8 Milliarden Dollar, versprochen vor mehr als zwei Monaten in New York. Zusammen wären das 5,6 Milliarden Dollar. FTS führt in seiner Statistik Anfang Dezember 4,7 Milliarden Dollar als eingegangen auf.
Fehlen mindestens 900 Millionen, nicht 674, wie FTS angibt. Vermutlich sind es sogar noch mehr, denn im Lauf des Jahres haben viele Politiker an vielen Orten viele Versprechungen gemacht, von denen wiederum viele gar nicht erst im Kontrollsystem der UN gelandet sind.
Das liegt auch daran, dass die Kontrolleure hoffnungslos überlastet sind, wie Jens Laerke zugeben muss. In Genf, wo die meisten humanitären Organisationen sitzen, hat FTS gerade einmal zwei Angestellte.
"FTS sieht jeden Monat 1500 bis 2000 Berichte durch. Das ist eine riesige Menge, und jeder dieser Berichte muss mehrfach bearbeitet werden, bis wir sagen können, wo das Geld geblieben ist. Natürlich sind wir nicht genügend Leute, um das zu schaffen. Jede Unterstützung der Mitgliedsstaaten, um unser System zu verbessern, ist deshalb sehr willkommen."
Doch wer bezahlt schon gerne die eigenen Rechnungsprüfer - zumal das Defizit vor allem die Helfer, nicht die Geber, bedrückt.
Für die Hilfsorganisationen und ihre Finanzplaner gehören die versprochenen und nicht gezahlten Hilfen zum schwierigen Alltag. Sie sind bei weitem nicht das einzige Problem. Im westafrikanischen Gambia etwa, einem der ärmsten Länder der Welt, hat kein Geber falsche Versprechungen gemacht. Denn dort hat überhaupt kaum jemand Geld versprochen.
Gebraucht in Gambia wurden: 24 Millionen Dollar. Bezahlt: eine Million. Fehlen: 95 Prozent der benötigten Summe.
Viele andere Krisen, die nicht im Rampenlicht stehen, teilen ein ähnliches Schicksal. Und Syrien? Im Februar 2016 wird es erneut eine große Geberkonferenz geben, diesmal in London. Rasmus Egendal vom Welternährungsprogramm erwartet nicht allzuviel.
"Wenn wir uns die Entwicklung ansehen, dann ist es so: 2013 haben wir 80 Prozent erhalten, 2014 noch 60 Prozent, dieses Jahr vielleicht 50. Das ist nicht besonders vielversprechend."
Millionen-Versprechen gestalten Politik. Auch deshalb ist es so wichtig, dass sie eingehalten werden, und dass Bürger aus Geber- wie aus Empfängerstaaten dies auch kontrollieren können. Gerade erst hat die EU der Türkei drei Milliarden Dollar zur Versorgung von syrischen Flüchtlingen im Land versprochen. Niemand weiß bisher, wer dieses Geld zahlen soll. Werden es wieder Luftbuchungen sein, Gelder, die bisher andere Helfer bekamen, die dann leer ausgehen? Millionen oder Milliarden, die versprochen, aber nicht bezahlt werden? Die bisherige Praxis lässt genau das befürchten.
Dieses Feature wurde auf der Grundlage einer Crowdfunding-Recherche in Kooperation mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv erarbeitet.
Mehr zum Thema