Internationale Opernakademie im Schwerte

Kipplige Karriere künftiger Diven

Probenfoto von Parsifal: Mit dem Parsifal, der letzten Oper von Richard Wagner, werden die Bayreuther Festspiele eröffnet.
Probenfoto von Parsifal für die Bayreuther Festspiele - die Sängerinnen können sich glücklich schätzen, ein derartig gutes Engagement bekommen zu haben. © picture alliance / dpa / Festspiele Bayreuth / Enrico Nawrath
Von Stefan Keim · 02.08.2016
Wer mit dem Beruf eines Opernsängers anfängt, hat kein leichtes Leben vor sich. Yamina Maamar und Norbert Schmittberg von der Internationalen Opernakademie brauchen bloß zwei Wochen, um junge Leute auf die Tücken und Gefahren ihres Berufes vorzubereiten - nicht nur musikalisch.
Judith muss immer einen halben Ton höher singen. Dabei darf sie nicht verkrampfen, sonst werden die Höhen schrill. Und nun muss die 22-Jährige noch mit beiden Füßen auf ein Kippbrett steigen und das Gleichgewicht halten, während sie singt. Das Singen muss eine Selbstverständlichkeit sein.
Judith Caspari ist 22 Jahre alt und eine der jüngsten Teilnehmerinnen der Opernakademie im westfälischen Schwerte. Sie hat einen hellen, leichten, beweglichen Sopran, ideal für Mozart-Opern oder auch als Soubrette, die jugendlichen, spielerischen Heldinnen in Operetten. Am Staatstheater Kassel hat Judith schon eine große Rolle im Musical "The Sound of Music" gesungen. Aber die zierliche blonde Frau kriegt die kulturpolitischen Debatten natürlich mit.
Judith: "Man macht sich schon Sorgen wenn es um Spartenschließungen an vielen deutschen Theatern geht. Und gerade wenn man nach Amerika guckt oder sei es auch Holland, die einfach dieses Stadttheater gar nicht haben, da merkt man, was man für ein Glück hat, merkt aber auch, dass es immer weniger wird."

Lange Karrieren sind sehr selten

Junge Sänger sind preisgünstig und hungrig. Sie nehmen auch niedrige Gagen in Kauf, um Erfahrungen zu sammeln. Aber was kommt danach?
Corke: "Es ist erstaunlich, wie wenige das schaffen, eine sehr lange Karriere zu machen, heutzutage. Das ist sehr, sehr selten."
Francis Corke ist Korrepetitor am Aalto-Musiktheater Essen. Er begleitet die Teilnehmer der Opernakademie am Klavier.
Corke: "Ich glaube, wir müssen sehr ehrlich mit den jungen Sängern sein und sagen: Die Situation ist sehr schwierig. Und ihr müsst absolut brennende Sehnsucht nach diesem Beruf haben, sonst ist das falsch. Und man muss sagen, die müssen ein zweites Standbein haben. Die denken alle, wenn die anfangen, jetzt hab ich das erreicht und so weiter. Und dann nach drei, vier Jahren sind sie nicht verlängert. So ist es ein sehr schwieriger Beruf. Aber auf der anderen Seite wir machen etwas, was wir lieben. Und das machen sehr wenige Leute in ihrem Beruf."

Eine feste Anstellung bringt nicht immer Sicherheit

Ein Festengagement bringt keine Sicherheit. Im Gegenteil, man kann zum Ende jeder Spielzeit gekündigt werden. Aus künstlerischen Gründen, heißt es dann. Vor wenigen Wochen traf ich zufällig in Hagen eine Sopranistin, die ich mehrmals grandios in schweren Hauptrollen erlebt habe. Auf die Frage, was sie gerade mache, antwortete sie, sie sei über 50, habe schon einige Jahre lang kein Engagement bekommen und gebe Privatunterricht. Das ist kein Einzelschicksal, bestätigt Yamina Maamar von der Opernakademie. Toll singen reicht nicht.
Yamina: "Das ist nicht, dass man etwas grundlegend falsch macht. Sondern dass es diesen Jugendwahn am Theater gibt, und den gibt es sowohl im Schauspiel als auch im Operngeschäft. Und es ist tatsächlich für eine Sopranistin schon ab Mitte 40 schwierig, Engagements zu kriegen."
Yamina Maamar hat die kritische Altersschwelle überschritten. Dennoch ist sie gut im Geschäft. Sie hat gerade Richard Wagners Isolde in Kaiserslautern gesungen, bald kann man sie in dieser Rolle am Musiktheater Gelsenkirchen hören.
Yamina: "Ich bin schon seit vielen Jahren freiberuflich und bin ständig drauf angewiesen, mein Netzwerk zu pflegen, zu erweitern. Ich geh immer wieder vorsingen und arbeite an verschiedenen Theatern."
Freiberuflich zu arbeiten verlangt viel Engagement. Keiner weiß, ob man beim Vorsingen auch genommen wird. Man muss Kontakte pflegen, netzwerken, die Webseite in Schuss halten, auf Facebook und Youtube präsent sein. Das bringt einem im Studium keiner bei. Marc Niemann, Generalmusikdirektor in Bremerhaven, ist einer der Dozenten der Opernakademie. Er beschreibt, warum es an kleinen Theatern fast nur noch junge Ensembles gibt.

Was bestimmte Formulierungen in Verträgen bedeuten

Niemann: "Es ist überhaupt die Tendenz, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für Sänger schwierig manchmal sind in Festengagement. Man holt sehr gerne junge Sänger. A: Die sind billig. B: Die Älteren haben oft das Problem. Manche, die sich verbessern, gehen an größere Häuser oder singen schwerere Fächer, die wir gar nicht brauchen. Manche, die sich nicht so positiv entwickeln, verlassen dann das Theater. Und es kommen immer wieder von unten gute Neue nach. Wir müssen also immer ein Durchlauferhitzer sein als kleines Theater."
Die Opernakademie klärt die jungen Sänger über manche Gefahren auf. Yamina Maamar und Norbert Schmittberg erzählen, was bestimmte Formulierungen in Verträgen bedeuten und um welche Agenturen man einen Bogen machen sollte. Und es geht um die Frage, ob Anfänger lieber freiberuflich oder mit Festvertrag arbeiten sollen. Bisher empfehlen fast alle Dozenten letzteres. Aber das Ensembletheater ist vielerorts bereits den Sparzwängen zum Opfer gefallen.
Das oft beschworene Ensembletheater ist vielerorts bereits den Sparzwängen zum Opfer gefallen. Sänger, die an einem Ort über Jahre hinweg wachsen und von älteren Kollegen lernen können, gibt es nur noch selten. Weil die älteren Sänger nur noch als Gast herein schwirren und schnell wieder weg sind. Das Kippbrett, auf dem die 22-jährige Judith bei ihren Stimmübungen steht, ist ein treffendes Symbol für das, was sie im Berufsleben erwartet.
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