Internationale Wirtschaftsbeziehungen

Ist der "Wandel durch Handel" gescheitert?

06:34 Minuten
Container lagern gestapelt im Seehafen von Murmansk in Russland.
Der Hafen ins Murmansk dient als wichtiger Güterhafen und ist zugleich Militärbasis der Russischen Seekriegsflotte. © picture alliance/ dpa/ TASS/ Sergei Savostyanov
Von Nora Bauer |
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Bringt grenzüberschreitender Handel Menschen einander näher und „exportiert“ sogar demokratische Werte? In Bezug auf Russland hat das offenbar nicht funktioniert. Welche Schlüsse ziehen wir daraus für die Gestaltung unserer Wirtschaftsbeziehungen?
„Ich denke an die Zeit vor zehn Jahren zurück, da ging man durch Moskau und könnte meinen, man wäre in Paris“, sagt Siegfried Fraier. „Das hatte sich wahnsinnig verändert und es war positiv und es war offen, die internationale weltoffene Welt, die man erlebt hat.“
Siegfried Fraier gehört zum deutschen Mittelstand. Er vertritt eine Gruppe von Zulieferern für die Landwirtschaft auf dem internationalen Markt. Die Gruppe ist in 60 Ländern aktiv. „Bei uns in der Gruppe kann man sagen, dass wir hier in Deutschland vielleicht noch 30, 35 Prozent Umsatz machen, und der Rest ist im Ausland“, erzählt er.

Früher Vorzeigebetrieb für deutsche Russlandpolitik

Siegfried Fraiers eigene Firma hat ihren Sitz in Königslutter bei Braunschweig. Vor zehn Jahren hat er eine Produktionsstätte in der Nähe von Moskau aufgebaut. Circa zwei Prozent seines jährlichen Umsatzes wurden dort erwirtschaftet, Tendenz steigend. Ein Vorzeigebetrieb für die deutsche Russlandpolitik.

Im Verhältnis zu den europäischen Märkten ist es in Russland schon komplizierter. Es ist bürokratischer in manchen Fragen, insoweit muss man sich auf den Markt einstellen. Man muss sich auf die Menschen, die Mentalität einstellen, und dann geht es aber auch gut. Dann ist es verlässlicher als in vielen anderen Ländern.

Siegfried Fraier

Siegfried Fraier tritt mit seiner Firma hier unter einem Pseudonym auf. Auch zum Schutz seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und seiner Kunden in Moskau. Denn seit dem 24. Februar, als Russland den Krieg in der Ukraine begonnen hat, ist Schluss mit dem Handel. Ist damit auch unsere internationale Handelspolitik gescheitert?
„Ursprünglich war der Gedanke des Wandels durch Handel damit verbunden, dass man gehofft hatte, dass Länder, die sich gegenseitig öffnen, die im Austausch sind mit Demokratien, gleich erkennen, welchen Mehrwert es auch hat, in einer rechtsstaatlichen Ordnung zu leben“, sagt er. „Ich glaube, ganz ursprünglich war es in Deutschland auch eigentlich Wandel durch Öffnung. Das hat sich dann irgendwann beschränkt auf den Handel und zu den Ergebnissen geführt, die wir ja heute kennen.“

Geringere Kosten in Autokratien und Diktaturen

Franziska Brantner ist Mitglied der Grünen und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. „Das Prinzip der letzten Jahre, Jahrzehnte war, dass die Expansion des Wachstums aufgebaut hat auf dem Prinzip: Was immer billiger ist“, kritisiert sie.

Wenn es nur darum geht, was ist am billigsten, dann kann man kaum mit Autokratien in den Wettbewerb treten oder Diktaturen, weil dort im Zweifel die Menschenrechte, die Umweltrechte immer stärker missachtet werden und es dadurch immer billiger wird.

Franziska Brantner

Die Annahme, Russland würde die eigene Dividende aus den Geschäften mit Europa höher einschätzen als die möglichen Gewinne aus dem Krieg gegen die Ukraine, scheint im Rückblick geradezu naiv und ist bitter enttäuscht worden.
„Es ist die größte Krise, glaube ich, die der Ostausschuss in den 70 Jahren seines Bestehens zu meistern hat“, sagt Michael Harms. Er ist seit fünf Jahren der Geschäftsführer des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft.

„Da entsteht menschliches Vertrauen“

Mit 29 Ländern Osteuropas vermittelt der Ausschuss Geschäfte für die deutsche Wirtschaft. Immer auf der Grundlage, die Zukunft Europas werde nicht durch Kriege, sondern durch das Wachstum der Wirtschaft entschieden.

Unternehmen haben auch eine friedenserhaltende Rolle. Das sind die Kunden, das sind die Lieferanten, da entsteht menschliches Vertrauen, da entstehen Freundschaften. Das ist, glaube ich, sehr wichtig für ein gutes Verhältnis. Die Krise hat uns jetzt allerdings auch gezeigt, dass es nicht automatisch zum Erfolg führt. Man kann sich nicht ausruhen und sagen, so, wir haben gute Wirtschaftsbeziehungen, und damit sind jetzt alle aggressiven Handlungen ausgeschlossen.

Michael Harms

Was hat also gefehlt in den Beziehungen zu Russland? Wo haben wir es uns zu einfach gemacht?
„Das sehen wir bei ganz vielen Ländern in dieser Welt, die energetische Rohstoffe haben, ob es Öl oder Gas ist oder Kohle, und die eigentlich für ihren Reichtum nichts anderes brauchen, als diese Rohstoffe zu gewinnen und weiterzuverkaufen. Das fördert keinerlei Innovation“, sagt Franziska Brantner. „Es ermöglicht auch den jeweiligen Leadern, relativ undemokratisch zu regieren, weil sie diese Gelder, die dadurch entstehen zentral sammeln und dann sie zentral entscheiden, wer die Gelder bekommt. Eher ein Fluch als ein Segen.“

Eigener wirtschaftlicher Vorteil als Kompass

Unseren Handelsbeziehungen zu Russland haben uns kostengünstige Energieimporte und damit wachsende Gewinne eingebracht. Gleichzeitig mussten wir uns vor der Konkurrenz russischer Luxusartikel oder Innovationen auf dem deutschen Markt nicht fürchten. Der eigene wirtschaftliche Vorteil, das war der Kompass.
„Das ist wahnsinnig spannend, wenn man Zugang zu Märkten hat und deswegen ist eben so etwas wie Offenheit für uns wie ein Lebenselixier“, sagt Siegfried Fraier.
„Das ist ein Konzept, das, glaube ich, manche mit durchaus ernst gemeinter Überzeugung vorangebracht haben. Ich glaube schon, dass man es eben unterschätzt hat, dass Demokratie und Menschenrechte, dass Kapitalismus dafür keine ausreichende Grundlage ist“, sagt Franziska Brantner.

Neue Partnerschaften für die Zukunft

Wir brauchen eine Neujustierung unseres Kompasses. Es mag kurzfristig billiger sein in Abhängigkeiten zu leben, aber am Ende kommt uns das sehr teuer zu stehen, nicht nur uns als Gesellschaft, sondern auch die Unternehmen. „In dieser Debatte merke ich immer wieder, dass wir ja viele Partnerländer in dieser Welt eher vernachlässigt haben, in den letzten Jahren“, sagt Franziska Brantner.
Und weiter: „Wenn wir uns mit denen wirklich gut zusammentun, Partnerschaften gründen, sei es bei Energie, grünem Wasserstoff, bei Rohstoffen, nachhaltiger Abbau, auch zu dem Preis davon, dass es einen Preis hat! Aber dass wir dann, durch eine bessere Ressourcen-Effizienz, durch Kreislaufwirtschaft am Ende trotzdem nicht weniger Wohlstand haben, aber mehr Freiheit für uns und auch in anderen Ländern.“

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