Internationaler Kulturaustausch

Künstler in der Festung Europa unerwünscht

Eine leere Theaterbühne
Viele internationale Bühnenkünstler scheitern trotz Einladung und intensivster Bemühungen, wenn sie bei einem deutschen Konsulat die Einreise beantragen. © imago/AGB Photo
Von Gerd Brendel |
Den kulturellen Austausch verdichten, gerade mit politisch schwierigen Ländern: Diese Absicht äußerte der Beauftragte für Auswärtige Kulturpolitik im Außenministerium kürzlich in Berlin. Die Praxis in den Visa-Stellen deutscher Konsulate sieht leider noch ganz anders aus.
"First time the invitation was for our families."
Homan Wezda erinnert sich noch genau an den ersten Termin im deutschen Konsulat in Kabul vor zwei Jahren:
"Die erste Einladung war für uns und unsere Familien. Für die Visaanträge haben wir an die 300 Unterlagen angeschleppt: Geburts- und Heiratsurkunden, beglaubigte Übersetzungen vom Außenministerium, gestempelt, noch mal gestempelt, hier ein Nachweis, da ein Nachweis, noch eine Urkunde."

Kein Erfolg trotz der vielen Dokumente

Ein paar Wochen zuvor hatten er und seine Kollegen vom Azdar-Theater einen Selbstmordanschlag überlebt. Eingeladen waren sie für ein Gastspiel beim Kunstfest Weimar. Aber am Ende halfen all die Dokumente nicht.
Alle Anträge wurden abgelehnt. Begründung:
"Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden."
So wie Homan ergeht es immer wieder Künstlern - auch dem Nigerianer Habeeb Ayodeji. Der Musiker sollte im Rahmen des Nordwind-Festivals Ende letzten Jahres in Berlin und auf Kampnagel in Hamburg auftreten.
"Ich hab ja x-mal mit der Visastelle im Konsulat in Nigeria, Lagos, telefoniert",
erinnert sich die Nordwind-Kuratorin Ricarda Ciontas an endlose Gespräche mit den deutschen Beamten in Lagos:
"Und habe immer gefragt: Woran macht man das fest, die mangelnde Bereitschaft zurückzukehren, woran wird die denn gemessen?"
An Bedingungen, die Bühnenkünstler auf der ganzen Welt oft nicht erfüllen können: regelmäßiges Einkommen, Grundbesitz oder eine Familie. Dabei hatte die Konsulatsangestellte in Lagos den Antragsteller gar nicht zu Gesicht bekommen. In der Regel haben Antragsteller, ob Künstler oder nicht, nur mit einer Ortskraft oder einem privaten Dienstleister zu tun. Entscheiden also nicht-deutsche Staatsbürger mit über eine Einreisegenehmigung nach Deutschland?
Michael Reiffenstuel, Beauftragter für Auswärtige Kulturpolitik im Außenministerium, während der ITB auf der Messe Berlin
Michael Reiffenstuel, Beauftragter für Auswärtige Kulturpolitik im Außenministerium© imago / Raimund Müller

Allgemeine Antwort vom Auswärtigen Amt

Gerne hätte man Herrn Reiffenstuel oder einen anderen Kollegen im Auswärtigen Amt dies und anderes in einem Interview gefragt. Das allerdings wurde abgelehnt. Stattdessen antwortet die Pressestelle schriftlich und sehr allgemein auf die Frage:
"Nein!"
"Die Entscheidung über Visaanträge ist entsandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes vorbehalten."
Ernesto Gruenewald, Fachanwalt für Migrationsrecht, sieht das anders:
"Jein... die wirken sehr wohl mit, es geht nicht nur um Vorlage von Unterlagen, es geht auch um die Befragung. Üblicherweise wird gefragt, welchen Hintergrund das Visum hat, und es wird eine Plausibilitätsprüfung gemacht von den Ortskräften. Die Angestellten erhalten die Unterlagen plus ein kleines Protokoll, was in der Besprechung aufgefallen ist."
Ein Protokoll, das die Antragsteller nie zu Gesicht bekommen. Auch nicht Habeeb Ayodeji aus Nigeria.
"Die einzige Möglichkeit, die ich hatte, war zu sagen", erinnert sich Ricarda Ciontas: "Wir bürgen! Das Haus Kampnagel, vielleicht auch eine Förderinstitution bürgt, und da wurde mir gesagt: Das interessiert uns überhaupt nicht. Bürgen müssen individuelle Personen."
Mit einer sogenannten Verpflichtungserklärung, die auch für Künstler nur von Privatpersonen abgegeben werden kann – mit weitreichenden Konsequenzen für die Unterzeichner.
"Wenn der Staat Kosten erbringt, dann kann die Behörde gegen denjenigen, der die Verpflichtungserklärung unterschrieben hat, diese Kosten geltend machen."
Wenn zum Beispiel ein Künstler von seinem Grundrecht Gebrauch macht und Asyl beantragt und somit Kosten für Sozial- und Krankenkasse entstehen.

Einzelne Weimarer verplichten sich für die Schauspieler

Im Falle der Schauspieler aus Afghanistan entschlossen sich trotzdem fünf Weimarer Bürgerinnen und Bürger zu einer Verpflichtungserklärung, damit die Schauspieler – freilich ohne Familie, denn das hatte das Konsulat in Kabul inoffiziell zur Bedingung gemacht – im letzten Jahr schließlich doch noch einreisen konnten.
"Diese Verpflichtungserklärung – ich find sie immer noch falsch – ist die Privatisierung des verfassungsrechtlichen Schutzes vor Flucht und Verfolgung."
Davon sind die Weimarer Dramaturgin Julie Paucker und der Theaterregisseur Robert Schuster, die das deutsch-afghanische Theaterprojekt mit initiiert haben, überzeugt. Auf dem Podium zu Kulturaustausch am letzten Wochenende in der Berliner Akademie der Künste saßen beide und Homan Wazda neben Michael Reiffenstuel vom Auswärtigen Amt. Der präsentierte dann am Ende doch noch eine Art konstruktiven Vorschlag seines Ministeriums:
"Im Bereich Wissenschaft ist es tatsächlich so, dass wir vor zweieinhalb Jahren eine Initiative gestartet haben, wo dann verfolgte Wissenschaftler an deutschen Unis weiter arbeiten können. So ein Modell streben wir auch an, dass Künstler Schutz genießen, ohne Asyl zu beantragen."

Ein vager Satz im GroKo-Sondierungspapier

Dass wäre in der Tat ein Programm, das über die Sonntagsreden zum Kulturaustausch hinausginge. Immerhin ein vager Satz zum "besonderen Schutz gefährdeter Künstler und Kreativer" findet sich auch im Sondierungspapier zur Großen Koalition. Davon würden nicht nur Schauspieler aus Afghanistan und Habeeb Ayodeji aus Nigeria profitieren, sondern auch wir: das Publikum in Deutschland.
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