Ein Text wie ein großer Schrei
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Für ihren Roman "Die jüngste Tochter" erhält die Französin Fatima Daas gemeinsam mit ihrer Übersetzerin Sina de Malafosse den Internationalen Literaturpreis. Die Autorin ergründet darin ihr Verhältnis zum eigenen Glauben.
Religiös und homosexuell sein und dabei noch allen Teilen der eigenen Persönlichkeit Raum geben – darum geht es in "Die jüngste Tochter", dem Debüt der 25-jährigen Fatima Daas aus Frankreich.
Für den Text hat sie soeben zusammen mit ihrer deutschen Übersetzerin Sina de Malafosse den Internationalen Literaturpreis bekommen, der in Berlin verliehen wird.
Fatima Daas empfindet ihren Text "wie einen großen Schrei. Ich schreibe, ich liebe, und ich werde nicht verzichten, auf nichts."
Tochter algerischer Einwanderer in Clichy
"Jedes Wort dieses autofiktionalen Romandebüts zeugt von der Unerschrockenheit und verletzlichen Offenheit der Erzählerin, die als Tochter algerischer Einwanderer in Clichy aufwächst und versucht, die leidenschaftliche Gleichzeitigkeit zweier Outings zu ehren", begründet die Jury ihre Entscheidung für Daas.
Der Roman schildere die Suche nach einer Identität, in der eine junge Frau dem Islam näherkommen und sich von sexuellen Rollenzuschreibungen lösen kann, ohne das eine gegen das andere verteidigen zu müssen.
Das religiöse Erbe rekonstruieren
Die Ich-Erzählerin ist eine junge Frau aus der Banlieue, trägt Air-Max-Turnschuhe zu Jogginghose und Kapuzenpulli, ist verhaltensauffällig in der Schule und auch sonst ziemlich weit entfernt vom Stereotyp der gläubigen Muslimin.
Aber seit Fatima den Ramadan befolgt, fühlt sie sich zugehörig. Dann verliebt sie sich auch noch in Nina. Wie passt das zusammen?
"Ich wollte das religiöse Erbe erst einmal dekonstruieren", sagt Daas. "Meine Eltern sind tatsächlich traditionell gläubig. Damit bin ich aufgewachsen. Ich habe mir die Frage gestellt: Glaube ich, beziehungsweise glaubt meine Heldin nur, weil die Eltern gläubig sind? Aber als Fatima das erste Mal den Ramadan hält, spürt sie, dass sie dem Glauben folgen kann. Da gibt es eine Anhänglichkeit, da gibt es eine Bindung."
So handelt der Text auch von der Forderung und dem tiefen Wunsch der Heldin, alles behalten zu wollen.
Wahnsinnige Schönheit
Die Sprache der Autorin ist fast wie gesprochene Sprache und war insofern eine Herausforderung für Sina de Malafosse:
"Man hat eine vordergründige Harmonie, einen flüssigen Text von einer wahnsinnigen Schönheit, und wenn man genau hinschaut, gibt es kleine Rhythmusverschiebungen, kleine Brüche. Die gilt es natürlich aufzuspüren", sagt die Übersetzerin.
"Aber insgesamt ergibt dieser fragmentarische Aufbau am Ende ein großes Mosaik. Das fand ich wahnsinnig intensiv und auch als Leserin überzeugend." (huc)
Übersetzerin des Gesprächs war Sigrid Brinkmann